Rudolf-Kinau-Allee
Finkenwerder (1977): Rudolf Kinau (23.3.1887 Finkenwerder - 19.11.1975 Hamburg-Finkenwerder), Schriftsteller, Mitarbeiter beim Rundfunk.
Siehe auch: Gorch-Fock-Wall
Rudolf Kinau war der Bruder von Johann Wilhelm Kinau (alias Gorch Fock). Er war in erster Ehe verheiratet mit Julie Dietz (gest. 1960). Die Ehe blieb kinderlos. In zweiter Ehe war er verheiratet mit Maria Haller. Das Paar bekam zwei Kinder.
Rudolf Kinau diente sich den Nationalsozialisten an. Er war „‘nicht ein Großtäter, aber ein aktiver Mitläufer‘ der Nazis gewesen, sagt Reinhard Goltz, Leiter des Instituts für Niederdeutsche Sprache in Bremen. ‚Er hat keine Möglichkeit ausgelassen, sich den Herrschenden anzudienen.‘ Goltz erinnert an Kinaus völkische Radiovorträge und daran, dass Kinau mit anderen dazu aufrief, den SA-Treueschwur ins Plattdeutsche zu übersetzen.“ 1) Zur 700-Jahrfeier von Finkenwerder, deren Schirmherrschaft die NSDAP übernommen hatte, schrieb Rudolf Kinau das Stück „Wir marschieren mit der neuen Zeit“
Kay Dohnke schreibt in seinem Aufsatz „‘Ik stäk dei Fahn ut‘ Verhaltensweisen niederdeutscher Schriftsteller im Nationalsozialismus“ über Rudolf Kinaus Verhalten im Nationalsozialismus: „Es gibt keine Zweifel: mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft spürten Niederdeutsche Bewegung wie plattdeutsche Literaten Morgenluft. In einer Vielzahl von Äußerungen bekundeten sie freudige Zustimmung und hohe Erwartungen an die künftige Kulturpolitik (…). Hugo Sieker stellte das ‚Jahr der nationalen Erhebung‘ sogar als Kulminationspunkt der gesamten niederdeutschen Bewegung dar (…). Neben diesen offiziellen bzw. offiziösen Verlautbarungen entschlossen sich – soweit heute feststellbar: ohne Zwang – auch plattdeutsche Schriftsteller, ihre Sympathien mit den zu erwartenden Änderungen in Politik und Kultur publik zu machen, so der aufgrund seiner Bekanntheit als Integrationsfigur anzusehende Rudolf Kinau (‚uns‘ Hus is fein in de Reeg.‘ Kinau 1933).“ 2)
Rudolf Kinau gehörte zu den wenigen plattdeutschen Berufsautoren. Diese, so Kay Dohnke weiter, „konnten allein schon aus wirtschaftlichen Gründen den Bedarf an system-affirmativen Texten nicht grundsätzlich ignorieren, wenn es auch (…) andere Möglichkeiten einträglicher literarischer Produktion gab. Insofern darf etwa bei der Betrachtung von Rudolf Kinaus ideologischem Engagements die ökonomische Komponente nicht alleiniger Maßstab (und damit Rechtfertigungsgrund) für seine bereitwillige und vielgestaltige Kooperation mit den Nazis sein. Gerade die frühen Verlautbarungen von Autoren wie Funktionären lassen noch verhältnismäßig direkte Einschätzungen ihrer politisch-ideologischen Standorte zu, da die Zensur- und damit Lenkungsmaßnahmen späterer Jahre noch nicht ausgebaut waren und der äußere Anpassungsdruck relativ gering veranschlagt werden kann (…).“ 3)
Rudolf Kinau trat auch oft bei kulturellen Veranstaltungen der NSDAP und ihrer Organisationen auf. Dazu Kay Dohnke: „Es zeigt sich: plattdeutsche Schriftsteller waren schon früh rege an kulturellen Veranstaltungen der NSDAP beteiligt und gliederten sich in die Selbstinszenierungspraxis der Nationalsozialisten ein., Inwieweit sie sich ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – darum bemühten, ist ebensowenig geklärt wie die Frage, ob seitens der NSDAP aus populistischen Erwägungen gezielt angesehene Autoren mit zugkräftigen Namen umworben wurden. Von einem Zwang zur Mitarbeit ist angesichts der großen Präsenz prominenter Schriftsteller und dem Fehlen anderer, weniger bekannter Autoren jedoch nicht auszugehen.“ 4)
Rudolf Kinau verfasste nicht nur eine große Anzahl von Büchern, er war auch im Rundfunk zu hören, so zum Beispiel in den Sendereihen "Fief Minuten gooden Wind", "Sünnschien up `n Weg" und "Hör mal`n beten to". Zu seiner Rundfunkarbeit während der Zeit des Nationalsozialismus äußert Kay Dohnke: „Hinsichtlich seiner Rundfunkarbeit könnte sich Kinau aus wirtschaftlichen Gründen zu Zugeständnissen gezwungen gesehen haben. Sein Entwurf zur Übertragung des SA-Treueschwurs muß aber als freiwilliger Beitrag gewertet werden. (…)“5) Kinau hatte eine plattdeutsche Version des SA-Treuschwures verfasst.
Reinhard Goltz hat sich in seinem Aufsatz „Der Gott der Heimat, der beste Kamerad und der geschaßte Gewerkschafter“ mit den drei Kinau Brüdern beschäftigt und somit auch mit Rudolf Kinaus Verhältnis zum Nationalsozialismus. Er kommt zu dem Schluss: Kinau: „(..) kannte keinerlei Hemmungen, wenn es darum ging, seine Arbeiten publikumswirksam und gemäß der herrschenden politischen Strömung und Stimmung zu verkaufen. (…) Rudolf Kinau und mit ihm zahlreiche Funktionsträger und Autoren in der niederdeutschen Kulturszene, verband handfeste Hoffnungen mit der Machtübergabe an die Nazis. In der ihm eigenen bildhaften Sprache weist er immer wieder auf die veränderten, aus seiner Sicht eindeutig verbesserten Bedingungen hin. (…) Von hier aus war für Kinau der Weg nicht weit, sich offen in den Rahmen und den Dienst nationalsozialistischer Organisationen zu stellen: (…) Seine willfährige Einreihung in die Bewegung, von der er glaubte, daß sich seine Vorstellungen von Volkstumsarbeit in ihr und mit ihr Ausdruck finden würden, ist (..) augenfällig. Zahlreiche seiner Lesungen waren organisatorisch an NS-Einrichtungen angebunden. (…)“ 6)
Deshalb ist es, so Reinhard Goltz, „letztlich auch von untergeordneter Bedeutung, ob Kinau Mitglied der NSDAP war oder ob (wie er selbst später erklärte) eine solche direkte Verbindung nicht bestand. Entscheidend ist doch die grundlegende Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung im faschistischen Staat, eine Haltung, die sich als explizit unpolitisch versteht und die durchaus nicht untypisch für das Mitläufertum in Massenbewegungen ist. (…)“ 7)
Laut seines Entnazifizierungsfragebogens trat Kinau nicht der NSDAP bei. Er war von 1940 bis 1943 Mitglied der NSV, von 1940 bis 1945 Mitglied im Reichskolonialbund und Mitglied der Reichskulturkammer von 1936 bis 1945. Am 1.9.1942 zeichnete ihn die Reichskulturkammer für seine kulturelle Leistung mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Kl. aus. 8)
Reinhard Goltz macht hinsichtlich der Bewertung von Kinaus Einbindung in das NS-Systems darauf aufmerksam, dass: „(…) unmißverständlich herausgestellt werden [muss], daß heutige Wertungen mit Vorsicht und Bedacht vorgenommen werden müssen. Denn bei aller fragwürdigen Moral und bei allen eindeutig nationalsozialistisch ausgerichteten Zusammenhängen, in die seine Publikationen sich einreihen, fällt auf, daß Rudolf Kinau Wörter wie Juden oder Rasse – und damit höchst akute Themenbereiche – vermied. Anders als die Mehrzahl der während der Nazi-Zeit besonders erfolgreichen (plattdeutschen) Autoren beschränkte er sich gänzlich auf eine Innenschau: beschrieben wird das Verhalten in der abgeschlossenen eigenen Gruppe, Außenstehende bleiben unerwähnt, Übergänge in die Außenwelt sind nicht vorgesehen. Daß dieses Verhalten keineswegs als unpolitisch zu werten ist, braucht an dieser Stelle nicht besonders betont zu werden. Aber es zeigt auch, daß Kinaus Anpassungsbereitschaft offenbar doch Grenzen gesetzt waren.“ 9)
Am 6. November 1945 verfasste Rudolf Kinau im Rahmen seiner Entnazifizierung einen Text mit dem er seine Einstellung zum Nationalsozialismus verdeutlichen wollte. Der Text liegt liegt seinen Entnazifizierungsunterlagen bei und ist nicht an jemanden adressiert: „Ich bin am 23.3.1887 auf der Insel Finkenwärder bei Hamburg geboren, habe dort acht Jahre lang die Volksschule besucht, bin zwei Jahre als Knecht bei einem Elbfischer gewesen, und vier Jahre als Junge und als Bestmann bei einem Seefischer, habe dann Steuermannsexamen gemacht, habe ein Jahr (von 1908-1909) bei der Marine gedient, und bin dann als Schreiber (Kontorist) in eine Hamburger Fischfirma eingetreten, wo ich – mit Unterbrechung durch den Krieg (1914-18) – bis zum Frühjahr 1931 blieb. Dann machte ich mich von der Fischfirma frei und legte mich ganz auf das Geschichtenschreiben und Vorlesen. Seit Herbst 1932 wohne ich als freier Schriftsteller und Erzähler auf Finkenwärder.
Meine erste plattdeutsche Kurzgeschichte schrieb ich im Sommer 1910, als Nachruf für meinen gefallenen Bruder Johann Kinau (Gorch Fock). Dann kamen in rascher Folge meine plattdeutschen Bücher: 1917 ‚Steernkiekers‘, 1918 ‚Blinkfuer‘, 1919 ‚Thees Bott‘, 1920 ‚Lanterne‘, 1921 ‚Strandgoot‘, 1923 ‚Muscheln‘, 1925 ‚Dörte Jessen‘, 1927 ‚Hinnik Seehund‘, 1932 ‚frische Fracht‘.
Neben dem Schreiben und Dichten lief während der ganzen Zeit auch schon das Vorlesen und das freie Erzählen aus diesen Büchern. Die Einladungen dazu kamen aus allen Kreisen und Schichten. Am 14.9.1918 hatte ich meinen ersten Erzählabend in Cuxhaven (Guttemplerloge), und am 30.1.1933 – am Tage der ‚Machtergreifung‘ durch die Nazis – hatte ich meinen 1015. Abend in Bergen bei Celle (Vaterländischer Frauenverein).
Mit Politik hatte ich mich nie befaßt. Auch gegen die neue ‚Partei‘ blieb ich mißtrauisch und ablehnend. An den Wahlen hatte ich mich nicht beteiligt oder hatte mit ‚nein‘ gestimmt. Ich wollte keine fremde, süddeutsche Diktatur, ich wollte als norddeutscher Fischersohn ein freier Mensch und ein Freund der Seefahrt bleiben. – So vermied ich so lange es nur ging den fremden ‚deutschen Gruß‘. So setzte ich bis zum letzten Tage, an dem noch beide Flaggen gezeigt werden durften, immer nur die als ‚norddeutsche‘ Flagge, schwarz-weiß-rot. – Und so lehnte ich auch die ersten Einladungen der Hamburger ‚Ortsgruppen‘, ihnen einen niederdeutschen Abend zu geben, schlankweg ab. Erst als mir versichert wurde, daß ich ganz wie bisher – ohne jede Einschränkung und Abänderung – nur meine kleinen humorvollen und unpolitischen Geschichten erzählen dürfte, willigte ich zögernd ein. Am 11.8.1933 las ich das erste Mal auf der ‚Ortsgrumme Dammthor‘ aus meinen Büchern. Nach und nach kamen nun immer mehr Anfragen und Einladungen auch aus den Gliederungen der Partei, und ich gab – wenn auch nur ungern und widerwillig – nach. Blieb aber immer bei meinem Grundsatz: ich habe mit der Partei und mit der Veranstaltung weiter nichts zu tun, ich erzähle nur – als bezahlter Unterhalter – meine eigenen kleinen Geschichten.
Im Sommer 1934 bekam ich auf Veranlassung des Reichssenders Hamburg, bei dem ich vor und nach der ‚Machtübernahme‘ in zahlreichen Hörfolgen und Hörspielen mitgewirkt hatte, eine Einladung aus Berlin, an einem Sommerlager der Reichsjugendführung in Landeck (Baden) teilzunehmen. Ich schrieb sofort zurück, ich wäre 47 Jahre alt und gehöre weder der H.J. noch der Partei an, - erhielt aber umgehend schriftlich von Berlin und fernmündlich aus Hamburg den Bescheid: ich möchte doch wenigstens ein paar Tage als Gast und als vollkommen freier Mann zu ihnen kommen. – Ich ließ mich – hauptsächlich durch das Zureden von Dr. Böttcher (am Reichssender Hamburg) breitschlagen und fuhr für fünf Tage nach Landeck. – Aber auch diese fünf Tage bei den damaligen ‚Leitern des Kulturamtes der Hitler-Jugend‘ bestärkten mich nur in meiner Ablehnung der Partei und in meiner bangen Vorahnung: Unsere Jugend steuert unter Adolf Hitler einen gefährlichen, einen falschen Kurs, und muß – früher oder später – irgendwo an den Klippen stranden.
Hellwach kam ich nach Hause und nahm mir fest vor, diese deutsche Jugend von nun an zu warnen und wieder auf den rechten Weg zu helfen, damit sie bei all ihrer Begeisterung für das verlockende Neue doch eine heilige Ehrfurcht für das gute und gesunde Alte und einen klaren Blick für die gefahrvolle Zukunft behält.
So entstanden meine hochdeutschen ‚Morgenfeiern‘ mit den tiefen und ernsten Fragen: ‚Könnt Ihr noch beten? – Wißt Ihr, was Heimweh ist? – Wißt Ihr, was Arbeit bedeutet? – Kennt Ihr den wahren Wert des Lebens? – Habt Ihr auch im Kleinen den richtigen Mut? – Könnt Ihr neben dem Befehlen auch wirklich gehorchen? – Wißt Ihr, was Kameradschaft fürs Leben bedeutet‘? Und mit den vielen versteckten Ermahnungen: ‚Achtet auf den Weg! – Bleibt einfach und schlicht! – Hört auf Eure Eltern!‘
Diese kleinen Ansprachen in den sogenannten Morgenfeiern fanden überall großen Anklang, am meisten wohl bei den stillen Gegnern der Partei. Viele Freunde und Bekannte haben damals meinen Mut bewundert, daß ich der ‚Hitler-Jugend‘ so frei und offen ins Gewissen reden mochte. Viele Eltern haben sich bei mir bedankt: ‚Endlich einer, der unsern Kindern mal wieder die Wahrheit sagt!‘ - - Aber auch die Jugend selbst – besonders wohl die wirklich gesund und rein gebliebene Jugend horchte auf und verlangte nach mehr von diesen Dingen.
Im Frühjahr 1939 wurden neun meiner Ansprachen zu einem kleinen Band ‚Kamerad und Kameradin‘ zusammengefaßt. Im Sommer 1940 folgte ‚Ein fröhlich Herz‘. – Beide Bücher erlebten trotz des Krieges ein e hohe Auflage, obwohl sie beide keine Kriegsbücher sind und – wie ihr Verfasser – innerlich gegen den Nationalsozialismus stehen.
Während des Krieges 1939 bis 1945 habe ich auch weiterhin in fast tausend Veranstaltungen – besonders in Nordwestdeutschland – den Soldaten Unterhaltung und Besinnung, den verwundeten Trost und Erbauung, und der Jugend Anregung zum Besinnen und zum Nachdenken gebracht.
In den letzten fünf Monaten des Krieges war ich noch selber wieder zur Marine eingezogen und machte in Wilhelmshaven ‚Wehrbetreuung‘ - - immer noch und immer wieder: nur mit meinen eigenen Kurzgeschichte.
Mein sehnlichster Wunsch nach dem Zusammenbruch der mir so fremden ‚N.S. – Weltanschauung‘ war und bleibt:
Wieder mithelfen zu dürfen am Aufbau
Einer einfachen und echten Kultur.“ 10)
Am 23.6.1947 teilte der Fachausschuss Nr. 7 für die Ausschaltung von Nationalsozialisten mit, dass Kinau politisch unbelastet ist. 11)
Rudolf Kinau schrieb 33 Bücher, auch Hörspiele und Theaterstücke. 1962 erhielt er den Fritz-Reuter-Preis und 1973 wurde ihm das große Bundesverdienstkreuz verliehen.