Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Gorch-Fock-Straße

Eimsbüttel (1921): Johann Kinau (Gorch Fock, Pseudonym) (22.8.1880 Finkenwerder - 31.5.1916 Seeschlacht am Skagerrak), Dichter, Schriftsteller


Siehe auch: Gorch-Fock-Wall
Siehe auch: Cilli-Cohrs-Weg
Siehe auch: Ohnsorgweg
Siehe auch: Godenwind
Siehe auch: Hein-Saß-Weg
Siehe auch: Werthweg

Nach Gorch Fock ist die Gorch-Fock-Schule im Bezirk Altona benannt. Johann Kinau wurde auf Finkenwerder geboren und entstammte einer Fischerfamilie. Seine Eltern waren der Fischer Heinrich Kinau und dessen Ehefrau Metta, geb. Holst. Er hatte noch fünf Geschwister, war klein und schmächtig und sollte auch Fischer werden. Doch er konnte die körperlich harte Arbeit eines Fischers nicht durchhalten und wurde auf den Schiffen stets seekrank. So absolvierte er eine Kaufmannslehre in Wesermünde/Bremerhaven. Danach besuchte er dort die Handelsschule und wurde später Buchhalter im Thüringischen. Sein Interesse galt aber verstärkt der Kultur und Kunst, und so begann Johann Kinau mit ersten literarischen Versuchen. Seine Arbeit im kaufmännischen Bereich behielt er. Diese Tätigkeit führte ihn schließlich zurück nach Hamburg, wo er bei der Hamburg-Amerika-Linie eine Anstellung fand.

0931 Gorch Fock
Gorch Fock, Pseudonym des deutschen Schriftstellers Johann Wilhelm Kinau, 1916; Quelle:Ferd. Braune, Atelier Naumann, Inhaber, Hamburg (Aus Gorch Focks Tag- und Nachtbuch S. M. S. Wiesbaden. In:Vaterstädtische Blätter, 1916/17. Nr. 10, 3. Dezember 1916), gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Einer seiner Cousins war Hinrich Wriede, der später in der Zeit des Nationalsozialismus nationalsozialistischer Schulleiter in Barmbek und vielbeschäftigter NS-Funktionär wurde. (Siehe sein Profil in der Datenbank „Die Dabeigewesenen“ https://hamburg-ns-dabeigewesene.de/item/206). Gemeinsam mit ihm gründete Gorch Fock 1906 die Finkenwerder „Speeldeel“. (Zu den „Speeldeel“ in der Zeit des Nationalsozialismus, siehe das Profil von Adolph Albershardt in der Datenbank „Die Dabeigewesenen“ https://hamburg-ns-dabeigewesene.de/item/314.) Die Aktivitäten der beiden Speeldeelgründer wurden durch den Ersten Weltkrieg beendet – Gorch Fock starb 1916 als Soldat der Marine.

Johann Kinaus jüngerer Bruder war Rudolf Kinau (1887-1975). Auch er wurde Schriftsteller und auch nach ihm wurde in Hamburg eine Straße benannt (siehe: Rudolf-Kinau-Allee). Rudolf Kinau diente sich den Nationalsozialisten an. So rief er mit anderen z. B. dazu auf, den SA-Treueschwur ins Plattdeutsche zu übersetzen. Zur 700-Jahrfeier von Finkenwerder, deren Schirmherrschaft die NSDAP übernommen hatte, schrieb Rudolf Kinau das Stück „Wir marschieren mit der neuen Zeit“.

Gorch Focks politisch-literarische Einstellung wurde u. a. geprägt durch den „Kreis um die Himmelsleiter“, benannt nach einer Gaststätte in der Hamburger Altstadt. Zu dieser künstlerisch-literarischen Gemeinschaft der niederdeutschen Bewegung, die sich in der Zeit zwischen dem Jahrhundertanfang und dem Beginn des Ersten Weltkriegs traf, gehörten neben Hinrich Wriede und Gorch Fock auch u. a. Alma Rogge, Hermann Claudius, Hans Friedrich Blunck (Nationalsozialist in der NS-Zeit, siehe sein Profil in der Datenbank „Die Dabeigewesenen“) und Richard Ohnsorg [siehe: Ohnsorgweg] – allesamt nach 1933 systemkonforme und hoch geschätzte Literaten, Dramatiker, Lyriker, Theatermacher. Blunck hat überliefert, was in dieser ‚Himmelsleiter‘“ als ‚unser aller Meinung und Ziel‘ galt. Der Journalist Jacob Bödewadt drückte das 1913 so aus: ‚Heimat- und Stammestreue bedeutet keine geistige Enge – echte 'Heimat-Kunst' kann zu weltweiten Höhen emporwachsen, und Ewigkeitswert kann nur die Dichtung erlangen, die fest im rassischen Volkstum wurzelt – nicht in seinen Äußerlichkeiten, sondern in seiner seelischen Bedingtheit – während alles noch so virtuose Artistentum wie jede Epoche verstandesmäßig erklügelten Kunstgewerbes wohl von der Tagesmode hocherhoben werden kann, aber auch mit dem Wechsel der Mode spurlos untergeht.‘“ (Siehe dazu Eintrag zu Wriede in Datenbank „Die Dabeigewesenen)

1908 heiratete Gorch Fock die Hamburgerin Rosa-Elisabeth Reich (16.7.1889 Hamburg -1964). Ein Jahr zuvor hatte er eine Stelle bei der Großreederei Hamburg-Amerika-Linie (H.A.L./HAPAG) angenommen, wo er in der Personalabteilung als Buchhalter und Briefführer arbeitete. Das Paar zog nach Borgfelde. „Im gleichen Jahr ließ sich der junge Autor in den Vorstand der ‚freien Vereinigung von Freunden der niederdeutschen Sprache und Literatur‘ wählen. Dort übernahm er Aufgaben als Schriftführer, Archivar und Bibliothekar, die ihm allerdings bald zu monoton erschienen.“ 1)

Ein Förderer Johann Kinaus war der Werftbesitzer Julius Caesar Stülcken, der unter dem Pseudonym Peter Werth (siehe: Werthweg) ebenfalls plattdeutsche Erzählungen veröffentlichte.

Als junger Ehemann trat Johann Kinau nun verstärkt durch Veröffentlichungen in Hamburger Zeitungen hervor, wurde dadurch bekannt und wagte sich nun auch an erste Buchveröffentlichungen heran.

Mit dem Aufstieg zum Literaten einher ging auch der Aufstieg zum Vater: 1910 wurden die Zwillinge Adolf und Heinrich geboren. Heinrich starb allerdings neun Tage nach seiner Geburt. 1914 wurde die Tochter Mette Elisabeth Pauline geboren.

Um sich in der Trauer um seinen verstorbenen Sohn abzulenken, begann Kinau Theaterstücke zu verfassen, so das Stück „Doggerbank“.

Trotz literarischer Anerkennung blieb Kinau innerlich zerrissen. Er drohte, so Brigitta Esser „zwischen einer bürgerlichen Existenz und seinen eigenen künstlerischen Erwartungen zu scheitern (…). Die Erkenntnis der Unmöglichkeit, seine Lebensträume und -entwürfe zu realisieren, mündet in eine tiefe Todessehnsucht (…).“ 2)
Bei der Aufführung des Stückes im Altonaer Schiller-Theater 1912 lernte Johann Kinau die Schauspielerin Aline Bußmann (1889-1968) kennen. Sie wurde Johann Kinaus Muse und Seelenverwandte und wurde eine seiner wichtigsten Bezugspersonen. Laut Klaus Jarchow soll Aline Bußmann nicht nur Muse gewesen sein. Johann Kinau soll sich in sie verliebt haben und wünschte sie „nah zum Fassen“. „Seinen christlichen Ehestand will er jedoch nicht verlassen.“ 3)

Nach Focks Einberufung als Soldat in den Ersten Weltkrieg „lernte Aline Bußmann 1915 bei Proben im Deutschen Schauspielhaus den Rechtsanwalt Carl Hager kennen, den sie später heiratete. Die Mitteilung dieser neuen Bekanntschaft versetzte Gorch Fock, der nach seinen idealistischen Vorstellungen von der Kriegswirklichkeit ohnedies desillusioniert war, einen schweren Schlag. 1916 starb er in der Skagerakschlacht beim Untergang des Kreuzers SMS Wiesbaden. Mit der Herausgabe seines Nachlasses bestimmte Aline Bußmann laut Dirk Hempel die Leitmotive der postumen Rezeption des Schriftstellers und trug mit der Betonung von Kriegs- und Heldenmythos und den vermeintlich typisch germanischen Zügen Gorch Focks zu dessen Erfolg in der Zeit des Nationalsozialismus bei.“ 4)

Die spätere „Vereinnahmung seiner Werke durch die Nationalsozialisten (…) führte dazu, dass der Autor als Kriegsverherrlicher und Wegbereiter des Nationalsozialismus wahrgenommen wurde. Günter Benjas Biografie des Schriftstellers weist jedoch nach, dass Gorch Fock zwar unbestreitbar ein Nationalist war, aber keineswegs Rassist oder Antisemit. Seine Nachlassverwalterin Aline Bußmann soll nahezu alle kritischen Anmerkungen aus den Texten beseitigt haben, um sie für die propagandistische Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus anzupassen“, 5) heißt es unter „Johann Kinau“ in Wikipedia.

Der „Völkische Beobachter“ appellierte an die Jugend, sich den von der NS-Propaganda gestalteten Gorch Fock zum Vorbild zu nehmen. Ab 1935 wurden die Texte und Erzählungen Gorch Focks zur Pflicht-Schullektüre.
Dazu schreibt Rüdiger Schütt: „Er war nun das ‚Vorbild männlicher Jugend‘, wie ein 1933 erschienener Artikel von Walter Dettmer schon im Untertitel klarstellte: ‚Gorch Fock gehört zu den Vorbildern deutscher Männlichkeit. Und zwar gehört er der Jugend aller dauten Gaue, und nicht nur seiner engeren Heimat, wie manche binnenländische Kritiker meinen. Gorch Fock will nicht mit literarischen Maßstäben gemessen werden. Es kommt uns vor allem auf den ganzen Kerl, auf ein großes, starkes Herz und einen lachenden Lebenswillen an. […]. Was wir von Fock und den Gestalten seiner Bücher lernen können, ist: mutig zu leben! […] Fock ist ein Prediger der Furchtlosigkeit und Männlichkeit, und was ihn uns unvergesslich macht zum Vorbild werden lässt, ist die Tatsache, dass das, was der Dichter Gorch Fock predigte, von Jan Kinau dem Menschen auch gelebt und mit dem Tode in der Skagerrakschlacht besiegelt wurde. (…).‘.

In einer Art Glaubensbekenntnis sollte die Jugend eingeschworen werden auf ‚deutsche Tugenden‘, die Gorch Fock angeblich verkörperte. Um ihn als Gewährsmann zur Rechtfertigung außenpolitischer Ziele einsetzen zu können, wurden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und so präsentiert, als seien sie tatsächlich politische Stellungnahmen Gorch Focks.“ 6)

1933 benannten die Nationalsozialisten die in der Hamburger Neustadt gelegene Friedrich-Ebert-Straße in Gorch-Fock-Wall um. So heißt die Straße heute noch. Auch andere Städte erhielten Straßenamen nach Gorch Fock. Die Stadt Dortmund änderte allerdings 1946 ihre Gorch-Fock-Straße in Bertha-von-Suttner-Straße um.

1937 wurde die Richard-Dehmel-Schule in Blankenese in Gorch-Fock-Schule umbenannt. Die Schule heißt heute noch so. Rüdiger Schütt gibt den Grund für diese Umbenennung an, die „trotz der Proteste der – jüdischen – Witwe Dehmels, Ida Dehmel“ 7) vorgenommen wurde. „Richard Dehmel, das Idol der Jugend um 1900, der als Erotomane und Verkünder der freien Liebe galt, schien den Nationalsozialisten kein passendes Vorbild mehr zu sein für die ‚neue‘ Jugend des ‚Dritten Reichs‘.8)

1966 wurde die Lektüre Gorch Focks aus den Hamburger Lehrplänen gestrichen.