Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Waisenstieg

Uhlenhorst (1956): nach dem sich hier bis zur Ausbombung 1943 befundenen Waisenhaus


Waisenhausknaben schenkten dem Hamburger Rathaus zu dessen Eröffnung Ende des 19. Jahrhunderts Holzschnitzereien, die in einem Zimmer des Rathauses verbaut wurden, das seitdem Waisenzimmer heißt.

Zwischen Waisenhaus und Rathaus bestand eine sehr enge Beziehung, schließlich wurden die Geschicke des Waisenhauses durch Senatoren und Bürgerschaftsabgeordnete geleitet, die im Waisenhaus-Kollegium saßen. Diese guten Kontakte zahlten sich aus. So erhielt das Rathaus nach dem großen Brand von 1842 in den Räumen des Waisenhauses in der Admiralitätsstraße Notquartier – das Waisenhaus selbst zog daraufhin in ein Provisorium. Deshalb sah sich der Senat dem Waisenhaus verpflichtet und begann vier Jahre nach dem großen Brand mit den Beratungen für einen Waisenhausneubau. Weitere vier Jahre später wurde ein geeignetes Grundstück auf der Uhlenhorst (Averhoffstraße) gefunden. Dieses gehörte, und hier stoßen wir wieder auf die engen Verbindungen zwischen Senat und Waisenhaus, dem Senator Dr. Amandus Augustus Abendroth (siehe: Abendrothsweg). 1858 konnte das neue Waisenhaus in der Averhoffstraße bezogen werden.

Rund 40 Jahre später war dann im Raum Nr. 219 des neueröffneten Rathauses ein Symbol gegenseitiger Verpflichtung und Dankbarkeit zu bewundern. Das Waisenhauskollegium hatte Waisenjungen für die Kerbschnitzereien gestellt und der Senat den Raum 219 dafür ausgewählt. So begannen 80 acht bis vierzehnjährige Waisenhausknaben unter Anleitung ihres schwedischen Lehrer Axel Peterson mit der Herstellung von Kerbschnitzereien.

Welches Familienschicksal hatten diese Kinder? Hier ein Beispiel:
Martin Berger: Als Wilhelm Martin Bergers Vater, der Tischler Ernst Otto Berger, 1888 im Alter von 38 Jahren starb, war Wilhelm Martin 5, seine Geschwister 13, 11, 8 und 3 Jahre alt. Ein Jahr nach dem Tod des Vaters kamen er, sein 12jähriger Bruder Friedrich und sein 9jähriger Bruder Otto Ernst ins Waisenhaus. Die Mutter, eine Reinmache- und Waschfrau, konnte aus Armut ihre Kinder nicht selbst „durchbringen“.

Weil Wilhelm Martin noch so jung war, überwies ihn das Waisenhaus zu Pflegeeltern nach Kummerfeld. Ihre Mutter sahen die Kinder nur noch sporadisch. Für jeden Besuch musste die Mutter beim Direktor des Waisenhauses eine schriftliche Erlaubnis einholen.

Wilhelm Berger galt als Musterknabe. 1898, mit fünfzehn Jahren, wurde Wilhelm Martin Berger konfirmiert und begann im selben Jahr eine vierjährige Lehre bei einem Schlossermeister. Während seiner Lehrzeit muss es ihm in seiner Freizeit oft sehr langweilig gewesen sein, und so schrieb er in den Jahren 1900 und 1901 an den „sehr geehrten Herrn Direktor“ des Waisenhauses: „Für’s erste bitte ich um Entschuldigung, weil ich Sie mit meinem Briefe belästige. Ich schnitze nämlich sehr gerne, und da mich jetzt die lange Weile plagt, bitte ich höflichst um einige Schnitzbretter. In der Hoffnung, dass meine Bitte erfüllt wird, schließt Euer dankbarer Zögling Wilhelm Berger.“

Nach Abschluss der Lehre ging Wilhelm Berger auf Wanderschaft, hielt zum Waisenhaus aber ständigen Kontakt – dies schon deshalb, weil das Waisenhaus sein Vermögen verwaltete. So schrieb er einmal an das Waisenhaus: ‚Hier durch zeige ich an, das ich in Plauen bin. Die Reise hierher hat aber mein Geld in Anspruch genommen, und ich liege hier, und habe noch keine Arbeit: denke aber bald welche zu kriegen. Ich bitte ihnen daher recht freundlichst, von meinen baar Vermögen, welches ich dort stehen habe, mir 20 MK zu schicken.“ Mit 25 Jahren heiratete Wilhelm Martin Berger, wurde Vater eines Sohnes, arbeitete als Schmied und starb im Alter von 83 Jahren.1)

Starben die Eltern, verließen sie ihre Kinder oder waren nicht in der Lage, ihre Kinder zu erziehen, dann übernahm der Staat mit seiner staatlichen Verwaltungsbehörde, dem Waisenhauskollegium, die Funktion und Aufgaben von Eltern. Dieses Kollegium, welches sich einmal im Monat traf, setzte sich aus zwei Senats- und sechs von der Bürgerschaft gewählten Mitgliedern – letztere Provisoren genannt – zusammen. Sie erließen allgemeine Vorschriften und hatten die Vormundschaft oder Pflegschaft über alle ins Waisenahaus überwiesenen Minderjährigen. (Erst mit dem am 1. Januar 1900 in Kraft getreten BGB wurden diejenigen Minderjährigen von der staatlichen Vormundschaft ausgeschlossen, die weiterhin unter der „elterlichen Gewalt“ standen.)

Jedoch diejenigen, die mit den Kindern im direkten Kontakt standen, sie anleiteten, auf die Selbstständigkeit vorbereiteten, also alles das taten, was Elternarbeit ausmacht, die hatten nicht viel zu sagen, fühlten sich deshalb zurückgesetzt und empfanden ihre Arbeit nicht entsprechend geachtet.

Nach den Sitzungen des Waisenhauskollegiums fand regelmäßig ein opulentes Frühstück für dieses statt, an dem aber der Waisenhausvater, die Waisenhausmutter, der Hauptlehrer und der Kassen- und Rechnungsführer ausgeschlossen waren.