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nach Personen benannt

Kettelerweg

Schnelsen (1965): Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler (25,12,1811 Münster -13.7.1877 Kloster Burghausen), Bischof von Mainz, förderte soziale Reformen.


Vor der Benennung im Jahr 1965 war der Weg eine Teilstrecke vom Schwarzen Weg (Flagentwiete).
Ketteler ist der Gründer der Katholischen Arbeitnehmerbewegung und wird auch auf Grund seines sozialen Engagements für die Arbeiterschaft als Arbeiterbischof bezeichnet.

Erwin Gatz schreibt über Kettelers Herkunft und Jugendjahre: „Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler wurde am 25.12.1811 als viertes von neun Kindern des ehemaligen Landrates Maximilian Freiherr von Ketteler-Harkotten und seiner Ehefrau Klementine Freiin von und zu Wenge-Beck in Münster geboren. Durch beide Elternteile der westfälischen Adelsgesellschaft verbunden, hat Ketteler die Kontakte zu seiner weitverzweigten Verwandtschaft zeit seines Lebens intensiv gepflegt. Nach dem ersten häuslichen Unterricht und dem Besuch einer Lateinschule vertrauten die Eltern den nicht leicht zu erziehenden Ketteler 1824-28 dem von vielen westfälischen Adelsfamilien beschickten Internat der Jesuiten in Brig (Wallis) an. Nach der Rückkehr in die Heimat und dem Abiturientenexamen studierte Ketteler seit 1829 in Göttingen, dann in Berlin, Heidelberg und München Rechts- und Staatswissenschaften, um nach dem juristischen Staatsexamen zunächst 1834-35 in Münster seinen Militärdienst abzuleisten. 1835 wurde er Referendar am Land- und Stadtgericht zu Münster.“ 1)

Doch in Folge des 1837 erfolgten Kölner Kirchenstreits quittierte von Ketteler seinen Staatsdienst. Vor seinem Gewissen konnte er es nicht vereinbaren, weiterhin für den preußischen Staat zu dienen, der den Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering verhaftet hatte und in innerkirchliche Angelegenheiten eingriff sowie die Seelsorge und die Kirche durch polizeistaatliche Maßnahmen unterdrückte.

„Während einer längeren Orientierungsphase sucht Ketteler Kontakt mit dem Görres-Kreis in München und erbittet in Eichstätt den Rat von Bischof Karl August Graf von Reisach. Durch den ‚Fingerzeig aller Umstände‘ wird er auf den geistlichen Stand verwiesen und studiert anschließend an der Universität München Theologie. Nach seiner Ordination in Münster 1844 wird er Kaplan in Beckum; (…)“2) Damals erkannte er die soziale Not unter der Arbeiterschaft und wollte dem etwas entgegensetzen. So wurde auf seine Anregung hin ein Krankenhaus für die „unteren“ Schichten gebaut.

„1846 folgt die Pfarrstelle in Hopsten. Obwohl er als Geistlicher nicht politisch wirken wollte, übernimmt er 1848 das Mandat als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, das ihm die Wähler der Wahlkreise Tecklenburg, Warendorf und Rheine angetragen haben. Was Ketteler zu dieser politischen Tätigkeit drängt, ist vor allem das Bemühen, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, das er durch den Kulturkampf in Preußen zutiefst bedroht sieht, auf eine neue Grundlage zu stellen.“3)

Während seiner Mainzer Adventpredigten 1848 wies Ketteler auch auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hin, wenn es sich hier um „um Güter handelt, die ‚zum Zwecke der Fürsorge und Verwaltung‘ verteilt sind und ‚im Interesse der Ordnung und des Friedens‘ wirksam sein sollen.“ 4)

Im Sommer 1849 legte von Ketteler sein politisches Mandat nieder, denn er wurde damals zum Propst an St. Hedwig in Berlin und zum Fürstbischöflichen Delegaten für Brandenburg und Pommern ernannt. Bereits 1850 wurde er Bischof von Mainz.

In seiner Funktion als Bischof erkannte Ketteler: „(…) dass sich die existenziellen Sorgen und Nöte der Arbeiterschaft und ihrer Familien infolge der Industrialisierung nicht allein mit diakonischen Maßnahmen beheben lassen, sondern vielmehr umfassendere Abhilfen und soziale Reformen verlangen. Zunächst glaubt er, dies durch Restrukturierung der Ständeordnungen bewirken zu können. In seiner Schrift ‚Die Arbeiterfrage und das Christentum‘ von 1864 verwirft Ketteler noch die allgemeine Gewerbefreiheit und das Wettbewerbsprinzip. Die sozialpolitische Neuorientierung Kettelers vollzieht sich 1867/68 ‚in den Jahren seiner nationalpolitischen Umstellung und unter dem Eindruck seiner erfolglosen Bemühungen, auf freiwilliger Grundlage Produktivassoziationen zu bilden‘ (Franz Josef Stegmann) – ein Plan, über den Ketteler auch mit Ferdinand Lassalle, dem Wortführer der sozialdemokratisch orientierten Arbeiterbewegung, brieflich korrespondiert. In seiner Rede auf der christlichen Arbeiterkundgebung vor 10.000 Zuhörern 1869 auf der Liebfrauenheide bei Offenbach konzediert Ketteler, dass man die ‚unbedingte Freiheit auf allen Gebieten der Volkswirtschaft‘ für notwendig halten und überzeugt sein könne, ‚dass sie in ihrem letzten Erfolge heilsam ist‘. Wie viele Mitglieder der Katholischen Fraktion im Preußischen Abgeordnetenhaus, der Vorgängerinstitution der Zentrumspartei, deren Mitgründer er ist, hat Ketteler erkannt, dass persönliches Interesse und freie Konkurrenz ‚die vollste Kraftentwicklung der einzelnen und der Nationen hervorzurufen‘. (…),“ 5) schreibt die Konrad-Adenauer-Stiftung.

Ketteler forderte: „1. Selbsthilfe der Arbeiterschaft, 2. staatliche Schutzgesetze sowie 3. Hilfen durch die Kirche gemäß der christlichen Soziallehre. Ketteler wird damit zum Inaugurator der christlichen Arbeitnehmerbewegung. Er empfiehlt den Katholiken, alle politischen, parlamentarischen und pressemäßigen Möglichkeiten zu nutzen, um für die Religions- und Gewissensfreiheit, ein geregeltes Verhältnis zwischen Kirche und Staat sowie für gerechte Gesellschaftsverhältnisse zu streiten.“6)

1871 wurde Ketteler Mitglied des deutschen Reichstags und Mitbegründer der Zentrumspartei, die ein Gegengewicht zu den protestantischen Parteien sein wollte. 1872 legte Ketteler sein Mandat nieder, da die von der Zentrumsfraktion geforderten grundrechtlichen Regelungen, wie zum Beispiel die Garantie der Religions- und Gewissensfreiheit, abgelehnt wurden.

Im Mai 1873 wurden zwei Gesetze beschlossen, die in die Autonomie der Kirche eingriffen und deshalb von Ketteler öffentlich kritisiert wurden, so z. B. bezüglich der Regelungen zur Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. „Von Ketteler prangerte im Oktober 1873 in Kevelaer vor mehr als 25.000 Menschen in seiner Predigt diese Regelungen bzw. Gesetze an. Da die Erörterung staatlicher Angelegenheiten nach dem Kanzelparagraphen in der Ausübung ihres Amtes verboten war, wurde er nach seiner Ansprache verhaftet und zur Höchststrafe von zwei Jahren Festungshaft verurteilt, was heftige Proteste auslöste.“ 7)

In Wikipedia heißt es weiter über Kettelers Weltbild: „Ein von preußischen Historikern entwickeltes Geschichtsbild, wonach Preußen eine Mission in Deutschland und der Welt zukomme, verurteilte er als Borussianismus. Kirchenpolitisch setzte er sich für die Autonomie und Macht der katholischen Kirche ein und war erklärter Gegner der Trennung von Staat und Kirche, was ihn zum Widersacher Bismarcks [siehe: Bismarckstraße] im Kulturkamp machte, (…). Die katholische Kirche, und damit auch von Ketteler, wollte sowohl die Ächtung philosophischer Vorstellungen, wie die des Naturalismus, Pantheismus und Rationalismus, als auch die Ablehnung von Sozialismus, Kommunismus, Nationalismus und Liberalismus propagieren.“ 8)

Auf „Katholisch Bistum Mainz“ heißt es: „Ketteler war als Abgeordneter für die Anliegen der liberalen Bewegung offen und hat seinen Platz zunächst auf dem linken Flügel der Versammlung gesucht, (…). Daher hat er auch für die Abschaffung des Adels und für die Anerkennung der Volkssouveränität plädiert, die ihm freilich an vorgegebene Rechte gebunden blieb. Während Ketteler sich später vom Liberalismus weit entfernt hat, hat er an den 1848 formulierten Grundrechten stets festgehalten und bereits damals wie später im Kulturkampf einer evtl. Trennung von Kirche und Staat den Vorzug vor der staatlichen Einwirkung in die kirchlichen Interna gegeben. (…)
Ketteler hatte sich 1848 aus seiner antiabsolutistischen Grundhaltung heraus auf die Seite der liberalen Bewegung gestellt, für die Freiheit der Person, der Korporationen und damit zugleich für die Kirchenfreiheit gefochten. Als der Liberalismus sich dann jedoch seit dem Ende der 1850er Jahre neu formierte, sich für die Lösung der deutschen Frage unter der Führung Preußens entschied und die kirchlichen Freiheitsrechte zu beschneiden suchte, bezog Ketteler Front dagegen. Aus seiner Sicht war der Liberalismus, insofern er der Kirche im Widerspruch zu seinen eigenen Freiheitspostulaten die Freiheit verweigerte, sich selbst untreu geworden. Ketteler hat sich selbst nach wie vor als ‚wahren‘, an vorstaatliche Rechte und insbesondere an die Offenbarung gebundenen Liberalen verstanden. Aus dieser Grundhaltung hat er sich auch für einen freiheitlichen Katholizismus eingesetzt und sich gegen innerkirchlichen Widerspruch vor und nach dem Syllabus (1864) für die Religions- und Gewissensfreiheit ausgesprochen. Sein primäres Anliegen galt freilich der Kirchenfreiheit, die er in der preußischen Verfassung optimal verankert sah. Daher hat er sich für ihre Übernahme sowohl in die Verfassung des Norddeutschen Bundes (1867) wie als Reichstagsabgeordneter (1871–72) in die Reichsverfassung ausgesprochen, ohne mit seinem Anliegen durchzudringen. Die im Verlauf des Kulturkampfes 1873 vorgenommene Streichung der Kirchenartikel der preußischen Verfassung hat er als besonders gravierend empfunden.“9)

Auf Initiative von Ketteler und der 1851 zum Katholizismus konvertierten deutschen Adligen Stephanie/Fanny Friederike Amelia de la Roche-Starkenfels (1812–1857) wurde 1851 die katholische Ordensgemeinschaft „Die Schwestern von der Göttlichen Vorsehung“, deren Arbeitsschwerpunkte im Schul- und Krankendienst liegen, gegründet. 10)

Auf der Website der Kongregation der „Schwestern von der Göttlichen Vorsehung“ heißt es über deren Ordensgründung: „Anstoß zur Ordensgründung war für Wilhelm Emmanuel von Ketteler die Lage der Familien, insbesondere der Mädchen, in den armen bäuerlichen Gebieten seiner Diözese. Die Bauernfamilien hatten kaum Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Ketteler stellte sich daher eine Gemeinschaft von Frauen vor, die einerseits junge Mädchen unterrichteten und andererseits – dank medizinischer Grundkenntnisse – Kranke zu Hause behandeln sollten. Die geglückte Umsetzung dieser Idee erlitt 1871 einen Rückschlag, als unter dem deutschen Kanzler Otto von Bismarck im sogenannten Kulturkampf den katholischen Ordensgemeinschaften verboten wurde, Schüler zu unterrichten und neue Mitglieder aufzunehmen. In dieser schwierigen Zeit wurden, mit dem Segen von Bischof von Ketteler, 1876 sechs Schwestern nach USA entsandt, um sich dort um die Bedürfnisse Tausender dorthin ausgewanderter deutscher Familien zu widmen.“ 11)

Ketteler und Antisemitismus
In Kettelers Äußerungen sind allerdings auch antijüdische Denkweisen festzumachen, „z. B. vertrat er die Gottesmordthese, dass ‚das Judenvolk seinen Beruf auf Erden verloren hat, als es den Messias kreuzigte‘. Auch kombinierte er wiederholt die Begriffe ‚Juden und Heiden und falsche Brüder‘.“12)

Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „Ketteler artikulierte antijüdische Ressentiments, die in seiner christlichen Sozialehre begründet lagen.“13) Sassmannshausen gibt die Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „Kontextualisierung. “ 14)