Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Arie-Goral-Platz

Rotherbaum (2019): (16.10.1909 Rheda – 23.4.1996 Hamburg), jüdischer Dichter, Schriftsteller, Journalist, Maler, Friedensaktivist in Hamburg aufgewachsen, 1934 nach Palästina geflüchtet, 1952 nach Hamburg zurückgekehrt; neben vielen anderen Verdiensten ist ihm 1982 die Errichtung des neuen Heinrich-Heine-Denkmals auf dem Rathausmarkt zu verdanken; Verfolgter des Nationalsozialismus


Siehe auch: Mendelstraße

Der Arie-Goral-Platz ist ein kleiner Verkehrskreisel, auf den die Straßen Grindelhof, Hartungstraße und Rutschbahn zulaufen. Das mag man kritisieren und fordern, dass nach Arie Goral eine größere Verkehrsfläche hätte benannt werden sollen. Doch dann hätte sicherlich nicht dort in der Unigegend, wo er gewirkt hat und wo man ihn sah und kannte, eine Straße nach ihm benannt werden können, sondern nur außerhalb in Neubaugebieten, wo durch den Bau neuer Straßen auch neue Straßennamen zu vergeben sind.

Arie Goral – geboren als Walter Lovis Sternheim - war der Neffe des Hamburger Senators Max Mendel, nach dem in Hamburg die Mendelstraße benannt ist.

Arie Goral „wuchs in Hamburg-Hamm auf, Lebensmittelpunkt der (jüdisch-jugendbewegten) Jugend war das Hamburger Grindel-Viertel. In seiner Jugend schloß er sich der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung an. Ausbildung zum landwirtschaftlichen Arbeiter im Kibbuz Cherut bei Hameln, Lehrling in einer kaufmännischen Firma, Praktikum in der Buchabteilung eines Kaufhauses. 1933 Auswanderung nach Frankreich, 1934 nach Palästina. Unter seinen verschiedenen Tätigkeiten – im Kibbuz, als Bademeister am Toten Meer – wurde die Beschäftigung als Museumsassistent in Tel Aviv für seine Zukunft prägend. Über Italien, wo er ab 1950 Kunst studierte, 1953 Rückkehr nach Hamburg, wo er als Schriftsteller, politischer Aktivist, Maler, Kunsterzieher, Sammler und Galerist lebte (…)“, heißt es im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren 1) Und in der Goral-Sternheim-Biographie des Archivs des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Stand: Mai 2000) ist über Arie Gorals Lebensweg nachzulesen:
„1916-1925: Schulzeit in Lemgo und Hamburg. Wegen schwerer Kriegsverletzung des Vaters, großer Not in Hamburg und besserer Verpflegungslage in Lemgo Aufenthalt dort bei der Familie des Onkels Adolf Sternheim. Später Besuch der Realschule vor dem Lübecker Tor in Hamburg. Abschluss Mittlere Reife 1925.
(…)..
1927: Ausbruch aus dem Elternhaus nach Berlin, Arbeit als Zeichner in der Konfektionsbranche, Fa. J. Podeschwa. Teilhabe am Berliner Kulturleben, (…). in der Nähe Berlins. Entscheidung, von Berlin wegzugehen und Mitglied des Kibbuz ‚Cheruth‘ bei Hameln zu werden.
1928-1932: Arbeit in bäuerlichen Klein- und Mittelbetrieben zwecks Berufsumschichtung (Ziel: Emigration Palästina) (…).. Zwischenzeitlich Arbeit als Anleiter auf einem Ausbildungsgut (Zossen oder Lehnitz) in der Nähe von Berlin sowie bei Hamburg (Gut ‚Schwanheide‘ der Genossenschaft ‚Produktion‘, einer Gründung seines Onkels Max Mendel). (…).
1932: Rückkehr nach Hamburg, Arbeit in der Buchabteilung des Kaufhauses Herrmann Tietz Alsterhaus). Gasthörer in Vorlesungen über Kunst und Soziologie. Lektüren in der damaligen Warburg-Bibliothek.
(…) 2.8.1934: Heirat mit der Malerin Anna Szmajewicz aus Danzig (geb. 1916) in Paris. 28.10.1934: Ausstellung eines 'Immigration Certificate' für Goral und seine Frau durch das ‚Government of Palestine‘ für die Einwanderung nach Palästina bis spätestens Juni 1935 (…).
24.12.1934: Auswanderung nach Palästina.
(…) Tod des Vaters am 25.1.1936 (Aplerbek/Dortmund-Hörde). Geburt des Sohnes Gil, Tod im folgenden Jahr.
4.12.1941: Deportation der Mutter aus Hamburg nach Riga, wo sie ermordet wird.
(…). 1942-1944: Veröffentlichungen von Lyrik in deutscher Sprache.
(…). Scheidung der Ehe mit der Malerin Anna Szmajewicz, Jerusalem, 13.9.1944.
(…) 1950: Vor die Wahl gestellt, sich in Israel anzusiedeln oder eine Europareise zu machen, entscheidet sich Arie Goral, wie er sich nunmehr nennt, für die Reise in das Land der Malerei, Italien.
(…).1954: Dozent bei den ersten Seminaren für jüdische Jugendarbeit vom Zentralrat der Juden in Deutschland. (…). Planung und Leitung der Ausstellung ‚Musische Erziehung in Heimen‘ in Hamburg. (…).
1955: Beginn kontinuierlicher Jugendarbeit in der Stadt. Im Herbst erstmalige Veranstaltung der Arbeitswoche ‚Zeichnen, Malen, Formen‘ in Zusammenarbeit mit dem Amerikahaus Hamburg. Fortsetzung mit Unterstützung der Stadt und des Jugendwerks der deutschen Shell bis 1963. Entwickelt daraus Arbeit mit Erziehern aus Heim- und Schulkindgruppen, die zur Gründung mehrerer Studios in den nächsten Jahren führt. Anstellung als Kunsterzieher am sozial-pädagogischen Institut der Universität. Lernt seine spätere Frau Eva Peters kennen, die ihn bei zahlreichen seiner Aktionen begleitet und unterstützt. Wohnt Bornstraße Nr. 22, ‚... in einem schmalen, dunklen Zimmer, vollgestopft mit Koffern, Farben, Pinseln, Leinwänden, Bildern und einer Staffelei. In dem ganzen Haus wohnten überlebende Juden, vereinzelte, verängstigte Menschen, ängstlich auch voreinander. Ein stilles Haus‘ (E. Spoo).
(…). 1958. (…) Im Frühjahr große Demonstration gegen die atomare Aufrüstung auf dem Hamburger Rathausmarkt; bei dieser - wie auch der am 1. Mai - wird das äußere Bild der Veranstaltungen (insbesondere auch in der Medienwirkung) von der antimilitaristischen Plakatkunst des von Goral gegründeten ‚Jungen Studios‘ mitgeprägt.
(…) 1962: Plan einer zweiten Emigration, Kritik an der ‚heuchlerischen christlich - jüdischen Brüderlichkeit‘ und der Rehabilitierung des Altnazis Oberländer. (…).
1963: Der ‚Fall Hofstätter‘, Psychologieprofessor und Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Hamburg, entsteht durch die Anzeige Gorals wegen Verunglimpfung der Opfer des Nationalsozialismus, da Hofstätter sich gegen eine Verfolgung der während des Krieges vom NS-Regime befohlenen Massenmorde ausgesprochen hatte, weil diese ‚als Kriegshandlungen‘ anzusehen seien. Hofstätter - ehemaliger Heerespsychologe, wie Goral enthüllt - führt zur Begründung an, daß die Juden Hitler und seinem Regime ‚den Krieg erklärt‘ hätten.
1964: Übersiedlung nach Berlin. Einrichtung eines Ateliers in der Sybelstraße in der Wohnung seiner späteren Frau Eva Peters.
1965: Gründung der ‚Galerie Uhu‘ Hamburg, Schrammsweg. Eröffnungsausstellung mit naiver Malerei der Hamburger Volkskünstlerin Grete Schildknecht, die Goral entdeckte. Leben zwischen Berlin und Hamburg mit Wohnsitzen in beiden Städten.
1966: Ausweitung und Intensivierung der journalistisch-publizistischen Tätigkeit und öffentlichkeitswirksamer Aktionen. Anzeige gegen den Herausgeber der ‚Nationalzeitung‘ wegen der Auschwitz-Lüge. Um seinem Protest Nachdruck zu verleihen, postiert sich Goral mit einer Plakatcollage am Eingang vor der Auschwitz-Ausstellung in Berlin. Beobachtung des Prozesses gegen Angehörige des SS-Einsatzkommandos 9 in Berlin. Goral fertigt, wie auch bei allen späteren Prozeßbeobachtungen, ausführliche Mitschriften an.
(…) 1968: Gründung der Hamburger ‚Intergalerie‘, (Hamburg, Bundesstraße), in der Goral in den folgenden Jahren politische Plakatkunst aus dem In- und Ausland sowie zeitkritische Grafik und Malerei zeigt. Durchführung von Diskussionsveranstaltungen zu Themen der Linken und jüdischen Themen in Zusammenarbeit mit der ‚Gruppe demokratischer Widerstand‘. (…) Im Oktober Eheschließung mit Eva Peters. Wohnung in Hamburg Winterhude, Semperstraße.
1969: Zahlreiche Initiativen gegen das Wiedererstarken der NPD. (…)
Kritische Reflexionen zu Gepflogenheiten der deutschen Linken: ‚Man monologisiert Solidarität, um gleichzeitig den nächsten Genossen von dieser Solidarität auszuschließen.‘ (Flugblatt: ‚Liebe Genossen‘ – ‚... und weiß nicht einmal, ob ich Euch als Genosse lieb bin.‘) (…).
1972: Teilnahme an der Ausstellung ‚Engagierte Kunst‘ im Kunsthaus Hamburg. Engagement im ‚Berufsverband bildender Künstler‘. (…) Starkes Engagement und Gremienarbeit im ‚Bundesverband Bildender Künstler‘, der neue Regelungen für die Verteilung von öffentlichen Aufträgen formuliert und Fragen nach der sozialen Sicherung und Altersversorgung der bildenden Künstler aufwirft (…).
1974: Die von Goral gegründete Arbeitsgruppe ‚Engagierte Kunst‘ im Kunstverein Hamburg initiiert eine Auseinandersetzung um den gegenwärtigen Status und die Geschichte der ‚engagierten Kunst‘. Unter Bezugnahme auf die ‚ASSO‘ (Assoziation Revolutionärer Künstler Deutschlands der 20er Jahre) werden Thesen und Konzepte zur Rolle der Kunst bei der Entwicklung eines ‚gesellschafts- und zeitkritischen Bewußtseins in der Öffentlichkeit‘ reflektiert. (…).
1975: Der Hamburger Kunstverein zeigt eine ‚Retrospektive Willi Sitte‘, dessen dem ‚Sozialistischen Realismus‘ zugerechnete Arbeiten Goral schon sechs Jahre früher in seiner Intergalerie ausgestellt hatte. Als der Vorwurf einer ‚linken Unterwanderung‘ des Kunstvereins laut wird, entfacht Goral mit zahlreichen Flugblättern und einer selbsterstellten Dokumentation, wie sie für seine Initiativen der nächsten Jahre so typisch sein wird, eine Kontroverse um die ‚Autonomie der Kunst‘, Linkenhatz und hanseatisch-selbstgefällige Kulturinszenierungen. (‚Kunstverein in Krähwinkel‘). Über 30 prominente Hamburger, unter ihnen Altbürgermeister Herbert Weichmann, [Herbert-Weichmann-Straße] Erich Lüth und Bruno Snell, erklären öffentlich ihren Austritt aus dem Kunstverein, der in die schwerste Krise seiner 158jährigen Geschichte gerät. (…).
1981: Goral wendet sich öffentlich gegen die Kennzeichnung Hamburger Busse mit den Buchstaben ‚HH-KZ‘. Er stellt Strafanzeige gegen die Hamburger Hochbahn, die diese Buchstaben an über 220 Bussen verwendet hatte. Nach einem großen Echo in der Presse untersagt der Senat die Verwendung der Kennzeichnung. (…) 1982: Der Hamburger Senat ehrt Arie Goral im Mai durch die Überreichung der ‚Biermann-Ratjen-Medaille‘. Im Dezember - gleichfalls vom Senat - zum Stipendiaten des Alexander-Zinn-Preises bestimmt. (…).
1983: Beteiligung Gorals an der Umbenennung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg in ‚Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky‘. (…). Beginn der Zusammenarbeit mit der Künstlerin Mechti Horz-Benson, [7.11.1947-21.9.2016 Hamburg] die gemeinsam mit ihm in den folgenden Jahren zahlreiche seiner Initiativen und Aktionen angeht und für viele seiner Blätter und Ausstellungsobjekte Signets und Illustrationen erstellt.
1984: (…) Goral protestiert in scharfer Form gegen P. Zadeks Inszenierung des Stücks ‚Ghetto‘ am Deutschen Schauspielhaus, in dem Szenen des Holocaust im Musical-Stil arrangiert sind. Er stört die Aufführungen und attestiert dem Publikum in Flugblättern und Artikeln ‚moralische und intellektuelle Verkommenheit‘. (…) .
1988: Protest gegen antiisraelische Demonstrationen, die in einer großangelegten Kampagne zu Waren- und Reiseboykott aufrufen. (…).
1989: Anläßllich des 80sten Geburtstags Ausstellung von Ölbildern, Gouachen, Aquarellen und Radierungen im Hamburger Institut für Sozialforschung. (…) Protest gegen Art Spiegelmans ‚Maus‘ (Holocaust als Comic-Strip). (…).
1990: Ausstellung ‚Meine Jüdische Bilderwelt - Ölbilder, Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen aus den Jahren 1949 -1979‘ im Jüdischen Museum Rendsburg,
1992: Konflikt um die Überbauung des Jüdischen Friedhofs Altona, Proteste von Juden aus aller Welt. Goral: ‚Mahnung und Menetekel. Der verhängnisvolle Hamburger Friedhofskonflikt.‘ (In: Spiegel Spezial - Juden und Deutsche, 2/1992). (…).
1993: Endgültige Auflösung der Intergalerie in der Bundestraße, Auslagerung und archivarische Sicherung des bedeutenden Bestands an politischen Plakaten.
1994: Ausstellung ‚Hinterlassene Signaturen der Linken - Plakate, Pamphlete, Flugblätter‘ im Hamburger Institut für Sozialforschung. (…).
1995: Rundfunkinterviews; Teilnahme an Gedenkveranstaltungen auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme. Diskussion mit Schülern im Unterricht, filmisch dokumentiert von Jörg Stange.
(…) Tod am 23. April 1996 in Hamburg.“ 2)

Eva Sternheim-Peters
Arie Goral war seit 1968 mit der Lehrerin, Psychologin und Autorin Eva Peters (geb. 25.3.1925 Paderborn - 13.4.2020 Berlin, gestorben an Covid 19 während der Covid 19 Pandemie) verheiratet gewesen. Nach der Heirat nannte sich Eva Peters: Eva Sternheim-Peters. In ihrem Wikipedia-Eintrag heißt es über sie: „Nach dem Abitur an der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Paderborn war Eva Sternheim-Peters 1943/44 in einem Kinderhort beim Reichsarbeitsdienst und in einer Volksküche der Nationalsozialistische Volkswohlfahrt beschäftigt. Danach immatrikulierte sie sich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena für Germanistik, Geschichte und Biologie. Sie leistete 1944/45 in Paderborn Kriegshilfsdienst und arbeitete als Straßenbahnschaffnerin, bis die Luftangriffe auf Paderborn die Stadt zerstörten. Danach floh sie aufs Land. 1947 begann sie ein Lehrerstudium an der Pädagogischen Akademie (…) in Bonn. Nach der ersten Lehramtsprüfung (1949) und einem Studienaufenthalt in Tübingen war sie ab 1950 Lehrerin an einer praktischen Oberschule in Hamburg. Von 1952 bis 1954 studierte sie an der Universität Hamburg Psychologie. Nach dem Vordiplom war sie von 1954 bis 1960 wieder Lehrerin in Hamburg. [1955 lernte sie Arie Goral am sozial-pädagogischen Institut der Universität Hamburg kennen.] Mit einem Stipendium der Victor Gollancz-Stiftung setzte sie 1960 das Psychologiestudium in Hamburg fort. Nach dem Hauptdiplom ging sie 1963 als Dozentin für Psychologie, Pädagogik, Heilpädagogik und Geschichte der Pädagogik an das Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin. Sie erhielt 1973 einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Bielefeld. In Berlin-Frohnau arbeitete sie ein Jahr in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Für Jugendämter und die Jugendgerichtshilfe erstellte sie Gutachten. Von 1977 bis 1982 war sie wissenschaftliche Assistentin am Soziologischen Institut der Freien Universität Berlin. In jener Zeit schrieb sie das Buch über ihre Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus, das 1987 veröffentlicht wurde.“ 3) In dieser Zeit gab sie auch Seminare zum Thema „Alltagsleben von Frauen und Mädchen im Faschismus“, denn sie setzte sich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus intensiv mit der Frage auseinander, warum sie sich für den Nationalsozialismus hatte begeistern können. In ihrem Buch „Habe ich denn allein gejubelt? – Eine Jugend im Nationalsozialismus“, zuerst erschienen 1987 unter dem Titel: „Die Zeit der großen Täuschungen. Mädchenjahre im Faschismus“, beschreibt Eva Sternheim-Peters ihre jugendliche Begeisterung für das Hitler-Regime. Manfred Stienecke befragte sie 2013 dazu für das Westfälische Volksblatt: „Ihre jugendliche Begeisterung für den ‚Reichsführer‘ Adolf Hitler begründete die rüstige Seniorin mit den schon im Alltag sichtbaren Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation. Die vielen Arbeitslosen, die Anfang der dreißiger Jahre auch in Paderborn das Straßenbild bestimmten, seien zusehends wieder in Arbeit und Brot gekommen. ‚Bei uns zu Hause hat es in der Weimarer Zeit täglich bis zu zehn Mal geklingelt - das waren Arbeitslose, die bettelten‘, erzählt Sternheim-Peters. Die Nationalsozialisten hätten es in der Folgezeit geschafft, durch staatliche Arbeitsmaßnahmen die Leute von der Straße zu holen. (…) ‚Es machte sich ein allgemeines Gefühl der Sicherheit breit. Die Mehrheit der Bürger war von der Regierung und auch dem dann folgenden Krieg überzeugt.‘ Selbst die Nürnberger Gesetze von 1934, die den Juden die Bürgerrechte entzogen, seien begrüßt worden. (…). Sie selbst habe auf Grund der Propaganda Juden immer ‚mit einer Mischung aus Mitleid und Grauen angeschaut‘, bekannte Sternheim-Peters, (…) Wann ihr selbst denn Zweifel am NS-System gekommen seien, wurde Sternheim-Peters gestern im Pelizaeus-Gymnasium gefragt. Einer direkten Antwort wich die Autorin aus. ‚Ich kenne niemanden, der sich 1945 befreit gefühlt hat. Der verlorene Krieg wurde als nationale Katastrophe empfunden.‘ Auch den Holocaust habe sie erst nach dem Krieg in seiner ganzen Tragweite begriffen. ‚Die ersten Meldungen über Konzentrationslager im Osten haben wir lange nicht geglaubt. Das waren für uns ausgedachte Gräuelmärchen. In meiner Jugend gab es Auschwitz nicht.‘

Eva Sternheim-Peters steht zu ihrer Vergangenheit und distanziert sich ausdrücklich von manchen Mitläufern ihrer Generation, die nach der Kapitulation versucht hätten, sich als heimliche Nazi-Gegner auszugeben. (…).“4)
Als Eva Sternheim-Peters ihr Buch schrieb, lebte sie von Arie Goral schon getrennt. In einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ sagte sie dazu: „‘Sonst hätte ich nie Zeit zum Schreiben gehabt‘, (…). Nüchtern erzählt Sternheim-Peters, sie habe während ihrer Ehe das Geld verdient, sich um den Haushalt gekümmert und ihrem Mann bei seinen Projekten geholfen. Ihn hätte ihre unterschiedlich erlebte Jugend trotz Ermordung seiner Mutter im Holocaust nie interessiert. Dass er ihr Buch gelesen hatte, habe sie nur in seinem Nachlass an Anmerkungen im Text seines Exemplars erkannt. Gesagt habe er nie etwas dazu: ‚Mein Mann hat sich nicht gerne mit anderen beschäftigt.‘“ 5)