Gandersheimer Weg
Niendorf, seit 1948, benannt nach der Abtei, in der Ende des 10. Jahrhunderts die Nonne Roswitha von Gandersheim (um 935 – nach 973) wirkte, Motivgruppe: Personen und Orte aus der altniedersächsischen Geschichte
Vor 1948 hieß die Straße Theodor-Storm-Weg. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Gandersheimer Weg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1948 bei Theodor-Storm-Weg. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)

Roswitha oder Hrotsvith von Gandersheim, lateinisch Hrotsvitha Gandeshemensis (um 935 – nach 973), deren Vorname im Althochdeutschen „die sehr Ruhmreiche“ bedeutet, gilt als erste nachantike Dichterin im Frühmittelalter, wurde als Mystikerin und erste weibliche Schriftstellerin im deutschsprachigen Raum und der gesamten christlichen Welt bekannt.
Vermutlich entstammte sie einem niedersächsischen Adelsgeschlecht. Früh – ca. um 945 - fand sie Aufnahme im Stift Gandersheim (Bad Gandersheim in Niedersachsen). Sie lebte nicht im Stand einer Nonne, sondern als „Kanonisse“ oder „Stiftsfräulein“ und genoss deshalb mehr Freiheiten als die Nonnen. So verfügte sie z. B. über Eigentum und Bedienstete. Als ihre Lehrerinnen nannte sie eine Rikkardis sowie Gerberga II (940-1001), Tochter des Herzogs Heinrich von Bayern und Nichte Ottos des Großen, die ab 949 Äbtissin des Stiftes war.
Roswitha von Gandersheim wurde in Arithmetik, Musik, Astronomie, Dialektik, Grammatik und Rhetorik unterrichtet. Gerberga las mit ihr die römische Literatur von Ovid und Tacitus.
Im Stift Gandersheim schrieb Roswitha von Gandersheim ab 960 ihre Dichtungen in lateinischer Sprache nieder. Ihre Werke entstanden etwa zwischen 950 und 970. Es wird angenommen, dass sie nach 973 verstarb.
Roswitha von Gandersheim schrieb acht Heiligenlegenden und sechs Dramen. Inhaltlich ging es dabei um den Sieg der Reinheit über die Verführung. Darüber hinaus verfasste sie die „Gesta Ottonis“: Loblieder auf Otto I. (912-973) und eine Abhandlung über die Geschichte des Stiftes. Mit ihren Lobliedern auf Otto I. wollte sie ihn dafür gewinnen, sich Gandersheim hinzuwenden, doch Otto I. kam nie nach Gandersheim.
„In ihren Dramen verarbeitete Roswitha das Thema des Heiligen und der Dirne, das schon in der vorchristlichen Literatur von den Griechen und auch in der Bibel aufgegriffen worden war. Meist wurde die sinnliche Gier des Mannes nach dem keuschen Weib dramatisiert. Roswitha war sich offensichtlich klar darüber, welches Wagnis sie einging, als sie dieses Problem in Verse übertrug. So stellte sie den Dramen ein ausführliches Vorwort zur Seite: ‚Doch daß dabei nicht selten ich blöde vor tiefem Schamgefühl erröte, zwingt mich des Stoffs Natur und Art: verbuhlter Buben wüste, wirre Verrücktheit und verliebt Gegirre, des sonst sich selbst die Ohren schämen, in Geist und Griffel aufzunehmen.‘“ 1)
Je nach Zeitgeschmack wurde die Gestalt der Roswitha von Gandersheim entweder als außergewöhnliche Figur stilisiert oder als Fälschung „entlarvt“. Die Stadt Gandersheim erkor die dichtende Stiftsdame zu ihrer Werbeträgerin. 1952 feierte Gandersheim sein 1100-jähriges Bestehen, unter anderem mit einem Hrotsvit gewidmeten Dichterinnentreffen. Seit 1959 finden vor der romanischen Stiftskirche die Gandersheimer Domfestspiele statt.
Im 20. Jahrhundert entdeckte die Frauenbewegung Hrotsvit als „gleichgesinnte Schwester“, denn „sie war vom Selbstwert des Frauseins zutiefst überzeugt und setzte sich für ihre Überzeugung ein. In ihren Texten ließ sie ihre Frauen immer die Oberhand gewinnen“. 1)