Reichardtstraße
Bahrenfeld, seit 1929, benannt nach Johann Friedrich Reichardt. 2001/2002 ergänzt um die ebenso bedeutende Tochter Caroline Luise Reichardt. Neuer Erläuterungstext: benannt nach Johann Friedrich R. (25.11.1752 Königsberg –27.6.1814 Giebichenstein/Halle), Komponist und Musikschriftsteller, und dessen Tochter Caroline Luise R. (11.4.1779 Berlin–17.11.1826 Hamburg), Sängerin, Musikpädagogin und Komponistin, zuletzt in Hamburg
Siehe auch: Klopstockstraße, Königskinderweg
Siehe auch: Arnimstraße, Osdorf, seit 1941: Achim von Arnim (1781–1831), Dichter
Siehe auch: Bachstraße, Uhlenhorst, seit 1860: ursprünglich nach altem Weg im Tal der Osterbek. Benennungsmotiv geändert 1965. Seitdem heißt die Straße nach Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Siehe auch: Brentanostraße, Osdorf, seit 1941: Clemens Brentano (1778–1842), Dichter, Bruder von Bettina von Arnim
Siehe auch: Clasingstraße, Eimsbüttel, seit 1911: Johann Heinrich Clasing (1779–1829), Dirigent und Mitbegründer der Singakademie
Siehe auch: Novalisweg, Winterhude, seit 1928: richtiger Name Freiherr Georg Philipp Leopold von Hardenberg (1772–1801), „Künstlername“: Novalis, Dichter
Siehe auch: Tiecksweg, Eilbek, seit 1904: Ludwig Tieck (1773–1853), Dichter, Dramaturg
Louise Reichardt war die älteste Tochter des preußischen Hofkapellmeisters, Komponisten und Wegbereiters romantischer Liedkunst, Johann Friedrich Reichardt und der Sängerin und Komponistin Juliane Benda (14.5.1752 Potsdam – 11.5.1783 Berlin). Sie war eine bedeutende Sängerin. Doch nach ihrer Heirat mit Herrn Reichardt zog sie sich ins Private zurück. Das Paar bekam vier Kinder, von denen zwei früh starben.
Als Louise Reichardt vier Jahre alt war, starb die Mutter 1783 im Kindbett. Im selben Jahr heiratete der Witwer kleiner Kinder Johanna Alberti (1754–1827), verwitwete Hensler. Sie brachte aus ihrer ersten Ehe zwei Töchter mit.
Da die Familie wuchs – Johanna und Johann Friedrich Reichardt bekamen fünf Kinder – musste Louise an ihrem 15. Lebensjahr mit ihren beiden älteren Stiefschwestern die Haushaltung führen.
1794 wurde ihr Vater uneherenhaft ohne Pensionsanspruch als königlicher Hofkapellmeister entlassen, denn er hatte mit der Französischen Revolution sympathisiert. Er zog mit der Familie nach Giebichenstein bei Halle, wo er das Kestnersche Kossätengut gekauft hatte und ab 1794 als Salinendirektor amtierte. Das Haus wurde zur legendären „Herberge der Romantik“, hier trafen sich Ludwig Tieck (siehe: Tiecksweg), Clemens Brentano (siehe: Brentanostraße), Novalis (siehe: Novalisweg), Achim von Arnim (siehe: Arnimstraße), Friedrich Schleiermacher, Henrik Steffens etc. Für das Wohl dieser romantischen Geselligkeit waren Louise und ihre Schwestern unermüdlich tätig, die allerdings auch auf diese Weise von Diskussionen, Lesungen und Konzerten profitierten – und zu eigener Produktivität angeregt und ermuntert wurden. Insbesondere Louise wurde wegen ihres Gesangs und ihrer Kompositionen gelobt und knüpfte Freundschaften, etwa zu Achim von Arnim und Clemens Brentano.
Louise brachte sich selbst das Klavier-, Harfe- und Gitarrenspielen selbst bei, ebenso bildete sie sich im Gesang selbst aus. „Ihr Vater duldete allerdings nicht, dass sie öffentlich auftrat, außer in der Kirche oder in Privatzirkeln.“ 1)
Louise Reichardt war zweimal verlobt. ihr erster Verlobter, der Dichter Friedrich August Eschen (1776–1800), verunglückte in den Schweizer Alpen, und ihr zweiter Verlobter, der Maler Franz Gareis (1775–1803), starb kurz vor der Eheschließung an Ruhr.
„In Folge der napoleonischen Kriegshandlungen wurde Reichardts Vaterhaus im Jahr 1806 verwüstet; die Familie kam provisorisch bei Verwandten in Berlin und Halle unter. Nach der Rückkehr auf das notdürftig wieder hergerichtete Familiengut litt sie unter ständiger Geldnot.“ 2)
Zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes zog Louise Reichardt, die ledig blieb, 1809 nach Hamburg, in das Umfeld ihrer Stiefmutter, um dort als Gesangs- und Musiklehrerin zu arbeiten. „Sie wohnte im Hause des Bankiers Jerome Sillem [siehe: Sillemstraße] und dann auf Dauer bei dessen Mutter, Marie Louise Sillem (1749–1826). An den im großen Saal ihres Stadthauses (Große Reichenstraße 28) regelmäßig stattfindenden Hauskonzerten wirkte auch Louise Reichardt mit, etwa bei Aufführungen von Händels [siehe Händelstraße] Oratorien. Zu Louise Reichardts Freundeskreis gehörten die Familien von Amalie Sieveking, [siehe: Amalie-Sieveking-Weg] der Maler Philipp Otto Runge [siehe: Rungestraße], der Buchhändler Friedrich Christoph Perthes [siehe: Pethesweg] und der Dichter und Journalist Matthias Claudius [siehe: Claudiusstraße].“ 3)
Ihre Erwerbstätigkeit musste Louise Reichardt vor ihrem Vater geheim gehalten, da sie dem bürgerlichen Frauenbild widersprach. Unterstützt wurde sie aber von der Familie Sillem.
Bald unterrichtete sie viele Musikschülerinnen aus angesehenen Familien. Fünf Jahre später eröffnete sie, wohl als eine Pionierin auf diesem Gebiet, eine private Musik- und Singschule für Frauen und Mädchen, und gründete einen Frauenchor. Doch nach einiger Zeit machte ihr Vorbild Schule, die Konkurrenz der Lehrenden wuchs, und sie hatte Mühe, ihr Auskommen zu erwirtschaften.
Zusammen mit dem Pianisten und Komponisten Johann Hermann Clasing (1779–1829) (siehe: Clasingstraße) gründete Louise Reichardt in Hamburg den „Musikalischen Verein für geistliche Musick“, wo sie die Einstudierung des Chores übernahm. Sie führten oratorische Werke auf, vor allem von Georg Friedrich Händel (siehe: Händelstraße), Wolfgang Amadeus Mozart (siehe: Mozartstraße) und italienischen Komponisten. Im norddeutschen Raum organisierten sie „Geistliche Musikfeste“, 1817 und 1818 in Hamburg und Lübeck. Mit rund 500 Mitwirkenden vor rund 5000 Besuchenden wurden im Hamburger „Michel“ Händels „Messias“ und Mozarts „Requiem“ aufgeführt. Dieser „Musikalische Verein“ gilt als Vorläufer der 1819 gegründeten Hamburger Sing-Akademie, in der allerdings weder Reichardt noch Clasing wichtige Rollen eingeräumt wurden. Auch hier vermochte die Macht der Musik menschliche Konkurrenzkämpfe nicht zu mildern.
Neben ihrer pädagogischen Tätigkeit wirkte Louise Reichardt auch als Komponistin. Ca. 90 Lieder sind von ihr bekannt.
Louise Reichardt leistete für die Entwicklung eines bürgerlichen Musiklebens in Hamburg einen wichtigen und bis heute unterschätzten Beitrag. 4)
Text: Birgit Kiupel