Barlachstraße
Harburg (1947): Ernst Barlach (2.1.1870 Wedel – 24.10.1938 Rostock), Bildhauer, Graphiker und Dichter
Bis 1947 hieß die Straße Auguststraße. In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Preßburger Straße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1947 bei Auguststraße.
Siehe auch: Kollwitzring
Siehe auch: Schurekstraße
Siehe auch: Otto-Siems-Weg
Ernst Barlach war Schöpfer u. a. des Hamburger „Denkmals für die Gefallenen der beiden Weltkriege“, eine Stele mit trauernder Mutter mit Kind, die am östlichen Ende des Rathausmarktes steht. Ernst Barlach hatte die Stele 1931 geschaffen als Denkmal, das an die Opfer des Ersten Weltrkieges erinnern soll. Mutter und Kind stehen stellvertretend für die Kriegshinterbliebenen. 1939 ersetzten die Nationalsozialisten das Relief durch einen emporfliegenden deutschen Adler. 1949 wurde das Barlach Relief rekonstruiert.
Ernst Barlach war der Sohn von Johanna Louise Barlach, geb. Vollert (29.6.1845-15.8.1920) und des Arztes Georg (Gottlieb) Barlach (13.3.1839 - 3.7.1884).
Barlachs Rolle in der NS-Zeit
Über Barlachs Rolle in der NS-Zeit hat die Kommission zur Untersuchung von Straßennamen in Oldenburg einen Bericht abgegeben. Darin heißt es: „Als Künstler wurde Ernst Barlach (1870–1938) bereits vor 1933 von den Nationalsozialisten und den Deutschnationalen angegriffen, u.a. mit dem Vorwurf, seine Werke seien ‚unheroisch‘, und seine Figuren hätten ‚slawische Gesichtszüge‘. Nach 1933 wurde auch er als ‚Kulturbolschewist‘ beschimpft und angegriffen. Um dieser Hetze ein Ende zu setzen, unterzeichnete er 1934 den ‚Aufruf der Kulturschaffenden‘, in dem er sich zusammen mit 37 anderen Künstlern hinter Hitler stellte und ihm seine Loyalität versicherte. Diese Unterschrift führte in der Forschung zu gewissen Kontroversen hinsichtlich Barlachs Einstellung zum neuen Regime. Peter Paret behauptete, Barlach sei der Aufforderung zur Unterschrift nur zögerlich gefolgt und habe erst dann eingewilligt, als er die Namen anderer Unterzeichner erfahren hatte. Nach Christian Saehrendt hingegen hätte Barlach ‚freudig eingewilligt‘, den Aufruf zu unterschreiben. Da im ersten Jahr nach der ‚Machtübernahme‘ die Entscheidung über die offizielle Ausrichtung der Kunst nicht gefallen war, glaubte Barlach, so Paret, Signale zu erkennen, ‚die Duldung und sogar Anerkennung für seine Werke zu versprechen schienen.‘ Zu den Befürwortern der modernen Kunst gehörte Goebbels, der Barlach am 15. November 1933 zur Eröffnung der Reichskulturkammer eingeladen hatte. Barlach blieb jedoch der Eröffnung fern. Den Versöhnungsversuch Hitlers schlug Barlach ebenfalls aus. Barlach versuchte, die halbwegs günstige Konjunktur für die Herausgabe des Bands ‚Zeichnungen‘ zu nutzen. Das Buch erschien im Oktober 1935, wurde aber bereits ein halbes Jahr später verboten und beschlagnahmt. Barlachs Protestbrief an Goebbels blieb unbeantwortet. Im Jahre 1937 war er bei der Münchener Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ mit zwei Werken vertreten. Insgesamt wurden 381 seiner Werke beschlagnahmt. Barlach selbst wurde 1937 offiziell mit einem Ausstellungsverbot belegt und zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste gezwungen. Er starb 1938 an einem Herzinfarkt.“ 1)
Barlach und die Frauen
Über Barlach und die Frauen zeigte 2011 das Museum Behnhaus Drägerhaus in Lübeck eine bemerkenswerte Ausstellung. Dazu schrieb Christel Busch in ihrem Artikel „Ausstellung im Museum Behnhaus Drägerhaus: Ernst Barlach und die Frauen: ein schwieriges Verhältnis“ am 15.2. 2011: Ernst Barlachs „Mutter [war] mit dem Haushalt und den vier Söhnen völlig überfordert, flüchtete in Depressionen und Psychosen. Sie musste oft ‚verreisen‘, sprich in eine Anstalt eingewiesen werden. Barlach war 14 Jahre alt, als der Vater 1884 plötzlich starb. Zurück blieb eine labile, lebensuntüchtige Frau mit vier unmündigen Knaben, die unter die Vormundschaft männlicher Verwandter gestellt wurden. Der älteste Sohn Ernst übernahm in den kommenden Jahren die Verantwortung und Versorgung der Mutter. Ende der 1880er Jahre lernt Barlach Anna Spiekermann, eine Cousine seines Freundes Friedrich Düsel kennen. [Die beiden hatten sich 1887 in Schönberg kennengerlernt, wo die Familie Barlach zwischen 1872 und 1877 wohnte und die 17-jährige Anna Spiekermann auf die dortige Mädchenschule ging. Barlach fertigte 1890 eine Zeichnung mit dem Titel „Anna Spiekermann“ an, R.B.]. Barlach verliebt sich unsterblich in die hübsche junge Frau. Doch sie wird die erste Enttäuschung seines Lebens. Es dauerte Jahre, bis Barlach diese unglückliche Liebe verarbeitet hat. (…) In Russland erfährt er von der Geburt eines Sohnes, [Nikolaus, 1906-2001] hervorgegangen aus einer Beziehung zu einem ehemaligen Modell, Rosa Limona Schwab [Näherin, die Barlach Modell stand, R. B.]. Da Barlach die Mutter für erziehungsunfähig hält, beantragt er die Vormundschaft des Kindes. Nach lang andauerndem Rechtsstreit erhält er das Sorgerecht für das Kind. Der Sohn Klaus sollte einen Wendepunkt in seinem unruhigen Bohème-Leben bedeuten. Barlach, der schon in Dresden und Hamburg die Wohnung mit seiner Mutter geteilt hatte, zieht mit Sohn und Mutter nach Güstrow in Mecklenburg. (…) Der Selbstmord von Louise Barlach im Jahr 1920 sollte die komplizierte Mutter-Sohn-Bindung endgültig beenden. Doch wie sahen Barlachs andere Frauenbeziehungen aus, die in dieser Ausstellung thematisiert werden? Viele Frauen kreuzten seinen Weg, mal harmlose Flirts mal amouröse, intime Beziehungen. Häufig sind es Frauen, die gebunden waren oder nicht seinem intellektuellen Niveau entsprachen. Die Ausübung des Berufes sei wichtiger und dem Umgang mit dem Weibervolk vorzuziehen; die Geliebte des Künstlers sei die Kunst, rechtfertigt er seine Einstellung zum weiblichen Geschlecht. ‚Man liebt sie und findet zugleich ihre Ansprüche unerträglich. Man kann die Konsequenzen nicht erkennen, die mit dem 'zu eigen sein' verbunden sind‘, schreibt Barlach an seinen Freund Dietel. Salopp gesagt, er kniff vor jeder Verantwortung und jeder festen Beziehung. Barlachs negatives Frauenbild sollte sich erst ändern, als er 58jährig die Bildhauerin Marga Böhmer kennen und lieben lernt. Böhmer, verheiratet, verließ ihren Ehemann, zog nach Güstrow und sollte bis zu Barlachs Tod 1938 seine Geliebte und Weggefährtin sein. Sie brachte Stabilität in das chaotische Bohème-Leben des Künstlers. ‚Frau Böhmer und ich leben einig miteinander und sind ruhig in einer schönen Gegenseitigkeit. Ich fühle, daß in mir eine Lücke geschlossen wird, daß mein Leben runder und völliger geworden ist‘, schreibt Barlach an seinen Bruder Karl.
(…) Dass Barlach nicht nur platonische oder sexuelle Beziehungen zu Frauen pflegte, zeigt seine freundschaftliche Beziehung zu Käthe Kollwitz. Denn beide Künstler waren Seelenverwandte im Geiste und in ihrer Kunst. Erwähnt wird, dass der schwebende Güstrower Engel ihre Züge trägt. Dass Kollwitz nach dem Tode Barlachs aber aufrichtig um den Freund trauerte, zeigt ihr Bronzerelief Klage von 1938.“ 2)
Marga Böhmer, geb. Graeber (3.11.1887 Stolberg (Harz) - 25.3.1969 in Güstrow)war nicht nur die Lebensgefährtin von Ernst Barlach, sondern selbst auch Künstlerin. Geboren als Tochter von Sophie Graeber, geb. Huyssen und des Architekten und Bauforschers Friedrich Graeber, wurde ihr künstlerisches Talent schon früh erkannt. Ursprünglich wollte Marga Graeber Musikerin werden, doch nach einer Handverletzung musste sie dieses Vorhaben aufgeben. Sie wandte sich der bildenden Kunst zu und begann 1908 an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld Bildhauerei zu studieren. Dabei lernte sie ihren Mitstudenten und späteren Ehemann Bernhard A. Böhmer (10.6.1892 Ahlen – 3.5.1945 Güstrow) kennen. Das Paar heiratete 1917. Auch er arbeitete als Bildhauer. Zuerst lebte und arbeitete das Paar in Krefeld, später noch an anderen Orten bis es 1924 nach Güstrow zog. Dort lernten die beiden Ernst Barlach kennen und nahmen ihn in ihrem Haus auf.
1927 wurde die Ehe zwischen Marga und Bernhard Böhmer geschieden. Marga Böhmer und Ernst Barlach blieben im Haus der Böhmers bis zum Tod von Barlach 1938 wohnen, Bernhard A. Böhmer zog mit seiner zweiten Frau in Barlachs neuerbautes Haus.
Marga Böhmer kümmerte sich um Barlach, „hielt ihm den Rücken frei“ und arbeitete für ihn als Vorbildnerin. Ihre eigene künstlerische Tätigkeit geriet dabei in den Hintergrund.
Nach dem Tod von Barlach kümmerte sich Marga Böhmer weiter um ihn: sie engagierte sich nun für die Bewahrung und Ausstellung seines Werkes. „Sie setzte durch, dass 1951 für dessen Kunstwerke im sakralen Raum der Gertrudenkapelle eine Ausstellungs- und Gedenkstätte geschaffen wurde, obwohl diese nicht den Vorstellungen des ‚Sozialistischen Realismus‘ entsprachen. Bis in ihr Todesjahr lebte Marga Böhmer im Dachgeschoss der Kapelle, betreute die Sammlung und vermittelte den Besuchern die Kunst Barlachs.“ 3) Und in den „Studien zur Stadtgeschichte der Barlachstadt Güstrow“ heißt es über Marga Böhmer: „Die fleißige, bildhauerisch ausgebildete Partnerin Barlachs war an vielen Werken des großen Meisters mit Vorarbeiten beteiligt und hat sich durch ihren freiwilligen Verzicht auf eigenes umfängliches bildhauerisches Wirken vollständig und selbstlos in den Dienst des Künstlers Barlach gestellt. Letztendlich hat ihre engagierte Hilfe und Hingabe für Barlachs Kunst in der Zeit der nationalsozialistischen Verfemungen es ermöglicht, dass Barlach weitestgehend ungestört seinen künstlerischen Eingebungen nachgehen konnte. Ihre Bemühungen, die Werke Barlachs zu erhalten und zu schützen und ihnen den von Barlach so sehr gewünschten sakralen Rahmen zu geben, sind ein über den Tod hinaus wirkendes Bekenntnis der großen Liebe und Verehrung dieser Frau für den Partner und Künstler Barlach.“ 4)
Bestattet ist Marga Böhmer neben Ernst Barlach auf dem Ratzeburger Friedhof. Auf der Gedenktafel für Marga Böhmer an der Gertrudenkapelle, ihrem letzten Wohnort, wird sie ausschließlich als Lebensgefährtin Ernst Barlachs bezeichnet, nicht auch als Künstlerin und Bildhauerin.