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Sterntwiete

Bergedorf/Lohbrügge (1964): Prof. Dr. William Stern (29.4.1871-27.3.1938), Mitbegründer der Universität Hamburg. Verfolgter des Nationalsozialismus.
Mitbenannt im April 2024 nach Sterns Ehefrau Clara Stern, geb. Joseephy (12.3.1877 Berlin – 1948 Durham (USA). Sie betrieb wissenschaftliche Grundlagenforschung und begründete zusammen mit ihrem Mann die entwicklungspsychologische Tagebuchmethode.


Siehe auch: Martha-Muchow-Weg

William Stern, Einzelkind der Eheleute Rosa und Sigismund Stern; Stern entstammte einem assimilierten jüdischen Elternhaus in Berlin. Er promovierte 1893 an der Universität Berlin bei Hermann Ebbinghaus. Er heiratete Clara Joseephy, Tochter eines begüterten Berliner Elternhauses, mit der er drei Kinder hatte, Hilde (1900-1962), Günther (Günther Anders (1902-1992) und Eva (1904-1992). Die wissenschaftliche Auswertung der von ihm und seiner Frau in der Zeit von 1900 bis 1918 akribisch geführten Tagebücher haben als Methode für die Entwicklungspsychologie große Bedeutung erlangt. Auf der Grundlage von Beobachtungen ihrer Kinder publizierte Stern gemeinsam mit seiner Frau Clara Joseephy Standardwerke wie „Die Kindersprache” (1907), „Erinnerung, Aussage und Lüge in der ersten Kindheit” (1908) sowie „Psychologie der frühen Kindheit bis zum sechsten Lebensjahr” (1914). Stern war ebenfalls ein Neuerer darin, wissenschaftliche Methoden zur Untersuchung der Glaubwürdigkeit von (jugendlichen) Zeugenaussagen zu entwickeln. Hierin wurde Stern 1903 als erster Gerichtspsychologe in Deutschland überhaupt und später häufig bei Gerichtsverfahren tätig.

William Stern prägte die psychologische Wissenschaft zur Zeit der Weimarer Republik und förderte als Begründer der „Differenziellen Psychologie“ ihre praktische Anwendung unter anderem mit Fähigkeitsdiagnosen, Berufseignungsverfahren und psychologischen Gutachten. 1904 war Stern Gründungsmitglied der „Deutschen Gesellschaft für Psychologie”, deren Vorsitz er 1931 übernahm. Gemeinsam mit Otto Lipmann (1880-1933) gründete er 1906 das „Institut für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung”. Er machte Intelligenz messbar, bestand aber darauf, den Menschen als einzigartiges Ganzes zu betrachten.

In Hamburg wirkte William Stern seit 1916, die ersten Jahre als Ordinarius für Philosophie, Psychologie und Pädagogik am Psychologischen Laboratorium des „Allgemeinen Vorlesungswesens“. Bei Kriegsende im November 1918 leistete er einen wichtigen Beitrag zur Gründung der Universität Hamburg, indem er vorschlug, private Lehrveranstaltungen für heimkehrende Kriegsteilnehmer einzurichten. Die damit einhergehende Vergrößerung der Studierendenschaft war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Zusammenführung der wissenschaftlichen Einrichtungen Hamburgs zu einer Universität. Nach der Gründung der Universität im Mai 1919 leitete William Stern gemeinsam mit Ernst Cassirer [siehe: Ernst-Cassirer-Weg] das Philosophische Seminar sowie, zusammen mit Heinz Werner, das bald darauf selbstständige Psychologische Institut der Hamburgischen Universität.

1933 wurde William Stern wegen seiner jüdischen Herkunft unter unwürdigen Umständen vom Dienst suspendiert und seiner Ämter enthoben. Gewarnt von ihrem damals 31-jährigen Sohn Günther hinsichtlich der Vernichtungsdrohung, floh das Ehepaar Stern vor der einsetzenden Judenverfolgung des Naziregimes über die Niederlande weiter in die USA ins Exil. Im Bundesstaat North Carolina erhielt Stern an der Duke University in Durham eine Professur, die er bis an sein Lebensende – er starb 1938 an Herzversagen – ausfüllte.
Zusammengestellt von Cornelia Göksu

Auch Clara Stern, geborene Clara Joseephy, (12. März 1877 Berlin - 1948 Dunham/USA) hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag, aus dem ihre Bedeutung für die Wissenschaft hervorgeht. So heißt es dort: Sie „leistete an der Seite ihres Mannes William Stern Hervorragendes auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie. Dies tat sie ohne einen eigenen akademischen Abschluss gemacht zu haben, denn das war vor 1900 für Frauen in Deutschland noch nicht möglich.“ 1)

Der weitere Lebensweg war für Clara Joseephy - wie für die vielen anderen bürgerlichen Töchter aus „Gutem Haus“ vorbestimmt und hieß: Ehefrau und Mutter. Ein Studium war nicht möglich, weil für Frauen verboten; eine Berufsausbildung für bürgerliche Töchter aus gutsituierten Haushalten wurde als nicht „angebracht“ angesehen.

Clara Joseephy hatte bei der Wahl ihres Ehepartners Glück, denn mit ihm konnte sie wissenschaftlich tätig werden. Aber zuerst einmal musste sich die Tochter von Friederike Joseephy, geborene Benjamin und des Bankiers Julius Joseephy gegen ihre Eltern durchsetzen, denn diese waren mit dem zukünftigen Ehemann ihrer Tochter nicht einverstanden.

1899 kam es zur Heirat mit William Stern. Das Ehepaar ging nach Breslau, wo William Stern als Professor für Pädagogik tätig wurde. Das Paar bekam drei Kinder und begann gemeinsam zu forschen. Doch in der Öffentlichkeit und auch unter den Fachwissenschaftlern wurde Clara Stern nur als die Ehefrau des Psychologen William Stern und als Mutter der drei Kinder bemerkt und bekannt, „deren Entwicklung sie zusammen mit ihrem Mann 18 Jahre lang in Tagebüchern dokumentiert hat (…). Ihrem Mann hat sie nicht nur wissenschaftlich zugearbeitet und seine keineswegs glatt laufende Karriere unterstützt. Das entwicklungs-psychologische Werk der Sterns ist eine gemeinschaftliche Leistung, bei der die Anteile der einen oder der anderen Person nicht klar voneinander zu trennen sind“, schreibt der Psychologie-Professor Werner Deutsch.2)

Werner Deutsch zeigt in seinem Portrait über Clara Stern die hohe wissenschaftliche Bedeutung der Werke des Ehepaares Stern auf und macht dabei deutlich, dass Clara Stern es war, die der Motor des Ganzen war. So schreibt er:, „(…) das vom Ehepaar Stern verfasste Buch ‚Die Kindersprache‘ ist ein Meilenstein der Spracherwerbsforschung. Es enthält die Darstellung von drei Entwicklungsverläufen, deren Umfang und Genauigkeit damals ohne Vergleich war. Es enthält eine Gesamtübersicht zum damaligen Stand der Spracherwerbsforschung. Schließlich beinhaltet es eine theoretische Konzeption, die die Einseitigkeiten empiristischer und nativistischer Theoriebildung überwindet. Kein Zweifel, dieses Buch allein rechtfertigt einen Platz im Himmel der Psycholinguistik! Erstautorin dieser Monographie wie auch der zwei Jahre später erschienenen Monographie zu ‚Erinnerung, Aussage und Lüge‘ (1909) ist Clara Stern. Die Sterns hatten sechs Monographien geplant, von denen nur die beiden genannten erschienen sind. Das gesamte entwicklungspsychologische Werk der Sterns - einschließlich des Bestsellers ‚Psychologie der frühen Kindheit‘ von William Stern (1914) - basiert auf einem Forschungsprojekt, das sie unter ihrer Federführung am Tag der Geburt ihrer ersten Tochter Hilde in Breslau begonnen haben. (…)

Die Sternschen Tagebücher sind ein gelungener Versuch, Entwicklungsphänomenologie zu betreiben, die subjektive Beobachtungen möglichst objektiv wiedergibt, und zwar in einer Sprache, die sich jeglichen Psychologiejargons enthält. William Stern schreibt in einem handschriftlichen Entwurf seiner Selbstdarstellung das Verdienst für diese Art der Darstellung Clara Stern zu. Ich zitiere aus dem Manuskript, weil die Textpassage in der publizierten Version aus dem Jahre 1927 - aus welchen Gründen auch immer- weggelassen ist:‘Um die Aufzeichnungen besonders wertvoll zu gestalten, kamen Eigenschaften meiner Frau hinzu, die ich hier erwähnen muß: ein intuitives mütterliches Verstehen für die Regungen der Kinder ging hier die seltene Verbindung ein mit einer unbeirrbaren Objektivität der Beobachtung und mit Vorsicht im Deuten des Beobachteten; hinzu kamen eine plastische und lebendige Darstellungsweise und eine unermüdliche Konsequenz in der Durchführung der einmal begonnenen Aufgabe. So entstanden nun Bücher auf Bücher, Aufzeichnungen in einem Umfang und einer Vielseitigkeit, wie sie wohl weder vorher noch nachher zustande gekommen sind. Sie erstrecken sich weit über die frühe Kindheit hinaus, tief in die Schulzeit hinein und bilden so einen Schatz an psychologischem Material, das bis heute erst zu einem ganz kleinen Bruchteil ausgeschöpft ist.‘ (…)

Wir wundern uns heute, daß am Anfang die Tagebuchmethode eine Domäne von Männern gewesen ist (…). Frauen wurde die Fähigkeit abgesprochen, überhaupt objektiv beobachten zu können. James Mark Baldwin hat diese Auffassung mit besonderer Vehemenz vertreten. Trotzdem hat er nicht verhindern können, daß über den Weg von Tagebuchstudien Frauen in die Psychologie als akademische Wissenschaft eingedrungen sind. (…)

Die überaus fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Clara und William Stern, die zuhause in einem Raum an gegenüberliegenden Schreibtischen gearbeitet haben, ist auf die Zeit des Tagebuchprojekts beschränkt. Danach hat William Stern das Tagebuchmaterial weiter für Vorträge und Publikationen verwendet, nicht ohne Hinweis auf die ungedruckten Tagebücher seiner Frau. Doch Clara Stern tritt als Mitarbeiterin und Koautorin nicht mehr aktiv in Erscheinung. Ihre wissenschaftlichen Ambitionen kamen zum Stillstand, als ihr Mann sein (und ihr!) Lebensziel erreicht hatte. Er wurde 1916 ordentlicher Professor in Hamburg. (…)

Clara Stern hatte ihren wissenschaftlichen Gegenstand verloren, für den sie sich von Beginn dieses Jahrhunderts bis um die Zeit des 1. Weltkrieges so konsequent und intensiv engagiert hatte. Aus der Amateurwissenschaftlerin war, (…), die Frau und Mutter geworden.

Zusammen mit ihrem Mann emigriert sie über die Niederlande in die USA. Dort findet William Stern in einem Alter, in dem Professoren normalerweise sich auf den Ruhestand einstellen, eine neue Position an der Duke University in Durham/North Carolina. (…). Clara Stern zieht nach dem plötzlichen Herztod ihres Mannes 1938 nach New York, wo bereits eine ihrer Schwestern, ihre Kinder Günther und Hilde sowie ihre Enkel leben. Während des 2. Weltkrieges verdient sie ihren Lebensunterhalt als Briefzensorin für deutschsprachige Briefe, nachdem sie amerikanische Staatsbürgerin geworden war. Sie verstarb in der Nacht zum 8. Dezember 1945 in New York. (…).“ 2)

Werner Deutsch weist in seinem Aufsatz auf eine Erfreulichkeit hin: Am Max Planck Institut für Psycholinguistik in Nijmegen (Niederlande) wurde Clara Stern als einzige Frau in die Ahnengalerie aufgenommen. Voraussetzung für die Aufnahme war nicht nur der Tod der „Ahnen“, sondern die hier Geehrten mussten „Bahnbrechendes für die Psycholinguistik geleistet haben“ 2).

In diese Biografie über William Stern und Clara Stern gehört auch die Biografie der Tochter Hilde Marchwitza, geborene Stern, geschiedene Schottlaender (7.4.1900 Breslau- 8.9.1961 Ost-Berlin). Sie war Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozoialismus und Übersetzerin. Zu ihren herausragenden Eigenschaften, 1) im Vergleich zu ihren beiden anderen Geschwistern, gehörte ein ausgesprochener Gemeinsinn, der sich schon darin äußerte, dass sie früh in der Lage war, sich bewusst sozial zu verhalten. „Günther war krank und durfte nichts ‚Gutes‘ essen. Sonntag sollte er sich mit einfachem Backwerk begnügen, während Eva und Hilde vom ‚Hochzeitstagbuch‘ verlockendere Stücke erhielten. G. [Günther] fing gekränkt an zu weinen – was thut Hilde? Sie bringt mir ihr Stück zurück und bittet, sie wolle auch nur das haben was G. habe, damit er ruhig würde. Ich willfahrte ihr und lobte sie. Ich bin mir natürlich klar, dass hier der Wunsch, vor der Mutter brav dazustehen und ein grosses Lob einzuheimsen noch kausaler war als der, dem Bruder etwas Gutes zu tun – immerhin aber versagte sie sich materielle Genüsse ideeller halber. (Tagebuch XI [der Mutter] / Hilde /10.03.1908).“ 2)

Eine zweite Eigenschaft der jungen Hilde Stern war nach den Tagebuchaufzeichnungen der Mutter ihr ausgeprägtes Pflichtgefühl: „Nur ihre [schulischen] Leistungen [enttäuschten uns], nicht ihr Pflichteifer. Sie sucht sich niemals um eine Aufgabe herumzudrücken und arbeitet oft unermüdlich. (Tagebuch [der Mutter] XII / Hilde /19.09.1910) … Für Hilde existiert schon Pflicht ohne Neigung, im Kantischen Sinne, jedenfalls ohne bewusste Neigung. Obgleich sie die Anfangsgründe des Klaviers leicht erfasst und auch nicht ungern übt, so bedauert sie doch manchmal, dass ‚morgen Stunde ist‘. Ich meinte nun, sie müsse ja nicht spielen lernen, wenn sie nicht gern wolle – darauf Hilde: ‚Ich muss es aber doch lernen‘; sie meint damit nicht den Zwang von aussen, sondern von innen, den sie selbst auf sich ausübt. (Tagebuch [der Mutter] XII / Hilde / 17.08.1909).“ 3)

Zugleich ließ sie sich offenbar durch die Schule und andere soziale Kontakte nicht dominieren, sondern blieb sich selbst treu: „Deutsch lesen war auch ‚gut‘, ebenso Fleiß und Betragen. Aber die Körperhaltung lautet auf ‘Noch zu unruhig‘. Ich hatte im Geheimen meine Freude daran; ist es doch ein Zeichen, dass Ä‘ sie sich nicht allzuschnell zermahlen lässt. … Natürlich bringt sie manch kleine Angewohnheiten heim, die sie von den Kameradinnen annimmt – doch im Großen und Ganzen bleibt sie sie selbst (Tagebuch [der Mutter] XII / Hilde / 06.01.10).“ [4]

Hilde Stern machte in Hamburg ihr Abitur und ging anschließend an die Soziale Frauenschule in der Moorweidenstr. 24, die von der Vorsitzenden des Bundes deutscher (bürgerlicher) Frauenvereine, Gertrud Bäumer, geleitet wurde. Es war das erste Hamburger Institut für die Ausbildung von Sozialpädagoginnen. 1921 erhielt Hilde Stern eine Anstellung beim Hamburger Arbeitsamt, zunächst als Praktikantin, dann als Berufsberaterin.

1922 heiratete Hilde Stern den Philosophen und Altphilologen Rudolf Schottlaender (1900–1988), den sie über ihren Bruder kennengelernt hatte, und zog mit ihm nach Berlin. Hier arbeitete sie als Sekretärin für Gertrud Bäumer. Die Ehe hielt bis 1926 und wurde 1927 geschieden. Es gab Differenzen über die Austragung eines dritten Kindes – Hilde Schottlaender war dagegen – und wohl auch politische Differenzen. Rudolf Schottlaender schilderte diese in seiner 1986 veröffentlichten Autobiographie: „Der Tod meiner ersten Frau Hilde, … im September 1961 … gibt mir Anlaß zum Rückblick nicht nur auf die persönlichen, sondern mehr noch politischen Gründe einer so tiefen Entfremdung. Spätestens das Exil in New York hatte in der Bürgerstochter mit gemäßigt emanzipatorischen Linkstendenzen die radikale Wendung zum fanatischen Kommunismus bewirkt, die wohl schon vor der Auswanderung nach Amerika eingetreten war und dort endgültig wurde.“ [5]

Mit den beiden gemeinsamen Kindern Michael (1924–1989) und Hanna (geboren 1925) ging Hilde Schottlaender nach Hamburg zurück. Sie arbeitete dort wiederum im Arbeitsamt.

Im Juli 1933 wurde ihr Arbeitsverhältnis als Jüdin nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ gekündigt. Anschließend arbeitete sie in der Jüdischen Berufsberatungsstelle in Hamburg, wo es in Bezug auf die mögliche Auswanderung nach Palästina vor allem darum ging, die jüdischen Jugendlichen bevorzugt in handwerkliche, auch von der Jüdischen Berufsberatung selbstorganisierte Ausbildungen zu orientieren. Ihre Kinder gab sie an eine Quäker-Schule in den Niederlanden, um sie vor den antisemitischen Maßnahmen in Deutschland zu schützen. Auch ihre Eltern Clara und William Stern waren 1935 und Bruder Günther schon 1933 ins Exil gegangen.

Hilde Schottlaender engagierte sich aber nicht allein in der Jüdischen Gemeinde, sondern arbeitete auch unter dem Decknamen Edith Stahl in der Widerstandsgruppe um den von der KPD unabhängigen Kommunisten Hans Westermann gegen die NS-Diktatur mit. Westermann war 1925 und 1930 als sogenannter Versöhnler, der eine Zusammenarbeit der KPD mit Sozialdemokratie und Gewerkschaftenen in der Weimarer Republik befürwortet hatte, aus der KPD ausgeschlossen worden und arbeitete erst in der Illegalität wieder mit der Partei zusammen. In der Nacht auf den 06.03.1935 wurden Hans Westermann und seine Lebenspartnerin Käte Latzke [siehe: Käte-Latzke-Weg] als führende Mitglieder der Widerstandsgruppe in Hilde Schottlaenders Wohnung, Klosterallee 31, von der Gestapo verhaftet.

Hilde Schottlaender war mit beiden befreundet. Sie hatte Hans Westermann 1932 während einer Veranstaltung der „Gesellschaft der Freunde des neuen Russland“ kennengelernt und ihn nach seiner Entlassung aus einer ersten „Schutzhaft“ vom Juli bis September 1934 bei sich aufgenommen. Später wohnte Käte Latzke bei ihr. Westermann wurde nach seiner Verhaftung am 16.03.1935 im KZ Fuhlsbüttel ermordet, Käte Latzke starb 1945 im KZ Ravensbrück.

Das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilte Hilde Schottlaender im Oktober 1935 wegen „Vorbereitung zu einem hochverräterischen Unternehmen“ zu einer zweijährigen Haftstrafe, weil sie der Westermann-Gruppe ihre Wohnung für deren politische Arbeit zu Verfügung gestellt hatte. Sie verbüßte die Haftstrafe im Frauengefängnis Lübeck-Lauerhof. Ihre Schwester Eva, die sie während des Gefängnisaufenthaltes oft besuchte, schrieb 1991: „Ich bin überzeugt, dass ihre politische Tätigkeit und ihr Anschluss an linksgerichtete Kreise der Ausdruck ihres Gerechtigkeitssinnes war. Sie hat immer betont, dass sie kein Mitglied der Kommunistischen Partei war, da sie jede Gewaltanwendung ablehnte. Sie schloß sich deshalb einer Widerstandsgruppe an, die mit ihrer Auffassung übereinstimmte.“ [6]

Nach Ende der Haftzeit musste Hilde Schottlaender Deutschland gegen ihren Willen verlassen und reiste 1937 zu ihren Kindern in die Niederlande. Ihre Schwester Eva schilderte die Gespräche im Gefängnis: „Meine Schwester versuchte mir immer klar zu machen (in versteckter Form), daß sie auf keinen Fall bereit wäre, nach der Entlassung auszuwandern, da ihre Aufgabe im Widerstand in Deutschland läge. … Während sie im Gefängnis war, hatte sie – ich weiß nicht, wie – gehört, daß die beiden Freunde, die bei ihr gefunden wurden, im KZ unter Tortur umgebracht worden waren [zu diesem Zeitpunkt lebte Käte Latzke allerdings noch]. Dieser Schock und die Verantwortung für ihre Kinder haben sie möglicherweise umgestimmt, nicht auf ihren Verbleib in Deutschland zu bestehen. Hinzu kam, daß (zu meiner großen Erleichterung), die Gestapo dem Anwalt mitgeteilt hatte, daß sie nach den zwei Jahren nur entlassen werden würde, wenn sie sich schriftlich verpflichtete, Deutschland sofort nach der Entlassung zu verlassen. Zu meiner Erleichterung erklärte sie sich zu dieser Unterschrift bereit.“ [7]

Noch im selben Jahr reiste Hilde Schottlaender mit ihren Kindern in die USA nach New York. Sie nahm später die amerikanische Staatbürgerschaft an und änderte ihren Namen in Hilde Scott.

Von 1937 bis 1939 arbeitete Hilde Scott als Redaktionssekretärin und Mitarbeiterin für die deutsch-englisch-sprachige Wochenzeitung „Deutsches Volksecho“. Herausgeber und Autor der meisten Artikel war der damals erst 23 Jahre alte deutsche Schriftsteller Stefan Heym. Namhafte Autoren veröffentlichten Beiträge, u. a. Thomas Mann, [siehe: Thomas-Mann-Straße] Ludwig Renn, Ilja Ehrenburg und Albert Einstein [siehe: Albert-Einstein-Ring]. Politische Linie des Blattes war die Umsetzung der so genannten Volksfrontstrategie der Kommunistischen Internationale (Komintern) unter Einbeziehung breiter Bündnisse mit linken, demokratischen und bürgerlichen Menschen und Parteien. Nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 und der Umsetzung des Hitler-Stalin-Paktes entfiel die politische Grundlage des „Deutschen Volksechos“, das auch wirtschaftlich in Schwierigkeiten war. Die Zeitung wurde im November 1939 eingestellt.

Danach wirkte Hilde Scott als Sozialarbeiterin für mehrere Hilfsorganisationen jüdischer Auswanderer und verfasste für die deutsch-jüdische Exilzeitung „Aufbau“ sozialpolitische Beiträge, die in der Rubrik „Probleme des Alltags“ erschienen. Sie schrieb auch für die Frauenseite des „German-American“, einer deutschen antifaschistischen Exil-Zeitschrift.

Beim „German-American“ lernten sich Hilde Scott und der deutsche kommunistische Arbeiter und proletarische Schriftsteller Hans Marchwitza kennen. Marchwitza war 1933 über die Schweiz emigriert und nahm von 1936 bis 1938 in den Interbrigaden auf Seiten der Republik am Spanischen Bürgerkrieg teil, wurde nach Francos Sieg beim Grenzübertritt in Frankreich interniert und konnte 1941 in die USA flüchten. Dort wurde er zunächst ebenfalls interniert, konnte sich aber später als Bau- und Hilfsarbeiter durchschlagen.

Seit 1942 lebten die beiden zusammen. Hilde Scott war gut in den USA integriert und sprach sehr gut Englisch, während Hans Marchwitza schlecht Englisch sprach und sich fast ausschließlich in der kommunistischen Exilgruppe bewegte. 1945 heirateten die beiden und kehrten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Ende 1946 – die US-Regierung hatte wenig Interesse an der Aufbauarbeit durch deutsche Kommunisten und verzögerte deren Ausreise aus dem US-Exil – nach Deutschland zurück. Sie erreichten es über Bremerhaven und Bremen und gingen zunächst nach Stuttgart, weil sie lediglich ein Visum für die amerikanisch besetzte Zone erhielten. Von dort gingen sie 1947 wie von Anfang an geplant und quasi im Parteiauftrag in die sowjetisch besetzte Zone nach Babelsberg.

In der DDR übersetzte Hilde Marchwitza für den Dietz-Verlag aus dem Englischen mehrere Bücher, darunter „Kultur in einer sich ändernden Welt“: Eine marxistische Studie (1949) des kulturpolitischen Sprechers der KP der USA, V. J. Jerome, und „Indien heute“ (1951) von dem britischen kommunistischen Autoren Rajani Palme Dutt. Bis 1950 war sie 2. Landessekretärin des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD) in Brandenburg. Von 1950 bis 1951 leitete sie, als ihr Mann Kulturattaché der DDR in Prag war, die Pressestelle der diplomatischen Vertretung. Später unterstützte sie die schriftstellerische Arbeit ihres Mannes.

Nach Auskunft von Hilde Marchwitzas Tochter Hanna Obermann war die Beziehung zwischen Hilde und Hans Marchwitza sehr eng. „Hilde Stern überbrückte durch die gemeinsame Arbeit an Büchern so manche Wissenslücken ihres Mannes. Sie redigierte seine Texte und begann selbst wieder zu studieren. Sie wird als wissbegierige und kluge Frau beschrieben (Interview Obermann 2005).“ [8]

Hilde Marchwitza war während des amerikanischen Exils zu einer Parteikommunistin geworden, die überzeugt den Aufbau eines sozialistischen Deutschlands in der DDR unterstützte.

Hilde Marchwitza starb am 08.09.1961 in Ost-Berlin an einem Herzinfarkt. Ihre Urne befindet sich in der Grabanlage „Pergolenweg“ der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde.

Text: Ingo Böhle