Gottfried-Keller-Straße
Groß Flottbek (1928): Gottfried Keller (19.7.1819 Zürich – 15.7.1890 Zürich), Schweizer Dichter
Siehe auch: Fanny-Lewald-Ring
Gottfried Keller, der bereits im Alter von fünf Jahren seinen Vater, einen Drechslermeister, verlor, wurde von seiner Mutter Elisabeth, geb. Scheuchzer (1787-1864) aufgezogen. Nach dem Tod ihres Mannes 1824, mit dem sie sechs Kinder bekommen hatte, von denen aber vier bereits im Kindesalter verstorben waren, heiratete Elisabeth 1826 den Angestellten ihres Mannes. Doch es kam wenige Monate später zur Trennung. „Die endgültige Auflösung ihrer Ehe konnte sie erst 1834 erreichen, nachdem 1831 die Liberalen die Macht ergriffen und im Zuge der Regeneration die Trennung von Staat und Kirche durchgeführt und die kirchliche Ehegerichtsbarkeit abgeschafft hatten, wodurch die Scheidung nur mehr formell bestehender Ehen erleichtert wurde.“ 1).
Die Witwe führte die Werkstatt ihres Mannes allein weiter und erzog und ernährte ihre zwei Kinder.
Gottfried Keller besuchte bis zu seinem zwölften Lebensjahr eine Armenschule, danach eine weiterführende Schule und schließlich eine Industrieschule. Doch dort erhielt er einen Schulverweis und musste seine Schullaufbahn aufgeben. „Er hatte an einem Aufmarsch teilgenommen, den ältere Schüler nach dem Muster der damals in der politisch bewegten Schweiz häufigen Putsche veranstalteten. Dabei kam es vor dem Hause eines pädagogisch unqualifizierten und politisch missliebigen Lehrers – er gehörte zur herrschenden liberalen Partei, während in der kantonalen Industrieschule die Söhne konservativer Stadtbürger den Ton angaben – zu lärmenden Szenen Als eine Kommission den Vorfall untersuchte, redeten die wahren Schuldigen sich heraus und gaben Gottfried als Rädelsführer an. Der gegen Keller voreingenommene Schulleiter, (…) glaubte ihnen (…)“ 2) und so musste Keller im Alter von fünfzehn Jahren die Schule verlassen.
Gottfried Keller begann eine Ausbildung zum Landschaftsmaler. Durch eine kleine Erbschaft war er finanziell in der Lage, sich an der Kunstakademie in München fortzubilden. Auch wenn er noch so sparsam lebte, das Geld war bald aufgebraucht, an Bildverkäufe war nicht zu denken. Kellers Mutter unterstützte ihren Sohn finanziell und nahm dafür sogar Schulden auf. Sie vermietete die meisten Zimmer ihres alten winkeligen Hauses, später verkaufte sie es.
1842 kehrte Keller nach Zürich zurück. Er versuchte nun, auf literarischem Gebiet Fuß zu fassen. Die finanzielle Abhängigkeit von seiner Mutter schmerzte ihn sehr. So schrieb er einmal: „Allerlei erlebte Noth und die Sorge, welche ich der Mutter bereitete, ohne daß ein gutes Ziel in Aussicht stand, beschäftigten meine Gedanken und mein Gewissen, bis sich die Grübelei in den Vorsatz verwandelte, einen traurigen kleinen Roman zu schreiben über den tragischen Abbruch einer jungen Künstlerlaufbahn, an welcher Mutter und Sohn zu Grunde gingen. Dies war meines Wissens der erste schriftstellerische Vorsatz, den ich mit Bewußtsein gefaßt habe, und ich war ungefähr dreiundzwanzig Jahre alt. Es schwebte mir das Bild eines elegisch-lyrischen Buches vor mit heiteren Episoden und einem cyopressendunklen Schlusse, wo alles begraben wurde. Die Mutter kochte unterdessen unverdrossen an ihrem Herde die Suppe, damit ich essen konnte, wenn ich aus meiner seltsamen Werkstatt nach Hause kam.“ 3)
Gottfried Keller war lange Zeit auf die finanzielle Unterstützung seiner Mutter angewiesen. Denn obwohl er literarische Erfolge hatte, waren die Honorare so gering, dass er von der Schriftstellerei kaum leben konnte. Das war auch ein Grund, warum er ab 1856 bei seiner Mutter und seiner Schwester Regula in Zürich lebte. Regula verzichtete auf eine Heirat und trug mit ihrem Verdienst als Verkäuferin ebenfalls zum Lebensunterhalt der drei bei.
Erst mit seiner Tätigkeit als Staatsschreiber des Kantons Zürich, die er zwischen 1861 und 1876 ausübte, versiegten die Geldnöte. Seine Mutter durfte noch kurz vor ihrem Tod miterleben, ihren Sohn finanziell versorgt zu sehen. Doch in dieser Zeit konnte Keller kaum literarisch produktiv sein.
Zwischen 1850 und 1856 lebte Keller als freier Schriftsteller in Berlin. Es lag ihm nicht, und er mochte es auch nicht, die „tonangebenden“ Salons zu besuchen. Damit „‘schnitt er sich selbst jegliche Förderung durch fremde Protektion ab‘, stellt Jacob Baechtold fest und nennt als Ursache Kellers Drang nach Unabhängigkeit und seine Verachtung für Koterie. Es widerstrebte Keller, sich als Literat in Szene zu setzen. Das machte ihn ungeeignet für die Art von Geselligkeit, die in den traditionsreichen Salons und literarischen Vereinen der Hauptstadt gepflegt wurde.“ 4)
Über Fanny Lewalds (siehe: Fanny-Lewald-Ring) Salon schrieb Gottfried Keller: „Im Winter frequentierte ich einige Zirkel, z. B. den der Fanny Lewald, fand aber das Treiben und Gebaren der Leute so unangenehm und trivial, daß ich bald wieder wegblieb.“ 5) Über Fanny Lewald selbst äußerte sich Gottfried Keller 1850: „Die Lewald hat einen scharfen Verstand, aber wenig Phantasie und Wärme. Sie läßt uns zu wenig allein in den Verkehr und Haushalt ihrer Personen hineinsehen. Ich möchte sagen, daß es eine angenommene gelehrte Vornehmheit ist, welche sie von einem liebevollen freudigen Ausarbeiten und Ausfüllen ihrer Schriften abhält und sich mehr einem kalten Raisonnement hingeben läßt in flüchtigen Umrissen, welche sie mehr als eine femme spirituelle denn als eine Dichterin erscheinen läßt. (…) Ich wünschte sehnlich, daß die Lewald weniger Bücher, aber die wenigen voller und üppiger schreiben würde (…). Übrigens achte ich Lewalds Energie und männliche Erfahrungsgabe, so wie ihre Tendenz sehr hoch.“ 6)
„Doch ab 1854, nachdem die ersten drei Bände des Grünen Heinrich erschienen waren und Keller einen Frack, das obligate Kleidungsstück der gehobenen Gesellschaft, erworben hatte, nahm er an den Kaffeegesellschaften teil, die Varnhagens Nichte Ludmilla Assing [22.2.1821 Hamburg – 25.3.1880 Florenz] in denselben Räumen in der Mauerstraße 36 ausrichtete, wo dreißig Jahre zuvor Rahel Levin [Rahel-Varnhagen-Weg], Varnhagens verstorbene Gattin, zu geselligen Abenden eingeladen hatte.“ 7) Ludmilla Assing hatte übrigens ihre Kindheit in Hamburg in der Poolstraße 368 verbracht.
In Frauen war Gottfried Keller mehrmals unglücklich verliebt. Manchmal gestand er ihnen seine Liebe und wurde dann abgewiesen – wie von Johanna Kapp, Tochter des Gelehrten und liberalen Politikers Christian Kapp, die, als Gottfried Keller ihr 1849 seine Liebe gestand, mit dem verheirateten Philosophen Ludwig Feuerbach liiert war. Sie hoffte, er würde sich scheiden lassen, was er aber nicht tat.
Zwei Jahre zuvor hatte Keller Luise Rieter (1828-1879), die in Winterthur ein Kolonialwarengeschäft führte, einen Liebesbrief geschrieben. „Verehrteste Fräulein Rieter.
Erschrecken Sie nicht, daß ich Ihnen einen Brief schreibe und sogar einen Liebesbrief, verzeihen Sie mir die unordentliche u unanständige Form desselben, denn ich bin gegenwärtig in einer solchen Verwirrung, daß ich unmöglich einen wohlgesetzten Brief machen kann und ich muß schreiben, wie ich ungefähr sprechen würde. Ich bin noch gar nichts und muß erst werden, was ich werden will und bin dazu ein unansehnlicher armer Bursche, also habe ich keine Berechtigung, mein Herz einer so schönen und ausgezeichneten jungen Dame anzutragen, wie Sie sind, aber wenn ich einst denken müsste, daß Sie mir doch ernstlich gut gewesen wären und ich hätte nichts gesagt, so wäre das ein sehr großes Unglück für mich und ich könnte es nicht wohl ertragen. Ich bin es also mir selbst schuldig, daß ich diesem Zustande ein Ende mache, denn denken Sie einmal, diese ganze Woche bin ich wegen Ihnen in den Wirthshäusern herumgestrichen, | weil es mir angst u bang ist, wenn ich allein bin. Wollen Sie so gütig sein und mir mit zwei Worten ehe Sie verreisen, in einem Billet sagen, ob Sie mir gut sind oder nicht? Nur damit ich etwas weiß; aber um Gotteswillen bedenken Sie sich nicht etwa, ob Sie es vielleicht werden könnten? Nein, wenn Sie mich nicht schon entschieden lieben, so sprechen Sie nur ein ganz fröhliches Nein aus und machen Sie sich herzlich lustig über mich; denn Ihnen nehme ich nichts übel und es ist keine Schande für mich, daß ich Sie liebe, wie ich es thue, Ich kann Ihnen schon sagen, ich bin sehr leidenschaftlich zu dieser Zeit und weiß gar nicht, woher alle das Zeug, das mir durch den Kopf geht, in mich hinein kommt. Sie sind das allererste Mädchen, dem ich meine Liebe erkläre, obgleich mir schon mehrere eingeleuchtet haben, und wenn Sie mir nicht so freundlich begegnet wären, so hätte ich mir vielleicht auch nichts zu sagen getraut. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort, ich müßte mich sehr über mich selbst verwundern, wenn ich über Nacht zu einer so holdseligen Geliebten gelangen würde. Aber geniren Sie sich ja nicht mir ein recht rundes, grobes Nein in den Briefeinwurf zu thun, wenn Sie nichts für <
Luise Riete wies Keller ab. Darüber berichtete Keller wenig später Barbara von Orelli-Breitinger in einem Brief: „Ich schrieb Ihr, daß nur der Freundlichkeit, mit welcher sie mir begegnet sei u: d: gl. mir den Muth gebe, Ihr mein Herz zu eröffnen. Das hat Sie so ausgelegt, als ob ich auf eine unverschämte Weise ihre angeborne Freundlichkeit zu meinen Gunsten ausgelegt hätte, u: doch ist es nicht so.“ 9)
Einer anderen, Betty Tendering (1831-1920), wagte er erst gar nicht, seine Liebe zu gestehen, und kompensierte sein Liebesleid, indem er auf nächtlichen Heimwegen Prügeleien mit Unbeteiligten anzettelte.
Im Alter von 46 Jahren, Anfang 1865, lernte er die 24 Jahre jüngere Pianistin Luise Scheidegger (geb. 1843) kennen und lieben. 1866 verlobte sich das Paar, doch wenige Wochen später nahm sich Luise das Leben. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Dazu heißt es in Wikipedia. „Sicher ist, dass sich die junge Musikerin zu dem Dichter hingezogen fühlte; anzunehmen auch, dass sie sich der Ehe mit dem in schonungslose Parteikämpfe verstrickten Politiker nicht mehr gewachsen fühlte, als ihr von Wohlmeinenden hinterbracht wurde, was dessen neue und alte Feinde ihm nachsagten: Trunksucht, Rauflust und Gottlosigkeit. Im Zwiespalt mit sich selbst und von ihrer Umgebung gedrängt, das gegebene Jawort zu brechen, mag der Freitod ihr als einziger Ausweg erschienen sein.“ 10)
Später machte der mittlerweile 53-jährige Keller der damals 21-jährigen Lina Weißert einen Heiratsantrag, ohne zu wissen, dass sie bereits liiert war und zwar mit dem Juristen Eugen Huber. Keller schrieb an Lina Weißert: „Sie haben Gestern Abend wahrscheinlich gemerkt, wo ich hinaus wollte mit meiner ungeschickten Ankündigung. Ohne viele Worte zu machen, will ich Sie daher jetzt fragen, ob Sie nicht zu viel Widerwillen haben, meine Frau zu werden? Wenn Sie mich nicht mögen, so wissen Sie es jetzt schon u. ich bitte Sie in diesem Falle mir dieses Briefchen mit einem darüber od. darunter geschrieben Nein heute Abend noch zurückzustellen, damit wir dann über die Sachen lachen können wenn ich zurückkomme. Glauben Sie aber mit mir leben zu können u. wollen sie sich die Sache überlegen so können sie mir das an diesem Abende so zu verstehen geben, wie es Ihnen gefällt u gut scheint. (…). Alle weitern bei solchen Anläße übliche Redens Arten, will ich jetzt unterlassen einzig will ich Ihnen sagen, daß es mich sehr glüklich machen würde für Sie sorgen u leben zu dürfen. Ihr Erg G K“ 11) Lina Weißert lehnte den Heiratsantrag ab und antwortete: „Ich kann nicht umhin Ihrem geschätzten Schreiben Einige Worte beizufügen. Genehmigen Sie vor allem meinen besten herzlichsten Dank, für Ihre überaus liebevolle Ansicht, die ebenso unerwartet, als unverhofft an mich gelangte. Der gestrige Abend war wohl derart mich verstehen zu lassen, was Sie mir hier mittheilen u. ich verhehle Ihnen keinen Augenblick, daß mich diese Nachricht
Ebenfalls im Alter von 53 Jahren lernte Keller die damals 28 Jahre alte Wienerin Marie Exner kennen. Keller: „war ein Freund ihres Bruders Adolf, der an der Zürcher Universität Römisches Recht lehrte; (…). Die Briefe der jungen Dame, die immer nur an den ‚verehrten Herrn Keller‘ oder an den ‚liebsten, besten schönsten Herrn Staatsschreiber‘ adressiert wurden, zeugen hauptsächlich von Maries Hang zur Fröhlichkeit. (…).“ 13)
Warum Marie Exner immer so fröhlich gegenüber Keller war, erklärt die Wochenzeitschrift „Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 21. März 1961: „Daß Marie wenig Anlaß hatte, leichtfertig in dem Dichter tiefere Gefühlsausbrüche zu erwecken, lag nicht daran, daß er fast doppelt so alt war wie die von ihm verehrte Marie Exner. Zwar billigt ein amtlicher Paß dem späteren Staatsschreiber Keller eine Größe von etwa 1,50 Meter zu. Zeitgenossen jedoch begrenzen seinen Wuchs schon bei 1,40 Meter und räumen ein, daß die Vorzüge des Dichters nicht eben im Äußerlichen lagen. Keller hatte einen proportional besonders großen Kopf und einen recht fülligen Bauch, sein Gang war schwerfällig und seine Aussprache nicht ganz fehlerfrei: Er pflegte das »sch« stets mit einem ‚l‘ zu vermischen, was seiner Redeweise eine unfreiwillige Komik verlieh.
Keines der Mädchen, denen sich Keller in seinem Leben mehr oder minder scheu antrug, akzeptierte ihn. Und nur die schmerzliche Gewohnheit, in der Liebe ‚von Enttäuschung zu Enttäuschung zu leben‘, hat nach Kranners [dieser befasste sich mit der Beziehung Kellers zu Marie Exner, R. B.] Deutung den alternden Poeten letztlich davor bewahrt, der schönen Marie sein Herz zu öffnen.“ 14)
Mit dieser Erklärung für entgangenes Liebesglück, das allein im äußeren Erscheinungsbild Kellers zu suchen ist, wird einmal ein Mann allein auf sein Äußeres reduziert.
Erich Wieser schreibt in seinem 1950 erschienenen Buch: Die Frauen um Gottfried Keller. „Zusammenfassend würde ich es wagen zu sagen, dass Gottfried Keller eigentlich für die ‚grosse Liebe‘ prädestiniert war. Er hatte ein lebendiges Herz, voll drängender, quellender, quälender Sehnsucht nach jener hohen Frau, die ihn als Gefährtin im mystischen Sinne zu einem Wesen ergänzt hätte, da sie beide von Gott für einander geschaffen wurden. Nach der Erfüllung dieses wunderbaren, gottseligen Geheimnisses an seiner eigenen Person hat er sich zeit seines Lebens in heimlich verzehrendem Verlangen gesehnt. [..] Aus unseren vorhergehenden Ausführungen haben unsere Leser ersehen dass wir die landläufige Ansicht, es sei ein Glück, dass Keller die richtige Gefährtin nicht gefunden habe, durchaus nicht teilen. Nach unserer Ueberzeugung war gerade dies das Unglück und die Tragik seines Lebens; Erfüllung in der Liebe hätte ihn - so glauben wir bestimmt - noch schöpferischer und als Dichter noch grösser gemacht.“ 15)
Gottfried Keller litt wohl an seiner Ehelosigkeit und charakterisierte sich in diesem Zusammenhang einmal wie folgt: „Ich bin (…) ein kleiner dicker Kerl, der abends 9 Uhr ins Wirtshaus und um Mitternacht zu Bette geht als alter Junggeselle.“