Nissenstraße
Eppendorf (1909): Woldemar Nissen (11.11.1832 Nienstedten -28.12.1896 Hamburg), Kaufmann, Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburg-Amerika-Linie, und an seinen Vater und Großvater, Ärzte in Altona.
Siehe auch: Siemssenstraße
Siehe auch: Edgar-Roß-Straße
Siehe auch: Hübenerkai
Maria Möring schreibt in ihrem Buch über die Firma Siemssen: Agathon Friedrich Woldemar Nissen stammte aus einer „ursprünglich im Lande Angeln in Schleswig beheimateten Familie“. 1)
Laut Eintrag in ancestry war er der Sohn von Louise Nissen, geb. Jacob und Agathon Wilhelm Woldemar Nissen. In der Sterbeurkunde von Agathon Friedrich Woldemar Nissen ist zu den Eltern eingetragen: Namen unbekannt. 2)
Auch nach Agathon Friedrich Woldemar Nissen‘s Vater und Großvater wurde die Nissenstraße benannt.
Woldemar (Wolder Andreas) Nissen (1764 Hamburg – 1832), Doktor der Geburtshilfe, Hebammenlehrer und ab 1805 Direktor der Entbindungs-Lehranstalt in Altona war Mitglied der medizinischen Sozietät in Kopenhagen und Adjunct des Schleswig-Holsteinischen Sanitäts-Collegiums. Er veröffentlichte zum Beispiel die Schriften „Beschreibung der neu eingerichteten Entbindungs-Lehr-Anstalt in Altona: Eine Gelegenheitsschrift bei Eröffnung dieses Instituts“ (1812) und „Wünsche und Vorschläge zur Errichtung eines Wohlthätigkeit-Vereins für Muttersorge und Kindesliebe“ (1813).
In der Schrift über die Entbindungs-Lehranstalt wird beschrieben, wer aufgenommen wurde: Schwangere, Wöchnerinnen, Gebärende gleich welchen Standes und welcher Religionszugehörigkeit. Arme Frauen wurden in Mehrbettzimmern aufgenommen, zahlende Schwangere konnten in Einzelzimmern unterbracht werden. Ohne die Erlaubnis der Schwangeren durfte sie niemand besuchen. Auf Verschwiegenheit wurde großen Wert gelegt. Die zahlenden Schwangeren waren durch ein gesondertes Treppenhaus, über das sie in ihre Zimmer gelangen konnten, von den armen Schwangeren getrennt. Auch durften nur Arzt und Oberhebamme die zahlenden Schwangeren aufsuchen, so dass garantiert war, dass die zahlenden Schwangeren „verschwiegen“ entbinden konnten. Nach der Entbindung blieben die Wöchnerinnen 14 Tage bis vier Wochen in der Entbindungsanstalt.
In der Entbindungsanstalt gab es auch eine Hebammenlehranstalt sowie eine Krankenwärterinnenschule.
In der Schrift über einen Wohltätigkeitsverein für Muttersorge und Kindesliebe geht es in der Hauptsache um Mütter, die sich aus finanziellen Gründen keine Amme leisten können oder die wegen drückender finanzieller Sorgen oder weil sie nicht gut ernährt waren, selbst nicht säugen konnten, da die Milch „wegblieb“. Deshalb wurden in dieser Schrift die begüterten Frauen aufgerufen, Hilfe zu leisten, indem sie zum Beispiel verarmte Schwangere oder verarmte Wöchnerinnen die Säuglingsausstattung oder Kleidung und Nahrung bezahlten.
Agathon Friedrich Woldemar Nissen
Agathon Friedrich Woldemar Nissen wurde nicht wie seine Vorfahren Arzt, sondern schlug den kaufmännischen Weg ein. Im Alter von 16 Jahren begann er eine kaufmännische Lehre in der Überseehandelsfirma Ross, Vidal & Co. (siehe: Edgar-Roß-Straße). 1852 vermittelte ihn sein alter Lehrherr an die Firma Siemssen (siehe: Siemssenstraße) nach Canton/China. 1854 nahm Siemssen ihn als Teilhaber und als seinen Nachfolger in die Firma auf. Siemssen sorgte auch dafür, dass Nissen 1859 sein Nachfolger im Amt des Konsuls in Canton wurde. Solch ein Amt beinhaltete für den Amtsträger immense wirtschaftliche Vorteile (siehe dazu unter: Siemssenstraße). 1865 legte Nissen sein Amt als Konsul nieder. 3)
Die Hamburger Handelshäuser profitierten vom Kolonialismus. Dazu schreibt der Historiker Lars Amenda u. a.: „Großbritannien war aufgrund seiner dominierenden Seegeltung zur weltweit bestimmenden Macht jener Epoche aufgestiegen und sollte auch die Geschichte Chinas erheblich beeinflussen. Mit militärischer Übermacht öffneten die Briten durch den sogenannten Opiumkrieg (1839-1842) China gewaltsam für den Handel mit Europa. Im Vertrag von Nanking, den ‚Ungleichen Verträgen‘, wie er und später folgende Übereinkommen bezeichnet wurden, vereinbarten die Beteiligten die Öffnung der chinesischen Häfen Shanghai, Kanton, Xiamen, Fuzhou und Ningbo. Hongkong wurde besetzt und 1845 britische Kronkolonie; ab da entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Handelsstützpunkt.“ 4)
1863 kehrte Nissen nach Hamburg zurück. Dazu schreibt Maria Möring: „Sein Verlangen, nach zehnjährigem Aufenthalt im Fernen Osten nach Hamburg zurückzugehen, entsprang vor allem dem Wunsch, nicht wie Siemssen bis über das 40. Lebensjahr hinaus zu warten, ehe er eine Familie gründen könnte. Den einjährigen Heimaturlaub, den Ludwig Wiese ihm 1863 in kameradschaftlicher Weise ermöglichte, benutzte Nissen deshalb zur Brautschau: Am 28. November 1863 heiratete er (…) Louise Weinkauff [geboren 1836]. Mit ihrem Bruder Carl Wilhelm Weinkauff war er seit der Schulzeit befreundet, ihr Vater Konsul Wilhelm Weinkauff, war Teilhaber von Senator Hermann Hübener [siehe: Hübenerkai] in der gemeinsamen Firma Weinkauff & Hübener. Das Schwergewicht ihres Handels lag im Verkehr mit Mexiko und in der Einfuhr von Kakao; daneben lieferten sie Tuche und Baumwollwaren an Siemssen & Co. nach Hongkong.“ 5)
Nissen war also nicht nur freundschaftlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Familie Weinkauff verbunden, die durch ihren Handel ebenfalls, wie die Firma Siemssen vom Kolonialismus profitierte. In Spanisch-Amerika, wo „Eroberung, Unterwerfung, Missionierung und Ausbeutung [der indigenen Bevölkerung] seit Anbeginn eine zentrale Rolle spielten, (…) [bildete sich im asiatisch-pazifischen Raum] im späten 18. Jahrhundert und verstärkt im 19. Jahrhundert ein imperialistischer Kolonialismus heraus, bei dem die einheimischen Machthaber durch fremde ersetzt und zentrale Hoheitsfunktionen wie Rechtsprechung, Besteuerung sowie Polizei- und Militärgewalt ebenso wie die auswärtigen Beziehungen im Wesentlichen von der Kolonialmacht bestimmt wurden.“ 6) schreibt der Professor für Volkswirtschaft Wolfgang Michaelski in seinem Buch „Hamburg. Erfolge und Erfahrungen in der globalisierten Welt“.
Nach der Heirat zog Nissen mit seiner Ehefrau zurück in die Kronkolonie. In Hongkong wurden die beiden Töchter geboren.
Ab Januar 1869 – Siemssen hatte sich 1867 aus den China Geschäften zurückgezogen und war nur noch als stiller Teilhaber präsent – war Nissen „Teilhaber der Firma G. T. Siemssen in Hamburg, die fortan ebenfalls unter dem Namen Siemssen & Co. firmierte – wie die Häuser in China, (…).“ 7)
1870 ging die Führung der Firma Siemssen & Co. auf Nissen über. (Siehe unter: Siemssenstraße).
Seit 1884 war Waldemar Nissen Vorsitzender des Aufsichtsrates der HAPAG.
1887 gründete Woldemar Nissen, als Vertreter der Firma Siemssen & Co. mit anderen Kaufleuten die Chinesische Küstenfahrt-Gesellschaft AG (CKG), eine Reederei. „Ideengeber war wahrscheinlich Agathon Friedrich Woldemar Nissen. Als Leiter der China-Häuser von Siemssen & Co. befürwortete Nissen seit 1866 eine hamburgische Dampfschiffsgesellschaft, die sich auf die chinesische Küstenfahrt spezialisierte. Bis in die 1860er Jahre hatten Hamburger Segelschiffe wesentliche Anteile an dieser Fahrt, (…). Zum Ende des Jahrhunderts begann die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Acien-Gesellschaft (HAPAG) in die Ostasienfahrt einzudringen. (…). Anlässlich einer neuen Konkurrenzlinie der HAPAG zwischen Kanton, Hongkong und Shanghai beschloss die Chinesische Küstenfahrt-Gesellschaft ihre Liquidation.“ 8)
Die Küstenschifffahrt transportierte auch „Kulis“ von Hongkong nach Amerika. Als „Kulis“ wurden abwertend Arbeitsmigranten benannt. Lars Amenda schreibt dazu. Diese wurden „unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen nach Amerika verbracht (.,..). Viele Menschen kamen dabei ums Leben. Die Verhältnisse auf diesen Schiffen erinnerten an die Missstände der Sklaverei und waren bereits damals in einigen insbesondere christlich geprägten Kreisen sehr umstritten.“9)
Nissen starb 1896.