Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Gotthelfweg

Wilstorf (1950): Jeremias Gotthelf (Pseudonym) für Albert Bitzius (4.10.1797 Murten -22.10.1854 Lützelflüh), Volks- und Bauerndichter aus der Schweiz


Früher hieß die Straße Gorch-Fock-Straße, benannt 1925, siehe unter: Gorch-Fock-Straße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).

Jeremias Gotthelf war der Sohn des Pfarrers Sigmund Bitzius (1757–1824) und dessen dritter Ehefrau Elisabeth Bitzius-Kohler (1767–1836). Gotthelf studierte Theologie und wurde Pfarrer. 1833 heiratete er Henriette Zeender (1805–1872), Tochter des Berner Theologieprofessors Jakob Emanuel Zeender (1772–1807) und dessen Ehefrau. Das Paar bekam drei Kinder, geboren zwischen 1834 und 1837.

Vor ihrer Ehe war Henriette Zeender, die nach den Erziehungsidealen Johann Pestalozzis (siehe: Pestalozzistraße) erzogen worden war, als Gouvernante und Lehrerin in einer Privatschule tätig gewesen. Nach dem Tod ihrer Großmutter war sie zu ihrem nun frauenlosen Großvater zurückgekehrt, um dessen Pfarrhaushalt zu führen. Dort lernte sie 1831 ihren zukünftigen Ehemann Albert Bitzius (Jerimias Gotthelf) kennen.

„Für Albert Bitzius war die gebildete und regional verankerte Henriette Bitzius-Zeender eine gute Partie. Als Ledige hätte sie vermutlich – wie ihre Schwester – als Erzieherin in wohlhabenden Familien und wohl auch im Ausland ihren Lebensunterhalt verdient. Die Ehe mit einem Pfarrer wies ihr eine klar umrissene, zudienende Vorbildrolle zu, sodass sie fortan nur noch als Gattin, Mutter und Assistentin ihres schreibenden Ehemannes, der unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf publizierte, wahrgenommen wurde. Bitzius-Zeender wirkte als Lektorin und Kopistin seiner Werke und milderte politisch riskante Aussagen. Familiär wirkte sie ausgleichend zwischen ihrem Gatten und dessen Mutter Elisabeth Kohler sowie zwischen ihm und dessen Halbschwester Marie Bitzius. (…). Auch sorgte sie für die zahlreichen und regelmässig einkehrenden Gäste ihres Mannes,“ 1) heißt es in Wikipedia.

Albert Bitzius (Jerimias Gotthelf) setzte sich für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ein und favorisierte die Pädagogik von Pestalozzi. In seinen Schriften sprach er der Verbesserung der allgemeinen Schulbildung das Wort, „kritisierte [aber] die Mädchen, die eine Sekundarschule besuchen und anschließend sich ein Jahr oder länger im Welschland weiterbilden wollten, unverhältnismäßig scharf, wenn sie ‚sich mehr und mehr dem angestammten Pflichtenkatalog entziehen und statt dessen andern Betätigungen nachgehen: Pantöffeli und Mänteli brodieren, lismerlen (stricken, d. Verf.), französisch parlieren, separat dinieren, Visiten abstatten und empfangen oder sogar Romane lesen usw.‘“ 2)

In Wikipedia heißt es über Albert Bitzius als dem Schriftsteller Jeremias Gotthelf: „Gotthelfs Romane geben in einem zum Teil erschreckenden Realismus das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert wieder. (…). Gotthelf verstand es wie kaum ein anderer Schriftsteller seiner Zeit, die christlichen und die humanistischen Forderungen in seinem Werk zu verarbeiten. Nachdem ihn die Berner Sanitätskommission im Januar 1843 gebeten hatte, eine volkstümliche Schrift gegen das Kurpfuscherwesen zu verfassen, entstand daraus schliesslich der zweibändige Roman Wie Anne Babi Jawäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht.

In seiner Rahmennovelle Die schwarze Spinne (1842) verarbeitet er alte Sagen zu einer gleichnishaften Erzählung über christlich-humanistische Vorstellungen von Gut und Böse. Zuerst kaum beachtet, gilt diese Erzählung bei vielen Literaturkritikern als eines der Meisterwerke des deutschen Biedermeier.. (…).
Sein Ideal einer von Fleiss, Bodenständigkeit, Redlichkeit, Bescheidenheit, Sparsamkeit, Heimatliebe und Gottesfurcht geprägten Gesellschaft sah Gotthelf durch Individualismus, Radikalismus und die fortschreitende Industriealisierung bedroht. Als Symbole dieser vermeintlichen Gefährdung von Haus und Hof fungieren in seinem Werk auch Juden, die überwiegend negativ dargestellt werden, z. B. als Spekulanten und Betrüger; ebenso finden sich auch die antijudaistischen Legenden vom ‚Gottesmord‘ und der ‚jüdischen Verstocktheit‘ in seinen Erzählungen.“ 3)

Auch Gotthelfs älteste Tochter Marie Henriette Rüetschi-Bitzius (1834-1890) wurde Schriftstellerin. Sie schrieb unter dem Pseudonym Marie Walden Erzählungen, begann aber erst spät, nämlich im Alter von über 40 Jahren und nach dem Tod ihres Mannes zu veröffentlichen. Erwähnt wird sie hauptsächlich als Biographin ihres Vaters, obwohl sie zwischen 1879 und 1884 vier Erzählbände für Erwachsene veröffentlichte.

In einem Portrait über Marie Henriette Rüetschi-Bitzius gehen die Verfasserinnen Madeleine Marti und Doris Stump auf die Ursachen des Verschweigens der schriftstellerischen Leistungen von Marie Henreitte Rüetschi-Bitzius und anderer Schweizer Schriftstellerinnen ein. Sie schreiben: „Die Ursache für die fehlende Überlieferung der Literatur von [Schweizer] Frauen liegt (…) in der patriarchalen Gesellschaftsordnung und Literaturgeschichtsschreibung. Männliche Literaturkritik definierte, was ‚öffentliche Dinge‘ waren, von denen Literatur zu handeln habe. Der Erfahrungsbereich der Frauen gehörte nicht dazu. Es brauchte den jahrzehntelangen Kampf der alten und neuen Frauenbewegung, bis Themen wie Gleichberechtigung, Abtreibung, Gewalt gegen Frauen u. a. zu öffentlichen Themen wurden. (…)

Die Literaturkritiker und -historiker wollten offensichtlich die künstlerischen Leistungen der Frauen und ihren Beitrag zur Kulturgeschichte nicht wahrhaben. Sie schenkten ihren Werken keine Beachtung, kritisierten sie mit Vorurteilen und verhinderten so ihre Anerkennung und ihre Aufnahme in die Literaturgeschichten. Deshalb sind viele Autorinnen und ihre Werke vergessen. (…)

Marie Waldens Werke werden in Literaturgeschichten selten erwähnt. Walter Muschg, der Basler Literaturhistoriker, weist zwar auf ihre Goltthelf-Biographie hin, spricht ihr aber zugleich das richtige Verständnis für Gotthelfs Werk ab: ‚Über seine Bücher spricht sie liebenswürdig und klug, aber ohne Sinn für ihre künstlerische und geistige Tragweite, den politischen Zeithintergrund behandelt sie auffallend kundig, nur wieder ohne tieferes Verstehen für die Großartigkeit von Gotthelfs Stellungnahme.‘

Zudem bezeichnet er Marie Walden als ‚anspruchslose Dichterin‘, ohne auf ihre Werke einzugehen.
Wir meinen jedoch, daß Marie Waldens Erzählungen, die teilweise sogar als Romane bezeichnet werden können, auch heute noch lesenswert sind. Sie sind interessant und überzeugen sowohl von der erzählerischen Konzeption wie von der sprachlichen Gestaltung her. Ihre Erzählungen beinhalten sehr genaue sozialkritische Schilderungen des dörflichen und städtischen Lebens und des Aufeinanderprallens von städtischen und ländlichen Sitten und Traditionen.“ 4)

Marie Walden schrieb auch eine Biographie über ihre Mutter. Damit würdigte sie die Schattenarbeit der Mutter für den genialen Ehemann. Die Tochter schreibt über die Mutter: „Sie war die erste Instanz, der er sie [seine Werke] zur Kritik vorlegte, und es kam ihm vor allem auf ihr Urteil an. Kaum hatte er ein ‚Bögli‘ vollendet, so unterbrach er seine Arbeit, um es ihr zum Durchlesen zu übergeben und das Mittagsstündchen wurde meist dazu von ihr verwandt. Ihre bescheidene Kritik nahm der Gatte stets als schwerwiegenden Richterspruch auf und übergab seine Manuskripte seinen Freunden nicht selten mit den Worten: ‚My Frau het mir das nit welle rühme‘ oder ‚d’Frau ist gar z’friede g’sy d’rmit‘. Später besorgte sie auch die erste Korrektur seiner Werke mit großer Pünktlichkeit und Geduld.“ 5)

Madeleine Marti und Doris Stump beschreiben das Elternhaus, in dem die Tochter Marie aufwuchs. Der Vater Gotthelf soll „für die schriftstellerischen Interessen seiner ältesten Tochter kein Verständnis“ gezeigt haben. 6) „Marie Waldens Mutter, Henriette Zeender, hatte ihre Eltern früh verloren und war bei den Großeltern aufgewachsen. Als Pfarrerstochter und – enkelin erhielt sie eine überdurchschnittliche Ausbildung und arbeitete während einiger Jahre als Erzieherin und Lehrerin. Dadurch entwickelte sie eine ökonomische und intellektuelle Unabhängigkeit. Als Mutter förderte sie diese Unabhängigkeit bei ihren Töchtern aber nicht uneingeschränkt. Sie selber hatte in ihrer Jugend gerne gelesen und war dafür von ihrer Großmutter gemaßregelt worden, denn sie ‚hielt große Stücke auf praktisches Geschick und häusliche Tätigkeit, auf das Wissen dagegen gab sie nicht viel. Fand sie an den Werktagen ein Buch in den Händen der Enkelinnen, so setzte es Schläge ab […].‘ Trotz dieser schmerzlichen Erfahrungen schränkte die Mutter den Wissensdrang ihrer Töchter ebenfalls ein. Marie zumindest fühlte sich eingeengt.“ 7)

Als Marie den Amtskollegen ihres Vaters, Ludwig Rüetschi, heiraten wollte, war der Vater zwar mit der Wahl einverstanden, da sie standesgemäß war, doch „sah er der Heirat seiner ältesten Tochter mit Widerwillen entgegen. Aus einer Äußerung Gotthelfs einem Freund gegenüber läßt sich leicht ablesen welche Rolle er seiner Tochter zugewiesen hatte: ‘Das Heiraten ist eine fatale Sache für Väter, welche einigermaßen zur Bequemlichkeit neigen, nicht bloß bringt es eine Menge Molesten mit sich (…) sondern bleibende Störungen im Hauswesen. Alles, für was man die Meitschi erzogen hat, werfen sie einem wieder vor die Füße, man kann es wieder selbst machen oder zusehen, daß es gemacht werde, und als ob sie alles nichts mehr angehe, kümmern sie sich um hell nichts mehr.“ 8)

Marie heiratete Anfang 1855 mit knapp 21 Jahren. Sie bekam sieben Kinder, „das letzte im Todesjahr des Gatten 1867. Von den drei Töchtern und vier Söhnen starben drei Söhne im Alter von 11 Tagen, 7 und 22 Jahren.
Über eine schriftstellerische Tätigkeit Maries während ihrer zwölfjährigen Ehe ist nichts bekannt. Ihre erste Publikation erschien erst zehn Jahre nach dem Tod des Gatten. Während ihrer Ehezeit führte Marie jedoch einen regen Briefwechsel mit ihrer verwitweten Mutter. Besonders interessant ist, wie offen sich Marie gegenüber ihrer Mutter über die schwierigen Anforderungen an sie als Mutter, Gattin und Hausfrau äußerte, und vor allem auch, wie die Mutter darauf reagierte. Marie schrieb: ‚Es gehört ein starker, unabhängiger und doch unbeschreiblich sanftmütiger Geist dazu, Allen Alles zu sein, dem Gatten in seinem Beruf zu helfen, d. h. geistig mitzuwirken, Kinder treu und gut zu pflegen, der Haushaltung tüchtig vorzustehen, Gäste zu unterhalten und dies alles so, daß nichts darunter leidet.‘

Erstaunlich verständig reagierte die Mutter auf diese Schilderungen der Mehrfachbelastung. Sie fordert die Tochter auf, bei den Anforderungen des Alltags ihre geistige Entwicklung nicht zu vernachlässigen. (…) Die Mutter, die früher die Leselust ihrer Tochter eingeschränkt hatte, ermunterte sie nun zur Lektüre. Wie ist diese Wende zu erklären? Hatte sich die Mutter damals vor allem ihrem Gatten gefügt, oder hatte sie nach dem Tod ihres Gatten und der Heirat der Töchter gemerkt, wie wichtig es ist, als Frau auch eigene Interessen zu pflegen und eigene Neigungen ernst zu nehmen?“ 9)

Nachdem Marie im Alter von 33 Jahren Witwe geworden war, musste sie die Pfarrstelle ihres verstorbenen Mannes verlassen und zog mit ihren Kindern nach Bern. Ihre Mutter folgte ihr und half ihrer Tochter, wenn diese Hilfe benötigte.

Marie lebte mit ihren Kindern in finanziell sehr bescheidenen Verhältnissen. Sie bekam nur eine kleine Witwenrente. Deshalb nahm sie Pensionsgäste, meist studierte Pfarrerssöhne, in ihrer Wohnung auf. „Das Stadtleben hatte für Marie Walden jedoch auch positive Seiten. Es boten sich Möglichkeiten zu geistigem Austausch. Sie wurde ‚vielfach aufgesucht, geehrt und geachtet von Männern der Wissenschaft, mit denen sie stets mannigfache Anknüpfungspunkte hatte.‘ Diese Kontakte mit männlichen Gelehrten scheinen bei Marie Walden eine neue Entwicklung ausgelöst zu haben, eine Entwicklung, die ihren intellektuellen Interessen der Jugendzeit mehr entsprach als die doch sehr beschränkte Existenz einer Landpfarrersfrau.

Einige Fragen drängen sich uns auf: Hätte sich Marie Henriette Rüetschi-Bitzius auch zur Schriftstellerin Marie Walden entwickelt, wenn ihr Gatte nicht früh gestorben wäre? (…)

Auch als Witwe war es für Marie Walden schwierig, literarisch tätig zu sein. Sie musste sich die Zeit zum Schreiben zusammenstehlen, denn niemand hielt, wie einst die Mutter beim Vater, Störungen von ihr fern.“ 10)
„Als Marie Walden endlich ihre schriftstellerischen Fähigkeiten weiter ausbilden und ihre Erzählungen publizieren konnte, bewältigte sie die Schwierigkeiten des Lebens einer verwitweten Mutter von sechs Kindern ohne größere Probleme. Akzeptiert war aber eine schreibende Frau zu jener Zeit noch weniger als heute.“ 11)

Marie Waldens Werke wurden in den Jahren zwischen 1877 und 1884 veröffentlicht. 1886 wurde sie krank, bekam eine Geschwulst am Hinterkopf. In den letzten vier Jahren ihres Lebens wurde sie von ihren Töchtern, denen sie den Besuch des Lehrerinnenseminars ermöglicht hatte, damit sie ökonomisch unabhängig werden, gepflegt. Marie Walden starb im Alter von 56 Jahren an einem Schlaganfall.