Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Zassenhausweg

Iserbrook, seit 2007, benannt nach Hiltgunt Zassenhaus (10.7.1916 Hamburg–20.11.2004 Baltimore), Dolmetscherin für skandinavische Sprachen, Ärztin, betreute während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg zahlreiche skandinavische Kriegsgefangene und genoss in diesen Ländern hohe Anerkennung, seit 1986 Trägerin der Hamburgischen Ehrendenkmünze in Gold, seit 1990 Ehrensenatorin der Universität Hamburg, Gegnerin des Nationalsozialismus


Siehe auch: Albert-Schweitzer-Ring, Tonndorf, seit 1975: Albert Schweitzer (1875–1965), Arzt, Theologe, Kulturphilosoph

Siehe auch: Bernadottestraße, Ottensen, seit 1948: Folke Bernadotte, Graf von Wisborg (1896–1948 ermordet), Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes, Vermittler der Vereinten Nationen in Palästina

Aufgewachsen in einer Familie aus dem Bildungsbürgertum (der Vater Direktor einer höheren Mädchenschule), ging Hiltgunt Margret Zassenhaus nach dem Abitur 1935 für achtzehn Monate nach Dänemark. Anschließend studierte sie an der Hamburger Universität Skandinavistik und wurde 1938 Diplom-Übersetzerin für skandinavische Sprachen. 1938 bekam sie eine Anstellung bei der Hamburger Briefprüfstelle. Ihre Aufgabe war es, alle nach Kriegsbeginn ins Ausland gehenden Briefe zu prüfen. So hatte sie Briefe von polnischen Juden aus den Ghettos zu vernichten, wenn darin Bitten um Essen und Kleidung geäußert wurden. Sie schmuggelte jedoch die Briefe heimlich an die Adressaten.

Als norwegische und dänische Gefangene ins Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel gebracht wurden, wurde Hiltgunt Zassenhaus als Dolmetscherin zur Besuchsüberwachung und Briefzensur von 1254 norwegischen und dänischen Gefangenen verpflichtet. Sie unterstützte heimlich die

Gefangenen, brachte ihnen unter Lebensgefahr Lebensmittel, Briefe und Medikamente ins Zuchthaus und betreute in einem beispiellosen Einsatz „ihre“ Gefangenen auch dann noch weiter, als sie in andere Gefängnisse verlegt wurden.

Hiltgunt Zassenhaus, die 1943 mit einem Medizinstudium begann, erarbeitete auch eine Geheimkartei, die Namen und Informationen von über 1000 dänischen und norwegischen Gefangenen enthielt. Als bei Kriegsende die Gefahr drohte, dass die Gefangenen ermordet werden, übermittelte sie dem schwedischen Roten Kreuz ihre geheime Kartei. Dank dieser Kenntnisse konnte Graf Folke Bernadotte (siehe: Bernadottestraße) diese gefangenen Norweger und Dänen in letzter Minute aus Deutschland herausholen.

Nach Kriegsende setzte sie ihr Medizinstudium fort, emigrierte 1952 in die USA und eröffnete eine Praxis in Baltimore.

Ihr Buch „Ein Baum blüht im November“, in dem sie ihre Erinnerungen aufzeichnete, ist ein Dokument der Menschlichkeit und Zivilcourage. Es erhielt 1981 den Evangelischen Buchpreis. Anlässlich der Verleihung der Hamburgischen Ehrendenkmünze in Gold an Hiltgunt Zassenhaus am 24. Januar 1986 hielt sie eine ergreifende Rede. „Ich erinnere, wie meine Mutter uns die Worte Albert Schweitzers von der Ehrfurcht vor dem Leben erklärte. Doch fand ich damals die Geschichte von dem Tanz um das goldene Kalb so viel spannender und verstand noch nicht, warum mein Vater uns anschließend gefragt hatte: ‚Seht Ihr nun, dass wir den Mut haben müssen, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen?‘ (…) Noch etwas bleibt mir unvergessen: Wenn immer ich versuchte zu helfen, wurde mir geholfen: In jenen Jahren erfuhr ich, welch ungeahnte Kräfte in uns wohnen, wenn wir nur klar erkennen, welchen Weg wir gehen müssen. Schon bald nach dem Krieg verließ ich Deutschland, und oft hat man mich gefragt, warum: Ich wollte einen neuen Anfang. Ich musste vergessen, was ich so unmittelbar erlebt hatte an sinnlosem Leid und Sterben, ja – und auch an mensch­lichem Versagen! Doch bald schon verstand ich, dass meine Lehrzeit nicht zu Ende war. Ich erfuhr nun, dass Hitler nicht mehr lebte, dass aber sein Geist – oder richtiger – sein Ungeist nicht ausschließlich ein deutsches Phänomen gewesen ist. Man findet es überall in dieser Welt, wo immer wir Herz und Sinn verschließen und Mauern errichten aus Hass, Vorurteilen, Unwissenheit und vor allem aus Gleichgültigkeit. Ich persönlich kann auch heute nur der Stimme meines Gewissens folgen bei der Suche nach einem Weg zur friedlichen Co-Existenz unserer Menschheits-Familie. Ich kam als Deutsche auf die Welt, und jetzt bin ich Amerikanerin, aber die Staatsbürgerschaft meiner Wahl ist es, ein Mensch zu sein.

Die großen unvergessenen Augenblicke des Lebens sind die, in denen wir zueinander finden. Dazu muss ich Ihnen von einem Erlebnis berichten aus der Zeit, der wir heute hier gedenken. Ich hörte davon an einem Weihnachtstag mitten im Krieg, als ich norwegische Gefangene im Zuchthaus besuchte. Einer der Norweger teilte seine Zelle mit einem anderen Gefangenen; der hatte einen gelben Stern auf seiner Zuchthaustracht, denn er war Jude. Sonst unterschied sie nichts; sie waren von unbestimmbarem Alter, das Gesicht von Hungerödemen geschwollen und die Beine voller Geschwüre, so dass sie kaum gehen konnten.

Es war Heiligabend; sie saßen eingeschlossen in ihrer Zelle und warteten, denn heute an diesem besonderen Tage würde es eine Extra-Scheibe Brot geben! Endlich ging die Klappe herunter, doch hindurch kommen nicht zwei Scheiben, sondern nur eine, und dazu die Stimme des Gefängnisbeamten: ‚Also die ist für Dich, Norweger. Der Jude bekommt nichts. Der hat Deinen Jesus umgebracht!‘ Die Klappe geht zu – und in der Stille des Heiligabends nimmt der Norweger seine Scheibe Brot, bricht sie in zwei Hälften und teilt sie mit dem Gefangenen mit dem gelben Stern. Der bricht in Tränen aus und fragt: ‚Warum gibst Du mir das?‘ Der Norweger antwortet: ‚Weil Du mein Bruder bist.‘

Ich glaube, das ist der Weg, den wir als Menschen gehen müssen. Es kann dem Staat nicht überlassen bleiben, was in uns selbst wachsen muss. Zu oft glauben wir, dass wir als einzelne machtlos sind, wo ich doch weiß aus eigenem Erleben, dass letztlich unsere Gedanken und unser Tun die Geschichte der Menschheit schreiben. In jedem von uns sind ungeahnte Möglichkeiten zum Guten oder zum Bösen. Es ist an uns zu entscheiden, ob wir sie in den Dienst des Lebens stellen.“ 1)