Elise-Lensing-Weg
Barmbek-Nord, seit 1948, benannt nach Maria Dorothea Elisabeth Lensing (14.10.1804 Lenzen an der Elbe – 18.11.1854 Hamburg), Förderin und Freundin Friedrich Hebbels
Siehe auch: Amalie-Schoppe-Weg
Siehe auch: Hebbelstraße, Uhlenhorst (1899): Friedrich Hebbel (1813-1863), Dichter
Vor 1948 hieß die Straße Charitas Bischoffs-Weg, benannt 1928, siehe unter: Charitas-Bischof-Treppe in Blankenese. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Elise-Lensing-Weg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zur Umbenennung, die dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1948 erfolgte.
Ende März 1835 lernte die damals 31-Jährige den 22-jährigen Friedrich Hebbel (siehe: Hebbelstraße) kennen. Hebbel war von der in Hamburg lebenden Schriftstellerin Amalie Schoppe (siehe: Amalie-Schoppe-Weg) aus der Enge seiner Heimatstadt Wesselburen in Nord-Dithmarschen nach Hamburg geholt und vor dem Steintor bei Elise Lensing, ihrer Mutter und Elises Stiefvater Ziese untergebracht worden. Elise war die Tochter des Chirurgen Johann Friedrich Arnold Lensing und seiner Ehefrau Karoline Maria. Elise verlebte unglückliche Kindertage: der Vater, alkoholkrank, cholerisch, prügelte seine Kinder. Nachdem ihn seine Frau hatte entmündigen lassen, heiratete diese einen Schiffer. Aber auch er behandelte Elise schlecht.
Elise war es nicht gewohnt, dass man ihr etwas Gutes tat, und so konnte sie sich auch nicht darüber freuen –vielleicht misstraute sie auch Männern, da sie diese bisher nur als gewalttätig kennen gelernt hatte - , als ein Hauptmann, dem ihr schüchternes Wesen gefiel, sich entschloss, sie ausbilden zu lassen und nach Magdeburg ins Pensionat des Pädagogen J. C. A. Heyse zu geben.
Mit neunzehn Jahren kehrte sie als junge Pädagogin nach Hamburg zurück, lebte wieder bei ihren Eltern und verdiente ihren Lebensunterhalt mit Privatstunden, Nähkursen und als Gesellschafterin. Eine kleine Erbschaft von ihrem leiblichen Vater gab ihr eine gewisse finanzielle Freiheit.
Als Hebbel auftauchte, entwickelte sich schnell ein Liebesverhältnis zwischen den beiden. Nach sechs Wochen zog Hebbel in ein Nachbarhaus, vermutlich, um den Klatsch zur Ruhe zu bringen. Beide liebten jedoch nicht gleich intensiv. Elise liebte Hebbel stets mehr.
Hebbel blieb nur ein Jahr in Hamburg. Im März 1836 zog er nach Heidelberg, um dort Jura zu studieren. Als er feststellte, dass er dazu keine Berufung hatte, ging er im September desselben Jahres nach München, weil er sich dort mehr Möglichkeiten für seine schriftstellerische Tätigkeit erhoffte. Elise unterstützte nicht nur ihn aus ihren geringen finanziellen Mitteln, sondern auch seine Mutter – ohne einen anderen Lohn zu fordern als einen nicht gar zu unfreundlichen Brief.
Nur wenn Hebbel sich einsam und unglücklich in einer fremden Umgebung fühlte, liebte er Elise, schrieb sehnsuchtsvolle Briefe an sie. Sobald er aber wieder festen Boden unter den Füßen hatte, verblasste seine Zuneigung. Aus München kam z. B. eine drastische Klarstellung seinerseits an Elise: Freundschaft sei es, was ihn mit Elise verbinde, alles andere sei ein Irrtum gewesen. Wenig später dann ein völlig anders ausgerichteter Brief an Elise, in dem er ihr seine Liebe gestand.
Elise ertrug diese Stimmungsschwankungen mit unendlicher Geduld. Immer wieder bedankte sich Hebbel für ihre Festigkeit und Teilnahme. Als er im März 1839 vollkommen mittellos war, kehrte er nach Hamburg und zu Elise zurück. Bald wurde Elise schwanger. Hebbels Tagebuch aus dieser Zeit ist voller Liebe, Zärtlichkeit und Anerkennung für Elise. Aber auch Selbstanklagen und Reue fehlen nicht, denn das Verhältnis war nicht wirklich harmonisch. Wie im Finanziellen war Elise auch im Emotionalen die Gebende und Ausgleichende. Am 5. November 1840 wurde der gemeinsame Sohn Max geboren, geheiratet wurde nicht. Hebbel hatte bereits in seinem Brief vom 19. Dezember 1836 aus München ausführlich auseinandergesetzt, dass und warum eine Ehe für ihn undenkbar sei: „Ich kann alles, nur das nicht, was ich muß. Das liegt zum Teil in meiner Natur, zum Teil in der Natur des Künstlers überhaupt. Wenn ein Genie sich verheiratet, so geschieht immer ein Wunder, so gut, als wenn ein anderer sich nicht verheiratet. Nimm es als den höchsten Beweis meiner Achtung auf, daß ich Dir diese dunkelste Seite meines Ichs entschleiere; es ist zugleich unheimlich und gefährlich, wenn ein Mensch zum Fundament seines Wesens hinuntersteigt und er tut gar wohl, wenn er niemals daran rüttelt, denn drunten lauern die Finsternis und der Wahnsinn.“ 1)
Als Elises Ersparnisse aufgebraucht waren und die spärlichen Einnahmen kein Auskommen mehr ermöglichten, reiste Hebbel im November 1842 nach Kopenhagen, um seinem Leben eine Wendung zu geben. Er erbat vom dänischen König eine Professur für Ästhetik an der Universität Kiel. Die Professur erhielt er nicht, aber ein Reisestipendium für zwei Jahre. Das Ziel hieß Paris, wo Hebbel nach einem Zwischenstopp in Hamburg im September 1843 eintraf. Und hier begann wieder, was schon auf der ersten Reise deutlich geworden war: Einsam in einem Land, das ihm fremd war, sehnte er sich nach Elise.
Als Elise ihm den Tod des Sohnes Max meldete, der am 2. Oktober 1843 nach einem Sturz auf den Kopf an einer Gehirnentzündung verstorben war, und zugleich ihre erneute Schwangerschaft, das sie durch Fußbäder abzubrechen versucht hatte, war Hebbel außer sich vor Kummer und Sorge und wollte sofort heiraten. Aber schnell stellten sich Zweifel ein. Als Elise die Koffer schon gepackt hatte, kam die Anweisung: Bleibe, wo Du bist, hier verhungern wir beide!
Hebbel führte immer wieder die finanzielle Lage an, die eine Heirat unmöglich machte. Er sprach davon, eine Geschwister-Ehe mit Elise zu führen. Eine Trennung im wahren Sinne des Wortes könne nie stattfinden. Auch das zweite Kind solle selbstverständlich auf seinen Namen getauft werden, aber heiraten …
Als Elise ihre alles erduldende Haltung aufgab, Vorschläge machte, wie eine Heirat auch bei der finanziellen Misere möglich sei, und ihr wahres Verhältnis zu Hebbel nicht länger verleugnete, indem sie sich dem dänischen König als Hebbels Verlobte vorstellte, antwortete er: „Warum mußtest Du? Hundert Mal in ähnlichen Fällen warst Du nur meine Cousine“ (Brief vom 16.12.1844).
Am Ende des Jahres 1844, dem Jahr, in dem der zweite Sohn Ernst am 14. Mai geboren wurde, gab Hebbel sich selbst wie an jedem Jahresende Rechenschaft: „Kann ich, muß ich heiraten? Kann ich, muß ich einen Schritt tun, der mich auf jeden Fall unglücklich und dich! Nicht glücklich machen wird? (…) Elise ist das beste Weib der Erde, das edelste Herz, die reinste Seele, aber sie liebt, was sie nicht wiederlieben kann, die Liebe will besitzen, und wer nicht liebt, kann sich nicht hingeben, sondern sich höchstens opfern!“ (Tagebuch 31.12.1844). Später verstieg er sich dazu, Liebe als „die höchste Spitze des Egoismus“ (Brief vom 6.12.1845) zu interpretieren – ein Selbstschutz vermutlich! Als er nach Wien ging, wurden die Worte noch schroffer, ja drohend: „ (…) das mußt Du doch fühlen, daß die Verhältnisse von ehemals jetzt unmöglich sind und daß mein Leben entweder einen höheren Schwung oder – ein Ende nehmen muß. So steht die Sache, täusche Dich nicht“ (Brief vom 6.12.1845).
Sein Leben nahm „einen höheren Schwung“: In Wien wurde ihm Anerkennung zuteil, und hier verliebte er sich 1846 in die Burgschauspielerin Christine Enghaus. Elise verlor jetzt die Geduld, sie hatte seine Reisen und Liebschaften lang genug ertragen. Bitter beklagte sich Hebbel in seinem Tagebuch über ihr ungewohntes Aufbegehren: „ (…) kaum aber nannte ich ihren [Christine Enghaus] Namen, in einem Brief nach Hamburg, als Elise, die sich schon über mein bloßes Verweilen in Wien auf die rücksichtsloseste Weise geäußert hatte, mir die ärgsten Schmählichkeiten über sie schrieb, und in einem Ton gemachter Naivität, der mich noch mehr verdroß, als die Sache selbst“ (Tagebuch, 29.12.1846). Am 26. Mai heiratete Hebbel Christine Enghaus. Elise blieb nur der gemeinsame Sohn Ernst. Aber auch den musste sie hergeben. Ernst starb wie sein Bruder im Alter von knapp drei Jahren am 12. Mai 1847. Christine Enghaus’ Reaktion, die auch gerade ein Kind verloren hatte: „Laß sie – die Mutter – zu uns kommen“ (Tagebucheintragung 4170).
Elise lebte eineinhalb Jahre bei Hebbel und Christine Enghaus in Wien. Christine begegnete ihr schwesterlich. Elise übertrug all ihre Liebe zu Hebbel auf seine Frau und das Kind Tinchen, das am 25. Dezember 1847 geboren wurde.
Im August 1849 reiste Elise zurück nach Hamburg, weil sie die ständige Gegenwart Christines und Hebbels wohl doch nicht ertragen konnte. Mit ihr fuhr der uneheliche Sohn Christines, Carl, den Christine Enghaus aus einer anderen Beziehung hatte. Ihn sollte Elise erziehen, was sie auch mit aufopfernder Hingabe tat. Carl wurde zu Elises ganzer Freude in ihrer Einsamkeit.
Die Briefe, die Elise nach ihrer Rückkehr aus Wien an Christine und Friedrich Hebbel schrieb, wobei der größte Teil an Christine gerichtet war, dokumentieren ein Leben allein in Bezug auf Hebbel, übertragen auf dessen Ehefrau Christine und die Tochter Tinchen. Die Briefe vermitteln auch den Eindruck, dass es wieder einmal Elise war, die mehr liebte, als sie geliebt wurde.
Elise Lensing starb nach einem qualvollen Lungenleiden. Sie erhielt ein Armengrab auf dem Friedhof in St. Georg. Als der Friedhof eingeebnet wurde, kaufte ihr Christine Hebbel eine Grabstätte auf dem Friedhof Ohlsdorf.
Text, im Wesentlichen von Brita Reimers