Erzbergerstraße
Ottensen (1945): Matthias Erzberger (20.9.1875 Bullenhausen - 26.8.1921 Bad Griesbach), Reichstagsabgeordneter, wurde von seinen politischen Gegnern ermordet.
Früher hieß die Straße Kronprinzenstraße, benannt 1895. 1922 wurde die Straße umbenannt in Erzbergerstraße. In der Weimarer Republik sollten In Deutschland Straßen auch nach demokratischen Politikern benannt und dafür zum Beispiel nach Monarchen benannte Straßen umbenannt werden.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Straße 1933 in Adolf-Bartels-Straße (15.11.1862 Wesselburen – 7.3.1945 Weimar) umbenannt. Dieser „war ein völkisch-antisemitischer deutscher Schriftsteller, Journalist, Literaturhistoriker und Kulturpolitiker. Er war ein Vertreter der Heimatkunstbewegung und propagierte schon früh antidemokratische und judenfeindliche Positionen, die nach 1933 prägend für die Kulturpolitik des Nationalsozialismus wurden.“ 1)
Gleich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus kam es zur Rückbenennung der Straße in Erzbergerstraße.
„Matthias Erzberger wurde als Sohn des Schneiders und nebenberuflichen Postboten Josef Erzberger und dessen Frau Katherina (geb. Flad) (…) geboren. (…) [Er] besuchte (…) zunächst die Präparandenanstalt in Gmünd. (…). Anschließend studierte er am katholischen Lehrerseminar in Saulgau, wo er 1894 die Volksschullehrerprüfung ablegte (…).
Im Jahr 1900 heiratete Erzberger (…) Paula Eberhard (1875–1963), die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. Der Ehe entstammten zwei Töchter und ein Sohn. Der Sohn erkrankte 1918 als Offiziersanwärter an der Spanischen Grippe und starb.[ Wenige Monate vor der Ermordung Erzbergers trat Maria Erzberger (1902–1937), die ältere seiner beiden Töchter, 1921 in den Karmel von Echt des Karmelitenordens in den Niederlanden ein. Sie starb dort 1937. Die Witwe Erzbergers und die jüngere Tochter Gabriele (1914–1996) blieben in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten beide in Stuttgart. Paula und Gabriele Erzberger wurden im Biberacher Familiengrab neben ihrem Mann bzw. ihrem Vater beigesetzt. (…).“2)
Erzberger deckte 1905/06 den Kolonialskandal auf, so dass der Reichstag die Fortsetzung des Krieges gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwest-Afrika ablehnte und Reichskanzler Bülow 1907 Neuwahlen ausschreiben ließ, die berüchtigten „Hottentottenwahlen“.
Über die Kolonialskandale heißt es in der von Helmut Haug verfassten Seminararbeit „Matthias Erzberger und die Kolonialskandale“ aus dem Jahre 2001: „Matthias Erzberger brachte um den Jahreswechsel 1905/06 eine Reihe skandalöser Vorfälle in der deutschen Kolonialpolitik vor den Reichstag, die als Symptome der bisherigen Kolonialpolitik zu werten sind. Nicht nur das persönliche Fehlverhalten einiger Beamten und Gouverneure, sondern auch die Mißwirtschaft, die in den einzelnen Kolonien betrieben wurde, waren für Erzberger ein skandalöser Zustand. Er rief nach Veränderung und verlangte Reformen, die es dem Reichstag ermöglichen sollten, mehr Einfluß auf die Kolonialpolitik auszuüben. Bis dato betrafen die Verantwortlichkeiten des Reichstages nur den Finanzhaushalt der Kolonien. (…).“ 3)
Matthias Erzberger, so Helmut Haug, hatte sich schon lange kritisch mit der deutschen Kolonialpolitik beschäftigt. „Anläßlich des Herero-Aufstandes 1904 in Deutsch-Südwestafrika wandte er sich in der Münchner Wochenzeitung ‚Allgemeine Rundschau‘ vom 24.September 1904 erstmals gegen die Kolonialabteilung. Er warf ihr mangelnde Organisation vor, die es nicht schaffte, genügend Truppen nach Deutsch-Südwestafrika zu senden, um den Aufstand womöglich früher beenden zu können, da dies an der Frage der Entscheidungskompetenz scheiterte. Nicht nur der Kaiser, dessen Entscheidungshoheit in Kriegsfragen schon in der Verfassung verankert war, sondern auch das Kriegsministerium, das Marineamt, das Reichspostamt und zuletzt das Militärkabinett sollten über die Entsendung der Truppen entscheiden. Der Vorwurf der Systemlosigkeit sollte sich aber, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, fortsetzen. (...) [Erzberger] kritisierte vor allem, daß die verschiedenen Kolonialdirektoren jeweils ein eigenes System hatten, das oft dem des Vorgängers nicht entsprach, ja sogar widersprach. Oft mußte der Nachfolger die Fehler des Vorgängers mit viel Arbeit wieder korrigieren. Erzbergers Ansinnen war es (…), diese Fehlerquellen zu beseitigen, um die momentan vorhandenen Mißstände zu beheben.“ 4)
Erzberger kritisierte, so Helmut Haug, auch die Personalpolitik. „Beamte wurden eingestellt, obwohl ihre Kompetenzen nicht den Erwartungen entsprachen und vor denen sogar gewarnt wurde. Theorie und Praxis lagen weit auseinander, was Erzberger aus dem Königlichen Handbuch über das Konsularwesen entnahm: ‚Nach einem Zirkular des Reichskanzlers ist den Beamten einzuschärfen, daß es ihre Aufgabe ist, Deutschen und sonstigen Europäern in Ausübung ihres Berufes und Gewerbes mit Wohlwollen entgegenzukommen und sie zu unterstützen, weil die Förderung der wirtschaftlichen Verhältnisse den vornehmsten Teil ihrer dienstlichen Tätigkeit bildet. Sodann haben die christlichen Missionsgesellschaften mit ihrer segensreichen und für die kulturelle Entwicklung der Schutzgebiete unentbehrlichen Tätigkeit Anspruch auf weitgehende amtliche Unterstützung.‘ Aus einer Vereinbarung des Kolonialdirektors Dr. Stuebel läßt sich unter Punkt 9 allerdings lesen, daß ‚das Gouvernement angewiesen [ist], dafür Sorge zu tragen, daß, falls der Brauch eingerissen sein sollte, wonach von den Beamten auf Reisen von den Eingeborenen Weiber zum geschlechtlichen Verkehr gefordert werden, den Beamten ein solches Verhalten als mit ihrer Würde unvereinbar verboten wird.‘ Hier zeigte sich der Unterschied und Erzberger machte daraus einen erheblichen Vorwurf. Allerdings suchte Erzberger die Fehler nicht nur in der Kolonialabteilung in Berlin selbst. Auch in den Kolonien gab es genügend Vorfälle, die den oben genannten Vorwurf bestätigten.“ 5)
„Matthias Erzberger nahm es auf sich, 1918 den Waffenstillstand zu unterzeichnen, damit der Erste Weltkrieg beendet werden konnte, und gehörte zu den Gründungsvätern der ersten deutschen Republik. Dafür verfolgten die alten Eliten den Zentrumspolitiker mit nimmermüdem Hass – am 26. August 1921 wurde er von zwei Marineoffizieren ermordet.“ 6) Sie gehörten der rechtsextremistischen „Organisation Consul“ an.