Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Fehlinghöhe

Steilshoop (1973): Jürgen Fehling (1.3.1885 Lübeck – 14.6.1968 Hamburg), Regisseur und Vorbesitzer des Geländes


„Jürgen Fehling stammte aus einer der angesehensten Familien der Hansestadt Lübeck. Sein Vater war der Bürgermeister Emil Ferdinand Fehling, (…) [seine Mutter hieß Maria Fehling, geborene Geibel, R. B.]

Bevor Jürgen Fehling zum Theater kam, studierte er nach dem Abitur (…) von 1903 bis 1908 Theologie und Jura in Berlin. 1909 nahm er Schauspielunterricht (…). 1910 debütierte er als Schauspieler im Theater am Nollendorfplatz in Berlin,“ 1) heißt es im Wikipedia-Eintrag zu Jürgen Fehling. Es folgten weitere Engagements an verschiedenen Bühnen und Städten. „Von 1918 bis 1922 [war er] an der Volksbühne am Bülowplatz engagiert. 1919 gab er hier mit seiner Lebensgefährtin Lucie Mannheim in der Hauptrolle sein Regiedebüt Die Heirat von Nikolai Gogol.“ 2)
Lucie Mannheim (30.4.1899 Berlin – 18.7.1976 Braunlage) „spielte von 1918 bis 1922 an der Volksbühne Berlin. Danach arbeitete sie bis 1933 am Preußischen Staatstheater, wo sie in zahlreichen Inszenierungen ihres Lebensgefährten, des Regisseurs Jürgen Fehling, auftrat. (…) Seit 1918 trat Lucie Mannheim im Stummfilm auf. (…). Der Tonfilm Madame wünscht keine Kinder (1933) war ihr letzter Film in Deutschland bis nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Lucie Mannheim, Lebensgefährtin von Fehling; Quelle: via Wikimedia Commons

Lucie Mannheim war jüdischer Herkunft und begab sich deshalb 1933 nach Großbritannien ins Exil. Sie spielte in London Theater und arbeitete beim deutschen Programm der BBC mit. (…). Während des Krieges sprach sie oft im Rundfunk und appellierte an die Soldaten, den Krieg aufzugeben. Sie sang eine als ‚Anti-Hitler-Version‘ bekannte Persiflage auf Lale Andersens Lili Marleen. (…) 1953 kehrte sie nach Deutschland zurück und nahm ihre schauspielerische Arbeit wieder auf. (…). Ab 1964 war sie lediglich noch in einigen Fernsehspielen zu sehen. (…) Lucie Mannheim erhielt 1967 das Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film. Seit 1941 war sie mit dem englischen Schauspieler Marius Goring verheiratet,“3) ist in Wikipedia-Eintrag über Lucie Mannheim nachzulesen.

Fehling, der 1929 Vorstandsmitglied der neu gegründeten Vereinigung Berliner Bühnenkünstler wurde und bis 1944 mehr als 100 Stücke inszenierte, und unter einer manisch-depressiven Erkrankung litt, hatte 1939 seine nächste Lebenspartnerin kennengelernt: die Theaterschauspielerin Joana Maria Gorvin, richtiger Name: Maria Gerda Glückselig (30. September 1922 Sbiu (Hermannstadt) - 2. September 1993 Klosterneuburg).

Joana Maria Gorvin war die Tochter des Dirigenten und Musikpädagogen Karl Max Glückselig. Ihre Mutter hatte Gesang studiert und gab Gesangsunterricht. 1938 begann Joana Maria Gorvin in Berlin an der Schauspielschule des Berliner Staatstheaters bei Gustaf Gründgens zu studieren. Auf sein Anraten hin nahm sie den Künstlerinnennamen Gorvin an, da ihr richtiger Nachname Glückselig antisemitische Reaktionen hätte hervorrufen können.

Als Fehling und Gorvin sich kennenlernten, war sie siebzehn und er 54 Jahre alt. „Fehling inszenierte im Staatstheater Billingers ‚Am hohen Meer‘. Dazu wurden Schauspielschülerinnen gebraucht. Fehling sah die junge Gorvin das erste Mal. Sie durfte als Double für Käthe Gold die Beleuchtungsprobe machen. Es war ein recht harter Kampf, bis Fehling die junge Künstlerin als Schauspielerin anerkannte. Er wollte sie nicht auf der Bühne sehen. Er wollte sie ausschließlich für sich allein besitzen. Als Mensch. Aber Joana Maria Gorvin setzte dem eisernen Willen Fehlings, von dem es hieß, er habe erst jeden Schauspieler ‚zerbrochen‘, um ihn nach seiner künstlerischen Vorstellung wieder zusammenzubauen, den eigenen Willen entgegen. Sie sprach kurzerhand beim Potsdamer Stadttheater vor, wurde engagiert und nun von Fehling akzeptiert,“ 4) so Eberhard von Wiese in seinem Artikel über „Hamburgs Bühnenlieblinge privat“.

Auf Empfehlung Jürgen Fehlings kam sie 1943 in das Gründgens-Ensemble des Berliner Staatstheaters am Gendarmenmarkt.

In der NS-Zeit stand Fehling auf der Gottbegnadeten-Liste (Führerliste) der wichtigsten Künstler des NS-Staates. Damals inszenierte Fehling Blut- und-Boden-Stücke von Hans Friedrich Blunck, Friedrich Griese und Hanns Johst. Seit 1934 arbeitete er am Gendarmenmarkt unter Gustaf Gründgens (siehe: Gründgensstraße). Im November 1935 wurde das von Fehling inszenierte Stück „Thomas Paine“, über den Nazibarden Johst in Anwesenheit von Göring und Goebbels aufgeführt. Goebbels schrieb dazu „am 17.11.1935 in seinem Tagebuch: ‚Ein Revolutionsdrama erster Klasse. Von Fehling hinreißend inszeniert.“ 5) Zwischen 1935 und 1936 war Fehling Gastregisseur am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und von 1941 bis 1944 wieder am Gendarmenmarkt.
Anselm Heinrich schreibt in seiner Abhandlung „Brüche und Kontinuitäten. Theater im ‚Dritten Reich‘ und in der Bundesrepublik“: „Bei der Klassikerpflege kam es in einzelnen Fällen zu durchaus mutigen Inszenierungen, und dem Regime gelang es nie, die Theaterarbeit vollends zu kontrollieren (was auch letztendlich gar nicht in Goebbels’ Interesse lag). Die Regisseure Gustaf Gründgens, Heinz Hilpert und besonders Jürgen Fehling verstanden es, in ihren Inszenierungen den totalitären Charakter des Regimes subtil zu kritisieren. Beispielsweise wurde in Jürgen Fehlings Richard III. von 1937 Gloster als gnadenlos agierender und kühl kalkulierender Machtpolitiker dargestellt, dessen hinkender Gang an Goebbels erinnerte, und auch die Uniformen sahen denen der SS zum Verwechseln ähnlich. Fehlings politische Rücksichtslosigkeit und künstlerische Kompromisslosigkeit, Hilperts Humanismus und Gründgens’ Ästhetik schienen kaum in Einklang zu bringen mit den Forderungen der NS-Kulturpolitik an ein völkisches Theater. Und dennoch passten sie ins politische Konzept. Die NS-Führung schmückte sich geradezu mit diesen Starregisseuren, erschien kultiviert, ja fast liberal, und konnte sich damit in der deutschen Öffentlichkeit – aber auch international – als kulturvolle Regierung präsentieren. Dies fiel umso leichter, als die genannten Regisseure Ausnahmen blieben und man ihnen (relative) Freiheiten einräumen konnte, die weniger berühmten Theatermachern nicht gewährt wurden. In diesem Sinne erscheinen die Inszenierungen von Hilpert und Gründgens, die von dem Theaterhistoriker Wilhelm Hortmann und anderen bis heute als Beispiele mutigen Widerstands gewertet wurden, sehr viel harmloser und weniger politisch als bisher angenommen. (…).“6)

Und weiter schreibt Anselm Heinrich über die Theater in der Nachkriegszeit und die damalige Chance für einen Neubeginn: „Die Schließung aller deutschen Theater ein knappes Jahr vor Kriegsende erleichterte die Rede vom Neubeginn nach dem 8. Mai 1945, denn es war tatsächlich keine Spielstätte mehr geöffnet. Kaum ein Theater war zudem von alliierten Luftangriffen verschont geblieben, nicht wenige waren restlos zerstört. Zumindest theoretisch hätte also die Möglichkeit eines grundlegenden Neuanfangs durchaus bestanden. Dass dieser nicht zustande kam, lag nicht nur daran, dass es zumeist an den entsprechenden Persönlichkeiten fehlte, die einen demokratischen Neubeginn auf dem Theater glaubhaft hätten versinnbildlichen können, es fehlte auch am Willen und an der Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Schritts. Den Theaterschaffenden war es nämlich schon vor 1945 gelungen, die Legende von der unpolitischen Kunst sorgsam zu pflegen. Trotz entgegengesetzter offizieller Verlautbarungen während der NS-Zeit, die den Theatermachern eine eindeutig politische Rolle zuwiesen, stellten die Theater in diesem geschönten Selbstbild ein Rückzugsgebiet während des Krieges dar, einen Ort, an dem die Vorstellung des kultivierten Deutschlands aufrechterhalten wurde (…) Eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit schien vielen in Anbetracht solcher ‚Leistungen‘ nicht nötig (…). Entsprechend boten etliche Theatergeschichten noch bis in die 1980er- Jahre hinein keine Aufarbeitung der Verstrickung der Theater in das NS-Regime, sondern stellten lediglich die künstlerischen Leistungen während dieser Zeit heraus – wenn sie sich überhaupt damit beschäftigten. (…)“7)

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus „gründete Fehling 1945 die Jürgen-Fehling-Theater-Gesellschaft (…) Dauerhaft in einem Theater Fuß zu fassen, gelang ihm nicht mehr, und er löste seine Theatergesellschaft nach nur zwei Produktionen bereits 1946 auf. Nachdem er 1948 mit einer Inszenierung von Die Fliegen einen großen Erfolg am Berliner Hebbel-Theater gefeiert hatte, versuchte er vergeblich, die Direktion des Hauses zu übernehmen. Mit seiner neuen Lebensgefährtin, der Schauspielerin Joana Maria Gorvin, siedelte er nach München und später nach Hamburg über. Seine letzte Premiere fand am 27. September 1952 im Berliner Schillertheater statt: Friedrich Schillers Maria Stuart mit Gorvin in der Titelrolle.“ 8)

Joana Maria Gorvin übernahm nach der Befreiung vom Nationalsozialismus viele Sprechrollen im Hörfunk. 1960 traf sie wieder bei Gustav Gründgens auf, der am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszenierte. Von ihm bekam sie auch weitere Engagements am Deutschen Schauspielhaus. Damals war Fehling schon „mit einigen Unterbrechungen Patient der Psychiatrischen Klinik von Professor Bürger-Prinz. Kein Tag vergeht, an dem Joana Maria Gorvin nicht nach Eppendorf fährt und drei bis vier Stunden in Fehlings Krankenzimmer verbringt. Fehling nimmt sehr regen Anteil an ihrer Arbeit. Er liest ihre Kritiken, sieht sich die Fotos an, macht treffsichere Bemerkungen zu neuen Inszenierungen. (…). Joana Maria Gorvin sagt etwas sehr Schönes über ihre Beziehungen zu diesem Mann: ‚Wenn Fehling nicht mehr da ist, werde ich ihn vermissen als einen Gradmesser. Seit Beginn meiner Karriere ist er das Thermometer, an dem ich meine Leistung ablese. Er hat den sechsten Sinn unter der Haut.‘ (…).“ 9)

Nachdem ihr Ehemann Jürgen Fehling 1968 gestorben war, wurde Joana Gorvin seine Archivverwalterin. 1971 heiratete Joana Maria Gorvin den Großkaufmann Dr. Maximilian B. Bauer. 1974, nach einem Streit mit dem Intendanten des Schauspielhauses in Hamburg, Ivan Nagel, verließ sie das Theater und zog mit ihrem Mann 1975 nach Klosterneuburg bei Wien. Ab 1978 trat sie mehrmals bei den Salzburger Festspielen auf. Ihre letzte große Rolle spielte sie 1992 in Berlin in Botho Strauß‘ Stück „Schlusschor“. Joana Maria Gorvin starb kurz vor ihrem 71. Geburtstag an einer Gehirnblutung. Ihr Ehemann stiftete 1995 den Joana-Maria-Gorvin-Preis, der seitdem alle fünf Jahre von der Akademie der Künste (Berlin) vergeben wird.