Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Paul-Stritter-Brücke

Alsterdorf (1960): Paul Stritter (13.12.1863 Ulm – 17.9.1944 Tübingen), Pastor, Direktor der Alsterdorfer Anstalten, heute Evangelische Stiftung Alsterdorf.


Siehe auch: Sengelmannstraße

Paul Stritter war das jüngste von fünf Kindern der Aline Stritter, geborene Spann und des Kaufmanns Georg Gustav Martin Stritter. Über Paul Stritter heißt es in Wikipedia: „Der in Ulm geborene Stritter zog 1867 mit seinen Eltern nach Hamburg. Seine Familie hatte früh enge Beziehungen mit der Familie Heinrich Matthias Sengelmann (siehe: Sengelmannbrücke und Sengelmannstraße), dem Gründer der Alsterdorfer Anstalten.“ 1) Nach dem Studium der Theologie war er als Kandidat in den Alsterdorfer Anstalten angestellt und arbeitete dort als Oberpfleger. „Nach der Ordination zum Pastor erhielt er 1888 eine Pfarrstelle an der Hauptkirche Sankt Michaelis. Als 1893 gewähltes ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Alsterdorfer Anstalten übernahm er nach dem Tod Sengelmanns am 2. Juli 1899 als Direktor deren Leitung. (…).“1)

In seiner Funktion als Direktor kümmerte sich Stritter u. a. auch „um die Stiftung eines Gemeinschaftsgefühls innerhalb der Mitarbeiterschaft. Dazu dienten Familienabende mit belehrenden und unterhaltenden Vorträgen, die Proben und öffentlichen Aufführungen des Jungfrauen- und des Männerchors, die regelmäßigen Zusammenkünfte und Jahresfeste der Vereine Euodia und Concordia sowie die Treffen des 1909 gegründeten Blaukreuzvereins.“ 2)

Ausgenommen von diesem Gemeinschaftsgefühl „war der Umgang mit der Witwe des verstorbenen Anstaltsgründers, Jenny Sengelmann, die zu Lebzeiten ihres Mannes in den Alsterdorfer Anstalten eine Art Nebenregiment [siehe zu ihr und ihren umfangreichen Aufgaben, die sie als Hausmutter wahrnahm und damit ihren Mann entlastete, im Beitrag zur Sengelmannstraße, R. B.] geführt hatte. Zunächst trug sie sich wohl mit dem Gedanken, im Pastorat wohnen zu bleiben und es mit dem – damals noch unverheirateten – Stritter zu teilen, was dieser mit Hinweis auf die zu erwartenden ‚Unzuträglichkeiten‘ ablehnte.“ 3)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Alsterdorfer Anstalten als eine Ansammlung ‚geistig minderwertiger Jugendlicher‘ und von ‚tiefstehenden Idioten und verblödeten Epileptikern‘ kritisiert. Stritter zeigte sich hier zwiegespalten. In einer Schrift hob er das von Sengelmann geforderte Prinzip der christlichen Liebe als Basis im Umgang mit Behinderten hervor. 1916 schrieb er jedoch, dass er Überlegungen zustimme, wonach ‚Staat und Kommunen mit den öffentlichen Geldern haushälterisch umzugehen verpflichtet sind und daß man nicht unverhältnismäßige Summen zum Besten der mehr oder weniger asozialen Elemente aufwenden‘ solle. Das humanitäre Prinzip bei der Behandlung behinderter Menschen erwähnte er dabei nur am Rande. Somit bereitete er die Tötung von mehr als 500 Insassen der Einrichtung vor, die während der Zeit des Nationalsozialismus unter seinem Nachfolger Friedrich Lensch erfolgte. Während dieser Morde ging Stritter, der seit Ende der Dienstzeit dem Vorstand der Anstalt als Ehrenmitglied angehörte, nicht hiergegen vor, wodurch er sich zum Mittäter machte. (…),“ 4) urteilt Bodo Schümann.

Neuere Untersuchungen stellen keinen Zusammenhang zwischen Paul Stritter und den Verbrechen in Alsterdorf während der NS-Zeit her. So stellen Hans-Walter Schmuhl und Ulrike Winkler zwar auch fest: „Es kann kein Zweifel bestehen, dass Stritter gegenüber den Fortschritten in den Lebenswissenschaften aufgeschlossen war und diese für die Arbeit in den Alsterdorfer Anstalten nutzbar machen wollte.“ 5) Doch, so die beiden AutorInnen: „Er setzte aber auch Akzente, die darauf hindeuten, dass er bei aller Offenheit für neue Ansätze doch nicht bereit war, die Grenzen zu überschreiten, die durch die religiöse Grundlegung der Arbeit in den Alsterdorfer Anstalten gezogen worden waren. Sein besonderes Augenmerk galt der religiösen Erziehung, insbesondere der Konfirmation der Bewohner und Bewohnerinnen der Alsterdorfer Anstalten. Hier setzte er den Kurs Sengelmanns fort. Wie dieser bestand er darauf, dass mit der Konfirmation die Zulassung zum Abendmahl verbunden sein müsse (…). Auch für Stritter war die Konfirmation viel mehr als ein Übergangsritus beim Eintritt in die Welt der Erwachsenen, sie galt ihm als bewusste Entscheidung eines Menschen für das Evangelium (…). Dementsprechend hielt Stritter an den Anforderungen an das Wissen der Konfirmanden und Konfirmandinnen fest, die Sengelmann formuliert hatte. ‚Natürlich weise ich kein Kind deshalb von der Konfirmation zurück, weil es die Erklärungen der Gebote oder Artikel oder diese selbst nicht fließend hersagen kann‘, stellte Stritter klar.“6)

Im Gegensatz zu Bodo Schümann, der in seiner Kurzbiografie über Paul Stritter aus dessen 1916 erschienen Buch eine Passage zitiert, aus der hervorgeht, dass Stritter gegen die Ausgabe „unverhältnismäßige[r] Summen zum Besten der mehr oder weniger asozialen Elemente“ plädierte, erwähnen Hans-Walter Schmuhl und Ulrike Winkler diese Quelle nicht, sondern konzentrieren sich nur auf eine Äußerung Stritters aus dem Jahre 1928. Danach lehnte Paul Stritter die „‘Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ aus Glaubensgründen ab. So schrieb er im Jahre 1928: ‚Nach bloß menschlichen Nützlichkeitserwägungen kann freilich manches als Torheit erscheinen, was in Anstalten der christlichen Liebestätigkeit zur Pflege und Erhaltung scheinbar lebensunwerten Lebens geschieht. Aber von höherer Warte, im Blick auf göttliche Gedanken können wir doch manches davon erkennen, dass menschliche Nützlichkeitserwägungen nicht der Weisheit letzter Schluss sind.‘“ 7)

Bodo Schümann charakterisierte Paul Stritter als „humorvollen“ und „kinderlieben“ sowie „pädagogisch befähigten Anstaltsleiter“. 8) „Seine Aufgabe als Prediger und Seelsorger gerade für behinderte Menschen nahm er sehr ernst und beschäftigte sich auch schriftstellerisch mit diesen Fragen.“ 9)

„„Seine Dienstzeit als Direktor endete im September 1930. Der Theologe, der seit 1920 mit Maria, geborene Zimmermann [geboren 5.3.1872 Hamburg, R.B.], verheiratet war und die der Äußeren Mission kam, lebte mit ihr zuletzt mehrere Jahre in Süddeutschland. Er starb dort nach langer Krankheit im September 1944.“ 4)