Sievekingplatz
Neustadt (1911): Dr. Ernst Friedrich Sieveking (24.6.1836 Hamburg -13.11.1909 Hamburg), Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts.
Siehe auch: Sievekingsallee (nach Karl Sieveking benannt)
Siehe auch: Sievekingdamm (nach Amalie Sieveking benannt)
Siehe auch: Amalie-Sieveking-Weg
In Wikipedia steht über Ernst Friedrich Sieveking: „Ernst Friedrich Sieveking stammte aus der alten Hamburger Kaufmanns- und Juristenfamilie Sieveking. Sein Vater Friedrich Sieveking (1798–1872) war Erster Bürgermeister in Hamburg; sein Großvater Georg Heinrich Sieveking (1751–1799) gehörte zu den bekannten Aufklärern seiner Zeit. (…).“ 1) Siehe zu dem Kaufmann Georg Heinrich Sieveking und dessen kolonialen Bezügen, unter: Sievekingsallee.
Hans Joachim Schröder schreibt über Sievekings Mutter: Über Louise Marianne Johanne von Hennings – geboren im Plöner Schloss am 20. Dezember 1799 –, die Friedrich Sieveking am 16. Mai 1824 in Rantzau (Holstein) geheiratet hatte und die, neben drei Töchtern und drei Söhnen, als jüngstes von sieben Kindern Ernst Friedrich am 24. Juni 1836 in Hamburg zur Welt brachte, ist so gut wie gar nichts Näheres zu erfahren. Dem Hamburgischen Geschlechterbuch ist, von genealogischen Hinweisen abgesehen, lediglich zu entnehmen, dass Ernst Friedrichs Mutter Louise am 18. September 1838 starb, zu einer Zeit, als er selbst etwa zweieinviertel Jahre alt war. Der Vater Friedrich Sieveking heiratete am 3. November 1839 in zweiter Ehe Fanny Hanbury, die bis zum 12. März 1888 lebte, die also der großen Familie über den Tod ihres Mannes hinaus, der am 25. Dezember 1872 starb, noch knapp sechzehn Jahre erhalten blieb. Ernst Friedrich wuchs demnach bei seiner Stiefmutter auf (sie selbst war kinderlos). Es ist auffällig, dass allein in der engsten Sievekingschen Verwandtschaft, wie sie hier in den Blick genommen ist, die Mütter nach den Geburten von Hannchen, Amalie und Ernst Friedrich sehr früh gestorben sind, so dass die Kinder bei stellvertretenden Müttern aufwuchsen.
Dass es im 19. Jahrhundert eine weitaus höhere Sterblichkeit gab als ein Jahrhundert später, ist allgemein bekannt; mit dem hier aufgezeigten Beispiel wird deutlich, wie hoch die Müttersterblichkeit in zurückliegenden Zeiten auch im Bürgertum sein konnte.“ 2)
Ernst Friedrich Sieveking studierte Jura in Göttingen, Leipzig und Jena und war schon mit 21 Jahren promoviert. Ein Jahr später, 1858, ließ er sich als Anwalt in Hamburg nieder. Vier Jahre später, 1862, heiratete er Olga Wilhelmine Amsinck (1842-1922). Hans Joachim Schröder dazu: „Ähnlich wie die Sievekings gehörten die Amsincks zu den ‚ersten Familien‘ Hamburgs. Aus der Ehe gingen zwischen 1866 und 1876 vier Kinder hervor; zwei weitere Kinder kamen 1881 und 1882 zur Welt. Zu den Hochzeitsfeierlichkeiten, auch zum Familienleben, das Friedrich und Olga führten, konnten keine Quellen ausfindig gemacht werden. Lediglich der Traueransprache zum Tod von Olga sind einige Einzelheiten zur Persönlichkeit der Ehefrau zu entnehmen, (…).“ 3)
1874 wurde Sieveking, damals Vater von drei kleinen Kindern, in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt. „Dazu bemerkt Paul Vogt: ‚Er hat dort nur ein einziges Mal gesprochen, und zwar zugunsten eines Postbeamten, dem nach seiner Überzeugung Unrecht geschehen war.‘ Die Zurückhaltung im bürgerschaftlichen Engagement lässt darauf schließen, dass Sieveking sein politisches Mandat eher nur notgedrungen, wenn nicht gar widerwillig übernommen hatte.
Die Vermutung, es sei ein gewisser Widerwille im Spiel gewesen, liegt auch nahe, wenn man in Betracht zieht, unter welchen Umständen Ernst Friedrich Sieveking in den Senat gewählt wurde. (…) Im Anschluss an die Berufung in den Senat, die ihm Bürgermeister Dr. Carl Friedrich Petersen am 23. Mai 1877 anzeigte, geschah (…)‚etwas Unerhörtes. Sieveking fühlte sich durch die Wahl, (…) in hohem Grade beunruhigt.‘ Da man es unterlassen hatte, vorher Fühlung mit ihm aufzunehmen, war man nicht darüber im Bilde, dass ihn die Aussicht, in den Senat aufgenommen zu werden, keineswegs mit Begeisterung erfüllte. Im Gegenteil, Theodor Suse zufolge musste er die Perspektive, seine ‚täglich die Quellen des Lebens berührende Beschäftigung‘ als Anwalt gegen eine Verwaltungstätigkeit eintauschen zu sollen, als ‚geistige Degradirung‘ empfunden haben.
Am 24. Mai schrieb Sieveking dem Bürgermeister einen Brief, in dem er (…) deutlich machte, warum er die Wahl, die anzunehmen er gezwungen war, nur unter erheblichen Bedenken und Vorbehalten gelten lassen konnte: (…) In Artikel 9 der Hamburger Verfassung vom 28. September 1860 war festgeschrieben, dass die Wahl zum Senatsmitglied ‚von dem Erwählten, bei Verlust der staatsbürgerlichen Rechte und des Rechts, in Stadt oder Gebiet ein bürgerliches Gewerbe zu betreiben, angenommen werden‘ musste. Eine solche Festlegung, die den ‚erwählten‘ Senator zwang, seinen Beruf aufzugeben – oder die ihn gezwungen hätte, bei Nichtannahme der Wahl die Stadt zu verlassen –, widersprach dem Rechtsdenken und -empfinden Sievekings zutiefst. (…)“ 4)
Das Senatorenamt, das eigentlich sechs Jahre ausgeübt werden musste, konnte Sieveking bereits nach drei Jahren aufgeben, denn zu dieser Zeit wurde ein Hanseatisches Oberlandesgericht gegründet, für das ein versierter Jurist gesucht wurde, der dem Gericht als Präsident vorstehen konnte. Ernst Friedrich Sieveking nahm das Amt freudig an. Hans Joachim Schröder schreibt dazu: „Im Alter von erst 43 Jahren war Ernst Friedrich Sieveking Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts geworden. Inzwischen siebzehn Jahre lang mit Olga, geb. Amsinck, verheiratet, zählten zu seiner Familie eine Tochter und drei Söhne: Alice, die Älteste, war 1866 geboren; sie heiratete 1884 Eduard Lorenz Lorenz-Meyer (1856–1926), einen Kaufmann und Künstler, (…) In den Jahren 1868, 1871 und 1876 kamen die Söhne Oskar, Alfred und Gustav zur Welt. Später, 1881 und 1882, folgten noch die Tochter Olga und der Sohn Edgar. Der älteste und der jüngste Sohn starben als Soldaten im Ersten Weltkrieg; Alfred und Gustav wurden beide Juristen. Olga heiratete 1905 den Kaufmann Rudolf Hieronymus Petersen (1878–1962), der vom 15. Mai 1945 bis zum 22. November 1946 der Erste Bürgermeister in Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg war.
(…) Das primäre Interesse Sievekings galt dem Handels-, Seehandels- und Seeversicherungsrecht. Seine Rechtsprechung, insbesondere seine Gutachten auf diesem Gebiet verschafften dem Oberlandesgericht bald ein hohes Ansehen.“ 5)
Über Sievekings politische Einstellung äußert Hans Joachim Schröder: „Sieveking, betrachtete sich als ‚Achtundvierziger‘. Das ist als Bekenntnis zur liberalen Tradition der Revolution von 1848 – im weiteren Sinn auch wohl zur aufklärerischen Haltung des Großvaters – zu verstehen, d. h. als ‚politische‘ Äußerung, die sich, erstaunlich genug, mit dem wiederholten Bekenntnis zur Staatskunst Bismarcks [siehe: Bismarckstraße] offenkundig ohne weiteres verträgt. Dem Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts wird ansonsten bescheinigt, er habe sich politisch nicht exponiert. Lediglich einmal, im Jahre 1906, habe er die Kandidatenliste der Vereinigten Liberalen unterzeichnet: er ‚war ein durchaus liberaler Mann und innerlich empört über die Wahlrechtsverschlechterung, welche zahlreichen hamburgischen Bürgern das Wahlrecht verkümmert hat.‘ Die Hamburgische Bürgerschaft hatte 1906 das Wahlrecht ‚für die Mehrheit der Wähler weiter verschlechtert (‚Wahlrechtsraub‘), um die Sozialdemokratie abzuwehren.‘“ 6)
Sieveking starb an einem Schlaganfall in seiner Wohnung Große Theaterstraße 35. „Ernst Friedrich Sievekings Ehefrau Olga, geb. Amsinck, starb in Wentorf bei Hamburg am 19. Oktober 1922. Prüft man den im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrten Sievekingschen Nachlass, soweit er die Person Ernst Friedrichs betrifft, so ist über Olga fast überhaupt nichts zu erfahren. Für sie gilt, was für zahllose Frauen des Bürgertums im 19. und weithin auch im 20. Jahrhundert zutrifft: ‚Leider ist es immer schwierig, die Frauen zu beurteilen, weil man so wenig über ihr Leben erfährt. Wenn irgendwo ein Dokument auftaucht, geht es stets um die Männer. [...] Die Seiten des Lebens, wo die Frauen eine Rolle spielen, werden nahezu ausgeblendet.‘ Immerhin ist die Traueransprache zum Tod von Olga Sieveking, gehalten am 23. Oktober 1922 von Pastor Max Glage (1866–1936), als Durchschlag eines getippten Originals im Staatsarchiv erhalten. Glage charakterisiert Olga als ‚eine Hausmutter im tiefsten Sinne‘ als ‚eine echte deutsche Hausfrau und Hausmutter nach altem Schlage. Die ganze moderne Frauen-Bewegung ist als ein ihrem innersten Wesen fremder Strom an ihr vorüber gerauscht. Sie hat nie den Ehrgeiz besessen, neben ihrem bedeutenden, äusserlich und innerlich hochragenden Gatten eine Rolle vor der Welt zu spielen – wie oft sind die Frauen bedeutender Männer solcher Versuchung erlegen. [...]‘ Glage führt diese Gedanken weiter aus, und man fragt sich, wieweit er mit seiner Kennzeichnung Olga Sieveking wirklich gerecht wird, oder wieweit sein Plädoyer für die Dominanz des Mannes und die völlige Unterordnung der Frau eigenen Wunschvorstellungen entspricht. Die Predigt von Pastor Cordes behält Hand und Fuß, sie findet ihre Beglaubigung durch zahlreiche weitere Zeugnisse. Was Glage dagegen äußert, wirkt zumindest aus heutiger Sicht einigermaßen befremdlich,“ 7) schreibt Hans Joachim Schröder.
„Der Platz vor dem Hamburger Oberlandesgericht, inmitten des Justizforum Hamburg genannten Gebäude-Ensembles mehrerer Gerichte, heißt seit 1912 ihm zu Ehren Sievekingplatz. In der Vorhalle des Oberlandesgerichts erinnert eine Büste an den ersten Präsidenten. Außerdem trägt die Figur des Richters an der Fassade des Hamburger Rathauses ihm zu Ehren Sievekings Züge.“ 8)
Der Sievekingplatz wird in der Liste der Straßennamen mit kolonialen Bezügen geführt. Siehe unter: https://geschichtsbuch.hamburg.de/wp-content/uploads/sites/255/2017/07/AB-SEK-I-Stra%C3%9Fennamen-Projekt-1.pdf
Und siehe auch: www.freedom-roads.de zur Wanderausstellung „Freedom roads! Koloniale Straßennamen.
Sieveking war ein Befürworter der Bismarckschen Politik und setzte sich dafür ein, dass das Bismarckdenkmal erbaut wurde. Dazu heißt es auf der Webmap Hamburg Global - – Ein Projekt des Bildungsbüro Hamburg e.V.: „Das 1906 errichtete Hamburger Bismarck-Denkmal würdigt nicht, wie vielerorts, den Reichsgründer, sondern ist als Dank der hiesigen Kaufmannselite für die Gründung von Kolonien und den Ausbau des Hafens für die zollfreie Lagerung und Veredelung von ‚Kolonialwaren‘ zu verstehen. Tatsächlich ist das Monument kein Ausdruck eines entfesselten Hurrapatriotismus, sondern das ‚Instrument einer Wirtschaftsförderung … aus kühlem kaufmännischem Kalkül.‘
Aus Sicht der Hamburger Denkmalsetzer*innen musste es sich vor allem rechnen. So vermittelt der als Roland dargestellte Bismarck denn auch eine bewusst doppelbödige Botschaft: Auf den ersten Blick tut das Denkmal so, als beschwöre es preußische Reichstreue. Im Gegensatz dazu steht die eingebaute Symbolik mit der Figur des mittelalterlichen Helden Roland, der unabhängige Stadt- und Marktrechte repräsentiert. Als Schutzpatron von Handelsfreiheiten und Wohlstand huldigt er vor allem großbürgerlichen Kaufmannsinteressen. Betont wird diese Aussage noch durch die – seinerzeit durchaus umstrittene – Auswahl des Standortes auf der mittelalterlichen Bastion Gasparus. Von seiner Höhenlage über dem Elbstrom hinunter sollte der steinerne Bismarck ‚die Wacht nach dem Weltmeer‘ halten mit einem ‚stolzen Ausblick aus dem Mittelpunkte der Stadt in den Weltverkehr‘. Was es bedeutet, von einer ‚kolonialen Globalität‘ (Sebastian Conrad) zu sprechen, lässt sich an Hamburg mit seinem Hafen und gleichermaßen an dem die Stadt überragenden Bismarck-Denkmal ablesen.
Wer waren die Denkmalsetzer? Es verwundert kaum, dass sich die Liste der Initiatoren und Großspender wie ein Who is Who der einflussreichen, kolonial agierenden Hamburger Kaufmänner, Bankiers und Reeder liest. (…).
Bei der Denkmaleinweihung 1906 standen Senats- und Bürgerschaftsabgeordnete und das kaufmännische Denkmal-Comité einträchtig zusammen mit dem Alldeutschen Verband/Ortsgruppe Hamburg, dessen Mitglieder u.a. im Deutschen Flottenverein und in der Deutschen Kolonialgesellschaft aktiv waren. Die Alldeutschen, ein einflussreiches Sammelbecken aus Großbürgerlichen, radikalen Nationalisten, Antisemiten und Kolonialenthusiasten, legten einen kolossalen Lorbeerkranz nieder und nutzten auch in der Folgezeit das Monument als Treffpunkt für ihre propagandistisch-kultischen Zwecke.“ 9)