Theodor-Schäfer-Damm
Stellingen (1992): Theodor Schäfer (17.2.1846 Friedberg/Hessen – 24.2.1914 Rotenburg/Wümme), Pastor, Direktor der Diakonissenanstalt Alten Eichen, Gründer des „Krüppelheims“ Alten Eichen.
Siehe auch: Brodersenstraße (hier zu Adeline von Schimmelmann und ihre Einstellung zu Diakonissen)
Siehe auch: Sengelmannstraße
Siehe auch: Biernatzkistraße
Theodor Schäfer war der Sohn von Henriette Schäfer, geb. Anthes, die in ihrer Ehezeit noch weitere acht Kinder gebar. Schäfers Vater, Johann Peter Schäfer, der seinen Sohn Theodor durch seine diakonische Arbeit sehr prägte. arbeitete als Taubstummenlehrer und gründete 1850 die erste Blindenanstalt in Friedberg.
Bodo Schümann schreibt in seinem Portrait über Theodor Schäfer in der Hamburgischen Biographie: Schäfer: „besuchte (…) bis 1864 zunächst die Schule der Blindenanstalt, dann die Realschule in Friedberg und das Gymnasium in Büdingen. Nach dem Abitur folgte von 1864 bis 1868 das Studium der Theologie (…). Im Anschluss an die praktische Ausbildung im Predigerseminar 1868/69 übernahm Schäfer 1869 seine erste Pfarrstelle in der deutschen evangelischen Diasporagemeinde in Paris. (…) Nach dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges musste er Paris verlassen und übernahm 1870 die Stelle des Inspektors und Stellvertreters des Direktors Heinrich Sengelmann [siehe: Sengelmannstraße] in den Alsterdorfer Anstalten in Hamburg, wo er unter anderem für Unterricht, Gottesdienstvertretung, Lehrerausbildung, Personalführung und Verwaltung verantwortlich war.“1)
Ein Jahr später heiratete er im August 1871 Christiane Berg (3.4.1847 Kircheim -11.1.1889 Altona), Tochter eines Realschullehrers und dessen Ehefrau. Das Paar bekam drei Kinder (geb. 1872, 1874, 1878). Christiane Schäfer starb 1889 im Alter von 41 Jahren. Drei Jahre nach dem Tod seiner Frau heiratete der 46-jährige Witwer 1892 die zwanzig Jahre jüngere und damals 26-jährige Cornelia Maria Siemssen (13.5.1866 Hamburg - 1946), Tochter des Hamburger Kaufmanns G. T. Siemssen (siehe: Siemssenstraße) und dessen Ehefrau. Cornelia Maria Siemssen wurde Leiterin eines Asyls und fuhr, als sie Witwe und 63 Jahre alt war, im März 1930 mit dem Schiff in der 1. Klasse nach Malaga 2)
Als Theodor Schäfer seine zweite Ehe einging, war er als „Vorsteher der von Karl Biernatzki im Dezember 1867 gegründeten Altonaer Diakonissenanstalt (…), der ersten Anstalt dieser Art in Schleswig-Holstein“ 3) tätig, wohin er 1872 gewechselt war. (Siehe zu den Anfängen der Diakonissen Anstalt Altona weiter unten. Deren Anfänge sind bei einer Frau zu suchen und zu finden). „In seinem fast 30-järhigen Wirken gelang es ihm [Schäfer], durch die Einrichtung einer Kinderkrippe und Warteschule (Vorschule) (…), eines Heimes für ‚verwahrloste‘ Mädchen auf dem Gelände der Diakonissenanstalt, eines Krankenhauses – zunächst für Kinder, später auch für Erwachsene – (…) sowie einer Pflegeeinrichtung für Alte und Hilfsbedürftige (…) dem sozialen Elend vieler Menschen abzuhelfen. Hervorzuheben ist die Gründung eines ‚Krüppelheimes‘ (1898) in den Räumen der Kinderklinik in Altona, das später in Alten Eichen in Stellingen angesiedelt war. Das Heim war die erste bedeutende Einrichtung für schwer körperbehinderte Kinder und Jugendliche in Norddeutschland. Die Behinderten wurden hier nicht nur medizinisch-orthopädisch hervorragend versorgt, sondern erhielten auch eine schulische und berufliche Ausbildung mit qualifizierten Abschlüssen (….).“ 4).
In der Neuen Deutschen Biographie steht über Schäfers Wirken für die Diakonissenanstalt: „In enger Ausrichtung an Theodor Fliedner (1800–64), dem Initiator der weiblichen ev. Diakonie, und Wilhelm Löhe (1808–72), dem Begründer der Neuendettelsauer Missionsanstalt und der Gesellschaft für Innere Mission, entwickelte S. einen Gemeindegedanken, in dessen Zentrum der in der Predigt zu verkündigende Gedanke der Rechtfertigungslehre steht. Die Diakonissenanstalten, die in S. einen nachhaltigen und für ihre Ausgestaltung wegweisenden Förderer fanden, verstand er als kompatibel mit anderen Formen weiblicher diakonischer Arbeit.“ 5)
Bodo Schümann schreibt dazu: „Nachdem am 13. Oktober 1875 in Altona der neu erstellte Gebäudekomplex der Diakonissenanstalt mit Mutterhaus, Kapellenraum und Krankenhaus eingeweiht worden war, weitete sich die Aufgabe in der Folgezeit derart aus, dass am 25. Juni 1902 in Alten Eichen in Stellingen weitere Gebäude errichtet werden mussten. Dorthin verlagerte sich später der Schwerpunkt der Arbeit. Mit dieser bedeutenden Aufbauleistung im diakonischen Bereich verband Schäfer die konzeptionelle Ausgestaltung des christlich-diakonischen Berufsbildes der nicht verheirateten Frau (vor allem aus den ‚gebildeteren Ständen‘), indem er das von Theodor Fliedner in Kaiserswerth entwickelte Konzept der ‚Diakonissen-Mutterhäuser‘ unkritisch und nur mit wenigen Änderungen übernahm. Durch eine qualifizierte Berufsausbildung wurden Frauen gesellschaftlich anerkannte Tätigkeiten außerhalb der Familie vor allem im sozialen und gesundheitlichen Bereich ermöglicht.“6)
Eine Frau, die schon zu Lebzeiten von Theodor Schäfer die Tätigkeit der Diakonissen scharf kritisierte, war die Evangelistin Gräfin Adeline von Schimmelmann (1854-1913) (siehe ihren Lebensweg im Eintrag: Brodersenstraße). Sie sah in dieser Arbeit und Stellung eine „unwürdige Sklavenexistenz. Die von ihr [Adeline von Schimmelmann] propagierte und auch ausgeübte Selbständigkeit stand den als Hausgemeinschaft konzipierten Diakonissenanstalten, die auf dem Gehorsam der einzelnen Schwestern basierten, diametral entgegen. In ihren ‚Streiflichtern‘ präsentierte die Gräfin folgende Analyse: ‚Es giebt nur einen Weg, auf welchem einer vornehmen Dame erlaubt ist, wirklich christliche Arbeit zu thun. Setzt euch eine weiße Haube auf und stellt euer geistiges Leben und eure Individualität unter die absolute Herrschaft - nicht Christi – sondern eines Diakonissenhauspastors und die einzige Sphäre, die christlichen Damen persönliche, direkte Arbeit erlaubt, steht euch offen. Da ich keinen Ruf in mir fühlte, meinen Mitmenschen unter so sklavischen Bedingungen zu dienen, und da ich mich entschlossen hatte, nur die Führerschaft Christi anzuerkennen, nahm ich mein Recht, Gott zu dienen, wie Er mich führen würde, allein in Anspruch, Ihm allein zu folgen, für Sein Reich zu arbeiten und zu kämpfen, sei’s auch durch Verfolgung und Leiden,‘“ 7) heißt es in Ruth Albrechts und Regina Wetjens Abhandlung „Eine imposante, gewinnende Erscheinung. Die Evangelistin Adeline Gräfin von Schimmelmann (1854–1913)“.
Über Theodor Schäfer urteilen Ruth Albrecht und Regina Wetjen: „(…) Der in Altona wirkende Theodor Schäfer kann als klassischer Vertreter des von Schimmelmann gebrandmarkten Diakonissenbildes gelten – auch wenn sie nicht direkt auf ihn abzielte. Obwohl der Diakonisse nach seiner Meinung die Aufgabe zukomme, mit in die Reihe der Vertheidiger des Glaubens zu treten, so gelte doch für sie: das Weib schweige in der Gemeinde.134 Unter Hinweis auf 1 Petr 3,1 propagierte er den Wandel des Weibes ohne Wort. Nach seiner Auffassung müssen sich alle Frauen nach den ewig giltigen Grundlagen richten, sie sind jedoch zu thätigem Liebesdienst berufen. Dieser Position stellte die Gräfin ihre Aussage entgegen: Und das Weib redet doch!.“ 8)
Diakonissenanstalt Anstalt Altona und Diakonissen Anstalt Alten Eichen
Die Anfänge der Diakonissen-Anstalt Altona, die später ihren Sitz im Stadtteil Stellingen haben sollte, sind im Jahre 1866 zu finden, in der Wohnung von Emma Poel (31.1.1811 Altona – 3.12.1891), (siehe: Emma-Poel-Straße) der damaligen Leiterin des Altonaer Frauenvereins. 1832 hatte sie bereits den „Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege von Altona“ mitbegründet, auf den die spätere Gründung des Kinderhospitals in Altona zurückgeht.
Emma Poel lud zu einem Teeabend Herren, wie die Altonaer Pastoren, den Bischof und einige Honoratioren der Stadt, wie z. B. einen Kaufmann ein, um über die Gründung einer Diakonissenanstalt zu sprechen. Ein Jahr später kam es bereits zu einer solchen Gründung.
Alles fing ganz klein an: Mit zwei jungen, an einem Krankenhaus als Krankenwärterinnen ausgebildeten Frauen, die gemeinsam in einer Wohnung gegenüber dem städtischen Krankenhaus in Altona lebten und in die sie Patienten aufnahmen.
Diakonissen waren die Gehilfinnen des Arztes und des Pfarrers, eine für Frauen gesellschaftlich anerkannte Möglichkeit der Erwerbstätigkeit. 1869 bestand diese kleine Gemeinschaft schon aus neun Schwestern, die 27 Kranke pflegten. Ihre Ausbildung erhielten die Schwestern im städtischen Krankenhaus. Ein Krankenhausarzt übernahm die medizinische Betreuung der Patientinnen und Patienten im Diakonissenhaus.
Zu der Krankenpflege kam wenig später noch die Gemeindepflege hinzu, d. h. neben der Krankenpflege in den eigenen Wohnungen der Patientinnen und Patienten wurde auch noch sozial- und missionarische Arbeit geleistet. So wurden z. B. Altennachmittage, Mädchengruppen, Koch-, Näh- und Strickkurse durchgeführt.
1875 erhielt das Diakonissenheim ein eigenes Gebäude in der Nähe der Schauenburger Straße. Diese Diakonissenanstalt bestand aus einem Krankenhaus für Frauen, dem Mutterhaus und einem etwas abseits gelegenen Pastorat.
Die Diakonissen, die in Krankenhäusern arbeiteten, waren zwar den Weisungen der Ärzte unterstellt, doch was wären die Ärzte ohne die Kenntnisse der Diakonissen gewesen? Sie kümmerten sich um die gesamte innere und wirtschaftliche Organisation der Krankenhäuser, in denen die Pflege einer Diakonissenorganisation übertragen worden war.
1902 errichtete die Diakonissenanstalt in Stellingen das „Krüppelheim Alten Eichen”. Das Gebäude war ein ehemaliger Landsitz der Familie Amsinck. In der ersten Zeit nach Eröffnung des “Krüppelheims” kümmerte man sich mehr um die Ausbildung der dort untergebrachten Jungen als um die dortigen Mädchen. Doch zwei Jahre später erhielten auch die untergebrachten Mädchen nach Beendigung ihrer Schulzeit die Möglichkeit einer Ausbildung (Schneiderin oder Näherin).
Während der NS-Zeit war die Volksschullehrerin Hanna Dunckel (1892-1953) im Krüppelheim tätig. Nach dem Besuch des Sozialpädagogischen Instituts arbeitete sie in der Familienfürsorge, wo sie zur Leiterin (Oberinspektorin) avancierte. Sie fasste die Sozial,- Jugend- und Gesundheitsbehörde in ihrer Arbeit zusammen, was in Deutschland Aufmerksamkeit erregte und in vielen Städten Nachahmung fand. Nebenamtlich war sie Geschäftsführerin des Vereins für Kinder- und Jugenderholungsfürsorge und betreute in diesem Amt 12 Kinderheime.
Bereits 1930 wies sie darauf hin, dass der Widerstand von Eltern gegen operative Eingriffe bei ihren Kindern durch die Androhung der Sorgerechtsentziehung seitens des Krüppelfürsorgearztes oder der zuständigen Fürsorgerin erfolgreich “gebrochen werden könne”. 1939 bestätigte sie die Einbeziehung der “Krüppel“ in die Kriegsproduktion. Menschen mit Behinderung wurden der “gesunden” deutschen Jugend als “nutzloser Ballast” gegenübergestellt. Sie hatten nicht „ins Feld“ zu marschieren, sondern ihre Arbeitskraft der Kriegsführung zur Verfügung zu stellen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde “Alten Eichen” zu einem Diakonissen-Mutterhaus mit Wohnräumen für Schwestern und zu einem Krankenhaus. Seit 1960 gibt es dort auch die Fachschule für Sozialpädagogik, die seit 1972 Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik Alten Eichen heißt. 9)
Text: Rita Bake