Kurt-Schumacher-Allee
St. Georg (1962): Dr. Kurt Schumacher (13.10.1895 Culm -20.8.1952 Bonn), SPD Parteivorsitzender, SPD-Fraktionsvorsitzender, Mitglied des Reichstages, Mitglied des Bundestages.
Annemarie Renger Lebensgefährtin.
Siehe auch: Jeanette-Wolff-Ring
Die Straße hieß früher Altmannstraße, benannt 1875, siehe Altmannbrücke.
(vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
Kurt Schumacher war das Kind des Kaufmanns Carl Schumacher, der mit Getreide und Agrarbedarf handelte und seiner Frau Gertrud, geb. Meseck, Tochter eines Zimmermeisters. Die Familie lebte in Culm, war wohlhabend und hatte Dienstpersonal. Der Vater war politisch aktiv als Anhänger der linksliberalen Deutschen freisinnigen Partei. Kurt Schumacher wuchs „in einer feminin bestimmten Atmosphäre auf. Der Vater (…) ist viel außer Haus. Drei Schwestern, alle älter als er – Hedwig neun, Lotte sieben und Elisabeth vier Jahre -, verwöhnen das Nesthäkchen. Mutter Gertrud, eine schöne, intelligente und sehr spontane Frau, nimmt den einzigen Sohn gegen die fordernde Strenge, die Carl Schumacher bei der Erziehung walten läßt, stets in Schutz. (…) Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, aber auch Höflichkeit werden ihm eingetrimmt (…). Zur Mutter, die er ‚liebe alte Dame‘ oder ‚meine Trude‘ nennt, hat er zeit seines Lebens ein besonders enges, herzliches Verhältnis,“ 1) so Peter Merseburger in seiner Biographie über Kurt Schumacher.
Der Sohn Kurt galt schon in der Schulzeit als überzeugter Sozialdemokrat, wurde Mitglied der SPD, promovierte zum Dr. jur., war ab 1920 politischer Redakteur der sozialdemokratischen Stuttgarter Zeitung Schwäbisches Tageblatt, ab 1924 Mitglied des Württembergischen Landtages, ab 1930 Vorsitzender der SPD in Stuttgart und Abgeordneter des Deutschen Reichstages, schon früh Gegner der Nationalsozialisten und Kommunisten.

Peter Merseburger beschreibt Kurt Schumachers weiteren Lebensweg: In seiner „Stuttgarter Zeit“ „befreundet sich Schumacher mit einer Stuttgarter Künstlerin, Marie Fiechtl, die zur Politik keinerlei Beziehung hat. Beide kommen aus getrennten Welten: sie katholisch, Tirolerin und musisch orientiert, er zwar protestantisch getauft, aber Agnostiker, Westpreuße und fast ausschließlich an Politik und Theorie interessiert. Die einzige authentische Schilderung über seine gemeinsame Zeit mit ihr in Stuttgart ist in einem Brief enthalten, den Marie Fiechtl Ende März 1953 an Fried Wesemann schrieb, als dieser ihr seine Schumacher-Biographie nach Chicago geschickt hatte:
‚Als wir uns in Stuttgart durch eine gemeinsame Freundin kennen lernten, kannten wir uns bereits vom Sehen, ohne je zusammen gesprochen zu haben. Später sagte er mir einmal, er hätte mich gerne mal angesprochen, wenn er mich sah, wollte sich aber keine Abfuhr holen. Wie Sie sehen, Kurt war auch sehr stolz im Großen wie im Kleinen. Wir sahen uns fast täglich; meistens trafen wir uns morgens gegen 9 Uhr, wenn er sein Frühstück im Kaffee Rosenstöckle oder Scheible oder Königsbau einnahm (er ging nämlich immer sehr frühzeitig zur Redaktion ohne vorher gefrühstückt zu haben) dann hatten wir ein Stündchen zusammen zum Plaudern. Um 10 Uhr musste er wieder bei seiner Arbeit sein und auch ich ging meinem Beruf nach (ich war Sängerin und hatte damals viel zu tun beim Stuttgarter Rundfunk, Konzerten und Kammeroper). Oft sahen wir uns auch am Spätnachmittag im Schloßgartenkaffee, wo er gern im Freien saß oder wir trafen uns zum Abendbrot in der Elsässer Taverne. Besonders schön waren die Sonntag-Abende, die wir zusammen mit Freunden, Rechtsanwalt Paul von Bagnato und seiner Gattin verbrachten. Da waren wir recht vergnügt und auch er konnte herzlich lachen und in angeregter Unterhaltung verging der Abend. …).‘
Marie Fiechtl schrieb dies aus den USA, wohin sie auf Anraten Kurt Schumachers 1934 zu ihren Verwandten gegangen war. (…) [Marie Fiechtl] hat am Stuttgarter Konservatorium für Musik studiert, dann ihre Ausbildung als Musikdarstellerin an der Münchner Akademie der Tonkunst vervollständigt. Zunächst als Schauspielerin an das Oldenburger Landestheater verpflichtet, wird sie Mitglied der Kammeroper des Stuttgarter Senders. (…)
Wenn Schumacher zu Versammlungen eilt, begleitet sie ihn nicht; Politik sei keine Beschäftigung für gentlemen, soll er zu ihr einmal gesagt haben. Edinger, der sie in Amerika aufgesucht hat, bezeichnet sie als mütterlich – ‚bei ihr, ebenso wie bei seiner Mutter, konnte er jungenhaft und lustig – nicht sarkastisch – sein, er war Junge und Mann, Sohn und Geliebter und trotzdem frei, seine wichtigsten Ziele zu verfolgen.‘“ 2)
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war Kurt Schumacher von Juli 1933 bis März 1943 in Konzentrationslagern inhaftiert. „Selbst im Konzentrationslager gilt (…) seine Sorge [seiner Mutter]. Weil er ihr kein selbstverdientes Geld mehr zukommen lassen kann, veranlaßt er, daß sie seine Invaliditätsrente erhält, die ihm in Dachau ohnehin nie ausgezahlt würde. Bis Frühjahr 1933 hat Kurt von seinem kargen Redakteursgehalt in Stuttgart, später von seinen Reichstagsdiäten und Honoraren erst beide Eltern, nach dem Tod des Vaters 1928 dann die Mutter unterstützt. (…).“ 3)
Während Schumacher in Konzentrationslagern inhaftiert war, versorgte ihn Marie Fiechtl mit Paketen, bis sie selbst im Juli 1934 in die USA reiste – mit dabei eine goldene Nadel mit den Kinderzähnen von Kurt Schumacher, überreicht von Kurt Schumachers Mutter – sie verstarb während der Haftzeit Schumachers 1937. Von außen versorgt mit Paketen wurde Schumacher von seiner Schwester Lotte.
Maria Fiechtl fasste in Amerika Fuß und hatte mit ihrer Kunst dort ihr Auskommen. Jahrelang hoffte sie, dass Schumacher freigelassen und zu ihr in die USA kommen würde. Dazu äußerte sich Schumacher in seinen Briefen 1936: „In Deinen Briefen sprichst Du häufig davon, daß ich nach den U.S.A. herüberkommen möge Aber dazu gehören nicht nur die Freiheit und die Genehmigung zur Auswanderung, sondern noch etwas anderes. Ins Ausland hätte ich ja auch schon 1933 gekonnt und ich hätte mir die letzten drei Jahre damit erspart. Ich habe aber mit offenen Augen den anderen Weg beschritten (…).“ 4)
Schließlich heiratete Maria Fiechtl Ende 1937 den Apotheker Max Seibert.
Schumacher wurde noch während der Herrschaft des Nationalsozialismus als schwerkranker Mann aus dem KZ entlassen, nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 aber erneut für einen Monat inhaftiert.
„Nach dem Ende der NS-Herrschaft kehrte Schumacher im Mai 1945 nach Berlin zurück. Von 1946 bis 1952 war er Parteivorsitzender der SPD und SPD-Fraktionsvorsitzender sowie Oppositionsführer in der 1. Wahlperiode (1949-1952) des Deutschen Bundestages. Kurt Schumacher nahm mit ungeheurer Kraft - trotz seiner schweren körperlichen Leiden (seinen rechten Arm hatte er im Ersten Weltkrieg verloren, 1948 musste sein linkes Bein amputiert werden, und die KZ-Haft hatte ihn gesundheitlich schwer geschadet) - die Wiedergründung der SPD in Angriff. Er wurde ihr erster Vorsitzender und zum großen demokratischen Gegenspieler Adenauers (siehe: Adenauerallee). Aber auch sein und Jeanette Wolffs [siehe: Jeanette-Wolff-Ring] „Engagement konnte[n] nicht verhindern, dass die NS-Aufarbeitung selbst in der Nachkriegs-SPD verzögert und unvollständig ablief,“ 5) schreibt Birgit Seemann in ihrer Biografie über Jeanette Wolff.
Kurt Schumacher, der ein Mandat der Bezirks- und Landesorganisationen der SPD in den westlichen Besatzungszonen hatte, sprach sich vehement gegen eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten aus. „Er glaubte nicht, dass die Kommunisten, die vor 1933 für eine Rätediktatur kämpften, sich zu Demokraten gewandelt hätten.“ 6) Schumacher war Verfechter des Fraktionszwanges, hatte einen autoritären Führungsstil, verlangte eiserne Parteidisziplin. Nur wenige widersprachen ihm. Schumacher sprach sich auch, als die SPD bei der Bundestagswahl 1949 unterlag, gegen eine große Koalition aus.
Seit 1945 war die in dieser Zeit in die SPD eingetretene, aus einem sozialdemokratischen Elternhaus stammende Annemarie Renger (7.10.1919 Leipzig - 3.3.2008 Remagen-Oberwinter) die Privatsekretärin des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg die Rede Schumachers „Wir verzweifeln nicht“ gelesen hatte, beschloss sie, diesen Mann kennen zu lernen. Sie ergriff die Initiative und trug ihm ihre Mitarbeit an. Sie, gelernte Verlagskauffrau, Mutter eines Sohnes und während des Zweiten Weltkrieges mit 26 Jahren Witwe geworden, wurde Schumachers enge Vertraute und Lebensgefährtin. Sie war seine Sekretärin, Reisebegleiterin, Krankenschwester und führte seinen Haushalt.
Die Freundschaft zu Maria Fiechtl blieb bestehen. Als Schmacher in der Nachkriegszeit einmal nach Amerika auf Vortragsreise ging, wollten sich beide treffen, doch sie verpassten sich um einige Stunden. „In seiner Korrespondenz mit ihr [Maria F.] erwähnt er Annemarie Renger nie, grüßt aber stets Migas Mann oder ‚Gatten‘, denn es freut ihn, ‚daß er so gut zu Dir ist‘ (…).“7)
In seiner Ansprache zum Tode Annemarie Rengers sprach Gerhard Schröder das Verhältnis zwischen Kurt Schumacher und Annemarie Renger an und rief das „Bild in Erinnerung (..), das Bild der jungen Frau, die den einarmigen, beinamputierten, wahrlich ausgemergelten Kurt Schumacher stützt. (…) Wer sich dieses Bild genau anschaut, stellt fest, dass hier nicht einer ausschließlich den anderen stützt, sondern dass sich die beiden im Grunde gegenseitig stützen, um sich aneinander aufzurichten - diese zarte Frau und der todkranke Mann. Nazidiktatur und Krieg hatten beiden unendliches Leid zugefügt Aber sie konnten ihren Geist nicht beugen und vor allem nicht brechen. (…) beide hatten sie das Ziel klar vor Augen: Sie wollten ein anderes, ein demokratisches Deutschland gestalten. Eine neue, aber auf altem, festem Boden gegründete SPD sollte entstehen.“ 8)
Nachdem Schumacher 1948 sich einer Beinamputation unterziehen musste, war er nun doppelt amputiert: sowohl das linke Bein als auch der rechte Arm waren betroffen. Peter Merseburger schreibt dazu: „Daß seine Sehkraft seit den Jahren in Dachau stark eingeschränkt ist, kommt erschwerend hinzu. Bei den einfachsten Verrichtungen, Waschen, Aus- und Ankleiden, bleibt er nun lebenslang auf Hilfe angewiesen. ‚Man kann einen Arm und ein Bein durch Hilfe eines Partners ersetzen, der in der Lage ist, dies zu überspielen‘, sagt Frau Renger. Möglich zwar, daß man sich jeden Tag erst einmal überwinden müsse, weil es viele Probleme gebe, die mit einer solchen Behinderung verbunden seien, aber ‚mit einem rigorosen Humor kann man das schaffen.‘“ 9)
Nach Kurt Schumachers Tod ging Annemarie Renger selbst in die Politik, war von 1953 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. „Sie war die erste Frau, die in ihrer Fraktion Parlamentarische Geschäftsführerin wurde. [1969-1972]. Sie gehörte zu den ersten Frauen, denen der Sprung ins Parteipräsidium gelang Der Höhepunkt ihrer politischen Karriere aber war die Wahl zur Präsidentin des Deutschen Bundestages [1972-1976, Vizeprasidentin von 1976-1990]. Sie war die erste Frau der Welt an der Spitze eines frei gewählten Parlaments. (…) Als Annemarie Renger 1972 gegen manche – übrigens nicht nur männliche – Vorurteile für das Amt des Bundestagspräsidenten kandidierte, war das beinahe eine Provokation. (…) Immerhin brachte sie sich selbst ins Gespräch, als es um die Kandidatur ging.“ 10) Annemarie Renger lag die Verbundenheit mit Israel sehr am Herzen, so war sie von 1976 bis 1990 Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe. Eine Straße ist in Hamburg nach Annemarie Renger noch nicht benannt worden.