Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Hagenbeckallee

Stellingen (1928): Carl Hagenbeck (10.6.1844 Hamburg -14.4.1913 Hamburg), Tierhändler, „Völkerschau“-Ausrichter sowie Gründer und Zoodirektor des Hagenbeck Tierparks. Freimaurer.


Siehe auch: Hagenbeckstraße
Siehe auch: Jacobsenweg, Stellingen, seit 1964, benannt nach Adrian Jacobsen (1853-1947), Forschungsreisender im Auftrag vom Tierpark Hagenbeck und Anwerber für die „Völkerschauen“.
Siehe auch: Hans-Henny-Jahnn-Weg, Gegner der Völkerschauen

1866 übernahm Carl Gottfried Wilhelm Heinrich Hagenbeck von seinem Vater, dem ehemaligen Fischhändler Gottfried Claes Carl Hagenbeck, dessen Tierhandlung auf dem Spielbudenplatz in Hamburg-St. Pauli. In dieser Zeit wurden zahlreiche zoologische Gärten gegründet; die Nachfrage nach exotisch wirkenden Schautieren wuchs. Carl Hagenbeck schickte eigene Tierfänger zunächst nach Afrika, dann auch auf andere Kontinente.

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Plakat für eine „Völkerschau“ bei Carl Hagenbeck 1886; Quelle: Adolph Friedländer (1851-1904), gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Doch bald ließ das Publikumsinteresse an seinen Tieren nach, und der Zoobetreiber sah sich nach einer zusätzlichen Erwerbsquelle um. Für seine erste „Völkerschau“ 1875, in der Menschen wie Tiere ausgestellt wurden, brachte er sechs Angehörige der Sámi und eine Herde von dreißig Rentieren nach Hamburg. Hagenbeck vermarktete sie als „Lappländer“-Familie und präsentierte sie vor einer Kulisse, die angeblich ihrem heimischen Lebensumfeld ähnelte. In den darauf folgenden „Völkerschauen“ traten Familien und Gruppen auf, die er in den kolonisierten Ländern Indien, Ceylon und Samoa, Kamerun, Somalia, Dahomey (heute Benin) und im Sudan anwerben ließ.

Die „Völkerschauen“ sollten das voyeuristische Bedürfnis des Zuschauers nach Exotismus befriedigen, zudem kolonialrassistisches Überlegenheitsgefühl gegenüber „fremden Völkern“ bestätigen, die als vermeintlich „primitiv“ und „naturnah“ vorgeführt wurden, ungeachtet ihrer tatsächlichen Lebensumstände. Entsprechend hatte etwa die Schau 1899 den marktschreierischen Titel „Wildes Afrika“. Die gewollte Dramatik der Darbietungen beschrieb Hagenbeck in seinen Lebenserinnerungen: „So ,überfielen‘ plötzlich zu Beginn des Spiels Sklavenhändler dieses friedliche Dorf. Araber hoch zu Dromedar umritten mit Geschrei und Gewehrgeknatter die eben noch schmausenden Dorfbewohner. (…) Dann erschienen europäische Tierfänger, verjagten in einem Feuergefecht die räuberischen Beduinen und anschließend gab es ein großes Friedensfest, bei dem unter heimischer Musikbegleitung getanzt und alle Riten eines echt sudanesischen Stammesfestes beobachtet wurden.“ Zugleich wird hier der Kolonialmythos vom vermeintlichen „Sklavenbefreier“ aus Europa mit transportiert.

Hagenbecks Schauen zielten auch darauf ab, Kolonialbegeisterung in der Bevölkerung zu wecken. 1896 stellte Hagenbeck auf der Berliner Kolonialausstellung mehr als hundert Menschen aus den deutschen „Schutzgebieten“ aus. Zu seinem engeren Mitarbeiterstab zählte auch der Kolonialenthusiast und „Rassetheoretiker“ Alexander Sokolowsky, der eine Biographie über Hagenbeck schrieb. Konkret unterstützt wurde auch der Kolonialkrieg: Mit dem Verkauf von tausend Dromedaren an die kaiserliche „Kamelreiter“-Truppe in „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia) machte der Zoodirektor nebenbei gute Geschäfte. Die schnell laufenden Tiere wurden im Kolonialkrieg 1904-1907 und beim anschließenden Völkermord an den Herero und Nama eingesetzt.

Hagenbecks Agenten gingen bei der Anwerbung nicht selten gewalttätig vor. Häufig wurden Familien unter falschen Versprechungen angelockt, zuweilen sogar entführt, die Schädel ihrer Vorfahren aus den Grabstätten gleich mit geraubt. Aus den im Zoo zur Schau Gestellten wurden schließlich „Forschungsobjekte“ einer rassistischen „Wissenschaft“. Hagenbeck führte sie Instituten zu, in denen Anthropologen, Ethnologen und Mediziner sie untersuchten. Im Gegenzug gaben die „Forschungsergebnisse“ den „Völkerschauen“ einen Anstrich von vermeintlicher „Seriosität“. Welche Tortur die erzwungenen Untersuchungen, welches Trauma die entwürdigenden Körpervermessungen bedeuteten, klingt nach im überheblichen Bericht Rudolf Virchows, Arzt und Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. 1880 versuchte er die Inuk Paingo von der „Eskimo-Truppe“ zu vermessen. Virchow schildert die Situation: „Sowie es an die Körpermessungen ging, fing sie an zu zittern und geriet in höchste Aufregung. Während ich die Klafterlänge feststellen wollte und ihre Arme horizontal ausstreckte, was ihr wohl im ganzen Leben noch nicht vorgekommen war, bekam sie plötzlich den Anfall: Sie sprang mit beiden Beinen in einer zusammengebückten Stellung im Zimmer umher (…) Sie schrie (…) es war ein höchst widerwärtiger Anblick.“

Zu dieser „Eskimo-Truppe“ gehörte auch Abraham Ulrikab, der ein Tagebuch hinterließ. Darin beklagt er sich über die eintönige Arbeit, das ungewohnte Essen, den Großstadtlärm und vor allem das bedrängende Publikum in einer Welt, die er sich als „zivilisiert“ vorgestellt hatte. Im Berliner Zoologischen Garten besuchten an einem einzigen Tag 16.000 Menschen die Schau. „Sie kamen in unsere Behausung, um das Kajak in Augenschein zu nehmen, sofort war alles voller Menschen und wir konnten uns überhaupt nicht mehr bewegen. Unsere Herren Schoepf und Jacobsen schrien herum (...) sie baten mich, alle rauszuschmeißen. Ich tat, was ich konnte. Ich griff meine Peitsche und die Grönländer Seehundharpune und erschreckte sie.“ Am 7. November 1881 sah sich die „Feuerländer“-Gruppe in Berlin mit 37.000 teilweise betrunkenen und pöbelnden Zoobesuchern konfrontiert.

Lebensbedrohlich für die „Völkerschau“-Teilnehmenden war die mangelhafte medizinische Versorgung. Nach viermonatigem Aufenthalt starben 1881 alle acht Mitglieder der beiden Inuit-Familien, weil Hagenbecks Agent und Menschenfänger Johan Adrian Jacobsen „vergessen“ hatte, sie gegen Pocken zu impfen. Kurz vor seinem Tod schrieb Ulrikab in sein Tagebuch: „Ich sehne mich nicht nach irdischen Gütern, ich sehne mich nur danach, meine Verwandten wiederzusehen, die weit weg sind (...)“. Einige Monate später verloren fünf Personen aus der „Feuerländer-Völkerschau“ (indigene Kawesqar und Yaghan) ihr Leben. Sie starben an Masern, Lungenentzündung oder schlichtweg an den Veranstaltungsstrapazen. Ihre sterblichen Überreste wurden 2010 nach Südchile repatriiert und in einem würdevollen Staatsakt begraben.

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Briefmarke zum 150. Geburtstag von Carl Hagenbeck 1994.; Quelle: Deutsche Bundespost, via Wikimedia Commons

Als der Platz auf Hamburg-St. Pauli zu klein wurde, zog Hagenbeck 1907 nach Stellingen im preussischen Altona um. Dort eröffnete er den ersten gitterlosen Tierpark der Welt, in dem er Tiere in einem der Natur nachempfundenen Lebensraum präsentierte. Die „Völkerschauen“ setzte er in Stellingen fort. Zwischen 1874 und 1930 wurden in Deutschland rund vierhundert Menschengruppen in „Völkerschauen“ gezeigt, mehr als hundert solcher Schauen veranstaltete allein die Firma Hagenbeck. Der clevere Geschäftsmann wusste die kolonial geprägten Erwartungen des deutschen Massenpublikums geschickt zu bedienen, was zum großen kommerziellen Erfolg führte. Ein gutes Geschäft von einer Million Reichsmark machte er beispielsweise mit der Wanderausstellung in Paris. In keinem Verhältnis dazu stand der geringe Lohn, den die vermarkteten Menschen bekamen.

Trotz der Begeisterung, auf die Hagenbecks „Völkerschauen“ beim Publikum stießen, gab es auch zeitgenössische Kritik. Die Magdeburger Zeitung schrieb am 20. November 1880: "Für unser Empfinden hat dies Menschenausstellungsgeschäft an sich etwas außerordentlich Abstoßendes. Allein diese Menschenkinder (...) so mitten hinein in die zoologischen Gärten als Ausstellungsobjekte zu bringen, das scheint uns der Anthropologie, das scheint uns der Wissenschaft und der Lehre vom Menschen und seinem eigentlichen Wesen ganz und gar nicht zu entsprechen." Auch der Hamburger Schriftsteller Hans Henny Jahnn [siehe: Hans-Henny-Jahnn-Weg] fand deutliche Worte: „(…) Menschenschau. Das bedeutete, eine Handelsagentur oder der Impresario für willenlose, halbverkaufte, halbbestochene Menschen vermittelte dem halbwissenschaftlichen Institut die Einwanderung einer Gruppe von Afrikanern, Indios, Südseeinsulanern oder Ceylonesen.“

Text: HMJokinen; Mitarbeit: Frauke Steinhäuser


Verheiratet war Carl Hagenbeck seit 1871 mit Amanda, geb. Mehrmann (1849-31.5.1939), Tochter eines Zigarrenarbeiters und späteren Kaufmanns. Das Paar kannte sich aus Kindertagen, denn sie war die Schwester von Hagenbecks ältesten Freund Heinrich Mehrmann. Das Paar bekam fünf Söhne und fünf Töchter. Zwei Söhne starben im Kindesalter. Die Söhne Heinrich (1875-1945) und Lorenz (1882-1956) führten das Unternehmen nach dem Tod von Carl Hagenbeck weiter.

Carl Hagenbecks Urururenkelin Caroline Hagenbeck (1959-2005) wurde im Alter von 23 Jahren Chefin des Hagenbecks Tierparks und damit jüngste Tierparkchefin Europas.

Carl Hagenbecks Schwester Christiane (1846-1905) hatte schon: „als junges Mädchen ein Faible für Papageien und Kanarienvögel entwickelt. Da exotische Vögel, vom teuren indischen Kranich bis zur preiswerten türkischen Ente, in das Repertoire ihres Vaters und ihres Bruders gehörten, wurde sie schon sehr früh zur ornithologischen Expertin und Praktikerin, eine in Fachkreisen geschätzte Frau. Als Carl Hagenbeck vom Spielbudenplatz zum neuen Pferdemarkt umzog, blieb Christiane zurück und führte fortan eine Vogelhandlung auf eigene Rechnung. Es war in jener Zeit Mode, im Salon einen oder mehrere ‚Schmuckvögel‘ in einer aufwändigen Voliere zu halten. Das Geschäft der jungen Dame, die unverheiratet blieb, lag also im Trend“ 1) schreibt 2007 Haug von Kuenheim in seiner Biografie über Carl Hagenbeck.