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Ernst-Cassirer-Park

Rotherbaum (2011): Prof. Dr. Ernst Cassirer (28.7.1874 Breslau – 13.4.1945 New York), erster deutsch-jüdischer Rektor der Universität Hamburg, wegen seiner jüdischer Herkunft Verfolgter des NS-Regimes.


Cassirer wurde als Sohn des jüdischen Kaufmanns Eduard Cassirer (16.12.1843 – 2.6.1916) und dessen Ehefrau Eugenie Cassirer (7.11.1848 – 29.4.1904) in Breslau geboren. Nach dem Abitur am Johannesgymnasium Breslau studierte er ab 1892 zunächst Rechtswissenschaft, bald darauf Deutsche Literatur und Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Er forschte und lehrte zunächst in Berlin. Ab 1896 wechselte er nach Marburg, wo er in den unmittelbaren Studentenkreis Cohens aufgenommen wurde und sich damit der Marburger Schule des Neukantianismus anschloss. 1899 promovierte er und habilitierte sich 1906. In den nächsten dreizehn Jahren war er dort Privatdozent und arbeitete vor allem an den Grundlagen seines erkenntnistheoretischen Werkes. Seit 1902 war er mit seiner Cousine Toni Bondy (1883 Wien – 1961 New York) verheiratet, mit der er drei Kinder hatte.

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Ernst Cassirer; Quelle: via Wikimedia Commons

1919 folgte er einem Ruf an die neu gegründete Universität Hamburg, wo er bis zu seiner Entfernung aus dieser Position 1933 als Professor für Philosophie tätig war und 1929/30 sogar das Rektorat innehatte. Damit war er einer der ersten deutsch-jüdischen Rektoren an einer Universität in Deutschland. 1923 bis 1929 veröffentlichte er sukzessive sein dreibändiges Hauptwerk, die „Philosophie der symbolischen Formen“. Damit schuf er eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen. Sein Ziel ist es, – in Ergänzung und Abwandlung der Ideen des Philosophen Immanuel Kant – die Verschiedenartigkeit von Zugangsweisen zur Welt wie Mythos, Religion, Wissenschaft, Sprache usw. durch Symbole aufzuzeigen. Darüber hinaus arbeitete Cassirer an der Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, eng mit ihrem als Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler sehr bekannten Gründer Aby Warburg zusammen. Hier entstanden einige Studien, insbesondere zur Renaissance. Seine Antrittsrede als Rektor vom November 1929 „Formen und Formwandlungen des philosophischen Wahrheitsbegriffs“ ist ein engagiertes Bekenntnis zur Verfassung der Weimarer Republik.

Bevor die Cassirers im Oktober 1919 von Berlin nach Hamburg umzogen, erhielt Toni Cassirer „eine Warnung des Hamburger Psychologen William Stern [siehe: Sterntwiete] (…), ‚dass sich in der Hamburger Universität ein kompakter rechter Studentenblock gebildet hätte, der unter anderem Flugblätter verteilte, die zum Boykott jüdischer Autoren aufforderten‘, (…). ‚ An der Universität ereignete sich anfangs wenig oder fast gar nichts, was beunruhigend hätte wirken können; aber um so deutlicher konnte man ihn (den Antisemitismus, M. W.) auf der Straße, in den Schulen in der Nachbarschaft entdecken, ohne erst nach ihm zu suchen. Unsere Kinder, die im Berliner Westen niemals unter Antisemitismus zu leiden gehabt hatten, waren sehr betroffen über diese neuen Erfahrungen. Georg hatte es besonders schlecht, da die einzige Schule, die seinem bisherigen Schulplan entsprach, allgemein als antisemitisch bekannt war. Anne wurde auf ihrem Schulweg durch Zurufe aus den Nachbarhäusern belästigt, und ich [Toni Cassirer] selbst stand im ersten Hamburger Sommer zum ersten Mal einem antisemitischen Angriff gegenüber.‘ Die Cassirers waren in eine vornehme Gegend an einem Kanal der Alster gezogen, der von eleganten Villen mit gepflegten Gärten gesäumt wird. Als Toni Cassirer einmal gemeinsam mit ihrem sechsundsiebzigjährigen Vater lesend im Garten saß und ein lärmendes Kind im Garten gegenüber ihre Konzentration störte, bat sie es schließlich ‚sehr freundlich, entweder den ganzen Lärm ganz zu lassen oder aber in einem anderen Teil des Gartens zu spielen‘, worauf der Vater des Kindes erschien und über den Kanal rief: ‚Glauben Sie denn, daß Sie uns nicht stören?‘ Auf die erstaunte Frage: ‚Wodurch?‘ antwortete dieser: ‚Durch Ihren puren Anblick – Sie gehören ja alle nach Palästina‘. Die vornehmen ‚Hanseaten‘ an der Alster begannen, ihre Vornehmheit dem deutschen Zeitgeist zu opfern – und das vor Hitlers Machtübernahme.“ 1) Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte Cassirer mit seiner Frau Toni und den Kindern sofort nach England. Er hatte schon im April 1933 um seine Entlassung als Ordinarius der Hamburger Universität nachgesucht, als die Bücherverbrennung bereits begonnen hatte und nachdem am 7. April das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erging, welches sich insbesondere gegen deutsche Beamte jüdischer Herkunft wandte. Zudem hatte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund landesweit die „Aktion wider den undeutschen Geist“ gegen jüdische Professoren und Studenten an allen Hochschulen und in den Hochschulstädten unternommen.

Wenig später übersiedelte Cassirer nach Schweden, wo er 1939 schwedischer Staatsbürger wurde; 1941 schließlich in die USA. In der Emigration war er Gastprofessor in Oxford, anschließend Inhaber eines philosophischen Lehrstuhls in Göteborg und später Professor an der Yale-Universität und an der Columbia-Universität in New York. Ernst Cassirer starb im April 1945 in New York an einem Herzanfall. Seine Analyse zur Entstehung des Nationalsozialismus in „Vom Mythus des Staates" erschien erst nach seinem Tod.

Frank Kürschner-Pelkmann schreibt in seinem Buch „Jüdisches Leben in Hamburg. Ein Stadtführer“ über die Hamburger Universität und deren Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus sowie deren „Aufarbeitung“ dieser Zeit: „So erschreckend das Verhalten der Universität und ihrer Mitglieder in den Jahren 1933 bis 1945 war, so skandalös ist auch der Umgang mit dieser Geschichte in den folgenden Jahrzehnten. In Festschriften der Universität und ihrer Institute kamen die dunklen Kapitel der Nazizeit praktisch nicht vor. Wissenschaftler, die willfährig den braunen Herren gedient hatten, machten weiter Karriere., Es dauerte bis Anfang der 90er Jahre, bis die Universität nach öffentlichen Protesten daranging, die Aberkennung der Doktorwürde von 59 jüdischen Wissenschaftlern während der Nazizeit wieder aufzuheben. Viele der Täter genossen ihre hohen Pensionen, während aus den Verfolgten die Vergessenen wurden.“ 2)

Zusammengestellt von Cornelia Göksu