Bachstraße
Uhlenhorst (1860): ursprünglich nach dem altem Weg im Tal der Osterbek. Benennungsmotiv geändert 1965. Seitdem heißt die Straße nach Johann Sebastian Bach (21.3./31.3.1685 Eisenach – 28.7.1750 Leipzig)
In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Sebastian-Bach-Straße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung. Es blieb bei Bachstraße.
Siehe auch: Reichardtstraße
Siehe auch: Bachstraßenbrücke
Mit der Benennung einer Straße nach Johann Sebastian Bach wurde erstmals 1860 eine Verkehrsfläche nach einem Musiker benannt. Bis auch nach einer Musikerin eine Straße in Hamburg benannt wurde, dauerte es noch 69 Jahre, siehe: Lißmannseck.
Die Familie Bach war eine Art musikalisches Familienunternehmen und hat in acht Generationen vom 16. Jahrhundert bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts MusikerInnen hervorgebracht, doch werden in der Regel nur die Männer gezählt und hervorgehoben. Johann Sebastian Bach hatte zwanzig Kinder aus zwei Ehen, von seinen neun Töchtern haben nur vier das Erwachsenenalter erreicht – und waren nicht als Sängerinnen oder Musikerinnen tätig. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau, seine Cousine zweiten Grades, Maria Barbara Bach (20.10./30.10.1684 Gehren –beerdigt 7. 7. 1720 Köthen) heiratete er die Tochter aus einer Musikerfamilie und gut bezahlte Fürstliche Sängerin Anna Magadalena Wilcke (22.9.1701 Zeitz – 27.2.1760 Leipzig).
Anna Magdalena Wilcke hatte bereits eine Ausbildung als Sängerin in Zeitz erhalten, am Hof des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz und zog um 1717 mit ihren Eltern und ihrer Schwester Erdmuthe Dorothea an den kunstliebenden Hof in Weißenfels – unter Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels. Hier setzte sie ihre musikalischen Studien fort, wohl auch unter Anleitung der berühmten Sängerin Pauline Kellner. 1.) Als 19-Jährige kam sie 1721 als Fürstliche Sängerin an den Hof von Fürst Leopold von Anhalt-Köthen in Köthen. Dort lernte die junge Sängerin, die auch versiert das Cembalo spielte, den Hofkapellmeister Johann Sebastian Bach kennen. Am 3. Dezember 1721 heirateten die beiden. Bis zu ihrer Übersiedlung nach Leipzig im April 1723 blieb Anna Magdalena als verheiratete Frau in ihrer Stellung. „Sie erhält monatlich 16 Taler, 16 Groschen, der Hofkapellmeister Bach etwa 33 Taler, der Primgeiger Joseph Spieß etwa 18 Taler.“ 2.)
In Leipzig veränderte sich ihr Leben drastisch. Während Johann Sebastian als Thomaskantor arbeitete, organisierte Anna Magdalena den großen Haushalt und sang gelegentlich in privaten oder halböffentlichen Konzerten in Bürgerhäusern oder in Köthen zu Ehren ihrer ehemaligen Dienstherren. Sie gebar dreizehn Kinder und hatte noch vier Kinder ihres Mannes aus erster Ehe zu versorgen. Doch sie half ihrem Mann auch noch bei seinen Werken. So ist Anna Magdalena Bachs Handschrift in einigen Notenkopien nachweisbar.
Die Kinder der Familie Bach wurden von Vater und Mutter unterrichtet. Johann Sebastian schreibt 1730 mit Stolz an einen alten Schulfreund über die Hausmusik bei Familie Bach, die älteste Tochter Catharina Dorothea [getauft 29.12.1708 – 14.1.774] ist da fast 22 Jahre alt: „(...) die älteste Tochter ist (...) noch unverheurathet (...) Insgesamt aber sind sie gebohrne Musici, u. kann versichern, daß schon ein Concert Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner Familie formieren kann, zumahln da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet, auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget.“
Intensiven Unterricht an einem Instrument oder in Komposition werden die Mädchen und jungen Frauen jedoch nicht erhalten haben, denn ihre Pflichten galten Haushalt und Familie, und Ziel war die Verheiratung. Aber sie haben mit Sicherheit auch Noten kopiert. Nur eine der überlebenden Bach-Töchter hat geheiratet: Elisabeth Juliana Friederica Altnickol (5.4.1726 Leipzig -24.8.1781 Leipzig).
Nach Johann Sebastian Bachs Tod geriet seine Witwe Anna Magdalena Bach mit ihren unverheirateten Töchtern in Armut und starb als „Almosenfrau“, angewiesen auf Unterstützung wohlhabender Bürger Leipzigs.
Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch, eine erklärte Freundin der Musik Johann Sebastian Bachs, schreiben in ihrem Portrait über die Töchter von Johann Sebastien Bach: „Genügend Lebenszeit für das Ausreifenlassen ererbten Doppelgenies hätte es bei Catharina Dorothea gegeben: Sie wurde genauso alt wie ihr Vater. Aber die Jahre, da das junge Genie hätte aus- und herangebildet und gefördert werden müssen, verbrachte es als ‚wertvolle Stütze‘ im Haushalt. Von einer geregelten musikalischen oder auch nur ‚sonstigen‘ Ausbildung dieser wie auch aller anderen Bach-Töchter ist nichts bekannt – im Gegensatz zu der sorgfältig betriebenen und vielfach belegten Ausbildung der Söhne. Hätten diese keine Ausbildung bekommen, hätte auch ihnen die späterhin so bewunderte Bach-Genialität nichts genützt: Sie wäre ‚fruchtlos‘ verkümmert. Denn musikalisches Talent führt nicht von selbst zu musikalischer Leistung.“ 3)
Was Johann Sebastian Bach und sein Verhältnis zu den weiblichen Mitgliedern seiner Familie betrifft, ziehen die Bach-Spezialistinnen Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch sehr drastische Schlüsse, die die Bach-Fan-Gemeinde nachhaltig irritierte und oft ignorierte: „Obwohl er gern als zärtlich liebender Gatte geschildet wird, der seine Frau entgegen allen Gepflogenheiten kostspielig porträtieren ließ (von Cristofori) und ihr das berühmte ‚Notenbüchlein‘ schenkte (in das er gleich drei verschiedene Fassungen von Paul Gerhardts Lied ‚Gib dich zufrieden und sei stille‘ eintrug), scheint es doch, daß er die Ausbeutung und Hintansetzung der Frau noch weiter trieb als es üblich war, zumindest unter ‚geistigen Menschen‘. Dies ist sogar einem Biographen aufgefallen: ‚Bach/hat/im ganzen 20 Kinder gehabt (…) – auch diese naive Fruchtbarkeit gehört zum Bilde Bachs; sie ist, bei genialen Menschen, wohl ohne Beispiel und läßt, als Parallele zu der ungeheuren geistigen Schöpfermacht, uns das eine durch das andere begreifen und bedingt sehen. Man muß ans Mittelalter denken, wo auch ein sinnenstarkes Erdenleben die überschwängliche Vergeistigung des Dienstes am Jenseitigen trug. Wir möchten meinen, daß in solchen Zeiten die Stellung der Frau dann das entbehrte, was dem modernen Menschen die persönlich-gebundene Seelenliebe bedeutet; und in der Tat ist in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wenig hiervon die Rede; es scheint keine Rücksicht auf die Frau als auf ein individuelles Wesen zu geben; denn es ist fast die Regel, daß die Männer zwei-, ja dreimal sich verheiraten, da die Frauen diese Art patriarchalische Ehe nur kurze Zeit aushalten.‘
Bachs erste Frau, Maria Barbara, hielt seine ‚naive Fruchtbarkeit‘, sein ’sinnenstarkes Erdenleben‘ tatsächlich nur kurze Zeit aus: nach 13jähriger Ehe starb sie mit 35 Jahren. Im Gegensatz zu Anna Magdalenas 10 Geburten in 10 Jahren waren es bei ihr zwar nur 6 Geburten bzw. 7 Kinder in 13 Jahren; es wird aber, wohl sehr zu Recht, vermutet, daß ihr ‚ungleichmäßiger Zyklus von Geburten‘ durch Fehlgeburten unterbrochen wurde (…), daß also auch sie ebenso pausenlos schwanger war wie Anna Magdalena. Wie heißt es bei Luther über die Weiber? ‚Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen, das schadt nicht, laß nur todt tragen, sie sind darum da.‘ Bach war ein glaubensstarker Anhänger der lutherischen Lehre.“ 4)
Bach dankte seiner Frau „die Aufopferung, indem er kein Testament hinterließ. Er, der selbst zweimal jeweils kurz vor seinen Eheschließungen, von Verwandten mütterlicherseits Summen erbte, die ihm die Gründung des neuen Hausstandes ermöglichten bzw. erleichterten, der in seinen Geldangelegenheiten äußerst gewissenhaft, um nicht zu sagen, penibel war, er sorgte nicht dafür, daß seine Ehefrau ein Testament in Händen hatte, als er starb, obwohl er genau wußte, in welche finanzielle Not seine Mutter und ihre Kinder nach dem Tod seines Vaters geraten waren und welcher Kampf ums nackte Überleben eine Musikerwitwe damals generell erwartete.“ 4)
Anna Magdalena Bach starb am 27. Februar 1760 in Leipzig, zehn Jahre nach ihrem Mann, als ‚Almosenfrau‘. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen darüber, wofür diese Bezeichnung konkret stand: musste sie betteln, lebte sie in Armut? Fakt ist, dass die 49-jährige Witwe die Wohnung gegenüber der Thomaskirche verlassen mußte, mit zwei minderjährigen Töchtern, der 13-jährigen Johanna Carolina und der 8-jährigen Regina Susanna. Die unverheiratete erwachsene Stieftochter Catharina Dorothea siedelte wohl zunächst zu ihrem Bruder Wilhelm Friedemann nach Halle und der 15-jährige Johann Christian kam zu seinem Halbbruder Carl Philipp Emanuel nach Berlin. Der geistig behinderte Gottfried Heinrich wurde von der verheiraten Schwester Elisabeth Juliana Friederica Altnickol in Naumburg aufgenommen. 5.) Anna Magdalena und die bei ihr verbliebenen Töchter waren fortan auf Almosen, auf die Unterstützung privater Stifter und der Universität angewiesen und verdienten sich auch etwas mit Näharbeiten hinzu. Musikwissenschaftler Reinhard Szeskus hat dazu weitere unbequeme Fragen gestellt und bahnbrechende Forschungen geleistet, Almosenquittungen entziffert und Teilungsprozesse genau durchgerechnet, mit bestürzendem Ergebnis: „Wie war es möglich, daß die Bachforschung auch bei Nichtkenntnis des bisher unbeachteten Aktenmaterials, niemals über den Widerspruch stolperte, den sie selbst erzeugt hatte: Anna Magdalena Bach wohnte mit ihrer Familie in der Hainstraße, sicher bei Dr. Friedrich Heinrich Graff - und dazu als Almosenfrau. Es ließ sich in der Tat schlecht vereinbaren: Der große Komponist und die Gattin als Almosenempfängerin. Man löst den Widerspruch am einfachsten, in dem man ihn umgeht.“ 6.) (Friedrich Heinrich Graff Jurist und Oberhofgerichtsadvokaten, und hatte andiverse Honoratioren der Stadt vermietet.)
Mit großer Verzögerung wird mittlerweile auch Anna Magdalena Bach im Stadtbild Leipzigs gedacht. Die großen Feierlichkeiten im Jahr 2000 zu Johann Sebastian Bachs 250. Todestag nahmen auch etliche Leipzigerinnen zum Anlass, diese bedeutende Vorfahrin dem Vergessen zu entreißen. Und so erinnert seit 2001 eine Plakette an Anna Magdalena Bach im Thomaskirchhof in Leipzig. Mit der Inschrift: „An diesem Ort lebte Anna Magdalena Bach, geb. Wilcke von 1723 bis 1750. Die ehemalige fürstliche Hofsängerin war die zweite Ehefrau von Johann Sebastian Bach und Mutter einer großen Kinderschar. Ihre Handschrift findet sich in einer Vielzahl von Notenmanuskripten Bachscher Kompositionen. Johann Sebastian Bach hat seiner Frau die Notenbüchlein von 1722 und 1725 gewidmet.“ 7)
Text: Dr. Birgit Kiupel