Billrothstraße
Altona-Altstadt/Altona Nord (1950): Prof. Dr. Theodor Billroth (26.4.1829-6.2.1894), Chirurg
Bereits in der NS-Zeit wurde die Billrothstraße als neuer Straßenname (alter Straßenname: Blumenstraße) in der Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt. Die Liste wurde im Hamburger Adressbuch von 1943 veröffentlicht und listet alle in der NS-Zeit umbenannten Straßen auf, auch diejenigen, bei denen die konkrete Umbenennung noch nicht vollzogen wurde. Bereits umbenannte Straßen wurden mit einem Stern gekennzeichnet.
Nach der Einführung des Groß-Hamburg-Gesetzes im Jahre 1937, durch das z. B. Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Rahlstedt, Bramfeld, Lohbrügge und andere Gebiete, die heute Hamburger Stadtteile sind, nach Hamburg eingemeindet wurden, ergaben sich bei den Straßennamen häufig Doppelungen. Viele der für eine Umbenennung in Frage kommenden alten Straßennamen wurden in der NS-Zeit aber nicht mehr umbenannt. Eine Umbenennung nach den 1943 aufgelisteten neuen Straßennamen erfolgte für diverse Straßennamen dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. So wurde die Billrothstraße 1950 benannt.
Dass der Name Billroth in der, in der NS-Zeit aufgestellten Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt ist, ist wohl auch Billroths antisemitistischer Einstellung geschuldet. So benutzte der nationalsozialistische Deutsche Ärztebund Billsroths antisemitische Äußerungen zu Propagandazwecken.
Billroths Vater, ein Pastor, starb, als Billroth fünf Jahre alt war. Seine Mutter Christine, geb. Nagel war nun Witwe von fünf Söhnen. Sie zog mit ihren Kindern zu Verwandten nach Greifswald und soll trotz ihrer Kränklichkeit großen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Söhne gehabt haben.
Billroths Interesse am Studium soll sich erst spät entwickelt haben. Er hätte lieber Musik gemacht. Doch seine Mutter hinderte ihn daran – was in der Literatur als klug bezeichnet wird. 1) Während er noch Medizin studierte, verstarb seine Mutter 1851. Nur durch die Unterstützung seiner Großmutter war es Billroth weiterhin möglich, sein Studium fortzusetzen.
1858, im Alter von 29 Jahren, als Billroth als Privatdozent für Chirurgie und pathologische Anatomie In Berlin tätig war, heiratete er die 21-jährige Christine (Christel), geb. Michaelis (geb. 1837), Tochter des Hofmedicus Edgar Michaelis in Berlin und seiner Ehefrau Caroline, die Tochter eines Schauspielers war.Das Paar bekam drei Töchter und einen Sohn. 2) Der Sohn starb im Alter von acht Jahren an Scharlach, eine der Töchter starb ebenfalls im Kindesalter, sie war an Tuberkulose erkrankt gewesen. Ein Jahr nach dem Tod dieser Tochter gebar Christel Billroth erneut eine Tochter.
Im Abschlussbericht der Kommission zur Überprüfung von Wiener Straßennamen heißt es über Billroth, nach dem auch in Wien eine Straße benannt ist: „Chirurg, Mitbegründer der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft, Musik‐ und Kunstliebhaber. Die Universität Wien war speziell im Bereich der Rechtswissenschaften und der Medizin bereits zur Mitte des 19.Jahrhunderts ein Nährboden des Antisemitismus. Eine der damals prominentesten Stimmen war der berühmte Chirurg, Gelehrte und Forscher, klinische Lehrer Theodor Billroth, der nicht nur der ‘Wiener Medizinischen Schule‘ zu Weltruhm verholfen hatte, sondern mit seinen antisemitischen Äußerungen bereits zu Lebzeiten polarisierte, etwa mit seinem 1875 publizierten und umstrittenen Werk ‘Lehren und Lernen‘. Er stellte den Erfolg von Assimilation und Integration in Frage, indem er propagierte, Juden seien eine scharf definiterte Nation. ‚Es ist ein ziemlich allgemein verbreiteter Irrtum, von den Juden als von Deutschen oder Ungarn oder Franzosen zu sprechen, die nur zufällig eben eine andere Konfession haben als die meisten Bewohner von Deutschland, Ungarn oder Frankreich. Man vergißt oft ganz, daß die Juden eine scharfausgeprägte Nation sind und daß ein Jude ganz ebenso wenig wie ein Perser oder Neuseeländer oder Afrikaner je ein Deutscher werden kann.‘ (Billroth, 1895. Zitiert nach: Hubenstorf 24‐25) Billroth verstand es, so Sebacher, die politischen Lager herauszufordern und die durch ökonomische und politische Krisen ohnehin vorhandene deutschnationale und antisemitische Stimmung gezielt zu fördern und zu nutzen. (Vgl. Seebacher,111) Billroths umstrittene Aussagen führten zu einer deutlichen Radikalisierung zwischen deutschnationalen und jüdischen Studenten an der Medizinischen Fakultät. Er war es auch, der Rokitanskys tolerante und multikulturelle universitätspolitische Haltung erfolgreich bekämpfte. (Vgl. Kandel) In den 1880er Jahren entwickelten die ersten akademischen Burschenschaften ‚Arierparagraphen‘, die Gewalt gegen Juden in den Hörsälen hatte begonnen. Billroth wurde 1891 in einem Richtungswechsel –und sehr zum Missfallen der von ihm bereits durch lange Jahre geförderten deutschnationalen Burschenschaftler – Mitglied des ‚Vereins zur Abwehr des Antisemitismus‘. Der ‚frühe‘ Billroth geriet jedoch nicht in Vergessenheit; noch 1939 bezog sich etwa der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund in seiner Propaganda auf Billroths Außerungen aus 1876. (Vgl. Hubenstorf, 24‐25).“ 3)