Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Heidegängerweg

Rahlstedt (1951), nach dem Werk von Liliencron „Der Heidegänger“


Vorher hieß der Weg Blücherstraße.

Detlev von Liliencron (siehe Liliencronstraße) verfasste 1890 das Gedicht „Der Haidegänger und andere Gedichte“. (Leipzig 1890, S. 96-131).

Es geht dabei um einen sich einsam und verlassen fühlenden Dichter (der Haidegänger). Er befindet sich in einer Sinnkrise seines Lebens und Schaffens. In der Heidelandschaft liegend, den Blick zu den Wolken am Himmel gerichtet, träumt er. Im Traum erscheinen ihm viele Gestalten, mit denen er in den Dialog tritt, darunter auch eine Frau, die er erotisch begehrt – und es kommt der Tod.

Im Folgenden ein Auszug aus dem Gedicht: das Gespräch zwischen dem Haidegänger und dem Tod. Der Tod äußert sich in dem Gespräch sehr abfällig über Frauen. Dadurch wird er zu einer irdischen männlichen Gestalt und hat so gar nichts Überirdisches mehr, denn durch solche Äußerungen bewegt er sich - wie die Menschen auf Erden - in einer, von Geschlechtsrollenklischees nur so strotzenden patriarchalen Gesellschaft,

„Der Tod
Sage mir, Freundchen, würd' es dir passen, Mit mir deine Heimat heut' zu verlassen, Dir die Unterwelt anzusehn? Willst du so, kannst du mit mir gehn.

Der Haidegänger.
Sehr gütig, doch zieh' für's erste ich vor, Noch zu warten vor deinem Eingangsthor.

Der Tod.
Das nenn' ich aber ... ich dacht' entschieden, Du wärest mit deinem Los nicht zufrieden, Hinfristetest hier einsam und verbannt, Sehntetest dich in ein schöneres Land, Wo dich nichts mehr ärgert, dich nichts mehr quält, Wo kein Schuh dich drückt, dir nichts mehr fehlt. Deiner Brüder erbärmlichen Kleinigkeit Und Kleingesinnungsart bist du befreit. Wie unvornehm denkt meistens das Menschenpack, Von oben herab bis zum Bettelsack, Wie spießbürgerlich, poesielos, philisterhaft,
Ob es ein Fürst ist oder eine Schneidergesellschaft, Und in Geldsachen erst recht, Ob Nobile oder Sattelknecht. Fühlst eine Minute du dich frei, Gleich wirbeln die Wasser wieder herbei, Die Sorgengedanken, und reißen dich fort. Unaufhaltsam, unbarmherzig aus Hafen und Hort.
Du schreist nach Hilfe dich heiser und rauh, Keiner wirft dir das Rettungstau. Jeder muß mit sich selbst sich befassen, Darf nicht sein Steuer im Strudel verlassen. Möchtest du laut deine Freude äußern, Du weißt, sie werden dich gleich duckmäusern; Zeigst du dein singfrohes Herz der Welt,
Es wird dir sofort von den Leuten vergällt. Doch muß ich sagen, im allgemeinen Lernt ihr es schon auf Kindesbeinen: Zu verheimlichen und zu schweigen, Keinem euren Jubel zu zeigen. Und wahrlich, verbergt, was euch selig macht, Die Wölfe zerreißen es, gebt ihr nicht Acht. Und die Weiber? Nimm an, für jeden Kuß Erntest du prompt zehn Zentner Verdruß. Und thun sie auch noch dir so schön und gut, Ihr Gedanke ist doch immer: Mein neuster Hut. Naschhaft, haben sie, wie findest du das, Beständig den Finger im Syrupfaß; Und ihre Lüsternheit erst, daß Gott erbarm: Liegt dir dein Holdchen ergeben im Arm, Sie blinzelt über deine Schulter umher, Wirft nach neuer Beute den Augenspeer,
Und wär's dein bester Freund, der ihr gefiele, Sie läßt um keinen Preis von ihrem Ziele. Dein bester Freund, nebenbei gesagt, Denkt dann, warum sei's nicht gewagt, Steckt sich die Schuftfeder in den Schopf, Und macht dich mit ihr ohne Bedenken zum Tropf. Erinnerst du dich, es war in Gastein,
Du warst solch ein Schurke,

Der Haidegänger.

Halt ein, halt ein.

Der Tod.
Und weiter, hast du nie bedacht, Welchen Hennengehirnchen du Reverenz gemacht? Wie vielen, die besser verdient die Rute, Dümmer waren als die dümmste Eselstute, Opfertest du dein Geld, deine Zeit, Deinen Geist, deine Selbstachtung, deine Arbeit. Und dies ewige Lügen und Hintergehn, Dies katzenfreundliche in die Augen Sehn. Und Umschmeicheln und kindisch-alberne Tollen, Wenn sie etwas erreichen wollen. Unglückliche Liebe, verratene Liebe, wie nenn' ich die Zahl Der Liebesfoltern, der Liebesqual. Das greuliche Schieltier, die Eifersucht, Sei hier noch ganz besonders gebucht.
Kurz und bündig, der Liebe Born Ist immer umbuscht von Stachel und Dorn. Ich sollte meinen, du schlügest zu.

Der Haidegänger.
Ich bitt' dich inständig, laß mich in Ruh. Du trittst das einzige Glück mit Füßen, Du willst mir das einzige Glück entsüßen, Du Troddel, das soll dir gewiß nicht gelingen. Amor fliegt mit Zephyrschwingen. Unbekümmert über dein Höllenhaus, Und foppt dich und narrt dich und lacht dich aus. So ein Mädel, o die Lust, Mit ihr zu tändeln Brust an Brust. Was geht denn über den Sommertag, Wo wir zwei miteinander durchziehn den Hag, Einkehr halten im fremden Städtchen, Einkehr dort halten im »Raspelrädchen«.Wir sind allein und deinem Unterweltsegen, Dem grausigen werfen, wir Rosen entgegen.

Der Tod.
Poltre nur zu, ereifre dich nur, Bin, trotz allem, auf rechter Spur, Und da ich nun doch einmal bin in Fluß Von Maid und Minne, Gezärtel und Kuß, Sag' mir, ich bitte dich, dich zu bequemen, Ehrlich, wie gefiel dir das Abschiednehmen? Doch wart', ich will deine Denktafel wischen, Und dein Gedächtnis ein wenig auffrischen: Einst, in einem großen Saale, Durchleuchtet vom Nachmittagssonnenstrahle,
Es schwieg der Garten, der Hof lag vertraut, Es drang zu euch kein störender Laut, Du hattest »Wohlauf noch« von Schumann gesungen, Wie hat sie die weißen Hände gerungen, Es war eine süße Baroneß,Oder war's eine kleine blonde Komteß,Gleichviel; die Trennungsstunde war da.
Als sie nun weinend zu Boden sah, Hast männlich du mit dem Schmerze gerungen, Hast mächtig deine Qual bezwungen. Der Kampf aber half dir nicht hinüber, Dein Auge ward feucht, dein Blick immer trüber, Und als sie dir schluchzend hing am Nacken, Quollen die Thränen dir über die Backen.

Hast jahrelang gedacht an die Stunde, Bis endlich sich schloß die böse Wunde. Ein ander Bild: Ein jung einfach Kind Aus Volkestiefen ward hold dir gesinnt, Wie's die Kleine hat angefangen, Daß du ihr in die Netze gegangen, Nun ja, wie sich einführt solch' Tänzel: Geäugel, Geampel, Gedreh' und Geschwänzel; Sie weiß deine Wege, und sieht sie dich nah'n, Giebt's Glutblicke, und zugleich wird bescheiden gethan; Und ist im Erobern errötend, naiv, Hält ganz beschämt das Köpfchen schief.
Ihr Männer seid meistens erstaunlich dumm, Fädelt ein Evchen um euch herum. Endlich merkst du's: sie hopst, hascht, husch Vergeblich in den Syringenbusch; Du gingst vorbei und sie thut, ach, ach,

Als wär' sie zum Blütenerspringen zu schwach. Du halfst ihr, und – der Daus, sahst du's blitzen?
Klapp, mußtest du in der Falle sitzen. Und mit stürmischem, heißem, heftigem Drange Küßtest du ihr die frische Wange. Sie gab dir alles, Seel' und Leib, Und du hattest sie lieb, als wär' sie dein Weib.

Doch die Langweile gähnte: die Kluft war zu groß, Du machtest aus ihren Maschen dich los.
Am Abschiedsabend fragtest du müssig, Du warst ihrer längst schon überdrüssig:
Dein grobes Linnen, ei, ist mir nicht fremd, Was säumen heut' Spitzen dein wirkenes Hemd?
Und sie wandte sich ab von deiner Stirn, Und zögernd, leis' sprach die arme Dirn:
»D'weil i thu schlafa bei dir d'letzt' Nacht, Han i a scheens Hemmad mir z'recht g'macht.«
Und so schlecht warst du nicht, dir stürzten die Thränen, Und mußtest dich später lang nach ihr sehnen. Und nun sollst du einen Schattenriß sehn, Der wird, willst du jetzt nicht mit mir gehn:
In einigen Jahren, ich kenne den Tag, Reitest du aus in den grünen Hag. Dein Dunkelfuchs trägt dich, zwei Pointer zur Seite, Trabst du, wie stets, vergnügt in die Weite. Im Walde begegnet ein Mädel dir,

Das thut dir behagen: »Bleib du bei mir.« Die blinzelt dich an und lacht dir zu: »Bübele, sag' mir, wie alt bist du?« Und sie läuft davon, und läuft geschwind, Und über dein Herz zieht ein eisiger Wind.
Du jagst ihr nach und holst sie ein, Und brichst aus den Hecken ein Röselein: »Nimm hin, nimm hin, mit der Rose hier, Meine letzte Jugend geht mit ihr.«

Und du wendest dein Pferd, und reitest im Schritt, Im Sattel reitet der Winter mit.

Und sonst, was hast du denn noch auf Erden? Kannst einer Stunde du fröhlich werden?
Kannst du dich ausleben auch nur einen Tag, Wie du möchtest, wie dir kündet dein Herzensschlag?
Und sind nicht stets tausend Rücksichten zu nehmen, Mußt du dich nicht zu vielem bequemen,
Du mußt, was dir ganz gegen den Strich, Und das findest du alles nicht fürchterlich?

Der Haidegänger.
Schon recht.

Der Tod.
Du bist ein deutscher Dichter. Und wohnst inmitten der Splitterrichter, Umgeben von Gleichgiltigkeit und Bier, Sei versichert, viel wohnlicher ist es bei mir, Hast du Geist, das kann niemand vertragen,
Sie packen dir wütend an Kranz und Kragen, Bist du arm, und machst dir das kleinste Vergnügen,
Was dann die alten Tanten zusammenlügen, Wie sie dich verpetzen und beißen, Dich giftig und bös' in den Kehricht schmeißen. Du weilst unter lauter undankbarem Volke, Komm mit, wir verschwinden in einer Wolke.

Der Haidegänger.
Nein, nein, ich will nicht. Hanne, Hann–e!

Der Tod.
Du willst nicht? Gestatte, daß ich sanft dich umspanne.

Der Haidegänger.
Jetzt verwandelt er sich zum Knochenmann. Hanne, Hann–e ... da stürmt sie heran. Ist aus dem Hannchen im hohen Norden Eine Oberbayerin geworden? Sie hält ihm die Faust unter die Nase.

Haidehanne.
Rie(a)ch! Laßt'n glei liegn, du Malefizvie(a)ch!

Der Haidegänger.
Und der Tod läuft davon, wie knackt sein Gebein, Und die Hanne immer hinter ihm drein,
Jetzt wirft sie den Pantoffel ihm nach ...

Haidehanne.
Wach auf, i fircht'mr, erwach', erwach'.

Der Haidegänger.
Hab' ich geschlafen, ach, dein liebes Gesicht,
Ich schrieb im Traum ein phantastisch Gedicht.“ 1)