Bülowstraße
Ottensen (1909): Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow (3.5.1849 Klein Flottbek – 28.10.1929 Rom), Graf, Fürst, Politiker, Minister des Äußeren und Reichskanzler von 1900 bis 1909
Siehe auch: Arnemannweg
Siehe auch: Am Ballinkai
Laut Hamburger Adressbuch von 1957 soll die Straße am 1.4. 1937 umbenannt worden sein nach dem Musikdirektor Hans von Bülow, nach dem 1950 auch der Bülowstieg benannt wurde.
Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow wurde in Klein Flottbek geboren. Sein Vater war Bernhard Ernst von Bülow (1815–1879), seine Mutter Luise Victorine, geb. Rücker (siehe: Rückersbrücke und Rückersweg) (18.10.1821 Hamburg – 29.1.1894 Berlin), eine hanseatische Bürgerstochter. „In Paris, wo er von 1879 bis 1884 als Botschaftssekretär arbeitete, schloss er Freundschaft mit Philipp zu Eulenburg. Die Freundschaft der ‚schwesterlichen Seelen‘ überdauerte den Parisaufenthalt. So oft es ging, traf sich Eulenberg mit seinem ‚heißgeliebten Bernhard‘. Bülow träumte manchmal davon, mit Philipp gemeinsam alt zu werden und das Leben nur ‚dem Schönen‘ zu widmen“, 1) schreiben Berhard Rosenkranz und Gottfried Lorenz.
Verheiratet war Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow mit Maria, geschiedene Gräfin von Dönhoff, geborene Beccadelli di Bologna, Marchesa di Altavilla, Principessa di Camporeale (6.2.1848 Neapel - 26.1.1929 Rom). In erster Ehe war sie zwischen 1867 und 1882 mit dem preußischen Diplomaten Karl August Graf von Dönhoff (1833–1906) verheiratet gewesen. Das Paar bekam 1868 eine Tochter. In Wien, wo das Diplomatenehepaar gelebt hatte, hatte die hochmusikalische Maria einen Salon geführt, wo sich Künstler und Musiker trafen.
Anfang der 1880er Jahre verliebten sich Maria von Dönhoff und Bernhard von Bülow ineinander. Bülow war, wie Marias Ehemann, ebenfalls Diplomat. Da Maria sowohl protestantisch als auch katholisch geheiratet hatte, musste sie nicht nur geschieden, sondern ihre Ehe musste darüber hinaus auch noch vom Papst annuliert werden.1882 wurde die Ehe nach preußischem Recht geschieden und 1884 vom Vatikan annulliert.
Da Ehen mit geschiedenen Frauen gesellschaftlich nicht angesehen waren, was für den preußischen Diplomaten Bernhard von Bülow das Karriereaus bedeutet hätte, drang er hartnäckig darauf, dass er von seinem obersten Vorgesetzen Fürst Bismarck den für eine Heirat mit einer geschiedenen Frau erforderlichen Ehekonsens bekam. So konnte das Paar 1886 heiraten. Zwei Jahre später wurde Bülow Gesandter in Bukarest und 1893 Botschafter in Rom. Hier unterhielt seine Gattin ebenfalls einen Salon und führte ihren Mann in die Gesellschaft Roms ein, zu der sie enge Kontakte pflegte.
1897 wurde Bülow zum Staatssekretär des Auswärtigen ernannt und zog mit seiner Frau nach Berlin. Auch dort hielt Maria von Bülöw einen Salon, in dem sich hauptsächlich Politiker, Diplomaten und hochrangige Militärs trafen. Aber auch Maler – wie Max Liebermann (siehe: Liebermannstraße) und Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann (siehe: Gerhart-Hauptmann-Platz). Maria von Bülow spielte mit ihrer Mutter bis zum Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle in der Berliner Gesellschaft.
Aus seiner Zeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt stammt der von ihm am 6.12.1897 im Reichstag geäußerte Satz: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“. Damit machte von Bülow den deutschen Anspruch auf Kolonialbesitztum deutlich. Ulli Kulke schreibt dazu: „Das Reich hatte lange gezögert, Überseebesitzungen in den Tropen und Subtropen, den sonnigen Erdteilen eben, anzustreben. Es hatte im Vergleich zu den Konkurrenten Frankreich und Großbritannien erst spät nach Kolonien Ausschau gehalten und dabei eher bescheidenen ‚Besitz‘ ergattert: Togo, Kamerun, Deutsch-Südwest- und Deutsch-Ostafrika sowie Kaiser-Wilhelms-Land, Neupommern, Neumecklenburg und ähnlich klangvolle Landstriche in Neuguinea, in denen der deutsche Amtmann für preußische Ordnung sorgte.
Im Jahr 1897, als sich andere Regierungen Europas in China engagierten, verlangte von Bülow auch in Ostasien Rechte für sein Land, jenen ‚Platz an der Sonne‘. 1898 verpachtete China den Deutschen das Gebiet von Kiautschou mit der Hauptstadt Tsingtau und einem Stützpunkt für die Reichsmarine; noch heute leuchten dort Backsteinhäuser im Stil des deutschen Kaiserreichs unter fernöstlicher Sonne. Anschließend baute man den Kolonialbesitz in der Südsee aus: Samoa, Nauru und andere Inseln (…).“ 2)
Die Historikerin Paulette Reed-Anderson äußert dazu ausführlich: „In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts kündigten die Europäer die Vorherrschaft ihres Staatswesens, ihrer Kultur und ihrer moralischen und religiösen Werte an. Die europäische Hegemonie diente als Rechtfertigung für die Angriffe auf Fremdgebiete, für körperliche Misshandlung und emotionale Demütigung der Bewohner und für die wirtschaftliche Ausbeutung der Ressourcen des Kontinents.
Um an ‚einen Platz an der afrikanischen Sonne‘ zu gelangen – gemeint ist die Herrschaft über die Afrikaner und die Eroberung und Verwaltung ihres Landes – wurde, auf der Grundlage der europäischen Vorherrschaft, ein Unrechtssystem erfunden und aufgebaut. Die Kernstücke der deutschen Kolonialherrschaft waren Eroberungskriege, Vertragsbruch, Enteignung der Afrikaner, Entschädigung der weißen deutschen Siedler.
Der Widerstand gegen die europäische Eroberung mit allen Mitteln ist ein Tabuthema der europäischen Kolonialgeschichtsschreibung. Der bewaffnete Widerstand der Bewohner gegen die deutsche Eroberung dauerte von 1884 bis etwa 1909. Parallel zum bewaffneten Kampf entstanden die Petitionsbewegung und die Pan African-Bewegung.
Die Eingaben und Beschwerden von Königen und Amtsträgern aus Kamerun und Togo sind Beispiele für die Petitionsbewegung. Anfang 1913 überreichten Könige und Amtsträger aus Duala (Kamerun) Eingaben und Beschwerden an den deutschen Reichstag: Sie erklärten, dass ‚durch den ... [abgeschlossenen politischen Vertrag vom 12. Juli 1884 mit den Vertretern der Firmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen] das Deutsche Reich keineswegs die volle absolute Souveränität über die Machtsphäre der Dualas erworben hat‘. Sie erklärten ferner, eine rechtliche Basis für ‚die Okkupation [ihres Grund und Bodens] besteht also nicht‘. Im Herbst 1913 übersandte eine Gruppe aus Lomé, Togo, eine Eingabe an den Staatssekretär des Reichs-Kolonialamtes. In dem Schreiben verlangte sie unter anderem: die ‚Beseitigung der Kettenhaft und Prügelstrafe‘, die ‚Zulassung einer Vertretung der [Einheimischen] in die Gouvernementssitzung‘, die ‚Einführung eines allgemeinen Landesgesetzbuches‘ und ‚Frei-Handel für die [Einheimischen]‘.
Die Forderung nach Entschädigung wegen der deutschen Kolonialpolitik wurde schon 1906 Inhalt einer Eingabe der Kameruner an den Reichskanzler. Während seines Aufenthaltes in Deutschland überreichte der Bevollmächtigte des Königshauses Dika Mpundo Akwa von Bonambela, Prinz Ludwig Mpundo, Eingaben an die Reichsregierung. Ludwig Mpundo engagierte einen Anwalt und versuchte, sich auch auf dem Rechtsweg Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Das Verfassen von Petitionen und Beschwerden blieb nicht ohne Konsequenzen. Die Beteiligten wurden später festgenommen, inhaftiert, verbannt oder hingerichtet – ohne Rechtsbeistand und ohne Gerichtsverfahren.
In dem 1913 in Leipzig veröffentlichten Band ‚Das deutsche Reichsstaatsrecht, Bd.1: Die deutsche Reichsverfassung, 2. Auflage‘ ist eine Erläuterung der Reichs-Kolonialpolitik zu finden. Zum rechtlichen Status der Kolonien wurde erklärt: ‚Die Kolonien sind nicht als 'Bestandteile' des Reiches aufzufassen, sondern als 'Reichsnebenländer'. Die Deutsche Reichsverfassung [ist] in ihnen [den Kolonien] nicht eingeführt und somit nicht gilt‘. Ferner heißt es: ‚Die meisten Kolonien sind im Wege der Okkupation an das Reich gelangt. Zur Sicherung, ... und Erschließung des neuen Besitzes schloss das Reich eine dreifache Art von Verträgen ab: mit anderen Staaten, mit Eingeborenenhäuptlingen und mit deutschen Handelsunternehmungen‘. ‚Die Verträge mit den Stammeshäuptlingen‘, so der Autor, ‚sind völkerrechtlich bedeutungslos, weil diese keine Staaten im Rechtssinne vertreten; sie waren lediglich dazu bestimmt, den Eingeborenen die Annektierung ihres Landes wenig fühlbar zu machen und so die Okkupation zu erleichtern.‘
Obwohl nach Darstellung in dem oben erwähnten Band zum Reichsstaatsrecht die Deutsche Reichsverfassung keine Rechtsgültigkeit in den Kolonien hatte, berief man sich auf die Verfassung, um die deutschen Siedler zu entschädigen. Nach der Niederschlagung des Widerstandes in Deutsch-Südwest-Afrika (dem heutigen Namibia) wurden die Einheimischen enteignet und ‚die deutschen Siedler erhielten fünf Millionen Reichsmark Entschädigung‘. Die Entschädigungsansprüche der Afrikaner wurden von den Kolonial-Befürwortern und der Kolonial-Verwaltung verspottet.
Die deutschen Siedler und die Kolonialfirmen wurden nach dem Ersten Weltkrieg für die Schäden an Leben und Gesundheit durch die Entschädigungsverordnungen der Kolonialgouverneure begünstigt. Die Verordnungen, bemerkte ein Jurist im Jahr 1926, wurden ‚praktisch freilich ohne besondere Rechtsgrundlagen angewandt‘.Die Entschädigungssumme konnte sich auf annähernd 6 Milliarden Reichsmark belaufen.“ 3)
„1900 wurde [Bülow] von Kaiser Wilhelm II. zum Reichskanzler berufen. Zwischen 1907 und 1909 wurde Bülow in die Eulenburg-Affäre hineingezogen. Adolf Brand verdächtigte ihn, intime Kontakte zu seinem Privatsekretär, dem Geheimen Regierungsrat Max Scheefer, gehabt zu haben. In dem Prozess am 6. November 1907 konnte sich Bülow entlasten, indem er und sein als Zeuge geladener Freund Eulenburg jede Form homosexueller Neigungen bestritten. (…) Im April 1909 gelang Bülow mit Hilfe des Reeders Albert Ballin [siehe: Am Ballinkai] gegen Zahlung einer Summe von 40.000 RM ein außergerichtlicher Vergleich, so dass eine forensische Untersuchung im Zusammenhang mit dem Vorwurf, homosexuell zu sein, verhindert werden konnte. Durch die Prozesse war Bülow jedoch politisch und nervlich so geschwächt, dass er als Reichskanzler nicht mehr zu halten war. (…) Bernhard Fürst von Bülow war offenbar ein Opfer der Denunziationen von Adolf Brand, Dieser wollte anhand vermeintlich homosexuell veranlagter Persönlichketen für die Abschaffung des Paragrafen 175 kämpfen.“ 4)
Nach dem Rücktritt Bülows 1909 als Reichskanzler, lebte er mit seiner Frau eine Zeit lang auch in Kleinflottbek. Dort gab die geistreiche Maria von Bülow in ihrer Elbparkvilla große Gesellschaften. Zu diesem Kreis gehörten auch Richard Wagner, Franz Liszt, Hans von Bülow und Gerhart Hauptmann. „Maria von Bülow hatte in Deutschland eine zweite Heimat gefunden. Während des ersten Weltkrieges litt sie schwer an den Konflikten ihrer beiden Vaterländer. Nur die liebevolle Aufmerksamkeit, mit der ihr Gatte sie in dem Asyl zu Kleinflottbek umgab, ließ sie die schwere Zeit einigermaßen erträglich verwinden.“ 5) Das Paar wohnte häufig auch in Rom und dort in der „Villa Malta“. Von 1914-1915 war von Bülow Sonderbotschafter in Rom.
Marie von Bülow starb im Januar 1929 in Rom, ihr Ehemann neun Jahre später. Beide wurden in der Familiengruft auf dem Hamburger Nienstedtener Friedhof bestattet.