Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Sophie-Rahel-Jansen-Straße

Nienstedten (2021): Sophie Rahel Jansen, geb. Schlossmann (26.3.1862 Hamburg - Freitod am 17.7.1942), Schriftstellerin, Armenpflegerin, bürgerliche Frauenbewegung.


Zuvor hieß die Straße Georg-Bonne-Straße. Georg Bonne (12.8.1859 Hamburg - 1.5.1945 Hamburg), Arzt in den Elbgemeinden, Sanitätsrat. Bereits 1996/97 wurden wegen Bonnes NS-Belastung Teile dieser Straße umbenannt; ein Teil in „Am Internationalen Gerichtshof“, ein weiterer Teil in „Christian-F.-Hansen-Straße“

Im April 1913 konnte die Gemeinde Blankenese zwei neue Bürger begrüßen: den Hamburger Rechtsanwalt Dr. Cäsar Max Jansen und seine Ehefrau Sophie. Die Neuankömmlinge hatten sich am Elbhang – Im Busch 7 – vom damaligen Stararchitekten Baedeker [siehe: Baedekerbogen] eine prächtige Klinkervilla bauen lassen. Jansen war als Sozius einer renommierten Anwaltskanzlei zu beträchtlichem Wohlstand gekommen und gehörte, wie seine langjährige Tätigkeit im Vorstand des Yacht Clubs zeigte, zu den feinen Kreisen der Hamburger Gesellschaft. Seine Frau Sophie dürfte bei den Soiréen und in den Salons für steten Gesprächstoff gesorgt haben: Ihr Leben war alles andere als üblich.

Als Tochter des wohlhabenden Spediteurs Carl Ezechiel Schlossmann in Hamburg geboren und in Breslau bzw. Dresden groß geworden, hatte sie als Zwanzigjährige 1882 Cäsar Max Josephson, den Sohn eines Altonaer Arztes, geheiratet. Doch das gesellschaftliche Leben und die Erziehung ihrer sechs Kinder reichten ihr nicht aus: Sie bewog 1895 ihren Mann, in Grande bei Trittau einen Gutshof zu erwerben und dorthin zu ziehen. Während er selbst täglich in seine Hamburger Kanzlei fuhr, machte sie sich daran, den 400 Morgen großen Hof zu bewirtschaften – als Autodidaktin. Sie verschaffte sich durch eigene Lektüre und Austausch mit Fachleuten nicht nur die notwendigen Kenntnisse in Rinderhaltung und Milchwirtschaft, sondern versuchte auch in der Praxis, die damaligen Reformen in der Viehhaltung zu unterstützen. Aber diese Experimente waren teuer, und eine Serie von Seuchen verursachte zusätzliche Kosten. 1901 entschloss sich das Ehepaar, das Gut zu verkaufen und nach Hamburg zurückzukehren.

Die Niederlage wurde nicht einfach abgehakt und vergessen: Sophie veröffentlichte 1905 ein Buch über ihre Erfahrungen: „Sofiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand“. Der mit feinem Humor und drastischer Selbstironie verfasste Bericht wurde ein Bestseller und verhalf ihr zu weiter literarischer Anerkennung. 1908 erschien ihr zweites Buch, ein Roman über eine junge Frau, die in der Enge der gesellschaftlichen Konventionen zerbricht. „Friede Wend“, so die Kritik, müsste man sich als eine Art Buddenbrooks vorstellen. Autobiographische Erfahrungen als Mutter von mittlerweile sechs Kindern standen im Mittelpunkt von „Bebi und Bubi. Ein Jahr aus dem Kinderleben“. Das reich illustrierte Buch erschien 1909 und wurde ihr letztes.

Der Grund für das Ende ihrer Schriftstellerei war die Entdeckung, dass sie dringender woanders gebraucht wurde. Schon während der verheerenden Cholera-Epidemie von 1892, die besonders in den dicht bevölkerten Hamburger Arbeitervierteln wütete, war sie mit der sozialen Frage konfrontiert worden und hatte spontan zu helfen versucht. Fünfzehn Jahre später, angeregt durch das soziale Engagement eines Barmbeker Pastors, wurde sie eine Pionierin des neu organisierten Armenwesens. 1908 war sie unter Hunderten von Männern die erste Frau, die als öffentliche Armenpflegerin bestellt wurde.

Mit dem Umzug nach Blankenese 1913 endete zwar dieses Amt, nicht aber ihr soziales Engagement: Es wurde fortan das Zentrum ihres Lebens. Schon als Armenpflegerin in Hamburg war sie Mitglied im Allgemeinen Deutschen Frauenverein geworden, der sich für eine Steigerung der Bildung, der wirtschaftlichen Selbstständigkeit und der politischen Rolle der Frauen im öffentlichen Leben einsetzte. In Blankenese setzte sie diese Aktivität fort: 1915 wurde sie die erste Vorsitzende der dortigen Ortsgruppe des Norddeutschen Frauenvereins. Der Krieg hatte die soziale Not enorm gesteigert, und die Ortsgruppe reagierte vom ersten Tag an auf diese Lage: Im August 1914 war in der heutigen Witts Allee eine Volksküche eröffnet worden, die Essen für anfangs 100, schließlich für 700 Personen ausgab. 1916 folgte am selben Ort die Einrichtung einer Säuglingsfürsorge. Seit 1917 existierte auch eine Kinderkrippe. An allen diesen Initiativen war Sophie Jansen führend beteiligt. 1919 wurde sie von der Gemeinde dafür mit einer Gedenkmünze gewürdigt. Sie wurde allen denjenigen verliehen, „die sich während des Krieges fürsorglich für unsere Krieger und deren Angehörige betätigten und der Allgemeinheit aus Nächsten- und Vaterlandsliebe uneigennützig Liebesdienste geleistet haben“.

Auch im folgenden Jahrzehnt blieb Sophie Jansen die treibende Kraft der Sozialarbeit in Blankenese. Sie führte – im Auftrag des Vaterländischen Frauenvereins und unterstützt von der Gemeinde – die Säuglingsfürsorge weiter, zunächst im Gemeindebüro und in der Turnhalle Dockenhuden, dann in der Schule am Kahlkamp. Für diese Tätigkeit erhielt sie später das Erinnerungskreuz des Vaterländischen Frauenvereins. Daneben wirkte sie als Vorstandsmitglied im Gesamtarmenverband der Elbvororte. Vor allem dem Armenhaus am Tinsdaler Kirchenweg galt ihre Aufmerksamkeit. Dieser aktive Einsatz für die sozial Schwachen erfolgte nicht aus der gesicherten Position eines großen Einkommens: Ihre wirtschaftliche Lage hatte sich seit dem frühen Tod ihres Mannes im Jahre 1916 dramatisch verschlechtert. Statt in der Villa über der Elbe wohnte sie seit 1919 in einem kleineren Haus an der Blankeneser Hauptstraße 56.

Spätestens im Jahre 1932 zog sich Sophie Jansen aus allen ihren Funktionen zurück – sie war 70 Jahre alt und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend im Kreise ihrer Familie. Aber die Übertragung der Macht an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 veränderte alles. Sophie hatte sich zusammen mit ihrem Mann 1888 christlich taufen lassen. 1907 legte Cäsar Max seinen jüdischen Namen Josephson ab. Seitdem hieß das Ehepaar so, wie sich Sophie schon als Autorin genannt hatte – Jansen. Zwei Söhne dienten im Ersten Weltkrieg, einer wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Ihre eigene rastlose Tätigkeit hatte ihr öffentliche Anerkennung und Respekt eingebracht. Jetzt wurde das alles annulliert – die Deutsche aus jüdischem Haus war zur Jüdin geworden, ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Deutschen, preisgegeben der Verfolgung. Die Nürnberger Gesetze 1935 galten auch für sie.

Sie verlor ihr Stimmrecht und durfte kein öffentliches Amt bekleiden. Ab 1938 trug ihre Kennkarte das „J“ für Jude, und dem Namen Sophie wurde der Zwangsname Sara hinzugefügt. Mit dem Pogrom vom 9. November 1938 verschärfte sich die wirtschaftliche Ausplünderung: Im Dezember musste sie ihren Schmuck abliefern – „Schätzwert RM 100.–, Verwaltungsgebühr RM 10.–, ausgezahlt RM 90.–“ Drei Monate später war das silberne Besteck dran. Zur gleichen Zeit reichte sie die geforderte Aufstellung ihres Vermögens ein: 28351 Reichsmark in Wertpapieren. Sie fügte dem hinzu: „Aus den kleinen Erträgnissen dieser Papiere und von Unterstützungen bestreite ich meinen Lebensunterhalt. […] Das Erdgeschoss des mir gehörigen Hauses habe ich seit langen Jahren vermietet. Auswanderungsabsichten bestehen nicht.“ Am 23. Dezember 1939 waren auch diese Angaben überholt: Aufgrund eines neuen Gesetzes und unter kräftigem Druck ihres „arischen“ Mieters musste sie ihr Haus verkaufen und wurde zur Untermieterin.

Auf den Zwang, ab 19. September 1941 den „Judenstern“ zu tragen, reagierte Sophie Jansen nach Auskunft ihrer Tochter Eva Wulle auf ihre Art: Sie ging nicht mehr auf die Straße, nachdem das Gesetz erlassen war. Nachbarn und Freunde ließen sich nicht abschrecken und standen ihr in dieser selbst gewählten Isolation bei. Es war nur ein Aufschub. Anfang Juli 1942 erhielt sie den Deportationsbefehl für Theresienstadt, datiert auf den 19. Juli. Am 17. Juli, während ihre Tochter noch vergeblich versuchte, die Deportation ihrer 80-jährigen Mutter abzuwenden, öffnete Sophie Jansen den Gashahn ihres Herdes und machte ihrem Leben ein Ende. Sie konnte, wie sie in einem Abschiedsbrief an ihre Tochter schrieb, „das Hin- und Herzerren nicht mehr ertragen. Hoffentlich geben sich nun meine Verfolger zufrieden, wenn ich nun das bescheidene Plätzchen, das ich mir noch auf der Welt vorbehalten hatte, räume.“ Der Propst der evangelischen Kirchengemeinde Blankenese, Schetelig, weigerte sich, die Tote zu bestatten. Ihr noch vorhandenes Vermögen wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.

Zwei ihrer Kinder kamen noch 1944 nach Theresienstadt: Edith Boehlich überlebte das Lager, Hans Jansen fand dort den Tod.

Ihr inzwischen verstorbener Enkel Wolf Boehlich schrieb über seine Großmutter:

„Eine ihrer bemerkenswertesten Eigenschaften war der hohe Anspruch, den sie an sich selbst und an ihre Familie stellte. Sofie Jansen erwartete von jedermann, dass er oder sie das Bestmögliche leiste, und sie scheute sich auch nicht, andere zu sozialverträglichem Verhalten aufzufordern. Sie hat es sehr missbilligt, dass einer ihrer Enkel außer seinem Beruf nichts Weiteres lernen wollte. Wo immer sie auftrat, genoss sie deutlichen Respekt. Sie war ein strenger Lehrmeister, man sollte aber nicht glauben, dass sie nicht auch liebenswert gewesen wäre. Kinder aus der Nachbarschaft, die mit ihren Enkeln spielten, betrachteten es noch bis in ihre letzten Jahre als Vorzug, sie ebenfalls Großmutti nennen zu dürfen.“

Text: Hannes Heer - Recherche: Sabine Boehlich

Zu Georg Bonne:

Georg Bonne wurde 1859 in Hamburg als eines von acht Kindern eines Kaufmanns geboren.1)
Er besuchte zunächst eine Privatschule und von 1875 bis 1880 Gymnasien in Stade und Glückstadt. Von 1880 bis 1884 studierte er Medizin in Leipzig, Marburg und Göttingen, wo er mit einer Arbeit zur Blutgerinnung promovierte. In den folgenden Jahren arbeitete er als Arzt in Würzburg und Barmen und durchlief eine militärärztliche Ausbildung, die zu seiner Ernennung zum Stabsarzt der Reserve 1895 führte. 1887 hatte er sich als Landarzt im damaligen Dorf Klein Flottbek niedergelassen. Im Ersten Weltkrieg nahm Bonne als Stabs- bzw. Oberstabsarzt teil. Im Mai 1915 wurde er auf Vorschlag des Regierungspräsidenten in Schleswig zum Sanitätsrat ernannt, 1920 erhielt er den Rang eines Generaloberarztes a.D. 1923 übergab er seine Arztpraxis einem seiner Söhne und zog nach Adendorf bei Lüneburg. Von 1926 bis zum Ende der 1920er Jahre arbeitete er als Gefängnisarzt in Lüneburg, um Anfang der 1930er Jahre nach Klein Flottbek zurückzukehren. 2)

Bonne engagierte sich seit den 1890er Jahren zum einen als Gemeindevertreter in Klein Flottbek,3) zum anderen in verschiedenen Lebensreformbewegungen, die sich v.a. dem Gewässerschutz, der Wohnungsreform und der Bekämpfung von Rauschmitteln widmeten. 4) 1900 wurde er Vorstandsmitglied des „Internationalen Vereins zur Reinhaltung der Flüsse, des Bodens und der Luft“. In dieser Funktion, aber auch publizistisch engagierte er sich gegen die Verschmutzung von Gewässern und entwickelte eigene Vorschläge zur Elbsanierung und Abwasserverwertung.5) 1899 initiierte er die Gründung des „Bauvereins der Elbgemeinden“, um dem „Wohnungselend“ und der Proletarisierung der Arbeiterschichten durch genossenschaftliche Selbsthilfe und die Anlage von Siedlungen am Stadtrand entgegenzuwirken. Bonnes Weltbild war von Großstadtfeindschaft geprägt und der Vorstellung, über „Dezentralisierung“ und den Bau von Siedlungen außerhalb der innerstädtischen Elendsviertel eine „Volksgesundung“ herbeiführen und revolutionären Bestrebungen entgegenwirken zu können.6) Seit 1897 war er Mitglied des Guttempler-Ordens, der sich gegen den Alkoholkonsum einsetzte. Als Streiter gegen Alkohol- und Nikotinkonsum hielt Bonne zahlreiche Vorträge, verfasste Schriften und initiierte die Gründung weiterer Guttempler-Logen im Deutschen Reich. 1930 wurde er von seiner Loge durch die Benennung eines „Georg-Bonne-Haus“ in Altona geehrt, dessen Ausbau mit städtischen Mitteln gefördert wurde.7)

Der gemeinsame Nenner bzw. Leitbild von Bonnes Aktivismus war, wie Jochen Eversmeier richtig konstatiert, der Schutz der „Volksgesundheit“ und die „Rassenhygiene“.8) Bonne war Anhänger einer völkischen Ideologie, der in Mietskasernen, Tabak und Alkohol „Volksgifte“ erblickte.9) Er entfaltete eine umfangreiche publizistische Praxis, allein bis 1934 erschienen an die 400 Publikationen von ihm. Darunter waren auch Romane, Gedichte und Theaterstücke.10) Seit 1910 veröffentlichte er die teilweise autobiographisch geprägte Trilogie der Bände „Im Kampf um die Ideale“ (1910), „Im Kampf um den Weltfrieden“ (1930) und „Im Kampf gegen das Chaos“ (1931). Im ersten Band beschwor er u.a. die Überlegenheit des Germanentums als „Herrengeschlecht“ und zeichnete Figuren entlang eines Rassenschemas, wobei dem blonden „Typ des Ariers“ die kranken, dicken, jüdischen, degenerierten Menschen gegenübergestellt wurden.11) Das Buch erlebte in mindestens 40 Auflagen eine enorme Verbreitung.12) In seiner Schrift „Volksgesundung durch Siedlung!“ (1928) präsentierte er seine wohnungsreformerischen Vorstellungen, die er als sozial- und rassenhygienisches Rezept gegen den drohenden „Rassetod“ des deutschen Volkes anpries.13) Antisemitismus zählte dabei spätestens seit den 1880er Jahren zum konstitutiven Bestandteil von Bonnes Weltbild. 14)

Bonne war seit 1910 Mitglied der Freimaurerloge „Phönix zur Wahrheit“, 1901 und 1914 taucht sein Name in den Mitgliederlisten des Alldeutschen Verbandes auf, und nach dem Ersten Weltkrieg war er Mitglied im deutschnational orientierten „Stahlhelm“ und im Kyffhäuserbund.15) Obwohl er keiner politischen Partei angehörte, zählte er spätestens seit 1931 zu den Anhängern und Bewunderern Adolf Hitlers und seiner nationalsozialistischen Bewegung, was er in Briefen an Hitler zum Ausdruck brachte.16) In einem Brief von 1936 behauptete er sogar, Hitler bereits in dessen Gefängniszeit (1923/24) Publikationen zugeschickt zu haben.17) Dabei erteilte er diesem auch Ratschläge und kritisierte z.B. den Alkoholkonsum von Nationalsozialisten. 1932 schickte er Hitler das von ihm verfasste antisemitische Schauspiel „Judas Ischariot“ zu, das er selbst als „streng nationalsozialistisch“ charakterisierte, mit der Bitte, es Hitler widmen zu dürfen.18)

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler schickte Bonne ihm ein persönliches Glückwunschschreiben, in dem er ihn als „Retter Deutschlands“ ansprach und bekräftigte, „der eiserne Besen“ sei notwendig, „um das Ungeziefer auszutilgen“.19) In einem Briefwechsel von 1933 bezeichnete er sein eigenes Lebenswerk als „Wegbereitung“ und „vorbereitende Kleinarbeit“ für den Nationalsozialismus und diesen als „Erfüllung meiner Jünglingsträume“.20) Seine Identifizierung mit Hitler gipfelte in der Behauptung, dass er sich mit diesem „in meinem ganzen Denken und Fühlen vollständig eins“ wisse, insbesondere nach der Lektüre von „Mein Kampf“.21) Mit dem „Dritten Reich“ verband Bonne die Hoffnung auf die Umsetzung seiner wohnungs- und lebensreformerischen, aber auch antisemitischen Ideen.

Zum 1. Mai 1933 trat Bonne laut NSDAP-Mitgliederkartei der Ortsgruppe Altona der NSDAP bei. 22) Ende 1933 wurde er Mitglied im Reichsverband Deutscher Schriftsteller und in der Reichsschrifttumskammer.23) Der Beleg für Bonnes Parteimitgliedschaft steht im Widerspruch zu seinen Angaben aus den folgenden Jahren, in denen er – etwa auf einem Fragebogen der Reichsschrifttumskammer von 1937 – eine Mitgliedschaft verneint. 24) Möglicherweise hatte seine Logenzugehörigkeit doch einer Mitgliedschaft im Weg gestanden, wie er in einem Schreiben von 1938 andeutet (so habe es ihn „tiefgeschmerzt [...], daß ich nicht [...] mit im Rahmen der Partei für Deutschlands Wiederaufstieg kämpfen darf“) 25) – allerdings hätte auch ein etwaiger Ausschluss auf Bonnes Karteikarte verzeichnet sein müssen.

In seinen Publikationen aus den 1930er und 1940er Jahren transportierte Bonne nationalsozialistische, rassistische und antisemitische Ideologieelemente. Mit der 1935 erfolgten Neuausgabe seiner Schrift „Wie können wir Deutschlands Ernährung vom Auslande unabhängig machen?“ (1921) wollte er einen Beitrag zu den Autarkiebestrebungen des NS-Staates liefern – gegen den „jüdisch geleiteten Marxismus“.26) In „Das Geschlecht der Lappe“ (1939) rief er zur Unterstützung des Nationalsozialismus auf, in dem er die „Verschmelzung des völkischen Gedankens“ mit einem Christentum der Tat erblickte. Die NS-Rassentheorie aufgreifend, erblickte er in Jesus und Goethe Vertreter des „arische[n] Geist[es]“ und Blutes.27) Bonne war stolz darauf, mit seinen Büchern zur Festigung nationalsozialistischer Auffassungen im Volk beizutragen, was er in einem Schreiben mit dem Beispiel eines einfachen Arbeiters illustrierte, der ihm gegenüber angeblich erklärt habe: „die ihre Bücher gelesen haben, sind jetzt alle begeisterte Verehrer von Hitler, der ja dasselbe will, wie Sie“. Er habe so „viele Hunderte“ seiner Patienten „für Hitler und unseren Nationalsozialismus gewonnen“.28)

Mit 76 Jahren nahm Georg Bonne 1935 seine Praxis als Arzt in Klein Flottbek wieder auf.29) Zu seinen Geburtstagen oder seinem 50-jährigen „Doktorjubiläum“ erschienen ehrende Artikel in der gleichgeschalteten Hamburger Presse. „Die Synthese des Nationalen mit dem Sozialen, wie wir sie heute im Nationalsozialismus verkörpert sehen, ist seit 50 Jahren Ziel und Richtung für Bonnes gesamte Lebensarbeit gewesen“, lobten ihn etwa die Altonaer Nachrichten 1934.30)

Nationalsozialistische Funktionäre teilten diese Meinung nicht unbedingt. Das Reichspropagandaministerium verfügte 1937, das Buch „Im Kampf gegen das Chaos“ einzuziehen und zu beschlagnahmen, nachdem Beschwerden aus der Reichsschrifttumskammer laut geworden waren, dass Bonne sich dort „in schamloser Weise“ über Hitler und den Nationalsozialismus geäußert habe. Anfang 1938 wurde es in die Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ aufgenommen und jede weitere Verbreitung verboten.31) Ausschlaggebend waren Passagen, in denen Bonne Ludendorffs „Haß gegen die Juden“ als „unfruchtbar“ kritisiert, und solche, in denen er Hitler Ratschläge erteilt bzw. erklärt hatte: „Der Adolf Hitler mit seinen Nationalsozialisten weiß offenbar selbst nicht, was er will“.32) Bonne erblickte in dem Verbot zunächst ein Missverständnis, wie er seinem Verleger gegenüber erklärte: „Daß aber die Nationalsozialisten mich jemals als ihren Gegner ansehen könnten, – auf den Gedanken wäre ich selbst in Fieberträumen nicht gekommen [...].“33)Er legte Einspruch ein und bat schließlich darum, beanstandete Passagen ersetzen zu dürfen – beide Bemühungen waren vergeblich.34)

Bereits 1935 war es zu einem Konflikt mit NS-Funktionären gekommen, nachdem Bonne in der Zeitschrift Ethik Artikel veröffentlicht hatte, in denen er die NS-Pläne zur Sterilisierung „Minderwertiger“ als nicht ausreichend kritisierte.35) Bonne teilte zwar die völkische Perspektive des Regimes und ging von der Existenz „Millionen von […] Minderwertige[r]“ aus, sah die Ursache jedoch v.a. im Alkohol- und Nikotinkonsum, deren Bekämpfung er aus rassenpolitischer Sicht für zentral hielt. 36) Das Rassenpolitische Amt der NSDAP kritisierte den Text als streckenweise „antinationalsozialistisch“, Bonne musste sich vor der Gestapo verantworten.37) In diesem wie in anderen Fällen (etwa einem Schreiben an SA-Stabschef Ernst Röhm) sah sich Bonne selbst im Einklang mit den Gedanken Adolf Hitlers, aber im Konflikt mit den „vielen kleinen Hitler[n]?“.38)

Auch eine Veröffentlichung des bereits 1932 vollendeten Schauspiels „Judas Ischariot“ gelang Bonne nicht bzw. erst 1942 unter dem Titel „Der Ewige Jude“.39) Es verfolgte eine Geschichte der Juden bzw. des jüdischen Geistes vom Mord an Jesus bis zur russischen Revolution und enthielt eine Vielzahl antisemitischer Stereotype: die Schuld der Juden am Tod Jesu; die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung mit dem Ziel der Weltherrschaft; die Vorstellung von Juden als Parasiten mit den Deutschen als „Wirtsvolk“; der Händler-, Wucherer- und Schachergeist sowie die Raffgier von Juden; die Verschlagenheit von Juden, die sich mit falschen Namen tarnten; die Kontrolle der Presse durch Juden; die Lenkung sowohl der Finanzwirtschaft als auch des Bolschewismus durch Juden; sowie die „Vernichtung Deutschlands“ als Ziel der jüdischen „Rasse“. Hinzu kam, dass Bonne die Auffassung vertrat, Juden würden über die Alkohol- und Tabakindustrie das deutsche Volk verdummen. Im letzten Akt des Schauspiels erkennt Judas seine Schuld, zieht gen Palästina und erhängt sich selbst. Bonne wollte mit dem Schauspiel „jüdische[n] Verrat und jüdische Anmaßung“ aufzeigen und über die „Gefahren“ aufklären, die der Welt „durch die jüdische Pest drohen“.40) Die Deutschen müssten sich unter der „genialen Führung“ Adolf Hitlers „mit allen unseren Kräften“ gegen die Juden als „Fremdkörper in dem Fleisch unserer Nation“ wehren.41) Bonne sah sein Werk als Teil eines „heiligen Kampf[es]“ an und als öffentliche „Rechtfertigung unserer Haltung gegen die Juden“ – also als schriftstellerische Legitimationsarbeit für die NS-Judenpolitik.42)

Er versuchte zwischen 1932 und 1934 einen Verlag zu finden und wandte sich u.a. persönlich an Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg, jedoch ohne Erfolg.43) Erst 1942, als die NS-Judenpolitik bereits in die organisierte Massenvernichtung, den Holocaust, übergegangen war, gelang ihm die Herausgabe des Schauspiels im Dresdener Strom-Verlag. Die Auslieferung des Buches wurde jedoch im Februar 1943 durch das NS-Propagandaministerium mit der Begründung verboten, es sei „völlig veraltet“.44) Ein Jahr zuvor waren bereits die Restbestände von Bonnes 1927 erschienenem Buch „Verbrechen als Krankheit“ von der Gestapo beschlagnahmt worden. Nachdem der Chef der Sicherheitspolizei und des SD einen Verbotsantrag gestellt hatte, ordnete das Reichspropagandaministerium im Februar 1943 die vollständige Beschlagnahme an.45)

Kurz vor dem Ende des „Dritten Reiches“ starb Georg Bonne am 1. Mai 1945.46) Zu einer Entnazifizierung kam es daher nicht mehr. Bereits vier Jahre nach seinem Tod wurde eine Straße in Hamburg-Nienstedten nach ihm benannt.47)

Bis in die 1990er Jahre wurde Bonne vor Ort als „Wohltäter“, als „Engel von Flottbek“ und Vorkämpfer ökologischer Bestrebungen verehrt und publizistisch gewürdigt.48) Erst 1995 entspann sich eine Debatte um die Umbenennung der Georg-Bonne-Straße, nachdem bekannt geworden war, dass der Internationale Seegerichtshof in die Straße ziehen sollte. Während u.a. Vertreter der SPD auf die NS-Belastung des Namensgebers hinwiesen, wurde Bonne im Nienstedtener Heimatbote als „Idealist“ gelobt, der im Stadtteil „beliebt und geachtet“ gewesen sei. Seine antisemitischen Äußerungen wurden als „impulsiv“ und „emotional“ heruntergespielt.49) Der Streit endete 1997 mit einem „Kompromiss“. Der Senat beschloss, dass ein Teil der Straße ihren Namen beibehalten, ein zweites Stück „Am internationalen Seegerichtshof“ heißen und ein dritter Abschnitt in „Christian-F.-Hansen-Straße“ umbenannt werden sollte.50) Im Zuge erneuter Debatten um die Umbenennung NS-belasteter Straßennamen und nach der Veröffentlichung eines entsprechenden Gutachtens des Verfassers, das im Auftrag des Staatsarchiv Hamburgs erstellt worden war, beschloss die Bezirksversammlung Altona im Februar 2020 die Umbenennung der Georg-Bonne-Straße und des Bonneparks.51)

Text: David Templin