Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Feuerbachstraße

Groß Flottbek (1926): Anselm Feuerbach (12.9.1829 Speyer – 4.1.1880 Venedig), Maler


Diese Straße könnte auch nach seiner Stiefmutter, der Schriftstellerin Henriette Feuerbach mitbenannt werden.

Siehe auch: Trübnerweg

0766 Anselm Feuerbach Selbstbildnis
Selbstbildnis von 1873; Quelle: via Wikimedia Commons

Anselm Feuerbach war der Sohn von Amelie, geb. Keerl (1805-1830) und des Archäologen und Altphilologen Joseph Anselm Feuerbach (1798-1851). Nachdem die Mutter bereits 1830 verstorben war, wurden Anselm Feuerbach und seine Schwester bei den Großeltern untergebracht. Vier Jahre nach dem Tod der Mutter, heiratete der 36jährige Vater die damals 22-jährige Henriette Heydenreich (13.8.1812 Ermetzhofen/Mittelfranken – 5.8.1892 Ansbach). Über sie heißt es u. a.: „Die Pfarrerstochter (…) verlor ihren Vater sehr früh [er starb, als Henriette zwei Jahre alt war] und wurde dadurch vor Entbehrungen gestellt, die den stillen Ernst ihrer Natur noch vertieften.“ 1) Sie selbst beschrieb einmal ihre Gemütslage wie folgt: „man kann den Trübsinn so gewöhnen, daß er einem zur Heimat wird. Ohne daß er einem aus dem Grund der Seele weicht, heiter nicht nur scheinen, sondern wirklich sein. Ich bin oft heiter, aber nie froh, und mein Herz hat dies Gefühl so verlernt, daß ich wohl kaum das Glück ertragen könnte. Sowie ich lebhaft und heiter erregt bin, da fühle ich mein ganzes Wesen angestrengt und ermüdet, ein leises Fieber zittert durch alle Glieder, und ich bin angegriffen von einer solchen Stunde mehr als von Tagen und Wochen des stillen Kummers und der verborgenen Tränen.“ 2)

0766 Henriette Feuerbach
Henriette Feuerbach, die Stiefmutter Anselm Feuerbachs; Quelle: Anselm Feuerbach, gemeinfei, via Wikimedia Commons

Als sie den Witwer Feuerbach heiratete, der eine Mutter für seine damals sechsjährige Tochter und seinen vier Jahre alten Sohn benötigte, soll sie – so Anselm Feuerbach in seinem „Vermächtnis“: „grenzenloses Mitleid mit dem Anblick eines unpraktischen Mannes und zweier Waisen“ gehabt haben. Nach 17 Jahren Ehe wurde Henriette Feuerbach im Alter von 41 Jahren Witwe. Doch bevor sie diesen Status erreichte, hatte sie noch ein schweres Eheleben mit dem vergrämten Gymnasiallehrer Feuerbach zu führen. Christian Jenssen zitiert in seiner Biografie über Henriette Feuerbach, einen Brief, den sie 1836, also nach zweijähriger Ehe, an ihren Bruder geschrieben hat. Darin beschreibt sie klarsichtig die Zukunft ihrer Ehe: „Eigene (Kinder) werd‘ ich nie haben – ich darf nichts besitzen, was ganz mein eigen, mich zu eng an die Welt fesselt; ich lebe nur für andere – aber mein Innerstes ist ganz unabhängig und selbständig, das hat nur seinen Gott. Bildet Euch fein nicht ein, daß das traurige Gedanken sind, im Gegenteil, ich bin jetzt immer heiter und oft recht munter und seh die Welt mit ganz freundlichen Augen an, wenn sie gleich nicht zu mir gehört.“ 3)

Henriette Feuerbach sah ihre Aufgabe darin, den Gatten zu umsorgen und aufzumuntern und die Kinder zu pflegen und zu hegen. Sie selbst spielte dabei keine Rolle. Zehn Jahre lang lebte sie mit einem Gatten zusammen, „der zu seinen Aufgaben als Universitätslehrer und Wissenschaftler immer offenkundiger die Fähigkeit und Lust verlor, tagelang stumm und teilnahmslos vor sich hin brütete, nur hin und wieder noch wie ein ermattendes Feuer aufflackerte und schließlich bei lebendigem Leibe ganz erlosch. Schon im Sommer 1842 konnte Henriette ein trostlos unerfreuliches Wesensbild von diesem erst vierundvierzig Jahre alten Manne entwerfen, dem sie sich innerlich ganz und gar entfremdet, wenn sie ihm auch äußerlich bis zuletzt als treue Pflegerin zugesellt blieb: ‚Mein Mann liebt und achtet mich über alles, und ich weiß, daß er sich nur durch mich aufrecht gehalten fühlt, daß, wenn der liebe Gott es mit mir machte, es mit ihm auch gar aus wäre, daß ich ihm das Höchste bin. Das weiß ich alles – und doch – mein Herz ist leer! -. Mitleid, Pflicht, Gutmütigkeit, Gewohnheit, und wie die Surrogate alle heißen – Ich kann je mehr, je weniger an ihm hinaufschauen, und das ist mein Unglück. Er ist der Rest von einem großen Menschen, und ich brauch‘ was Ganzes. Geistreich, gelehrt, tiefdenkend, nun ja – aber moralisch ein Schwächling (nicht sittlich mein‘ ich unter moralisch, sondern gemütlich). Er will das Rechte und tut es auch, aber so von tausend Furcht und Ängsten und Schwankungen umgeben und gefolgt, daß man solche Kämpfe nur mit dem tiefsten Bedauern ansehen kann (…).‘ Mit derselben Unerbittlichkeit und einem gehörigen Schuldbewußtsein gibt die dreißigjährige aber auch eine Charakter- und Zustandsschilderung von sich selbst: ‚ Im tiefsten Innern bin ich immer einsam. (…) ich bin recht dumm ins Leben hineingeplumpst. Alles hätt‘ ich werden sollen, nur keine Frau. Im Gemüt zu weich, um willkürlichen Verletzungen trotz zu bieten, und doch wieder zu fest und eigensinnig, um mich geistig unterzuordnen, mit einer Menge Herzensforderungen und gänzlichem Mangel an Sinnlichkeit, bin ich geistig und körperlich nicht für die Ehe geschaffen. Ich mache mir oft Vorwürfe,‘“ 4) stellt Christian Jenssen die Gemütslage Henriette Feuerbachs dar.

Neben all diese Belastungen hatte Henriette Feuerbach auch noch die materiellen Nöte der Familie zu meistern. Um das finanzielle Budget zu erhöhen, gab sie, die hoch musikalisch war, Klavierunterricht, wurde als Übersetzerin tätig und schrieb und veröffentlichte Kindergeschichten.

Daneben leitete sie einen Chor, veranstaltete Hauskonzerte und führte bei sich zu Hause einen Musiksalon, zu dem auch Clara Schumann (siehe: Schumannstraße) und Johannes Brahms (siehe: Johannes-Brahms-Platz) als Gäste kamen. Darüber hinaus veröffentlichte sie mehrere Schriften, so z. B. 1839 „Gedanken über die Liebenswürdigkeit von Frauen“, 1846 dann „Sonntagsmuße. Ein Buch für Frauen“. 1853 gab sie mit Hermann Hettner das vierbändige Werk der „Nachgelassenen Schriften“ ihres verstorbenen Mannes Joseph Anselm Feuerbach heraus.

Kraft und Lebensmut schöpfte Henriette Feuerbach aus der Beschäftigung mit dem Werdegang Amseln Feuerbachs, ihren Stiefsohn, den sie unterstützte.

Nach dem Tod des Gatten wurden die materiellen Einkünfte noch geringer. Henriette Feuerbach zog nach Heidelberg. „Hier konnte sie ihr Leben in einem und schlichtem Rahmen neu aufbauen, unterstützt von Emilie [Schwester des Malers Anselm Feuerbach], die ihr oft die Hausgehilfin ersetzen mußte. Den Hauptteil ihrer Mittel verschlang die weitere Ausbildung Anselms, (…). Bei seiner Empfindlichkeit mußten die schweren Opfer, die sie und auch die Schwester (die ihm zuliebe auf ihre Aussteuer verzichtete) ihm brachten, durchaus vor ihm verheimlicht werden. Mit Unterstützung der ihr wohlgesinnten Universitätslehrer konnte Henriette durch Klavierstunden und literarische Gelegenheitsarbeiten ihren kleinen Haushalt und die um vieles höheren Unkosten von Anselms Künstlerleben bestreiten.“ 5)

Dass er keine gefestigte Stellung erreichen konnte, um mindestens ein wenig materiell abgesichert zu sein, begründete Henriette Feuerbach mit dessen Gemütslage: „Daß mein Sohn größere Schwierigkeiten findet, sich eine Stellung zu gründen, al mancher andere Künstler, das liegt in der Natur seines Wesens und seines Talentes. Tief- und feinfühlend, empfindlich bis zur krankhaften Reizbarkeit, zugleich heftig und leidenschaftlich und träumerisch-weich, stets unzufrieden mit sich selbst und doch auch zuzeiten übermütig, weiß er sich in die Menschen nicht zu finden, vertraut bald zu viel, bald zu wenig, ist übermäßig in Hoffnungen und Befürchtungen. Unter dem Einfluß wechselnder Stimmungen hat er Schmerzen und Freuden da, wo sie ein anderer nicht ahnt.“ 6)

Der Stiefsohn Anselm teilte die innige Beziehung zu seiner Stiefmutter: „Habe ich doch Dich, liebe Mutter, Du wirst mein guter Stern sein, der mir leuchtet, wenn es Nacht werden will um mich‘, hatte Feuerbach am 14. Juli 1861 geschrieben. Vierzig Jahre lang (…) hat Henriette Feuerbach mit ihrem ‚Sohn und Freund‘ die Schwankungen seines Schicksals, die durch die wechselnden Stimmungen seines Temperamentes verstärkt wurden, mutig ertragen; sie ist die Stütze gewesen, an der er sich aufrichtete, wenn seine Kraft zu versagen drohte. Sie war, vielleicht weil sie die Stiefmutter war, eine Mutter von jener seltenen Uneigennützigkeit, die für das Talent des Sohnes und seine menschlich-selbständige Eigenart zugleich Verständnis hatte,“ 7) so Christian Jenssen.

Aber Henriette Feuerbach kümmerte sich auch um ihre Stieftochter Emilie. „Sie war schon lange infolge ihrer Unbeständigkeit, ihrer träumerischen, nahezu kindischen Unbekümmertheit und ihres mangelnden Sinnes für die Wirklichkeit Henriettes Sorgenkind gewesen. Nun brach ihre Krankheit, wohl ein Erbübel vom Vater her, mit den Anzeichen haltloser Melancholie aus. Sie mußte in einer Freiburger Privatklinik untergebracht werden und starb dort im März 1873.“ 8)

Nach dem Tod ihres geliebten Stiefsohnes editierte Henriette Feuerbach das „Vermächtnis“ ihres Sohnes. „‘Dies ist alles, was mir bleibt‘, schreibt sie, ‚womit ich die Schulden bezahlen kann, abgesehen von dem, was die Hauptsache ist, wofür ich 50 Jahre gelebt, gelitten und gestritten habe, die Künstlerehre meines Sohnes zu sichern durch anständige Unterbringung seiner Werke.‘“ 9)

Das „Vermächtnis“ erschien 1882 und basierte auf „Briefen als auch unfertigen Aufzeichnungen des Malers (..). Hinsichtlich des Quellenwertes ist das ‚Vermächtnis‘ jedoch äußerst kritisch zu betrachten, da die Schriftzeugnisse des Malers zugunsten des Erfolgs der Publikation und der damit verbundenen Rehabilitation ihres Sohnes durch Henriette stark verfremdet wurden.“ 10)

Henriette Feuerbach schaffte es, dass die Bilder ihres Stiefsohnes in bedeutende deutsche Museen und Galerien kamen. „In der Erzielung angemessener Preise sah sie eine Sache des Ansehens des verstorbenen Künstlers (…).

Bis an ihr Ende wurde die vielverehrte Frau von Nöten der Seele und des Leibes geplagt, die sie vor ihrer Umgebung gern geheimhielt und nur fernen Freunden einmal anvertraute. Wie oft wurde sie in schlaflosen Nächten von Gewissensbissen gequält, indem sie sich einredete, ‚durch Mangel an Einsicht, durch Ungeschicklichkeit und Feigheit all die Meinigen langsam um Glück und Leben gebracht‘ zu haben. Und sie sehnte sich vollends nach dem Tode, als sie in der Mitte der achtziger Jahre um die Hälfte ihrer Sehkraft beraubt wurde,“ 11) beschreibt und zitiert Christian Jenssen die Lebenslage Henriette Feuerbachs.

Nach ihrem Tod fand man in ihrem Schreibtisch „einige wenige Seiten ihres letzten Tagebuches, die von der schließlich verklärenden Rückschau auf das Leben eines einsamen weiblichen Herzens ergreifendes Zeugnis ablegen: ‚Hätte ich Kinder und Enkel‘, so heißt es da, ‚die meinen achtzigsten Geburtstag mit mir feiern wollten, ich würde nicht am Schreibtisch sitzen und in meiner halben Blindheit die Federspitze an dem Rand des Tintenglases zerstoßen. Ich würde weiche, warme Strümpfe stricken und Geschichten erzählen. Weihnachten würden mir auch, wie meiner Freundin, drei Trommeln zugleich nicht zu viel sein. (…) Bei mir ist es anders, ich bin allein. Niemand gehört mir zu eigen. So kommt es, daß ich mich öfters in die stillen Schächte meines Wesens zurückziehe, um kleine Goldkörner zu sammeln, die sich, kärglich genug, hie und da in dem Gestein der Lebenssorgen abgelagert haben. Ich horche dann auch gerne auf das leise Raischen der verborgenen Quelle, aus der die selbstredenden Gedanken aufsteigen, welche die Welt Ideen nennt.‘“ 12)

Anselm Feuerbach und „seine“ Frauen
Feuerbachs produktivste Zeit begann, als er in Rom 1860 seinem Modell Anna Risi begegnete. Sein Freund und Biograph Julius Allgeyer schreibt von einer schicksalhaften Begegnung. Feuerbach erblickte auf einem Spaziergang die junge Schusterfrau aus dem Handwerkerviertel Trastevere. Ihre Schönheit zog ihn in den Bann und inspirierte ihn sogleich zu der Anfertigung eines Madonnenbildes. Die Realität soll allerdings anders ausgesehen haben: Anna Risi – Feuerbach nannte sie Nanna - soll damals „mit ihrem Ehemann zugezogen [sein], der als Köhler und Kunsttischler nachweisbar ist. Und bekannt ist allerdings, dass sie, gerade zwanzig Jahre alt, schon zuvor anderen Malern Modell stand, unter ihnen Frederic Leighton, später geadelter Protagonist der britischen Viktorianer und den Präraffaeliten nah. In den internationalen Künstlerzirkeln Roms wird auch Feuerbach ihr begegnet sein,“ so Rose-Maria Gropp in ihrem Artikel „Anna Risi ist Nanna. Anselm Feuerbachs Rollenporträts von ihr sind gemalte Liebeserklärungen. Das Museum Wiesbaden feiert den Maler und die herrliche Römerin“, in: Frankfurter Allgemeine vom 3.1.2014.

0766 Anna Risi
Nanna: Anna Risi, Modell; Quelle: Anselm Feuerbach, gemeinfei, via Wikimedia Commons

Feuerbach fand „in Anna Risi ‚...die perfekte Inkarnation antiker Schönheit.‘ (…) Seit Feuerbach im Herbst 1860 nach einem Aufenthalt in Deutschland wieder in Rom weilte, stand Anna ihm Modell. 1861 trennte sie sich für den Maler von ihrem Mann und ihren Kindern, um die folgenden fünf Jahre sein Leben als Geliebte, Modell und Haushälterin zu teilen. Er arbeitete in dieser Zeit ausschließlich mit ihr. Zahlreichen weiblichen Figuren auf seinen Werken verlieh sie ein Gesicht; unter anderem malte er sie als Julia, Francesca, Laura und als Iphigenie. Zudem fertigte er rund 20 Porträts seiner Geliebten, in denen sie zum Teil ebenfalls in historische Rollen schlüpfte,“ 13) schreibt Janina Majerczy in ihrer Masterarbeit „Anselm Feuerbach. Modell und Mythologie“.

Anna Risi stand auch Modell für seine Gemälde „Iphigenie“ und „Medea“. „Eine Erklärung für seine, wie eine Besessenheit anmutende Hinwendung zu der Iphigenie Mythologie wurzelt (..) in dem Umstand der Identifikation des Malers mit der mythologischen Figur, die, wie er es formuliert, sein ‚(...) innerstes Gefühl aus[drücke], was leider recht oft in Heimweh bestehe.‘ Die Visualisierung des Iphigenie-Stoffes als ein wichtiges persönliches Anliegen, beschäftigte ihn darum über Jahre, trieb ihn um, wie er selbst schreibt und wurde immer wieder als Inbegriff seiner eigenen, von Einsamkeit geprägten, quälenden Seelenlage aufgegriffen,“ 14) so Janina Majerczyk in ihrer Masterarbeit im Fach Kunstgeschichte.

Auch zu seiner bildlichen Darstellung von „Orpheus und Eurydike“ hatte Feuerbach eine persönliche Beziehung. Janina Majerczyk stellt dies in ihrer Masterarbeit wie folgt dar: „Zwei Elemente sind es, die Feuerbach an der mythischen Begebenheit offensichtlich faszinierten: Zum einen das tragische Schicksal einer großen Liebe, zum anderen die Person des göttlichen Sängers, der seinen Empfindungen durch Musik Ausdruck zu verleihen vermochte und dadurch beinahe den Tod überwindet. (…) Sowohl aufgrund der Motivwahl als auch der Art der Schilderung ist eine persönliche Beziehung Feuerbachs zu der Bildthematik des Orpheus, im Sinne einer Identifikation des Malers mit dem Schicksal des mythischen Sängers nicht auszuschließen, dem genau wie ihm selbst die Geliebte entrissen wurde. 1865 hatte Nanna Feuerbach für einen wohlhabenden Engländer verlassen. Einen Beleg für die Annahme, dass das Gemälde eine mit diesem Ereignis zusammenhängende persönliche Dimension besitzt, sieht Ecker in dem Umstand, dass ‚Orpheus und Eurydike [...] annähernd die Züge von Anselm Feuerbach und Anna Risi [besitzen].‘ Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, da er zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinem neuen Modell Lucia Brunacci arbeitete. Ähnlich wie Nanna stammte die erst siebzehn jährige Lucia aus Trastevere, war die Frau eines Wirtes und bereits Mutter von zwei Kindern. Lucia stand nach dem Weggang Nannas für nahezu jedes Gemälde Modell, das Feuerbach zwischen 1867 und 1873 malte. Obgleich ihm die ‚neue Iphigenie‘, wie der Maler sein zweites römisches Modell in einem Brief bezeichnete, ebenfalls ‚unentbehrlich‘ wurde, erlangte Lucia aber anscheinend nicht die Bedeutung, die Nanna in Feuerbachs Leben gespielt hat. Wie Vogelberg formuliert, veranstaltete Feuerbach aufgrund der bitteren Erfahrung, die er mit Anna erlebt hatte, um sein zweites Modell „(...) nicht jene feierliche Inthronisation (...)‘, wie sie zuvor Nanna zuteil wurde, die er mit Kleidern und Schmuck beschenkte und mit der er vierspännig durch Rom fuhr. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass er von Lucia auch keine Bildnisse schuf wie im Falle Anna Risis.“ 15)

Aber zurück zu Anna: „Seine Stiefmutter betrachtete mit Skepsis und Missfallen das Verhältnis zu Anna Risi und machte ihm Vorwürfe wegen des verschwenderischen Lebensstils, den er seinem Modell ermöglichte. Feuerbach wies jedoch alle mütterlichen Vorhaltungen zurück und verteidigte seine Beziehung zu Nanna, der er, wie er schreibt, seine ‚(...) besten Ideen verdanke (...)‘ und die für seine Kunst ‚unentbehrlich‘ geworden sei.

Durchaus besaß Nanna für Feuerbach die Bedeutung einer Muse, die ihn zur Umsetzung einer Vielzahl an Bildideen anregte und ausschlaggebende Bedeutung hinsichtlich der Ausbildung seines reifen Stils und der gesteigerten Produktivität des Künstlers in den frühen 1860er Jahren, 16) so Janina Majerczyk.
Doch was versprach sich Anna Risi von dieser Verbindung zu Feuerbach? „Worauf sie [Anna Risi] sich mit dem schwierigen und syphilitischen Anselm Feuerbach eingelassen hatte, war ihr vermutlich in vollem Umfang zu diesem Zeitpunkt nicht klar,“ 17) schreibt Annegret Winter in ihrer Abhandlung „Anselm Feuerbach und sein römisches Modell Anna Risi – eine Spurensuche“.

Aber auch Anna Risi war krank. Sie litt an einer Herzerkrankung. Annegret Winter dazu: „Am 8. Mai 1861 beschrieb er [Feuerbach] ihr durch Krankheit begründetes trauriges Wesen, das auch in den Porträts spürbar ist: ‚Mein armes Modell hat eine unheilbare Herzkrankheit, weswegen ich auch das Rauchen gelassen habe, und es ist anzunehmen, daß ich der Letzte bin, dem es vergönnt ist, die Züge nachzubilden. Sie kommt gerne zu mir und ich mache immer viele Späße, um sie aufzuheitern und sie aufzuscheuchen aus dem Ernst, in dem Gedanken eines unvermeidlichen Untergangs.‘

Anna bot ihm ganz offenbar die Möglichkeit der Spiegelung seiner eigenen Persönlichkeit, die immer wieder in depressiven Phasen an innerer Qual und Seelenpein litt. Ob er darüber berichtete, um bei Henriette Feuerbach, seiner Stiefmutter, Mitleid für Anna zu erregen oder ob er damit ihre besondere Faszination, nämlich die der überzeitlichen tragischen Heldin, beschrieb, ist unklar.

Aber er gestand auch nach zwei Jahren Beziehung zu ihr noch ungern ein, welcher Art ihre Verbindung war. So gab er in einem Brief vom 8. Februar 1862 immer noch vor, keine Liebesbeziehung zu ihr, sondern lediglich ein Modell zu seiner alleinigen Verfügung zu haben. Allerdings beschrieb er auch, in welcher Abhängigkeit die beiden zueinander standen: ‚Ich bin im Besitze des schönsten Modells von ganz Rom, zum Neid und Aerger aller Künstler, die abgefahren sind. Die Person hat mir zuliebe alle und die größten Anträge abgewiesen und ich habe das heilige Versprechen, dass, wenn ich ihr Arbeit gebe bis zu meiner Abreise, ich sicher sein kann, dass ich der Letzte bin, dem es vergönnt ist, sie zu malen. (...) Daß Liebessachen vorwalten, die etwaigen Heiratsplänen, die du hast, im Wege sind, darüber sei ganz ruhig; es ist nichts von alledem; ihr Lebenswandel ist anerkannt tadellos; und da sie verheiratet ist, so ist er reine Neigung und Verehrung und ich müßte der dümmste aller Jungen sein, wenn ich solche Dinge unbeachtet beiseite ließe.‘ Offenbar verheimlichte er seiner Mutter, dass Anna Risi ihren Mann verlassen hatte und mit ihm zusammenlebte. (…) Erst am 28. Okt. 1863 sprach er von einer dreijährigen Liebesbeziehung zu Anna, weswegen er nicht will, dass sie für Andere arbeitete: ‚Zuletzt nur zwei Worte, ich danke Dir, liebe Mutter, für die Art, mit der Du mein Verhältnis mit Anna berührst. Ich sage nur soviel, wenn es ein Buch in der Welt gibt, in dem es geschrieben steht, dass man das Weib, das man drei Jahre geliebt hat und die Freud und Leid geteilt hat, die alle Begeisterung für die Kunst wachgehalten hat, wenn es geschrieben steht, dass man eine solche, Verhältnisse halben, seien sie, welche sie seien, verlassen soll, dass sie genötigt wäre in irgend einen fremden Dienst, oder sonst was zu gehen, dann bin ich bereit zu renunzieren. Vorderhand habe ich noch Mut und Stärke genug, sie zu schützen, gegen jedermann.‘ Mehr ist über Anna Risi, ihre Lebensumstände und Beziehung mit dem Maler in Feuerbachs Briefen nicht zu erfahren. Schon aufgrund seiner Erkrankung an Syphilis wird ihre Liebesbeziehung doch sehr eingeschränkt gewesen sein, sofern er darauf Rücksicht nahm, sie nicht auch zu infizieren.“ 18)

Doch nach fünfjähriger Beziehung trennte sich Anna Risi 1865 von Feuerbach. Als sie ihn verließ, weilte Feuerbach bei seiner Mutter. Er besaß zu diesem Zeitpunkt im Sommer 1865 weder ein Atelier noch eine Wohnung in Rom. Annegret Winter beschreibt die damalige Situation: „Wo war sie untergekommen, wie war sie im Sommer 1865 finanziell gestellt, war sie nun doch genötigt in fremden Dienst zu treten? Von Feuerbach erfährt man darüber nichts, obwohl er noch geraume Zeit über ihre Beziehung nachdenkt. So reflektierte er Allgeyer gegenüber darüber, dass er sie geheiratet hätte, wenn es das italienische Scheidungsrecht zugelassen hätte: ‚Wer mich kennt, dem brauch ich nicht erst zu sagen, dass ein Wesen, das mich in solcher Weise durch Jahre an sich zu ketten vermochte, nichts Gewöhnliches sein kann; ich würde mich für immer mit ihr verbunden haben, wenn eine Scheidung und Wiedervereinigung nicht damals in Rom zu den Unmöglichkeiten gehört hätte.‘ Er wußte auch, was er ihr verdankte, wie er ausdrücklich am 17.12.1865 formulierte: ‚Der Verlust meines Modelles – was für den Künstler die Seele ist – lässt sich hart fühlen. Würde die Welt nur halb meine Noblesse haben, würden solche gemeinen Geschichten nicht passieren. Was Frauen anbelangt, so brauche ich keine Hausfrau, aber eine Muse, die meinen Schönheitssinn belebt und mein Herz adelt.‘“ 19)

Anselm Feuerbach nahm sich ein anderes Modell mit Namen Lucia Brunacci. Diese, so Annegret Winter, musste „Solchen Vorstellungen (…), nicht genügen, wie er am 16. Okt. 1868 schrieb: ‚Vor sechs Jahren würde mir mein bildschönes Modell, das die Ideen aus dem Kopf heraustrieb, Ersatz gewesen sein für das traurigste aller traurigen Leben; heutzutage sind meine Bedürfnisse anderer Art und vom bloßen Anschauen/und Weiterbilden kann ich nicht leben. Ich brauche eine Freundin, die mir das Leben wert macht, da wir einmal auf diesem Planeten nicht zur Einsamkeit geboren sind.‘ Zu dieser Zeit war Anna Risi schon wieder geraume Zeit in Rom, denn wir erfahren in einem Brief vom 3. Febr. 1868 nicht nur, dass er ein Atelier bezogen hat, das das schönste in Rom sei und das er vorläufig auf Lebenszeit festhalten wolle, sondern auch, dass Anna im Januar 1868 nach Rom zurückgekehrt sei: ‚Mein ehemaliges Modell ist in sehr katzenjämmerlichem Zustande vor etwas drei Wochen in Rom wieder eingerückt. Ich bin ganz unberührt und so weit, dass mich selbst die brillantesten Revanchen nicht mehr bewegen. Mein jetziges Hauptmodell werde ich dafür vor meiner Abreise für die unbezahlbaren geleisteten Dienste fürstlich belohnen.‘ Interessant hieran ist, dass er nicht nur Annas herunterbekommenen Zustand bemerkte, sondern in einem Atem mit der fürstlichen Entlohnung der Lucia Brunacci vor seiner anstehenden Abreise erwähnte. Diese Bemerkung könnte Anlaß zu der Annahme geben, dass Feuerbach inzwischen verstanden hat, dass er sein Modell Anna Risi verloren hatte, weil er ihre finanzielle Versorgung nicht gesichert hat. Mit Lucia Brunacci sollte ihm das nicht geschehen. Sie bezahlte er zeitlebens für ihre Dienste, auch wenn er nicht in Rom war,“ 20) resümiert Annegret Winter.