Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Gründgensstraße

Steilshoop (1971): Gustaf Gründgens (22.12.1899 Düsseldorf -7.10.1963 Manila), Schauspieler, Regisseur, Intendant. Siehe auch: Erika-Mann-Bogen


„Gründgens war Sohn des kaufmännischen Angestellten Arnold Hubert Gründgens und seiner Ehefrau Emmi Gründgens.“ 1)

Auch Gustav Gründgens Schwester Marita Gründgens (23.5.1903 Düsseldorf – 24.12.1985 Solingen) wurde Schauspielerin, außerdem Kabarettistin und Chansonnière. „Einem breiten Publikum wurde sie durch den Rundfunk bekannt. Seit 1929 arbeitete sie beim WDR (…). Sie sang im Radio Chansons, Folklore und Parodien, sie wirkte in Sketchen und kabarettistischen Sendungen mit, arbeitete aber auch im Schul- und Kinderfunk und im Hörspielbereich. Den Erfolg brachten vor allem die ‚Bunten Abende‘, bei denen Marita Gründgens als Vortragskünstlerin mitwirkte. Ihre ‚Kinderstimme‘ wurde entdeckt, als sie für eine erkrankte Kollegin einsprang und bei einem Wunschkonzert das ‚Heinerle‘-Lied sowohl mit der Mutter- wie mit der Kinderstimme sang. Texter und Komponisten lieferten ihr daraufhin eine Menge Lieder. Ihre größten Erfolge waren ‚Ich wünsch mir eine kleine Ursula‘ und ‚Wenn ich groß bin, liebe Mutter‘, 2) heißt es in einem von Beate Battenfeld verfassten Artikel über Marita Gründgens.

Und weiter schreibt Beate Battenfeld: „In den 1930er Jahren machte Marita Gründgens über 60 Schallplattenaufnahmen und ging auf Tourneen [u. a.] mit Lale Andersen, (…). In dieser Zeit wirkte sie auch in einigen Spielfilmen mit (…).

Während des Krieges war die Künstlerin in verschiedenen Ländern als Truppenbetreuerin eingesetzt. Die Landser liebten sie wegen ihrer Zarah-Leander-Parodie. In den Nachkriegsjahren ging Marita Gründgens bis 1960 unter anderem mit Lale Andersen und Heinz Erhardt [Heinz-Erhardt-Oark] wieder auf Tournee. (…).

1960 bewarb sich die Künstlerin auf eine Zeitungsannonce der Firma Bremshey in Solingen-Ohligs, die eine Hausdame für ihre ‚Knirps‘-Verkäuferschule in Uedorf am Rhein suchte. Die Abschlussabende der Schulungen waren Treffpunkte für Schirmfabrikanten und ‚Knirps‘-Werber mit Chefs und Verkäuferinnen. Marita Gründgens bekam die Anstellung, an der sie großen Gefallen hatte. Weil sie ihre Aufgaben sehr gut erledigte, nahm der Unternehmer sie nach der Schließung der Schulungsstätte mit nach Solingen. Dort übernahm sie soziale Aufgaben bei der Betreuung und Beratung der Betriebsangehörigen und Pensionäre. Auch noch lange nach ihrer Karriere strahlten die Rundfunksender die Lieder von Marita Gründgens aus.“ 3)

Gustav Gründgens absolvierte eine dreimonatige Ausbildung in Düsseldorf, zog dann in den Ersten Weltkrieg, wo er Leiter des Fronttheaters Saarlouis wurde, weil er fälschlicherweise behauptet hatte, er hätte Bühnenerfahrung.

Nach dem Krieg bekam Gründgens 1919/1920 eine schauspielerische Ausbildung an der Hochschule für Bühnenkunst des Schauspielhauses Düsseldorf. Danach erhielt er Engagements an kleinen Bühnen, 1923 dann am Hamburger Schauspielhaus.

In der NS-Zeit stand er auf der Gottbegnadeten-Liste (Führerliste) der wichtigsten Künstler des NS-Staates und wurde zum Reichskultursenator ernannt. „1934 Intendant des Preußischen Staatstheaters Berlin unter Göring. In der NS-Zeit in 14 Filmen als Schauspieler, in vier Filmen als Regisseur. Unter anderem 1935 im antibritischen Monumentalfilm ‚Das Mädchen Johanna‘. (…) Kurator des Emmy-Göring-Stifts für alte arische Schauspieler in Weimar. (…) Von Göring 1944 zum Staatsschauspieler und 1936 zum Preußischen Staatsrat ernannt. Präsidialrat der Reichstheaterkammer. (…) er hat aber vielen Künstlern geholfen und viele, die bereits ausgeschaltet waren, wieder durchgesetzt. (…) Juli 1948 Hauptentlastungszeuge in Emmy Görings Entnazifizierungskomödie, nachdem er von deren Anwalt Ebermayer im Frage- und Antwortspiel präpariert worden war. In seinem Auftritt unter Eid versicherte er, er habe sie ‚unzählige Male (…) tagsüber oder mitten in der Nacht‘ wegen Hilfe für jüdische Künstler angerufen und sie habe ‚in jedem Fall‘ geholfen. März 1949 Entlastungszeuge für Veit Harlan in dessen Prozess vor dem LG Hamburg. (…)“, 4) heißt es in Ernst Klees Kulturlexikon zum Dritten Reich.

In Hamburg inszenierte Gustaf Gründgens 1925 das von Klaus Mann verfasste Bühnenwerk „Anja und Esther“. „Tatsächlich standen der Thomas-Mann-Sprössling Klaus und dessen Schwester Erika [siehe: Erika-Mann-Bogen] mit Gründgens zusammen auf der Bühne. Die Kritik verriss das Stück, die homoerotischen Anspielungen darin provozierten einen Skandal, doch immerhin erlangte Gründgens weit über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit. Auch privat brachte ihn die Inszenierung zunächst auf die Überholspur: Er heiratete im Sommer 1926 Erika Mann - obwohl beide homosexuell waren, “ 5) schreibt Britta Probol.

Gustav Gründgens und Erika Mann gingen die Ehe ein. Über die Gründe der Heirat resümiert Anja Maria Dohrmann in ihrer Dissertation über Erika Mann: „Erika sucht (…) eine Legalisierung ihrer Lebensweise. Es ist wahrscheinlich, dass Erika Mann und Pamela Wedekind [siehe Wedekindstieg] zu dieser Zeit ein lesbisches Verhältnis haben. (…) Ähnlich wie auch im Briefwechsel mit dem Bruder Klaus, enthalten die Briefe zwischen Pamela und Erika zahlreiche zärtliche Anreden und chiffrierte Formulierungen, die es einem Dritten nur schwer möglich machen, eventuelle ‚Geheimnisse‘ dahinter zu lüften. [Fußnote 226: Die einzige eindeutige Aussage zu Erikas lesbischen Beziehungen gab bisher Elisabeth Mann Borgese: Erika Mann sei bisexuell gewesen, so dass sie auch zu Pamela Wedekind ein lesbisches Verhältnis gehabt haben könnte.] (…)
Daneben ist am wahrscheinlichsten, dass die Eheschließung mit Gustaf Gründgens einer Laune Erika Manns entsprach. Sie genießt ihre Freiheiten in Berlin und macht sich über ein Morgen keinerlei Sorgen. Warum nicht einen exzentrischen Schauspieler heiraten: es wäre ‚etwas Neues‘, ‚Lustiges‘. (…) Ebenfalls nicht ganz zu verwerfen ist die Theorie, dass Erika sich von Gründgens wachsendem Einfluss beim Theater ebenfalls gute Karrierechancen einräumte.“6)

Gleich nach der Hochzeit trennten sich die Wege von Erika Mann und Gustaf Gründgens: er spielte in Hamburg, Erika erhielt Auftrittsverträge an verschiedenen deutschen Bühnen. 1928 verließ Gründgens Hamburg, um nach Berlin zu gehen und dort Karriere zu machen. Erika ging nach München an die Kammerspiele, und die Bande zwischen Erika Mann und ihrem Bruder Klaus Mann wurden immer dichter. „Die Geschwister sind sich sehr zugetan, (..) wahrscheinlich über ein ‚Normalmaß‘ der Geschwisterliebe hinaus. In seinen Tagebüchern spricht Klaus mehrmals davon, ein Leben ohne Erika sei für ihn ohne Sinn, doch hinter den chiffrierten Anspielungen im Briefwechsel von Bruder und Schwester sexuelle Abhängigkeiten zu vermuten, ist so lange ins Reich der Phantasie zu verbannen, bis unwiderrufliche Beweise vorliegen.“ 7)
Ende 1927 erkannte Erika, dass sie und Gustaf Gründgens nicht zusammenpassten. „Für sie war er ein Abenteuer, während er an seine Ehefrau andere, seriöse Erwartungen stellt.“ 8)
Klaus und Erika Mann unternahmen nun eine Weltreise, und als sie zurückkehrten, hatte sich „zuhause (…) nicht viel verändert. Pamela Wedekind wendet sich immer stärker Carl Sternheim zu, und Gustaf Gründgens bastelt eifrig an seiner Karriere. Erika kehrt an die Münchner Bühnen zurück und feiert Erfolge auch außerhalb Bayerns“. 9)

Erikas „Zuneigung zu Gustaf [erlischt] merklich. Dieser hatte am 23. Oktober 1928 den Sprung nach Berlin an die Max-Reinhardt-Bühnen geschafft. Zwar muss er hier mit kleinen Rollen ganz von vorne beginnen, doch schnell erklimmt er eine Sprosse nach der anderen und hat bald als Regisseur seine Erfolge. (…). Am 9. Januar 1929, ein halbes Jahr nach ihrer Rückkehr von der Weltreise, lässt sich Erika Mann von Gustaf Gründgens scheiden.“ 10)

Als Gustaf Gründgens 1932/33 in Berlin als Goethes Mephisto auf der Bühne stand, sah ihn Hermann Göhring und war begeistert von ihm. „Von nun an hielt der Nationalsozialist seine schützende Hand über Gründgens. Und nicht nur das: Göring bot ihm 1934 die Intendantur des Preußischen Staatstheaters an. Gründgens akzeptierte. Manche - gerade Literaten aus dem Exil - warfen dem Theatermann deshalb vor, der eigenen Karriere wegen ‚mit dem nationalsozialistischen Ungeist kollaboriert‘ zu haben. Klaus Mann schmähte Gründgens 1936 durch seinen Schlüsselroman ‚Mephisto‘ als gewissenlosen Mitläufer.“ 11)

Bernhard Rosenkranz und Gottfried Lorenz schreiben über Gründgens Homosexualität und dessen Verbergen in der NS-Zeit: „Offenbar eingeschüchtert durch die ‚Säuberungsaktionen‘ des Gestapo-Sonderkommandos in der Berliner Homosexuellenszene, reichte er Ende 1934 sein Rücktrittsgesuch [als Intendant des Preußischen Staatstheaters, R. B.] ein. In seiner Begründung gab er indirekt, aber doch unmissverständlich zu verstehen, dass dieser Schritt mit seiner homosexuellen Veranlagung zusammenhängt: ‚Der einzig zwingende Grund sind die wiederholten Aktionen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, mit denen ich mich keineswegs identifiziere, mit denen man mich aber identifiziert. Und ich würde mich eher in Stücke hauen lassen, ehe ich in dieser Sache ein Wort zu meiner Verteidigung über die Lippen brächte. Zehn Jahre meines Lebens – in denen die Kunst nur die Hilfe und der Ausgleich war – galten der Beherrschung meines privaten Menschen; und daß ein Mensch wie ich durch alles durch muß, um es zu erkennen, ist klar.‘

Nachdem Göring ihm persönlichen Schutz zugesichert hatte, blieb er Intendant. Zwei Jahre später ging er eine Ehe mit seiner Bühnenpartnerin Marianne Hoppe, ein. Später erzählte Marianne Hoppe, dass sie nicht geheiratet hätten, wenn der äußere Druck nicht so groß gewesen wäre. Es war in erster Linie eine Scheinehe, um Gründgens vor dem NS-Verfolgungsapparat zu schützen. (…)

Gründgens konnte die NS-Zeit unbeschadet überstehen und in der Nachkriegszeit seine Karriere bruchlos fortsetzen. Beim Entnazifizierungsverfahren wurde er freigesprochen, da sich ehemalige Kollegen für ihn verbürgten. Er hatte sie mit ihren jüdischen Ehepartnern vor der Deportation bewahrt. Von 1955 bis 1963 war er Generalintendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.“ 12)

Die Autorin Carola Stern hat sich in ihrer Biografie über Gustaf Gründgens sehr ausführlich mit dessen Haltung zum NS-Staat auseinandergesetzt. Im Folgenden einige Zitate aus ihrem Buch. So fragt sich Carola Stern: „Was ist das für ein Mann, der sich mit verbrecherischen Politikern einlässt, um das Theater so weit wie möglich herauszuhalten aus der Politik?“ 13) Und sie gibt zur Antwort: „Dieser Gründgens ist ein Spieler, sagen jene, die ihn kennen, und wollen das nicht nur für die Bühne gelten lassen. (…) [Er] liebt das Risiko, gewinnt aus der Gefährdung Kraft und geht Schwierigkeiten nicht aus dem Weg – zumal deren Überwindung Produktivität erzeugt. Er versteht sich auf Winkelzüge und den Bluff und scheut auch vor Erpressung nicht zurück. Aber wie so viele Intellektuelle und Künstler hat auch dieser Spieler eine Lindenblattstelle – die Verführung durch Macht. (…)

Und nun trägt Görings Günstling (…) seine Gesuche vor. (…). Vielleicht fragt er nach einer ‚Sondergenehmigung‘ für einen anderswo entlassenen Schauspieler, den er in sein Ensemble holen will. Vielleicht setzt er sich für einen ob seiner Homosexualität in Haft genommenen Kollegen ein. Eine Bitte wird gewährt, eine andere verworfen, auf eine dritte das Versprechen abgegeben, man werde sehen, was zu machen sei.

Der Potentat gefällt sich in der Rolle, die ihm der Kollaborateur ermöglicht: Gnade walten zu lassen, am Morgen zu bestrafen, am Abend großmütig zu sein. Die Allmacht hat ein doppeltes Gesicht: Sie teilt Mordbefehle und Begnadigungen. Herr über Leben und Tod zu sein – das ist der Inbegriff der Macht. Hier mit einem Federstrich unzählige Menschenleben zerstören und drei, fünf davonkommen lassen.

Aber nicht nur der Potentat, auch der Kollaborateur hat ein doppeltes Gesicht, jedenfalls, dieser [Gründgens]. Er verachtet jene, denen er durch seine Repräsentationspflicht dient, (…). Er spielt ihr Spiel und spielt sein Spiel mit ihnen, (…)“. 14)

Und nach der Befreiung vom Nationalsozialismus? Wie reflektierte Gründgens seine Haltung im NS-Staat? Carola Stern fragt: „Welche Zugeständnisse bedauert er im Rückblick? Was hätte er anders machen müssen? Wie weit trug sein häufiger Auftritt zusammen mit den Mächtigen, seine herausgehobene Rolle dazu bei, besonders junge Menschen von der Legitimität eines Systems zu überzeugen, das augenscheinlich den großen und bewunderten Mimen überzeugte? Auf alle diese Fragen bleibt Gründgens eine Antwort schuldig. (…)

Hätte der Künstler und der Bürger Gründgens doch irgendwann in seinem Leben Zeit und Mut gefunden, Zeugnis abzulegen, was es hieß, Theater in einem totalitären Staat zu machen, was seine Bühne für Opfer und für Täter, Mitläufer und Verweigerer im Hitler-Reich bedeutet hatte. Was er, der Kollaborateur, gerade deshalb, weil er Zugang zu den Mächtigen hatte, für Menschen in Bedrängnis tat. Wie weit er sich dabei selbst gefährdete, um anderen Gefährten zu helfen. Hätte er doch zugleich eingestanden, dass gerade sein Theater trotz allem als Kulturfassade diente und zur Bemäntelung der Diktatur beitrug. Und damit: Wo und wann er Kompromisse schloss, die er lebenslang bedauerte …

Uneinsichtige hätte Gründgens nicht belehren, aber vielen Menschen helfen können, ihn nicht nur als einen der großen Schauspieler zu verehren, sondern auch als einen aufrechten, vorbildlichen Menschen.“ 15)