Gertrud-Seele-Kehre
Bergedorf, seit 1987, benannt nach Gertrud Seele (22.9.1917 Berlin – 12.1.1945 hingerichtet in Berlin-Plötzensee), Gegnerin des Nationalsozialismus. Motivgruppe: Verdiente Frauen
Siehe auch: Elisabeth-von-Thadden-Kehre
Gertrud Seele entstammte einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie mit zwölf Kindern. Ihre Mutter war Luise, ihr Vater Ferdinand Seeler.
Sie besuchte die Volksschule, später die Elbe-Aufbauschule in Neukölln. Dort kam Gertrud Seele „kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten (…) in Konflikt mit den neuen politischen Verhältnissen. Die mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattete selbstbewusste junge Frau wird der Elbe-Schule verwiesen, da sie sich spöttisch gegenüber ihrem vormals sozialdemokratischen, nun nationalsozialistisch eingestellten Rektor äußert.“ 1)
Im Alter von achtzehn Jahren begann Gertrud Seele eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, später absolvierte sie noch ein Fürsorgerinnenexamen. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete sie als Krankenschwester und Fürsorgerin am Robert-Koch-Krankenhaus in Berlin.
Gertrud Seele war eine entschiedene Gegnerin des Naziregimes. Sie „unterstützt ihren Bruder Paul bei der Hilfe verfolgter jüdischer Menschen, die in ihrer unmittelbaren Nähe leben“. 1)
1941 wurde ihre Tochter Michaela geboren. Ihr Bruder Paul war inzwischen als Soldat eingezogen worden.
„Nach den wochenlangen schweren Luftangriffen auf Berlin reist Gertrud auf Einladung der Landwirtin Mose zu Ostern 1943 in den Ort Merke in der Lausitz. Die beiden Frauen verstehen sich gut und Gertrud darf im August, als Berlin erneut von schweren Angriffen betroffen ist, gemeinsam mit ihrer Tochter für einige Zeit nach Merke übersiedeln. (…) Gegenüber der Hausherrin macht Gertrud Seele in den nächsten Wochen ebenso wenig einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen Krieg und nationalsozialistische Regierung wie in Gesprächen mit Besuchern oder Angestellten der Landwirtin. (…). Während Gertrud im Oktober 1943 nach Britz zurückkehrt, hat sich der Bürgermeister in Merke bereits ein umfassendes Bild über die junge Berlinerin gemacht. Frau Mose hat gegenüber dem Amtsvorstand und der örtlichen Polizei die Äußerungen Gertruds gemeldet und Zeugen benannt. Der Nachbar Lindner bestätigt die Aussagen.“ 1)
Als Gertrud Seele Ende 1943 noch einmal nach Merke fuhr, um nach ihrer dort gelagerten Aussteuerwäsche zu schauen, wurde sie im Januar 1944 von der Gestapo verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalten nach Frankfurt/Oder und später ins Frauengefängnis Barnimstraße nach Berlin überführt.
Am 6. Dezember 1944 wurde Gertrud Seele vom Volksgerichtshof wegen „gehässiger und kriegshetzerischer Äußerungen, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Ihr Vater, der bei der Urteilsverkündung im Gerichtssaal anwesend war, erlitt daraufhin einen Schlaganfall, an dem er wenig später verstarb.
Ihr Wunsch, noch einmal ihr Kind sehen zu dürfen, wurde Gertrud Seele nicht erfüllt. Der Abschiedsbrief an ihre damals dreijährige Tochter blieb erhalten:
„Meine liebe kleine Tochter Michaela!
Heute muß deine Mutti durch … sterben. Ich habe nun eine große Bitte an Dich, kleines Dirndlein. Du mußt ein braver und tüchtiger Mensch werden und den Großeltern viel Freude machen. Dein Vater ist … geboren am 5. März 1907 in Leipzig. Durch die Großeltern wirst Du alles Nähere erfahren. Ich gebe Dir alle lieben Wünsche mit auf Deinen Lebensweg und möchte Dich bitten, mich immer lieb zu behalten und mich nie zu vergessen. Ich weine innerlich heiße Tränen um Dich und die Eltern, sei immer lieb zu ihnen und mache ihnen recht viel Freude, indem Du ein tüchtiger und aufrechter Mensch wirst. Lebe wohl, geliebtes kleines Töchterchen, in Gedanken umarme und küsse ich Dich.
Deine verzweifelte Mutti.
(Hinweis: die in diesem Brief fehlenden Worte wurden von der Zensurstelle des Volksgerichtshof herausgeschnitten, zitiert nach: Bracher 1984).“ 2)
Das Urteil wurde am 12. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee vollstreckt.
„Im Jahr 1948 werden die Landwirtin Mose und der Nachbar Lindner wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit vom Landgericht Cottbus gemäß Kontrollratsrecht zu Zuchthausstrafen von zehn beziehungsweise acht Jahren verurteilt.“ 1)