Hans-Stoll-Straße
Bergedorf/Allermöhe (1996): Hans Stoll (3.2.1912 Lohbrügge/Sande – 1940 auf der Flucht von Dänemark nach Schweden), Mitglied der SAJ, später der SAP, Mitarbeiter in der illegalen Druckerei in Bergedorf, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Stolperstein: Heysestraße 5 (Beethovenstraße 5)
Hans Stoll war eines von acht Kindern des Ehepaars Anna, geb. Modrach, und Emil Stoll. Er erlernte den Beruf des Bankkaufmanns und war zunächst gemeinsam mit seinem älteren Bruder Richard (geb. 1908) Mitglied der SPD-nahen Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Beide Brüder waren 1928 Vorstandsmitglieder der Ortsgruppe Sande-Lohbrügge, wobei Hans Stoll für die jüngeren Mitglieder zuständig war. Die Gruppe unternahm Wanderfahrten in die Umgebung und schulte sich politisch im Sinne der SPD. Auf Jugendtagen in Norddeutschland demonstrierte man für die Rechte von Jugendlichen, für bessere Ausbildung und den Achtstundentag.
Bald jedoch entwickelten sich Differenzen zur Mutterpartei, die vielen im Jugendverband zu „bürgerlich" war – unter anderem hatte die SPD unter ihrem Reichskanzler Müller Ende der 1920er Jahre dem Bau von Panzerkreuzern zugestimmt und damit ein Wahlversprechen gebrochen. Nach 1930 unterstützte die mittlerweile aus der Reichsregierung ausgeschiedene SPD, um eine rechtsradikale Regierung unter Beteiligung der NSDAP zu verhindern, die Regierung Brüning. Diese regierte mit Notverordnungen, die nicht durch das Parlament bestätigt werden mussten. Die SPD tolerierte auf diese Weise unter anderem Kürzungen von Löhnen und bei der Arbeitslosenunterstützung. Die jungen SAJler aus Bergedorf forderten von ihrer Partei ein konsequenteres Eintreten für die Interessen der Arbeiter und waren der Überzeugung, dass das kapitalistische System beseitigt werden müsse. Sie forderten die Einheit der Arbeiter und lehnten daher auch die KPD-Politik ab, die mit ihrer Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) die Gewerkschaften spaltete und mit der „Sozialfaschismus-Theorie" Sozialdemokraten auf eine Stufe mit Nationalsozialisten stellte. Im Herbst 1931 wurden große Teile der Bergedorfer und Sander SAJ-Mitglieder aus der SPD ausgeschlossen. Daraufhin gründeten Richard und Hans Stoll mit anderen die Bergedorfer Ortsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) Diese war im Oktober 1931 reichsweit als linke Abspaltung der SPD gegründet worden und nahm auch ehemalige KPD-Mitglieder auf.
Die SAP hatte mit der Machtübergabe an die NSDAP gerechnet und war daher 1933 zunächst in der Lage, sich in der Illegalität zu organisieren. Es wurde ein System von Fünfergruppen gebildet, von denen jeweils ein Mitglied Kontakt zu einer weiteren Fünfergruppe hielt. Die Bergedorfer Gruppe um Hans und Richard Stoll, zu der noch Walter Becker [siehe: Walter-Becker-Straße] sowie Hermann und Michael ("Michel") Pritzl [siehe: Michael-Pritzl-Weg] gehörten, erhielt den Auftrag, eine illegale Druckerei aufzubauen. Dies geschah im Wohnhaus der Familie Stoll in der damaligen Beethovenstraße 5 (heute Heysestraße 5). Gesetzt wurden die Texte in Richard Stolls Dachkammer, der Druck fand auf einer Tiegelpresse im Keller statt. Von März bis August 1933 konnten so Parteimitteilungen und die Schrift „Spartakusbrief" gedruckt und illegal in Bergedorf und Umgebung verteilt werden. In den 1980er-Jahren berichtete Michel Pritzl über die Druckerei: „Ende Juli/Anfang August [1933] begannen wir mit dem Druck der 2. Ausgabe unseres ‚Spartakusbriefes‘. Beim Setzen in Richards Dachzimmer arbeiteten wir meist schweigend, denn im Haus wohnten ja noch andere Familien. Damals konnte man keinem trauen. (...) Auch Anni und Walter Adams halfen uns. So kam es schon mal vor, dass einer sagte: ‚Gib mir mal ein E her!‘ oder ‚Gib mir mal ein A rüber!‘ Das musste der Schwiegersohn des Nachbarn Barkow, ein gewisser Burmester, gehört haben. Jedenfalls hat uns dieser Strolch verpfiffen."
Die Gruppe hatte jedoch von der Gefahr erfahren und Richard Stoll hatte alle Druckerei-Utensilien gut verpackt in einem Schrebergarten der Familie vergraben. Am 27. August 1933 wurde Richard Stoll in der Wohnung Beethovenstraße verhaftet. Sein Bruder Hans kam davon, weil im Wagen der Gestapo kein Platz mehr war. Die Gestapo wollte auch den Garten der Familie durchsuchen, Richard führte sie aber zu einem zweiten Garten, der ebenfalls der Familie gehörte, der aber „sauber" war. Richard Stoll überlebte Haft, Einsatz im „Bewährungsbataillon 999“ und Kriegsgefangenschaft. Er kehrte im Juli 1945 nach Bergedorf zurück. Hans Stoll entkam mit Hilfe von Parteimitgliedern aus Hamburg und Flensburg nach Kopenhagen, wo er auf Michel Pritzl und andere aus der Bergedorfer SAP-Gruppe traf. Unterstützung erhielten sie vom sozialdemokratischen Matteotti-Komitee. Sie lernten Dänisch und diskutierten untereinander und mit anderen Emigranten die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit Kommunisten, aber auch mit dem damaligen SAP-Mitglied Willy Brandt [siehe: Willy-Brandt-Straße], der im Auftrag der Parteileitung ein Bündnis aller Hitler-Gegner, unter Einschluss des in Deutschland mittlerweile verfolgten „linken" Strasser-Flügels der NSDAP, erreichen wollte. Die Bergedorfer lehnten jedoch ein Zusammengehen mit den nach wie vor faschistischen Strasser-Leuten ab. In seiner Freizeit spielte Hans Stoll gemeinsam mit anderen Emigranten in einer Fußballmannschaft, auch half er zusammen mit Michel Pritzl im linken „Fremdverlag" aus. Die Bergedorfer Gruppe lebte zunächst in einer Wohngemeinschaft, die sich aber etwa 1937 auflöste. Walter Becker war nach Schweden gegangen, Michel Pritzl hatte seine Bergedorfer Verlobte Anni und Hermann Pritzl seine dänische Freundin geheiratet. Hans Stoll bezog ein Zimmer zur Untermiete.
Am 9. April 1940 wurde Dänemark von deutschen Truppen besetzt. Die politischen Emigranten begannen sofort, Fluchtmöglichkeiten nach Schweden zu organisieren. Nicht allen gelang der Absprung, Michel Pritzl wurde am 19. April 1940 verhaftet. Hans Stoll sollte kurz nach Pritzls Verhaftung mit einem Fischerboot nach Schweden gebracht werden. Anni Pritzl berichtete dazu: „Nach Michels Verhaftung kam Hans Stoll zu mir. Es war am Abend vor seiner geplanten Überfahrt nach Schweden. Er wollte eigentlich nicht mit. Er meinte, er hätte so ein seltsames Gefühl, als wenn irgendwas schieflaufen würde. Vor allem wollte er nicht mit einem Strasser-Mann, einem von der ‚Schwarzen Front‘, eigentlich ja einem Faschisten, zusammen fliehen. Er traute dem nicht. Als er mich verließ, war er fest entschlossen, nicht mitzufahren. Andererseits hatte er Gewissensbisse wegen Günther Hopfe, denn der war schon älter, kurzsichtig und unbeholfen. Die Überfahrten nach Schweden waren ja nicht problemlos. Es wurde bei Nacht gefahren. Die Flüchtlinge wurden vor der schwedischen Küste im brusttiefen Wasser abgesetzt. Außerdem wäre ohne ihn das Geld für den Fischer nicht zusammengekommen. (...) Er ist dann wohl doch mitgefahren.
Die fünf deutschen Emigranten sind in Schweden nie angekommen. Der dänische Fischer hat nach dem Krieg erzählt, er habe die Fünf an Bord genommen und vor der Küste abgesetzt. Wir haben später immer wieder darüber nachgedacht und denken heute noch darüber nach, was damals wohl passiert ist. Lange dachten wir, dass die Fünf nach Verrat durch den Strasser-Mann an die Gestapo geraten und von ihr ‚liquidiert‘ worden sind. Der Fischer müsste in diesem Fall aus Angst die Unwahrheit gesagt haben. Aber warum sollte die Gestapo ihre Gefangenen vor den ‚berüchtigten‘ Verhören umbringen, und das 1940? Es könnte sein, dass die Fünf an der schwedischen Küste ertrunken sind, weil der Fischer sie auf einer Sandbank – also zu früh – absetzte. Sie hatten ihre Kleidungsstücke alle übereinander angezogen, weil sie kein Gepäck mitnehmen durften. Vielleicht konnten sie darin nicht an Land schwimmen. Aber es sind zu diesem Zeitpunkt keine Leichen an der schwedischen Küste gefunden worden. Walter Becker hat hierzu von Schweden aus Nachforschungen angestellt."
Näheres ist über die Todesumstände von Hans Stoll bis heute nicht bekannt geworden.
Text: Björn Eggert, Ulrike Sparr, Text entnommen www.stolpersteine-hamburg.de
Erinnerngstafel am Haus Heysestraße 5
Am Haus Heysestraße 5 ist eine Erinnerungstafel montiert. Sie verweist darauf, dass hier während der NS-Zeit eine illegale Druckerei der SAP (sozialistische Arbeiterpartei) betrieben wurde. Auf der Gedenktafel steht: „In diesem Hause war 1933 die illegale Druckerei der Sozialistischen Arbeiterpartei. Hier druckten Michael und Hermann Pritzl, Hans und Richard Stoll, Walter Becker und Anni Bartels den „Spartakusbrief“, der in ganz Nordwestdeutschland verteilt wurde. Nach Verrat wurde Richard Stoll zu 2 1/2 Jahren Gefängnis verurteilt und später zum Strafbataillon 999 eingezogen. Die anderen konnten nach Dänemark fliehen. Nach der Besetzung wurde M. Pritzl der Gestapo Hamburg ausgeliefert und zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. H. Stoll kam bei der Flucht nach Schweden ums Leben.“
Michael Pritzl war damals seit 1929 mit Anni Bartels verlobt. „Die Gruppe druckte zum Beispiel ein Flugblatt gegen den Boykott jüdischer Geschäfte, von dem sie 1.500 Stück in Bergedorf verteilten. Als abendliche Spaziergänger oder als Liebespaare getarnt klemmten sie die Schriften unter Türklinken und schoben sie unter den Haustüren hindurch. Als die illegale Druckerei im August 1933 aufflog, floh Michel Pritzl nach Dänemark. Anni wurde von der Polizei verhört und anschließend für zwei Tage eingesperrt und verlor ihren Arbeitsplatz. Als Anni später erfuhr, dass Michel in Dänemark untergetaucht war, besuchte sie ihn unter falschem Namen und schrieb ihrem Verlobten mit Hilfe von Deckadressen – die beiden standen in ständigem Schriftverkehr. Da Anni nicht weiter getrennt von Michel leben wollte, entschloss sie sich, bei dem nächsten Besuch ganz in Dänemark zu bleiben. 1937 verließ sie Deutschland und heiratete Michel im selben Jahr in Dänemark. Sie suchte sich Arbeit als Reinemachefrau und nähte für Bekannte und Nachbarn, um über die Runden zu kommen. Als die Nationalsozialisten Dänemark besetzten, kam Michel ins Internierungslager und Anni musste sich alleine durchschlagen. In dieser Zeit fuhr sie zweimal in der Woche mit dem Fahrrad 100 km hin und zurück, um Michel im Lager Horseröd zu besuchen.“ 1)
Im Rahmen des von Annette Hülsmeyer 2013 initiierten Projektes „Namentuch-Denkmal. Garten der stillen Helden“ des Haus im Park in Bergedorf wurde auch für die „Heldin“ Anni Bartels ein Namentuch geschaffen. Die Klasse 8e der Gretel-Bergmann-Schule in Hamburg-Allermöhe entwarf und gestaltete das Namentuch. „Auf dem Tuch sieht man Anni Pritzl mit ihrem Mann Michel von Hamburg-Bergedorf nach Kopenhagen in Dänemark reisen. Sie sind als Hochzeitspaar dargestellt, links Michels Arm mit den Ringen und rechts Annis Arm. Beide tragen Hochzeitskleidung und befinden sich mit ihrem Reisekoffer auf einer Straße. Allerdings kann man auch sehen, dass sie in Dänemark nicht nur heiraten, sondern auch, dass Michel schon der Weg ins KZ-ähnliche Lager bevorsteht. Das wird symbolisiert durch den Zaun aus Draht und die Worte „Arbeit macht frei“, die sich über dem Eingang mehrerer Konzentrationslager befunden haben“ 1)