Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Mestorfweg

Sülldorf, seit 1953, benannt nach Johanna Mestorf (15.4.1828 Bramstedt – 20.7.1909 Kiel), „Fräulein Professor“, Direktorin des Schleswig-Holsteinischen Museums für vaterländische Altertümer in Kiel


Siehe auch: Spliethweg
Siehe auch: Fuhlendorfweg

Ein Erinnerungsstein für Johanna Mestorf, die einst auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurde, befindet sich im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

62 Jahre nachdem erstmals in Preußen an eine Frau der Titel „Professor“ verliehen worden war, wurde 1953 nach dieser Frau in Hamburg eine Straße benannt (Mestorfweg). Und 48 Jahre, nachdem die Hamburger Universität zum ersten Mal den Professortitel an eine Frau (1923) vergeben hatte, wurde erstmals 1971 eine Straße nach einer Universitätsprofessorin benannt (Prof. Dr. Agathe Lasch). 22 Jahre - bis November 1993 - trug das Straßenschild neben den Lebensdaten von Professorin Agathe Lasch lediglich den Zusatz „Philologin“. Auf Anregung eines Seminars am Historischen Seminar der Universität Hamburg unter Leitung von Dr. Rita Bake, und einer engagierten Bürgerin, Charlotte Rehn, wurde das Schild schließlich textlich ergänzt. Es weist nun ausdrücklich darauf hin, dass Agathe Lasch die erste Professorin auf einem Lehrstuhl an der Hamburger Universität war und als Jüdin Opfer des Nationalsozialismus wurde.

Auch wenn Frauen in Preußen erst ab 1908 zum Studium zugelassen wurden, gibt es genügend historische Belege für die Existenz von Wissenschaftlerinnen in der Geschichte, und das seit der Antike. Doch, so heißt es selbst in Wikipedia unter dem Begriff „Frauen in der Wissenschaft“: „Frauen wurden viele Jahrhunderte lang nicht oder als marginale Erscheinung des traditionell männlich dominierten Wissenschaftsbetriebs betrachtet,“ weil „(…) die traditionelle Wissenschaftsgeschichte (..) weiblichen und weiblich identifizierten Personen lediglich einen marginalen Beitrag zur Erforschung der Natur und zur Begründung fortschrittlichen Wissens zu[schrieb]. In der europäischen Geschichtsschreibung können seit der Antike dennoch über 2500 herausragende Wissenschaftlerinnen samt ihrer Werke identifiziert werden, davon etwa 1000 vor dem 20. Jahrhundert. Gründe für das historische Missverhältnis zwischen der Beteiligung von Frauen an Wissenschaft und Forschung sowie ihrem geringen Eingang in die Wissenschaftsgeschichte werden in institutionalisierten Barrieren und in geschlechtlicher Arbeitsteilung gesucht, aber auch in der zeitgenössischen Rezeption wissenschaftlicher Leistung und in der Geschichtsschreibung selbst. Institutionelle Wissenschaft blieb bis weit ins 19. Jahrhundert ein Privileg der aristokratischen oder wohlhabenden männlichen Bevölkerung und war von persönlichen, exklusiven Strukturen geprägt. Erst mit der Entstehung der modernen Universitäten und dem damit einhergehenden drastischen Anstieg der Studierendenzahlen seit den 1870er- Jahren [öffnete sich ] (…) die Wissenschaft (…) allmählich auch für Frauen und andere bisher ausgeschlossene Personen.“ 1)

Einer großen Anzahl von Wissenschaftlerinnen, die in Hamburg gewirkt haben, stünde ein Platz auf einem Straßenschild zu. So sei erinnert an Marie-Louise Henry (gest. 2006), ordentliche Professorin für Altes Testament an der Hamburger Universität; an Lieselotte Pongratz (gest. 2001), dritte Frau, die in Deutschland einen Lehrstuhl (Universität Hamburg) für Kriminologie erhielt, und an Thea Schönfelder (gest. 2010), erste Frau, die in Deutschland auf einen Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie berufen wurde (1970 am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf). Nach ihrem Vater, dem Bürgerschaftspräsidenten Adolph Schönfelder heißt seit 1970 die Adolph-Schönfelder-Straße in Barmbek-Süd.

Die erste Straßenbenennung nach einem Forscher und Universalgelehrten erfolgte 1859: nach dem Naturforscher Alexander von Humboldt (siehe: Humboldtbrücke).

Johanna Mestorf war das vierte von neun Kindern von Anna Maria Sophia Mestorf, geb. Rosen und des Arztes Jacob Heinrich Mestorf. Der Vater widmete sich mit Leidenschaft der Altertumsforschung, was seine Tochter Johanna sicherlich beeinflusste. Er starb, als Johanna neun Jahre alt war. Johannas Mutter zog mit ihren fünf Kindern nach Itzehoe. Dort besuchte Johanna das Blöckersche Institut und zog mit zwanzig Jahren als Gesellschafterin und Erzieherin nach Schweden zum Grafen Piper-Engsö. Hier lernte sie die Archäologie Germaniens und nordische Sprachen kennen. Wegen ihrer zarten Gesundheit musste sie Schweden nach einigen Jahren verlassen und lebte eine Zeit lang als Begleiterin der Gräfin Falletti di Villa Felletto in Italien. 1859 zog sie mit ihrer Mutter zu ihrem Bruder nach Hamburg. Hier beschäftigte sie sich vornehmlich mit Mythologie und Archäologie und machte sich zur Aufgabe, die archäologische Literatur Skandinaviens durch Übersetzungen dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.

Johanna Mestorf war Mitglied der Anthropologischen Gesellschaft und später Gründerin seines Schleswig-Holsteinischen Zweigvereins. Sie nahm 1869 am anthropologischen Kongress in Kopenhagen teil, und der Hamburger Senat schickte sie 1871 als Vertreterin zum Anthropologenkongress nach Bologna. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie in dieser Zeit als Sekretärin für die ausländische Korrespondenz bei der Hamburger Lithographischen Anstalt C. Adler.

Da Frauen erst 1900 Zugang zur Universität bekamen, hatte Johanna Mestorf sich ihre archäologischen Kenntnisse autodidaktisch aneignen müssen. Zu Beginn der 1870er- Jahre war ihr wissenschaftliches Ansehen bereits so hoch, dass sie 1873, als 45-Jährige, Kustodin am Museum für vaterländische Altertümer in Kiel wurde. Als ihr Vorgesetzter, Professor Handelmann, 1891 starb, wurde Johanna Mestorf zur Direktorin des Museums ernannt und erhielt im Alter von 71 Jahren den Titel „Professor“. Johanna Mestorf war die erste Frau, die in Preußen einen Professorentitel bekam. Sie wurde außerdem von der medizinischen Fakultät der Universität Kiel anlässlich der Vollendung ihres 81. Lebensjahres zum Ehrendoktor ernannt. Weiter besaß sie die ihr von der Kaiserin verliehene silberne Frauenverdienst-Medaille am weißen Bande, die kleine goldene Medaille für Wissenschaft und die schwedische Medaille der Gemahlin König Oskars I.

Neben ihrer Tätigkeit als Direktorin förderte sie die Wissenschaft durch eine umfangreiche literarische Tätigkeit. Neben Übersetzungen der Arbeiten nordischer Gelehrter auf archäologischem und anthropologischem Gebiet lieferte Johanna Mestorf zahlreiche eigene Arbeiten, von denen eine ganze Reihe, namentlich diejenigen über Moorleichen, weit über den Kreis der Fachgelehrten hinaus Aufsehen erregten, so z. B. ihre Werke „Urnenfriedhöfe in Schleswig-Holstein“ und „Vorgeschichtliche Altertümer aus Schleswig-Holstein“.

Eigene Ausgrabungen führte Johanna Mestorf nicht durch. Neben ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen schrieb sie im Alter von 39 Jahren einen Roman mit dem Titel „Wiebeke Kruse, eine holsteinische Bauerntochter“.

Erst drei Monate vor ihrem Tod, im Juli 1909, trat sie von ihrem Amt als Direktorin des Museums zurück.

In einem Nachruf brachte der Hamburgische Korrespondent vom 22. Juli 1909 Johanna Mestorf in Beziehung zur modernen Frauenbewegung bzw. grenzte sie davon ab: „Mit ihr ist eine Frau dahingegangen, die, der modernen Frauenbewegung fernstehend, durch ihren Geist und ihre unermüdliche Tatkraft gezeigt hat, daß die wirklich talentierte, ernst schreibende Frau zu den höchsten Leistungen befähigt ist auch auf solchen Gebieten, die sonst den weiblichen Interessen im allgemeinen fernliegen.“

Auch ihr Mitarbeiter und Nachfolger, Dr. Friedrich Knorr meinte wohl, seine Kollegin gegen die frauenbewegten Frauen abgrenzen zu müssen. So heißt es in seinem Nachruf über Johanna Mestorf: „Sie hat, abseits stehend von der lauten modernen Gleichberechtigungsbestrebung der Frauen, aus sich heraus ein neues Maß geschaffen für die Beurteilung der Leistungsmöglichkeit ihres Geschlechts.“