Köhnestraße
Rothenburgsort (1961): Fritz Köhne (27.6.1879 Lesum - 7.8.1956 Hamburg), Oberschulrat
Nach Fritz Köhne ist die Fritz-Köhne-Schule im Bezirk Mitte benannt.
Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.
Zur Köhnestraße gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung, den Straßennamen mit weiterführenden Informationen kritisch zu kontextualisieren, z. B. mittels eines Erläuterungsschildes unter dem Straßennamenschild. Folgende Begründung gab die Kommission: „ Köhnes Rolle im NS-Staat ist ambivalent. Er blieb, obwohl er SPD-Mitglied war, auch nach 1933 in leitender Position im Schuldienst. Er trat 1937 der NSDAP bei, nutzte seine Position aber auch, um bedrohte Lehrkräfte zu unterstützen. Die Ambivalenz in Köhnes Handeln sollte in einer Kontextualisierung deutlich gemacht werden.“
www.hamburg.de/resource/blob/113960/c3f87dcaa1b971beaacba22c736c5a32/d-st-ueber-uns-verkehrsflaechen-empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen-data.pdf
Der Historiker David Templin verfasste eine Vita über Fritz Köhne in seiner Wissenschaftlichen Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen. Im Folgenden soll die Vita hier wiedergegeben werden:
Friedrich Köhne wurde als Sohn eines Eisenbahnbeamten im Juni 1879 im damaligen Dorf Lesum bei Bremen geboren. Nach einer Präparandenanstalt in Lesum besuchte Köhne von 1896 bis 1899 das Königliche Evangelische Schullehrer-Seminar in Stade. 1902 bestand er auch die Zweite Lehrprobe. 1899 trat Köhne einen Dienst als „Schulverwalter“ in der Volksschule in Burgdamm an. 1900 oder 1901 wurde er als Lehrer in der Gemeinde Grohn tätig, 1903 wechselte er auf eine Präparandenanstalt in Stade. Im Oktober 1904 wurde er als festangestellter Lehrer an der Volksschule Schanzenstraße in den Hamburger Schuldienst übernommen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig als Sanitäter – laut seiner eigenen Aussage von 1947, um den Einsatz an der Waffe zu vermeiden. Im November 1915 wurde er zu einem Infanterieregiment eingezogen, aus gesundheitlichen Gründen aber bereits im Juni 1916 wieder entlassen. Köhne war kurze Zeit nach seiner Anstellung in Hamburg Mitglied im Lehrerverein „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ geworden, von 1909 bis 1911 gehörte er als Schriftführer dem Vorstand an. In diesem Zeitraum gehörte er auch der „Sozialwissenschaftlichen Vereinigung“ an, einer Tarnorganisation sozialdemokratischer Lehrer. Köhne verortete sich auf Seiten der Arbeiterbewegung, lehnte aber klassenkämpferische Gedanken ab. 1915 war er Mitbegründer des Volksheims Eimsbüttel. 1920 beteiligte er sich am Generalstreik gegen den rechten Kapp-Putsch. 1925, laut einer anderen Quelle bereits 1918, trat er in die SPD ein. Von 1919 bis 1933 gab Köhne Kurse an der Hamburger Volkshochschule, zumeist zu Fragen der Reformpädagogik. Von Januar 1921 bis März 1927 fungierte er als Schriftleiter der von der „Gesellschaft“ herausgegebenen Hamburger Lehrerzeitung. Dabei setzte er sich mit einem starken Idealismus für reformpädagogische Ideen ein. 1922 wurde Köhne Schulleiter an der Versuchsschule Telemannstraße in Eimsbüttel. Dabei handelte es sich um eine neu gegründete Reformschule, an der u.a. der traditionelle Drill abgelehnt, Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet wurden und es keinen Religionsunterricht gab. Köhne gehörte dem Vorstand der „Gesellschaft der Freunde“ an und initiierte u.a. die Entwicklung neuer Volksschulhäuser, die seit 1927 gebaut wurden. 1927 wurde er zum Schulrat ernannt und übernahm die Aufsicht des Volksschulwesens. Als einem kommunistischen Lehrer der Schule Telemannstraße im Gefolge eines Senatserlasses von 1931, der Lehrern die Mitgliedschaft in NSDAP und KPD verbot, 1932 die Entlassung drohte, setzte sich Köhne erfolgreich für ihn ein, nachdem es zuvor einen Schülerstreik gegeben hatte. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass Köhne sich ebenso vor nationalsozialistische Lehrer stellte: „immer hat er schützend seine Hand über uns gehalten“, betonte etwa Erna Doctor, die seit 1929 NSDAP-Mitglied war, 1933 Zur Rolle im Nationalsozialismus Als im Frühjahr 1933 mit Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zahlreiche sozialdemokratische, kommunistische und jüdische Lehrer/innen entlassen wurden, war auch Köhne von Entlassung bedroht. Im Juli 1933 wurde er kurzzeitig suspendiert. Laut Köhne erreichte es der deutschnationale Schulsenator Karl Witt, dass er auf seinem Posten als Schulrat verblieb. In der Entnazifizierung führte er seine Nicht-Entlassung als einer der wenigen sozialdemokratischen Lehrer im Rückblick auf „his exceptional knowledge and the great confidence and support he received from the teaching body“ zurück. Unter den Lehrer/innen, die sich gegenüber der Schulbehörde im Juli/August 1933 für Köhne einsetzten, waren aber auch nationalsozialistisch orientierte oder als nationalsozialistisch verdächtigte Lehrer/innen. Sie betonten Köhnes Orientierung auf die „Volksgemeinschaft“, seine fehlende parteipolitische Haltung und seine Hilfe für „national“ eingestellte Lehrer, Lehreranwärter oder Hausmeister.
Mit der Gleichschaltung der „Gesellschaft der Freunde“ wurde Köhne im Mai 1933 Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), im November 1935 trat er auch der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) bei. Im NSLB leitete er von 1936 bis 1940 als Gaufachberater den Ausschuss für die Gestaltung und Einrichtung von Schulneubauten und knüpfte damit an seine Aktivitäten aus den 1920er Jahren an. Der Ausschuss sprach sich u.a. für eine bessere Beleuchtung und besseres Mobiliar in Schulen aus. Mit den 1933 entlassenen Lehrern traf sich Köhne wohl bis 1943 monatlich zu Versammlungen. Zum 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein. Laut seiner eigenen Aussage erfolgte dieser Schritt, nachdem ihm mit der Versetzung in den Ruhestand gedroht worden war. Köhne selbst war unwillig, der Partei beizutreten, ließ sich von dem klandestinen Kreis entlassener Lehrer aber überzeugen. „Es ist in allen beteiligten Kreisen bekannt, daß er sich bis zum Äußersten gesträubt hat, Mitglied der NSDAP zu werden“, lautete ein Vermerk in seiner Personalakte vom März 1946: „Die Gegner des Nationalsozialismus waren froh, daß er als letzte Garantie des früheren Geistes im Schulwesen verblieb.“ Gleichzeitig war Köhne in seiner Funktion als Schulrat daran beteiligt, Vorgaben der NS-Schulpolitik umzusetzen, etwa in einem Aufruf zu einem Lehrgang für Hilfsschullehrer 1942, für den die Zustimmung zur „nationalsozialistischen Erbgesundheits- und Rassengesetzgebung“ zur Voraussetzung erklärt wurde. Laut Hans-Peter de Lorent war Köhne in seinem Amt auch mit der Zerschlagung jüdischer Schulen befasst. Es gibt mehrere Fälle, in denen sich Köhne für verfolgte oder bedrohte Lehrer/innen oder Schüler/innen einsetzte. So wandelte er die Entlassung des oppositionell organisierten Lehrers Hans Ketzscher 1934 in eine Versetzung um. Der Lehrer Caesar Hagener schilderte in den 1980er Jahren, er habe 1933 auf einer Liste zu entlassener kommunistischer Lehrer gestanden, doch Köhne habe ihn auf eine ihm nicht bekannte Art und Weise vor der Entlassung bewahrt. Für die von der Gestapo bedrohten Lehrer Dietrich Rothenberg und Karl Prieß setzte er sich ein. Einzelnen Lehrern riet er, in die NSDAP einzutreten, um sich nicht weiter angreifbar zu machen. Für Wilhelm Schönmann, Carl Haack und weitere Lehrer, die wegen ihrer Nicht-Mitgliedschaft unter Druck standen, setzte er sich aber auch erfolgreich beim Schulsenator ein – ebenso wie für mehrere Lehrer aus Braunschweig, die Anfang der 1930er Jahre von der dortigen nationalsozialistischen Landesregierung entlassen und in Hamburg eingestellt worden waren. Als Mittel, gefährdete Lehrer/innen aus der „Schusslinie“ zu bringen, griff er in den frühen 1940er Jahren auf ihre Abordnung in die Kinderlandverschickung zurück. 1943 bewahrte er eine 14-jährige Schülerin, die wegen NS-feindlicher Äußerungen aufgefallen war, vor der Einweisung in ein staatliches Jugendheim. Eine jüdische Lehrerin dankte Köhne 1950 dafür, ihr zur Auswanderung mit der ganzen Familie geraten und so ihr Leben gerettet zu haben. Aus Altersgründen wurde Köhne nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen. Im Dezember 1939 wurde ihm das Treudienst-Ehrenzeichen 1. Stufe für eine 40-jährige Dienstzeit verliehen. In privater Korrespondenz schwankte Köhne im Januar 1942 zwischen der Hoffnung, dass Deutschland den Krieg gewinne, da er „nicht erleben“ wolle, „wie man am deutschen Volk Rache nimmt“, und der Ablehnung nationalsozialistischer Expansionspolitik. Im Oktober 1944 schrieb er seinem Sohn, er hoffe auf „die Zeit, wo die Völker Europas innewerden, daß diese Zeit der Zerstörung und Vernichtung ein Irrsinn war“, und die „Entdeckung des Gemeinsamen, das sie im Werk des Friedens miteinander verbindet“. Seit Mai 1941 vertrat er Albert Mansfeld als Oberschulrat. Im November 1944 wurde er schließlich im Alter von 65 Jahren zum Oberschulrat ernannt, nachdem Senatssyndikus Dr. Schrewe seine Amtsführung als „ausgezeichnet“ und ihn als „Persönlichkeit von hohem pädagogischem Rang, der sich einer ganz ungewöhnlichen Verehrung innerhalb der gesamten Hamburger Lehrerschaft erfreut“, gelobt hatte. Kritische Stimmen kamen dagegen vom NSDAP-Kreisleiter, der bemängelte, dass „irgendeine aktive Mitarbeit in der Partei“ seitens Köhne nicht zu erkennen sei – auch wenn er die Parteiversammlungen besuche – und es sich bei ihm um „kein[en] revolutionäre[n] Erzieher“ im NS-Sinne handele. Für Köhne sprachen sich jedoch sowohl Senator Ofterdinger als auch andere NS-Funktionäre aus.
Zur Biographie nach 1945
1946/47 wurde Fritz Köhne in der Entnazifizierung bescheinigt, trotz seiner Parteimitgliedschaft ein „Anti-Nazi“ gewesen zu sein: „The opponents of National Socialism were glad that he remained in school service as a last representative of the former spirit.“ Die Militärregierung bestätigte ihn Ende 1946 in seinem Amt als Oberschulrat. Zuvor hatte sie ihm 1945 sogar das Amt des Schulsenators angeboten, das er jedoch abgelehnt hatte. Im Juli 1948 wurde er in die Kategorie V eingestuft.
1945 setzte er sich bei der Militärregierung für HJ- und BDM-Führer/innen, die aus dem Dienst entlassen werden sollten, ein und plädierte für deren Teilnahme an Umschulungskursen. In den Entnazifizierungsprozessen anderer Lehrer/innen stellte Köhne eine Vielzahl an Leumundszeugnissen aus, laut Hans-Peter de Lorent sogar „die weitaus meisten“ – auch für überzeugte Nationalsozialisten und hohe NS-Funktionäre. Dabei verharmloste er deren Aktivitäten. Ende September 1949 schied Köhne schließlich im Alter von 70 Jahren aus dem Schuldienst aus. Bei seiner Abschiedsfeier wurde ihm vom Senat die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes verliehen. In einem Artikel zu Köhnes 75. Geburtstag würdigte sein Lehrerkollege Kurt Zeidler dessen „selbstverleugnendes Ausharren in der Schulbehörde während der Jahre der NS-Herrschaft“. Köhne selbst schrieb rückblickend, die Arbeit während der NS-Zeit sei „schwer“ gewesen, er habe „auf Wort und Schrift in der Öffentlichkeit verzichten“ müssen und „den Niedergang des hamburgischen Schulwesens nicht aufhalten, wohl aber im einzelnen manches zum Guten wenden“ können. Fritz Köhne starb am 7. August 1956. Im sozial-demokratischen Hamburger Echo wurde er daraufhin zum „Bewahrer, Beschützer und Bekenner“ gegen die nationalsozialistischen Bestrebungen stilisiert. Fünf Jahre später wurde sowohl eine Schule in Rothenburgsort als auch eine nahegelegene Straße nach ihm benannt.
In Ursel Hochmuths und Gertrud Meyers Werk „Streiflichter“ (1969) über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Hamburg betonten die Autorinnen, die „antifaschistischen Lehrer“ hätten in Köhne „ihren zuverlässigsten Freund und Berater während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung“ gesehen. Er sei zum „Mittelpunkt und Zuflucht aller bedrängten Lehrer“ geworden. Der Lehrer Caesar Hagener sprach in einem Aufsatz zu Köhne 1985 von seiner „Doppelrolle“: „einmal Personalchef einer NS-Behörde und zum anderen Vertrauter verzweifelter Menschen, oft Beichtvater von NS-Verfolgten“. Köhne habe zwar „nicht zum Widerstand gehört“, aber „Zivilcourage“ und „Mut“ in der NS-Zeit bewiesen. 1986 veröffentlichte Hartwig Fiege, der unter Köhne als Lehrer gearbeitet hatte und selbst in der
NSDAP gewesen war, u.a. auf Basis persönlicher Begegnungen eine Biographie Köhnes. Im Vorwort wurde dieser als „einer der bedeutendsten Schulmänner Hamburgs in unserem Jahrhundert“ bezeichnet. Fiege lobte ihn als „Helfer in Not“, betonte aber auch, dass er sich „den neuen Machthabern gegenüber als loyaler Beamter“ verhalten und Anordnungen ausgeführt habe. Uwe Schmidt und Hans-Peter de Lorent stellten in ihren jüngeren Darstellungen diese Ambivalenzen in Köhnes Wirken heraus und wiesen auf seine Protektion führender NS-Lehrer in den Entnazifizierungsverfahren hin.
Fazit
Als sozialdemokratisch orientierter Schulreformer vor 1933, war Köhne einer der wenigen SPD-Mitglieder, die 1933 im Schuldienst verblieben – und zwar in leitender Position. Köhne war einerseits „ein Rädchen im Getriebe des NS-Staates“ (de Lorent) und trat 1937 der NSDAP bei, nutzte seinen Posten andererseits, um etlichen bedrohten Lehrer/innen zu helfen, und hielt Kontakte zu den vom Regime entlassenen. Seine vielfach gepriesene Gutmütigkeit und Menschlichkeit kam vor und nach 1933/45 aber auch Nationalsozialisten zugute, die er in der Entnazifizierung mit „Persilscheinen“ vor Sanktionen bewahrte. Damit trug er dazu bei, dass die Entnazifizierung in der Schulbehörde „zur Farce wurde“, wie de Lorent konstatiert.
Text: David Templin
Aus seiner: Wissenschaftliche Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen. Abschlussbericht erstellt im Auftrag des Staatsarchivs Hamburg. Hamburg 30.11.2017)