Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Goerdelerstraße

Bergedorf/Lohbrügge (1964): Carl-Friedrich Goerdeler (31.7.1884 Schneidemühl - 2.2.1945 hingerichtet Berlin-Plötzensee), Oberbürgermeister von Leipzig, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus


Siehe auch: Hilpertweg

In der Neuen Deutschen Biographie heißt es über die Herkunft und die Ausblildung Goerdelers: „Der Sproß einer seit 5 Generationen in altpreußischem Beamtentum, seiner Staats- und Pflichtauffassung geformten Familie ging nach juristischen Studien in Tübingen und Königsberg, die er mit der Promotion (…) und dem Assessorexamen 1911 abschloß, in die Kommunalverwaltung.“ 1)

Im selben Jahr heiratete Goerdeler seine Cousine Anneliese Ulrich (1888-1961). Durch ihren Vater, ein Augenarzt, hatte sie eine kammermusikalische Ausbildung bekommen. Nach dem Abitur studierte sie einige Semester Deutsch und Philosophie. Durch ihre genossene Erziehung war Anneliese empfänglich fürs Künstlerische. Als Ehefrau richtete sie ihr Zuhause stilsicher ein. Anneliese Goerdeler bekam fünf Kinder. Sie bewunderte ihren Mann und: „war immer für ihn da, wenn er sie brauchte. Es bereitete ihr kaum Mühe, sich eher nach seinem Willen als nach dem eigenen zu richten. Andererseits hörte mein Vater vor allen wichtigen politischen und beruflichen Entscheidungen auf ihren Rat und ihre Einwände. Der Ausschlag gab ihr Wort in den vielen kleinen und großen Entscheidungen unseres Alltags, und so war sie es, die unsere Erziehung formte. Und das fand wiederum mein Vater ganz in Ordnung“, schreibt seine Tochter Marianne Meyer-Krahmer in ihrem Buch „Carl Goerdeler: Mut zum Widerstand. Eine Tochter erinnert sich.“ 2) Und weiter erinnert sie sich: „Um ihren hart arbeitenden Mann vor seiner lebhaften Kinderschar abzuschirmen, pflegte meine Mutter an den Wochentagen, wenn er abgespannt war, mit uns ‚vor‘ zu essen. So konnten wir, (…) uns bei Tische alles Wichtige von der Seele reden. Sobald dann gegen halb drei (…), mein Vater heim kam, war meine Mutter immer nahe der Eingangsdiele. Konnte er sie nicht gleich entdecken, rief er (…) nach ihr. Dann setzte sie sich zu ihm und hörte zu, fragte wohl auch, was der Vormittag im Amt an Wesentlichem gebracht hatte. Wir Kinder hatten diese Stunde zu respektieren und blieben in unseren Kinderzimmern.“ 2)

Carl Friedrich Goerdeler amtierte ab 1930 als Oberbürgermeister von Leipzig. Ab 1935 führte er immer wieder erbitterte Auseinandersetzungen mit der NSDAP. 1937 trat er von seinem Amt als Oberbürgermeister zurück und wurde als Berater für die Robert Bosch GmbH tätig (siehe: Boschstraße). In dieser Funktion unternahm er längere Reisen in Deutschland und im Ausland, die es ihm erlaubten, für seine Politik zu werben, die sich klar gegen die nationalsozialistische Ideologie wandte. Auf diese Weise wurde er zu einem Dreh- und Angelpunkt des zivilen Widerstands. Er verfasste eine Vielzahl von Entwürfen zur Neuordnung Deutschlands nach einer Absetzung des Hitler-Regimes. Nach dem misslungenen Anschlag auf Adolf Hitler konnte Goerdeler zunächst entkommen. Doch nur kurz darauf wurde er denunziert. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn am 8. September 1944 zum Tode. Auf Befehl Hitlers wurde Goerdeler jedoch erst fünf Monate später nach langen Verhören am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Anneliese Goerdeler unterstützte die Einstellung und die Ideale ihres Mannes. Nach seiner Verhaftung wurden sie und die fünf Kinder in „Sippenhaft“ genommen und ins KZ Sutthof deportiert.

Dazu heißt es auf der Website der Stadt Leipzig in einem Porträt über die Tochter Marianne Meyer-Krahmer, geb. Goerdeler: „Die Ehefrau Carl Goerdelers, seine Kinder (damals zwischen 15 und 31 Jahre alt) und weitere Verwandte wurden von der SS als Geiseln für das Kriegsende genommen und von KZ zu KZ verschleppt. Die Kinder von Mariannes [die Tochter von Anneliese und Carl Friedrich Goerdeler, Marianne Meyer-Krahmer] Bruder (3 Jahre und 9 Monate alt) kamen unter falschem Namen in ein NS-Kinderheim. Am 09.09.1944 zwang man Marianne und ihre Mutter eine Zeitungsnotiz zu lesen, in der über das Todesurteil für Goerdeler berichtet wurde. (…)- Im Mai 1945 wurden Marianne Goerdeler und ihre Angehörigen von den Amerikanern befreit.“ 3)

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es Anneliese Goerdeler finanziell sehr schlecht. Dieses „Los“ teilte sie mit anderen Witwen von Widerstandskämpfern, deren Ehemänner zu Lebzeiten wegen ihrer oppositionellen Haltung gegenüber dem NS-Regime aus dem Öffentlichen Dienst entlassen worden waren oder die selbst aus Gewissens- und politischen Gründen gekündigt hatten. Die Witwen von den nach dem 20. Juli 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilten und hingerichteten Männern erhielten keine Renten von der Bundesrepublik Deutschland, und zwar mit der Begründung, dass wegen Hoch- und Landesverrates verurteilte frühere Wehrmachtangehörige kein Anrecht auf Pensionen und Renten hätten. Bei Anneliese Goerdeler lag der Fall folgendermaßen: „Da Goerdelers Witwe in Westdeutschland keinen Rechtsanspruch auf eine Witwenrente besaß, Königsberg [dort war Goerdeler 2. Bürgermeister gewesen] nicht mehr existierte und Leipzig nur einen symbolischen Betrag, seit der Währungsreform in Ost-Mark, gewährte, hatte der Kölner Oberbürgermeister Hermann Pünder inzwischen den Deutschen Städtetag eingeschaltet. Von diesem erhielt sie [die Witwe] eine Rente, die einen gewissen Zuschuss zu ihren laufenden Lebenshaltungskosten ausmachte. [Der Oberstadtdirektor von Solingen] Berting blieb nichts weiter übrig, als sie auf das Wiedergutmachungsgesetz des Landes Baden hinzuweisen. Demgegenüber bezog die Witwe des fanatischen Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler, der auch das Todesurteil über Goerdeler verhängt hatte, bis zu ihrem Tod 1997 die ungeschmälerte Witwenpension,“ 4) schreibt Horst Sassin.

Rentenzahlungen und Wiedergutmachungsleistungen setzten erst spät in den 1950er-Jahren ein. Das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurde erst am 29. Juni 1956 rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet.

Anneliese Goerdeler zog nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrer Tochter Marianne nach Heidelberg. Diese hatte 1945 geheiratet und „wurde Mutter von zwei Söhnen. Nach dem Krieg war sie [die promovierte Historikerin] von 1945 bis 1984 als Lehrerin und Schulleiterin in Heidelberg tätig. In ihren Büchern und Vorträgen versuchte sie, die Verführbarkeit des Einzelnen durch ein diktatorisches System bewusst zu machen und das Verantwortungsgefühl nachwachsender Generationen für die Zukunft zu stärken. Die Aufarbeitung des Widerstands gegen das NS-Regime wurde zu einem zentralen Thema ihres Lebens. (…). Zusammen mit ihren Geschwistern gründete sie 1995 im Andenken an ihre Eltern die gemeinnützige Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung. Stiftungszweck ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie von Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung im Rahmen eines friedlichen Austauschs in Europa. (…).“ 5)

Carl Friedrich Goerdeler und Antisemitismus
Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „Goerdeler gehörte zum Widerstandskreis des 20. Juli 1944. Zuvor war er als Mitglied der antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei im Jahr 1930 zum Oberbürgermeister der Stadt Leipzig gewählt worden. Die Machtübertragung an die NSDAP 1933 begrüßte er. Sein Widerstand speiste sich aus seiner Ablehnung der Art und Weise der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im NS, nicht des Antisemitismus.“ 6) Sassmannshausen gibt die Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „Weitere Forschung, Kontextualisierung.“ 7)