Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Rahel-Varnhagen-Weg

Bergedorf, seit 1984, benannt nach Rahel (Antonie Friederike) Varnhagen von Ense, geb. Levin (19.5.1771 Berlin–7.3.1833 Berlin), 1810 umbenannt in Rahel Robert, Autorin literarischer Briefe und Tagebücher, Kritikerin und Salonnière, bedeutendste Vertreterin der Romantik. Motivgruppe: Verdiente Frauen


Siehe auch: Brentanostraße, Osdorf, seit 1941: Clemens Brentano (1778–1842), Dichter, Bruder von Bettina von Arnim
Siehe auch: Goetheallee, Altona-Altstadt, seit 1928: Johann Wolfgang von Goethe (1749– 1832), Dichter, und Goethestraße, Altona-Altstadt, seit 1867
Siehe auch: Heinrich-Heine-Straße, Wilstorf, seit 1945: Heinrich Heine (1797–1856), Dichter, Schriftsteller, und Heinrich-Heine-Weg, Bergedorf, seit 1945
Siehe auch: Humboldtbrücke, Uhlenhorst, seit 1970: Alexander von Humboldt (1769–1859), Gelehrter, Naturforscher, und Humboldtstraße, Barmbek-Süd, seit 1859
Siehe auch: Schellingstraße, Eilbek, seit 1866: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854), Philosoph, Text siehe unter Schlegelsweg
Siehe auch: Tiecksweg, Eilbek, seit 1904: Ludwig Tieck (1773–1853), Dichter, Dramaturg
Siehe auch: Bettinastieg, Geschwister-Mendelssohn-Stieg, Henriette-Herz-Garten, Henriette-Herz-Ring, Schlegelsweg
Siehe auch: Börnestraße, Eilbek, seit 1866: Ludwig Börne (1786–1837), Schriftsteller

2379 Rahel Varnhagen
Rahel Varnhagen von Ense; Quelle: Gallerie der ausgezeichnetsten Israeliten, hg. Eugen von Breza, Stuttgart 1834, Gottfried Küstner (Lithograph), verstorben 1864

Rahel Varnhagen ist eine der bekanntesten Berliner Jüdinnen des 19. Jahrhunderts. Sie war die älteste Tochter des jüdischen Juwelenhändlers und Bankiers Markus Levin und seiner Frau Chaie Levin. Die Familie lebte in Berlin. Nach dem Tod ihres Vaters 1790 übernahm Rahel Levin die Erziehung ihrer Geschwister und führte zwischen 1790 und 1806 in der Dachstube des elterlichen Hauses in der Jägerstraße 54 einen Salon. Es war der erste Salon einer unverheirateten Frau. Ihre Bildung hatte sie als Autodidaktin durch Lesen erworben.

In Rahels erstem Salon, für den – bedingt durch den Tod ihres Vaters – die finanziellen Mittel fehlten, um großen gastgeberischen Aufwand zu betreiben, verkehrten in den 1790er Jahren u. a. Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Friedrich Schlegel (siehe: Schlegelsweg), Jean Paul, die Brüder Humboldt (siehe: Humboldtstraße und Humboldtbrücke), F. Schleiermacher, die Brüder Tieck (siehe: Tiecksweg), Clemens von Brentano (siehe: Brentanostraße) u. a. Die gelehrten Männer schätzten nicht nur den Charme Rahel Varnhagens, sondern auch ihre große Bildung, die gerne als „männlicher Geist“ bezeichnet wurde.

Edda Ziegler schreibt über den Salon Rahel Lewins, der in Konkurrenz zu Henriette Herz’s (siehe: Henriette-Herz-Ring) Salon stand und in dem es prunkvoller zuging: „Bei ihr verkehrt eine provokativ gemischte Gesellschaft christlicher wie jüdischer Herkunft. Hier mischt sich die ortsansässige Intelligenz mit Hochadel und Diplomatie. (…) Diese außergewöhnliche gesellschaftliche Mischung, die Standes- und Religionsgrenzen bewusst überschreitet, soll – so Rahels Wunsch und Intention – neue Kräfte freisetzen, künstlerische Kreativität ebenso wie die Kritik der gesellschaftlichen Zustände. So entsteht in der Dachstube der Rahel Levin eine europaweit gerühmte ‚Republik des freien Geistes‘.“1)

Rahel Varnhagen hatte zwei große Lieben: die zu dem Grafen Karl von Finckenstein; ihr Verlöbnis scheiterte 1800, und die zu dem spanischen Gesandschaftssekretär Don Rafael de Urquijo, mit dem sie 1804 eine Liebesbeziehung einging, die aber auch in die Brüche ging.

Über die Liebe zwischen Rahel und Finckenstein schreibt Werner Liersch in seinem Buch „Dichterland Brandenburg“: „Der Graf und die Jüdin lernten sich in Berlin des Jahres 1796 kennen und Rahel hegt Hoffnungen, die der Adelige meint, weder erfüllen noch auf sie verzichten zu können. Eine Geschichte, wie sie Fontane im nächsten Jahrhundert noch immer schreiben kann. Auch die geht so, dass der Graf immer wieder neu seine Liebe beteuert, während die Unebenbürtige einfach liebt, und dass es der Graf in diesem Zustand sehr viel besser aushält als Rahel, denn eine Geliebte zu haben ist keine Schande, wohl aber eine zu sein. (…) Es ist Rahel, die den Schlusstrich zieht. (…) Rahel schreibt Karl Finckenstein im Februar 1800, dass sie den Wunsch habe, von nun an unbekannt mit ihm zu sein. Rahel hat diese Liebe, die nie aufhört und darum zur nie enden wollenden Ablehnung des anderen wird. Karl dagegen kann sie unbefangen einen Tag nach ihrem vierzigsten Geburtstag, 19. Mai 1811, treffen und ihr von seiner Karriere (…) und der Gattin auf dem Sofaplatz neben ihr erzählen. Er hat keine Fantasie für die Kränkungen einer vertanen Liebe. Scheinbar ruhig auch sie. ,Dein Mörder! Dachte ich und blieb sitzen. Tränen kamen mir in den Hals und zu den Augen, daß ich ihn ganz ruhig, ganz beruhigt über mich, sitzen sah. Wie eine ihm zugestandene Kreatur fühlte ich mich; er hat mich verzehren dürfen‘, steht in ihrem Tagebuch.“ 2)

Als Preußen 1806 von Frankreich besetzt wurde, geriet Rahel Varnhagen in wirtschaftliche Bedrängnis und es ging mit dem Salon zu Ende, denn „jüdische Salons sind nun – im Zeichen eines neu erwachten Nationalgeistes – nicht mehr gefragt“.3) In dieser Zeit intensivierten sich Rahels Frauenfreundschaften, wie z. B. zu der ehemaligen Geliebten Louis Ferdinands, Pauline Wiesel. Zu Rahels männlichen Gesprächspartnern gehörte ab 1808 auch der vierzehn Jahre jüngere Student Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858), der sie verehrte und unterstützte. Ihn hatte sie schon in ihrem Salon in der Berliner Jägerstraße kennengelernt. Darüber schrieb er: „Rahel wohnte damals in der Jägerstraße (…) in Obhut und Fürsorge der trefflichen Mutter (…). Noch heute ist mir Rahel das Neueste und Frischeste meines ganzen Lebens; in ihrer Gegenwart hatte ich das volle Gefühl, einen ächten Menschen vor mir zu haben, überall organisches Gebild, zuckende Faser, mitlebender Zusammenhang für die ganze Natur, überall originale und naive Geistes- und Sinnesäußerungen, großartig durch Unschuld und durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Handlungen die rascheste, gewandteste, zutreffendste Gegenwart. Das alles war durchwärmt von der reinsten Güte, der schönsten, stets regen und thätigen Menschenliebe, der zartesten Achtung für jede Persönlichkeit, der lebhaftesten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh. (…) Hier fand ich das Wunder anzustaunen, daß Rahel in gleichem Maße, als Andere sich zu verstellen suchen, ihr wahres Innere zu enthüllen strebte, von ihren Begegnissen, Leiden, Wünschen und Erwartungen, mochten ihr dieselben auch als Gebrechen und Fehl erscheinen, mit eben solcher Unbefangenheit und tiefen Wahrheit sprach, als hätte sie nur Günstiges und Schmeichelhaftes anzuführen.“ 4)

1814 heiratete die damals 43-Jährige den 29-jährigen Karl August. Kurz vor der Heirat hatte sich Rahel Varnhagen von Ense evangelisch taufen lassen und ihren jüdischen Namen abgelegt. Sie hieß nun Antonie Friederike Varnhagen von Ense.

Karl August Varnhagen war als Diplomat tätig. Das Ehepaar lebte in Frankfurt a. M., Wien und Karlsruhe und kehrte 1819 nach Berlin zurück. Dort eröffnete Rahel Varnhagen von Ense in ihrer Wohnung in der Französischen Straße ihren zweiten Salon, der zum Treffpunkt der Romantiker und des Jungen Deutschland wurde. Dort trafen sich u. a. Bettina von Arnim (siehe: Bettinastieg), deren Freundin Rahel wurde, Heinrich Heine (siehe: Heinrich-Heine-Weg), Grillparzer (siehe: Grillparzerstraße, Hegel, Mendelssohn-Bartholdy, Fanny Hensel (siehe: Geschwister-Mendelssohn-Stieg), Schelling (siehe: Schellingweg) und Ludwig Börne (siehe: Börnestraße).

Die Schauspielerin Karoline Bauer (1807–1877) schrieb über Rahel und ihren Salon: „Ra­hel war enthusiastisch bis zum Exzeß. Alles, was ihr gefiel: Menschen, Briefe, Bücher, Kleider – war himmlisch, göttlich, feenhaft! (…) Einst aßen wir zum Tee geröstete Kastanien. Das war ein olympisches Götteressen! – Sooft ich späterhin Austern sah, musste ich an Rahels Ausspruch denken: ‚In Austern kann man sich tiefsinnig essen!‘“ 5)

In Heinrich Heine hatte Rahel einen geistigen Verbündeten. Zum ersten Mal begegneten sie sich 1821 in Berlin. Ihre Verbindung hielt bis zu Rahel Varnhagens Tod 1833. „In Rahel Varnhagen begegnet Heine einer Frau, die das Korsett der geltenden gesellschaftlichen Konventionen sprengt. Sie lebt die Idee der Emanzipation – sei es in der Gleichheit der Geschlechter, sei es in der Religion – in ihrer eigenen Existenz vor, einschließlich der damit verbundenen Anfeindungen. Und er begegnet in Rahel Varnhagen zugleich einer Frau, deren Nähe und Umgang ihm Ersatz bietet für die familiären Defizite, denen er sich ausgesetzt fühlt.“ 6)

Rahel Varnhagen von Ense plädierte für die freie Liebe und setzte sich für die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowie der Jüdinnen und Juden ein. Ihre umfangreiche Korrespondenz publizierte sie seit 1812 anonym in Zeitschriften.

Doch „Zeit ihres Lebens litt Rahel an den ihr als Jüdin und Frau auferlegten Grenzen und sah darin die Ursache ihrer vielen Krankheiten.“ 7)

Nach ihrem Tod veröffentlichte ihr Mann ihre Briefsammlung in drei Bänden unter dem Titel „Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde“.