Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Vogelerstraße

Heimfeld (1950): Heinrich Vogeler (12.12.1872 Bremen- 14.6.1942 im Kolchos Budjonny bei Kornejewka, Karaganda, Kasachische SSP), Maler.


Siehe auch: Modersohnstraße.

Vor 1950 hieß ein Teil der Straße ab 1922 Föhrenweg und ein anderer Teil seit 1910 Akazienallee. In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Herzog-Heinrich-Straße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1950 bei Föhrenweg bzw. Akazienallee. vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)

Heinrich Vogeler „war ein deutscher Maler, Grafiker, Architekt, Designer, Pädagoge, Schriftsteller und Sozialist. Der vielseitig begabte Künstler ist besonders durch seine Werke aus der Jugendstil bekannt geworden. Er gehört zur ersten Generation der Künstlerkolonie Worpswede. Sein Wohnhaus, der Barkenhoff, in dem er mit seiner ersten Ehefrau Martha Vogeler lebte, wurde Anfang der 1900er Jahre zum Mittelpunkt der künstlerischen Bewegung. Im Ersten Weltkrieg entwickelte er einen expressionistischen Malstil, und ab den frühen 1920er Jahren schuf er nach Besuchen Moskaus die am Kubismus und Futurismus orientierten Komplexbilder mit politischen Motiven. Nach der endgültigen Übersiedlung nach Moskau 1931 begann er im Stil des von der Sowjetunion geforderten Sozialistischen Realismus zu malen.

Der aus dem Bürgertum stammende Vogeler näherte sich der Arbeiterbewegung, verwandelte 1919 den Barkenhoff in eine sozialistische Kommune mit angeschlossener Arbeitsschule und studierte die Schriften von Marx, Engels und Bakuin. Nach der Übersiedlung nach Moskau engagierte er sich dort im kulturellen und politischen Bereich, so betätigte er sich in der antifaschistischen Bewegung gegen Hitler. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde er wie viele andere Deutsche vom NKWD nach Kasachstan zwangsevakuiert. Hier starb er, geschwächt durch harte körperliche Arbeit und abgeschnitten von seinen Rentenzahlungen, mit 69 Jahren.“1)

In erster Ehe war Heinrich Vogeler mit Martha, geb. Schröder (8.10.1879 Worpswede – 30.5.1961 Worpswede) verheiratet gewesen. Sie „wurde als Tochter des Dorfschullehrers Dietrich Schröder und seiner Ehefrau Becka in Worpswede geboren. Der Vater starb 1885, sodass die Mutter die große Familie allein ernähren musste. Die älteren der neun Geschwister waren nach Amerika ausgewandert, die jüngeren wie Martha unterstützten die Mutter durch Aushilfsarbeiten. Im Jahr 1894 lernte sie als Vierzehnjährige den in Bremen geborenen Maler Heinrich Vogeler kennen, als dieser Worpswede besuchte und im folgenden Jahr Mitglied der 1889 gegründeten Künstlerkolonie Worpswede wurde. Im Oktober 1895 kaufte Vogeler am Weyerberg ein Grundstück mit Bauernhaus, ließ es umbauen und nannte es Barkenhoff. 1899 widmete Vogeler Martha seinen Gedichtband Dir (…).

Martha stand ihm mehrfach Modell und heiratete ihn nach der Verlobung 1900 in Meissen am 3. März 1901 in Heeslingen bei Zeven. In der Folge war sie der Mittelpunkt des von Vogeler als Gesamtkunstwerk inszenierten gemeinsamen Haushaltes auf dem Barkenhoff und wurde von ihm weiterhin auf vielen Gemälden und Radierungen porträtiert. (…)“ 2)

Vogeler entwarf für sie „Kleider und Schmuck, die in das Ambiente des Barkenhoff paßten, und machte sie so zum Teil seiner Traumwelt, zu einer Kunstfigur,“ 3) schreibt Matthias Wegner.

„Der Barkenhoff wurde sowohl mit alten Bauernmöbeln als auch mit von Heinrich Vogeler entworfenen Möbeln eingerichtet. Das Ehepaar feierte Feste, organisierte Konzerte, und das Haus wurde ein wichtiger Treffpunkt der Künstlerkolonie. (…)

Nach der Geburt der drei Töchter Marie Luise ‚Mieke‘ (Dezember 1901–1945) (…) Bettina (1903–2001) und Martha ‚Mascha‘ (1905–1993) begann Martha Vogeler ebenfalls, künstlerisch und kunsthandwerklich im eigenen Atelier über dem Stall zu arbeiten, kümmerte sich um die Erziehung und den Bilderverkauf.
1910 zeigte Martha Vogeler auf der Brüssler Weltausstellung selbst entworfene Binsenmöbel, für die sie mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Für die Binsenmöbel hielt sie zudem einen Musterschutz.
Die Ehe geriet in eine Krise, und nach Heinrich Vogelers Hinwendung zum Kommunismus nach dem Ersten Weltkrieg verließ Martha 1920 mit den drei Töchtern den Barkenhoff, als ihr Mann aus dem Hof eine Kommune und Arbeitsschule nach sowjetischem Vorbild geformt hatte. Sie zog mit den Töchtern und ihrem Freund Ludwig Bäumer [1888-1928, Schriftsteller und bis 1919 Kommunist, dann Austritt aus der KPD bis 1922 in Worpswede, R. B.] in das Haus am Schluh in Worpswede, eine alte Moorkate aus dem Dorf Lüningsee, die sie mit Vogelers finanzieller Unterstützung nach Worpswede versetzen und dort wieder aufbauen ließ.“ 4)

„‘Nehmt was ihr braucht, um ein neues Leben aufzubauen, sagte ich. Ein Bett, den Bechsteinflügel von Löhnberg und einen Bücherschrank lasst mir‘, schreibt Heinrich Vogeler über Marthas Auszug aus dem Barkenhoff . Neben dem Wohnhaus erbaut sie [Martha Vogeler] ein kleines Wirtschaftsgebäude, in dem die erste Webwerkstatt ihren Platz bekommt. Martha richtet die Räume ihres neuen Hauses mit den Möbeln, den Gemälden und dem schönen Inventar des Barkenhoffs ein, das bereits viele antike Bauernmöbel und Truhen beinhaltet. Sie widmet sich dem Erhalt der Heinrich-Vogeler-Sammlung und sammelt aus Liebhaberei ‚regionale Altertümer‘, darunter auch Steinäxte und Versteinerungen von den Worpsweder Äckern. Mit dem Aufbau einer Handweberei, Vermietung von Gästezimmern und dem Handel mit Kunst und Kunstgewerbe schaffen sich die vier Frauen eine wirtschaftliche Basis. Mieke hat Kunst studiert und eine Silberschmiedelehre abgeschlossen, Bettina webt Bildteppiche nach Entwürfen ihres Mannes, Mascha arbeitet in der Handweberei, wo an alten Bauernwebstühlen schön gemusterte Gebrauchstextilien entstehen. Die Wohnräume werden als museale Stätte für Heinrich Vogelers Kunst zugänglich gemacht. Im Haus im Schluh entstehen Verlag und Handel für dessen Radierungen. Vogeler hatte den Töchtern die Druckplatten seiner Radierungen für ihren Lebensunterhalt überlassen.

1921 Das Haus wird bald zu einem kulturellen Treffpunkt, und setzt auch damit die Tradition des früheren Barkenhoffs fort. Marthas große Gastfreundschaft und ihre zahlreichen Kontakte machen das offene Haus zu einer ‚zweiten Heimat‘ für Künstlerinnen und Künstler, Schriftsteller und Kunsthandwerker. (…) Das Haus im Schluh wird ein begehrter Ausbildungsplatz für künstlerisch begabte junge Frauen und Lehrstelle für Mädchen aus der Umgebung Worpswedes, die hier in Hauswirtschaft und Weben ausgebildet wurden. 1926 erfolgte die Scheidung von Heinrich Vogeler.“ 5)

„In der Zeit des Nationalsozialismus war Martha Vogeler aktives Mitglied in der NSDAP und der NS-Frauenschaft. Mit ihrer Handweberei sah sie sich beteiligt an der moralischen Aufrüstung der Kunst und trachtete danach, eine neue ‚artgemäße Volkstracht‘ zu kreieren. Dafür richtete sie Kurse ein, an denen Schülerinnen aus dem ganzen damaligen Reichsgebiet teilnahmen. Ihr Haus und ihre Handweberei wurden zu Musterbeispielen gesunden Volkstums und bodenständigen Schaffens. Man übertrug ihr zudem die Aufgabe, die Ehrengaben für die Olympischen Spiele in Berlin 1936 herzustellen. 1942 wurde sie aus Partei und NS-Frauenschaft ‚wegen nicht nationalsozialistischem Verhaltens‘ ausgeschlossen. Auf ihrer Mitgliedskarte im Bundesarchiv in Berlin wird dafür kein Grund genannt.“ 6)

Ihre Tochter Bettina Müller zeigte 1942 im Berliner Schloss Schönhausen einen im Haus am Schluh gefertigten Schriftteppich mit den Worten des Führers.

Ferdinand Krogmann schreibt in seinem Buch „Worpswede im Dritten Reich 1933-1945“ über Martha Vogelers Aktivitäten in der NS-Zeit: „Seit dem Sommer 1936 richtete man in Worpswede eine ständige Fremdenführung ein; die Handweberei von Martha Vogeler ist dabei regelmäßig berücksichtigt worden. Als im August 1936 in Berlin die Olympischen Spiele stattfanden, organisierte der Ortswart des KdF, Carl Emil Uphoff, einen ‚Volkstag der Kunst‘, der zeigen sollte, dass man die Bevölkerung durch den Sport körperlich, durch die Kunst aber moralisch aufrüste. Für Letzteres fühlte sich auch das ‚Haus im Schluh‘ zuständig, das dann so manchen Besuch erhielt. Vielleicht auch deshalb, weil Vogeler in ihrer Handweberei danach trachtete, eine ‚neue artgemäße Volkstracht‘ zu kreieren? Dafür richtete sie Kurse ein, an denen Schülerinnen aus dem ganzen Reichsgebiet teilnahmen. In welch hohem Ansehen die Handweberei vom ‚Haus im Schluh‘ stand, geht nicht zuletzt daraus hervor, dass man Martha Vogeler die Aufgabe übertrug, die Ehrengaben für die Olympischen Spiele in Berlin herzustellen. Ein sicherlich lukrativer Auftrag. Im Februar 1937 nahmen Martha Vogeler und ihre Tochter Bettina Müller, an der Frühjahrsmesse in Leipzig teil, wo zum ersten Mal auch Produkte der Kunstweberei zu bewundern waren.

Vogelers Rolle im Dritten Reich war wohl so, wie es Hans-Christian Kirsch beschrieben hat: ‚Im ‚Haus im Schluh‘ steht Martha Vogeler als Inbegriff einer deutschen Frau, Mutter und Förderin bäuerlichen Volkstums bei den neuen Herren bald in Gunst. Ihr Haus und ihre Handweberei werden zu Musterbeispielen gesunden Volkstums und bodenständigen Schaffens. Häufig kehren Nazifunktionäre, die als Touristen nach Worpswede kommen, dort zu Kaffee und Kuchen ein.‘“ 7)

Auf der Homepage des Museums des Haus am Schluh heißt es über Martha Vogelers NSDAP-Mitgliedschaft: „1945 legt Martha Vogeler in einem Schreiben vom 23. Oktober an den Landrat des Kreises Osterholz dar, dass sie wegen ihrer Nähe zur Internationalen Friedensliga und wegen der Einstellung Heinrich Vogelers als Kommunist von der Gestapo mit Misstrauen beobachtet und bespitzelt wurde. Sie berichtet über Hausdurchsuchungen durch die Gestapo und über die Konfiszierung von 50 Handzeichnungen Vogelers. Sie fühlte sich 1937 gezwungen, der NSDAP beizutreten. Der Webereibetrieb entwickelte sich in diesen Jahren gut, da die nationalsozialistische Kulturdoktrin das Handwerk fördert. Besonders die Gobelinmanufaktur von Bettina und Walter Müller bekommt anspruchsvolle Staatsaufträge. Martha ist Mitglied der GEDOK und nimmt an Kunsthandwerksmessen teil. Sie erwirbt in Grasdorf ein zweites niedersächsisches Bauernhaus ‚Auf Abbruch‘ für den Schluh. Das Haus wird 1938 eingeweiht und bezogen. Hier findet die Webwerkstatt ihren endgültigen Platz und es entstehen weitere Gästezimmer.“ 8)

Über die Nachkriegszeit heißt es auf der Website des Museums Haus im Schluh:
1945: Martha und die Familien ihrer Töchter Bettina und Mascha haben den Krieg und seine Schrecken überstanden: ‚es ist alles heil gebliebe“ (MV, Karte an Dr. M. Landmann, 29.4.1946). Die Gästezimmer sind mit Flüchtlingen belegt. Mieke stirbt im Exil in Mexico. (…)
1950: Im Schluh finden wieder kulturelle Veranstaltungen statt, so ein Abend mit Liedern von Schubert und Schumann, die Aufführung der Worpsweder Kinderoper ‚Die Geschichte von der Gänsemagd‘ von Charlotte Niemann, ein Russischer Abend, an dem aus Werken von Dostojewski, Bock, Majakowski gelesen wird und russische Volkslieder vorgetragen werden. Der Schriftsteller und Kunstsammler Rolf Italiaander erzählt von seinen Besuchen bei Picasso, Matisse und Chagall.
1953: Die letzten Flüchtlinge haben das Haus verlassen. Wiedereröffnung der Pension mit einer ‚Ottilie-Hoffmann-Gaststätte‘, die Martha als Angebot für die Pensionsgäste und für die Besucher Worpswedes im Haus im Schluh verstand. Die Weberei floriert erneut und weiterhin gut.
1959: In einem Interview sagt Martha: ‚Wenn ich nicht weben kann, bin ich nicht zufrieden. Das Weben beglückt mich und nimmt mir die Gedanken an meine Sorgen für unser Ganzes, für unseren Schluh‘ (MV Lebenserinnerungen, 1959).
1961: Am 30. Mai stirbt Martha in ihrem Haus im Schluh und wird in der Diele des Webhauses aufgebahrt.“ 9)

Ferdinand Krogmann schreibt in seinem Buch „Worpswede im Dritten Reich 1933-1949“ über Martha Vogeler in der Nachkriegszeit: „Anläslich ihres 70. Geburtstages im November 1949 rühmt die ‚Niederdeutsche Zeitung‘ ihren zähen, zielbewussten, echten Niedersachsengeist, mit dessen Hilfe es ihr gelungen sei, sich nach der Trennung von Heinrich Vogeler eine eigene Existenz aufzubauen. Unerwähnt bleibt, dass sie sich vor allem von ihrem Mann abgewandt und er ihr dennoch geholfen hatte. Mit dem ‚Haus im Schluh‘ habe Martha Vogeler ‚in typisch niederdeutscher Umgebung‘ etwas ‚so ganz aus niederdeutschem Geist geborenes Echtes geschaffen‘. Das alte Brauchtum des Webens habe ihr von Natur aus im Blut gelegen. Über ihre Mitgliedschaft in der NSDAP und der NS-Frauenschaft erfährt man nichts, auch nicht über die Tatsache, dass das ‚Haus im Schluh‘ ein fester Bestandteil der nationalsozialistischen Alltags- und Festtagskultur war. Verschwiegen wird auch, wie rege sich Martha Vogeler an NS-Kunstausstellungen beteiligte und wie sehr man ihre Tätigkeit als Handweberin im NS-Staat geschätzt hat. Ungeachtet aller braunen Flecken trachtete man danach, das ‚Haus im Schluh‘ als ‚Ort freudiger Arbeit, ein Flecken tätigen Friedens‘ zu überliefern. 1959 sollte sie sogar mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet werden. Der Plan scheiterte jedoch, weil einzelne Bürger sich beim Landkreis Osterholz dagegen verwahrten.“ 10)

„Nach ihrem Tod übernahmen die Töchter Bettina Müller-Vogeler und Mascha Schnaars-Vogeler die Weberei und die Pension. Das Haus im Schluh ist noch heute im Familienbesitz der vierten Generation.
Martha Vogeler übergab ihre Sammlung von Kunst-, Buch- und Schriftbeständen dem seit 1946 im Haus im Schluh wohnenden Kunsthistoriker Hans-Hermann Rief, der sie als ‚Worpsweder Archiv‘ aufbaute und 1981 in die Barkenhoff-Stiftung Worpswede einbrachte. Rief ergänzte die Sammlung neben Kunstwerken und Schriften von Heinrich Vogeler durch zahlreiche künstlerische Arbeiten und Teilnachlässe von Worpsweder Künstlern der Nachfolgegenerationen und legte einen umfangreichen Bibliotheksbestand an.“ 11)

Bevor Vogeler seine zweite Ehefrau Sonja Marchlewska kennenlernte hatte der damals noch mit Martha verheiratete Vogeler mit Marie Griesbach (26.11.1896 Dresden – 13.3.1984 Osterholz-Scharmbeck/Ohlenstedt) eine Liebesbeziehung gehabt. Vogeler portraitierte sie in den Bildern „Rote Marie“ und „Freiheit der Liebe“. Claudia Becker schreibt über das Paar Vogeler/Griesbach: Sie lernten sich kennen „im April 1919, auf der Totenfeier für den Kommunisten Johann Knief. Marie Griesbach war aus Dresden angereist. Die 23-jährige Arbeiterin war eine Persönlichkeit in der linksradikalen Szene. Sie war Vorstandsmitglied des Jugendbildungsvereins und eine Leitfigur in der Dresdner Arbeiterjugend. Äußerlich zart, doch ihre Reden waren flammend. Ganz allein hatte sie an ihrer Werkbank gestreikt. Als sie 1917 ein Flugblatt gegen den Krieg in Umlauf brachte, kam sie für Monate wegen Hochverrats ins Gefängnis.

Auch Heinrich Vogeler, der aus bürgerlichen Verhältnissen stammte und zu den angesehensten Vertretern des Jugendstils gehörte, hatte gegen den Krieg gekämpft. Sein ‚Märchen vom lieben Gott‘, einem öffentlichen, an Kaiser Wilhelm adressierten Friedensappell, sorgte 1918 dafür, dass er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde. An seinem Pazifismus änderte das ebenso wenig wie an seiner Überzeugung, dass der Kommunismus die Verhältnisse menschlicher machen könnte.

Kaum verwunderlich, dass sie, die Rote Marie und der Künstler sich zusammentaten. Sie wollten die Welt verbessern. Und sie wollten im Kleinen beginnen. Bei den Menschen. Bei jenen, die bereit waren, auf dem Barkenhoff, in jenem von Vogeler zum Gesamtkunstwerk gestalteten Domizil des Malers in Worpswede bei Bremen, in einer Kommune zu leben. Künstler gehörten dazu, Landwirte und Handwerker, Menschen, die basisdemokratisch, ohne bürgerliche Ansprüche auf Privateigentum, zusammenleben wollten.

Eine ‚Arbeitsschule‘ für Kinder wurde eingerichtet, als ‚Aufbauzelle der klassenlosen Gesellschaft‘. (…). Während die Kulturbeflissenen im Haus diskutierten, musste Vogeler Zäune flicken. Und Marie half dabei. Die junge Frau aus einfachen Verhältnissen arbeitete im Garten, in dem sich die Jugendstil-Grünanlagen in Gemüsebeete verwandelten. Sie sorgte dafür, dass Essen auf den Tisch kam. [Eine Schwangerschaft Maries endete mit einer Fehlgeburt].

Das Paradies war der Barkenhoff nicht. Es gab ideologische Kämpfe, bürgerliche Besitzansprüche. Eifersucht. Vogelers Ehefrau wohnte auch da, gemeinsam mit ihrem Geliebten. Es ging ein bisschen drunter und drüber, so wie es sich für eine Kommune gehört. Es konnte nicht immer so weitergehen.
Marie Griesbach verliebte sich 1920 in den [Mit-Kommunarden] Künstler und Landwirt Walter Hundt. Heinrich Vogeler verlor sein Herz an Sonja Marchlewska, die Tochter des Leninvertrauten Julian Marchlewski. [Die Freundschaft zwischen Vogeler, Marie und Walter blieb aber weiter bestehen, R. B.]. Auf seinen [Vogelers] Vorschlag wurde der Barkenhoff 1924 zum Kinderheim der kommunistischen Roten Hilfe.

Während Heinrich Vogeler das Heil in der Sowjetunion und schließlich übersiedelte, ging Marie Griesbach mit ihrem Mann in eine völlig andere Richtung. Sie wurde Anthroposophin. Den Kommunismus im sowjetischen Sinne lehnte sie ab. Sie glaubte, dass sich erst jeder Einzelne ändern müsste, bevor er die Verhältnisse ändern könnte. Eigentlich blieb sie sich treu.Vogeler wurde ein überzeugter Sowjetbürger. 1942 starb er, verarmt, geschwächt, in Kasachstan.“ 12)

Marie Griesbach hatte mit ihrem Ehemann nach der Übergabe des Barkenhoff an die Rote Hilfe (1924) diesen verlassen und bewirtschaftete fortan einen eigenen Hof in Ohlenstedt nach biologisch-dynamischen Grundsätzen. Marie und Walter Hundt hatten sieben Kinder.

In zweiter Ehe war Vogeler verheiratet mit der Kommunistin, Übersetzerin und Dolmetscherin Zofia (Sonja) Marchlewska (30.8.1898 Copitz – 8.2.1983 Warschau), Tochter des polnischem Kommunisten Julian Marchlewski. „Schon während des ersten Weltkriegs kam sie mit Lieselotte Dehmel, Tochter des Dichters Richard Dehmel [siehe: Richard-Dehmel-Straße], auf den Barkenhoff. 1922 ging sie eine Beziehung mit Vogeler ein. (…) Als Parteikommunistin stand Sonja Marchlewska (…) der Barkenhoff-Gemeinschaft (…) kritisch bis abwehrend gegenüber. Sie wurde nie Mitglied der Kommune, sondern stand beobachtend und Vogeler ideologisch beratend abseits, und trieb schließlich die Übergabe des Barkenhoff an die Rote Hilfe voran. Bis zu ihrer und Vogelers Übersiedlung in die Sowjetunion arbeitete sie in Berlin für die sowjetische Handelsmission und für Verlage der Partei.“ 13) 1923 wurde in Moskau ihr Sohn Jan Jürgen (1923-2005) geboren. Ein Jahr nach der Geburt zog die Familie nach Berlin und wurden Nachbarn von Erich Mühsam. Sonja hatte eine Affaire mit Carl Meffert, einem jungen proletarischen Künstler und Schüler u. a. von Käthe Kollwitz (siehe: Kollwitzring). Dennoch waren sich Vogeler und Meffert kamaradschaftlich verbunden. 1926, nachdem die Ehe mit Martha geschieden worden war, heirateten Vogeler und Sonja. 1931/32 zog die Familie nach Moskau zurück. 1941 ließen sich Vogeler und Sonja scheiden. Der Sohn wurde später ab 1962 Professor für marxistische und deutsche Philosophie an der Lomonossow-Universität in Moskau. Ab 2001 lebte er in „Worpswede und arbeitete im Haus im Schluh in der Heinrich Vogeler-Stiftung mit. Jan Vogeler war verheiratet und hatte eine Tochter, Natascha. Seine Frau Sonja und die Tochter wohnen weiterhin in Moskau.“ 14)

Marie-Luise (Mieke) Vogeler (1901 Worpswede – 1945 Coyoacàn/Mexiko). Die älteste Tochter Vogelers wurde Goldschmiedin, Grafikerin und Malerin. 1928 lernte sie in Worpswede Gustav Regler kennen. „‘Arm, aber glücklich‘ lebte sie mit ihm in Paris, Berlin, der Provence und in Worpswede. Den Sommer 1929 verbrachten sie im Tessin, in Fontana Martina bei Ronco’s/Ascona, wo Mieke ihren Vater Heinrich und dessen zweite Frau Sonja wieder sah. Sie lebten in der werdenden Künstlerkolonie von Fritz Jordi. Ein nächstes Mal traf sie ihren Vater 1931 in Moskau, wohin sie Regler für einige Monate begleitete und dort Russisch lernte.

1936 beschloss Regler, sich den ‚Internationalen Brigaden‘ anzuschliessen und in Spanien gegen den Faschismus zu kämpfen. Nachdem sie lange Zeit nichts von ihm vernahm, hörte sie 1937 von seiner Verwundung, schlug sich nach Spanien durch und pflegte ihn und andere Verletzte gesund. Ein Aufenthalt in Key West, Florida, bei Pauline und Ernest Hemingway, den Regler im Spanienkrieg kennen gelernt hatte, war ihr künstlerische Inspiration. Während Reglers Internierung in ‚le Vernet‘, einem französischen Kriegsgefangenenlager in den Pyrenäen, setzte sich Mieke hartnäckig für seine Freilassung ein. Danach flohen sie vor dem sich in Frankreich ausbreitenden Hitlerdeutschland zurück in die USA, wo sie 1940 in New York heirateten, dann weiter nach Mexiko, ihrer neuen Heimat. 1942 wurde ihr Krebsleiden diagnostiziert, drei Jahre später starb sie daran.“ 15)

Lebensdaten von Marie-Luise Vogeler-Regler:
„(…) 1918: Ausbildung zur Goldschmiedin bei Brinckmann & Lange, Bremen:
1919 : Studium an der Kunstgewerbeschule, Bremen
(…) 1922: Mitarbeit in einer Teppich-Knüpferei und Weberei in Engen im Hegau
1924: Entwürfe und Anfertigung von Schmuckstücken und kunstgewerblichen Arbeiten
1925: Gründungsmitglied der ‚Wirtschaftlichen Vereinigung Worpsweder Künstler‘
(…) 1927: Künstlerische Zusammenarbeit mit Heinrich Vogeler in Berlin und Versorgung des Halbbruders Jan Jürgen
1928: Erstes Zusammentreffen mit Gustav Regler in Worpswede
1929: Gemeinsame Reise nach Fontana Martina/Tessin zu Fritz Jordi und nach Paris Übersiedlung mit dem Lebensgefährten nach Berlin. Dort leben sie im sog. ‚Roten Künstlerblock‘ am Laubenheimer Platz (Bonner Str. 8)
Zusammenarbeit mit dem Vater in der Künstlergruppe ‘Die Kugel‘, einer Arbeitsgemeinschaft im Architektenbüro von Herbert Richter-Luckian
1930 – 1931: Mehrmonatiger gemeinsamer Aufenthalt in der Provence.
1931: Einrichtung einer Atelierwohnung in Worpswede als Zweitwohnsitz
1932: Beide reisen über Merzig nach Südfrankreich
1933: Nach dem Reichstagsbrand Flucht aus Berlin zunächst nach Worpswede. Marie Luise arbeitet mit Martin Paul Müller zusammen, dem Leiter der Worpsweder
Künstlerpresse. Auf Denunziation hin flüchtet Gustav Regler über Merzig und Straßburg nach Paris. Marie Luise folgt ihm ins Exil. Sie wohnen im Hotel Helvetia, Paris 23, rue de Tournon.
1934: Gemeinsame Reise nach Moskau zum I. Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller. Treffen mit dem Vater, Heinrich Vogeler, der seit 1931 in Moskau lebt und arbeitet.
Im Anschluss an den Kongreß, zu dritt mit Freunden, Reise in die Wolgadeutsche Republik. Marie Luise bleibt anschließend in Moskau.
1935: Mit dem Vater zum Erholungsaufenthalt im Kaukasus, danach in der neuen gemeinsamen Wohnung des Paares in Paris-Montrouge, 107, route de Chatillon, ansässig.
In diesem Jahr findet auch in Paris der I. Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur statt.
1936: Zusammen wieder in Moskau. Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges. Gustav Regler schließt sich den Internationalen Brigaden an. Marie Luise bleibt in Paris zurück.
1937: Illegales Überschreiten der Grenze nach Spanien, um den bei Huesca schwer verwundeten Lebensgefährten zu betreuen.
1938: Marie Luise begleitet Gustav Regler auf seiner offiziellen Spenden-Sammelreise für die Spanische Republik in die USA. Aufenthalt bei Hemingway in Key West.
1939: Gustav Regler wird verhaftet und im Pyrenäenlager Le Vernet interniert. Marie Luise kämpft monatelang um die Freilassung Reglers.
1940: Gemeinsame Ausreise nach Intervention von Eleanor Roosevelt, Malraux u. a. auf der ‚Champlain’ von Saint Nazaire nach New York. Am 14. Juni heiraten Gustav Regler und Marie Luise in New York. ‘Nach 13 Jahren illegaler Harmonie.‘ Trauzeugen sind Jay Allen und Alvarez del Vayo. Die Wohnung in Paris-Montrouge wird von der Gestapo geplündert.
Am 18./19. September um Mitternacht Ankunft in Mexiko. Dort wohnen sie zunächst in Las Lomas, im Westen von Mexiko City, später im Vorort Colonia Tacuba, um dann in ein ‚weißes Gartenhaus‘ in San Angel / Coyoacán im Süden der Stadt umzuziehen, wo sie bis zum Tode von Marie Luise bleiben. Reisen zu den regionalen Sehenswürdigkeiten. Archäologische und volkskundliche Studien.
Das Ehepaar lebt nach dem Bruch Reglers mit der KPD zunächst isoliert. Freundschaft mit den surrealistischen Malern und Dichtern Wolfgang Paalen, Alice Rohen, Onslow Ford, Leonora Carrington, Benjamin Péret u. a. Marie Luise malt, töpfert, fertigt Schmuckstücke und trägt mit dem Verkauf dieser kunsthandwerklichen Arbeiten zum Lebensunterhalt bei.
1942: Beginn der Krebserkrankung von Marie Luise. Sie wird zunächst von Pierre Mabille, einem franz. Chirurgen aus Haiti betreut, der sie 1943 operieren muss, als die Metastasen schon auf die Hüftknochen übergegriffen haben. Später ist sie in der ärztlichen Obhut von Dr. Gustav Peter, einem Radiologen. In diesen Jahren entstehen u. a. die Illustrationen zu den Lyrikbänden von Gustav Regler:
‚The Bottomless Pit/Der Brunnen des Abgrunds (1943),‘„The Jungle Hut‘ (1946 postum veröffentl.), ‚MARIELOUISE‘ (1946 postum veröffentl).
1945: Am 21. September stirbt Marie Luise Vogeler-Regler und wird auf dem Friedhof San Rafael bei Tizapán beigesetzt.“ 16)

Bettina Vogeler (1903 Worpswede - 2001 Worpswede), später verheiratete Müller, war die zweite Tochter von Heinrich Vogeler und Martha Vogeler. Sie betrieb eine Bildweberei im Haus am Schluh.

Mascha Vogeler (1905 Worpswede – 1993 Worpswede), jüngste der drei Töchter von Heinrich und Martha Vogeler. Mascha wurde Weberin für Gebrauchstextilien. 1933 heiratete sie den Maurer Hermann Schnaars. Später war Mascha Vogeler-Schnaars verantwortlich für den Pensionsbetrieb im Haus am Schluh.