Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Modersohnstraße

Wilhelmsburg, seit 1951, benannt nach Paula Modersohn-Becker (8.2.1876 Dresden – 20.11.1907 Worpswede), Malerin. Motivgruppe: Worpsweder Künstlerkreis


Siehe auch: Rilkeweg, Groß Flottbek (1950): Rainer Maria Rilke (1875-1926), Dichter.
Siehe auch: Noldering, Steilshoop (1962): Emil Nolde (1867-1956), Maler, Graphiker.
Siehe auch: Vogelerstraße, Heimfeld (1950): Heinrich Vogeler (1872-1942), Maler.
Siehe auch: Fitgerweg, Wilhelmsburg (1951): Arthur Fitger (1840-1909), Schriftsteller, Maler, Kunstkritiker.

Vor 1951 hieß die Straße Tannenstraße. In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Herzogstätte umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1951 bei Tannenstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)

In der Lokalliteratur findet sich immer wieder der Hinweis, dass die Modersohnstraße nach dem Maler Otto Modersohn, dem Ehemann von Paula Becker-Modersohn benannt ist. Dieser war zwar auch bedeutend, aber in diesem Fall wurde bei der Straßenbenennung der bedeutenden Malerin Paula Becker-Modersohn der Vorzug gegenüber ihrem Ehemann gegeben. (siehe: Straßennamenkartei im Staatsarchiv Hamburg)

Die Malerin Paula Modersohn-Becker war 1951 die erste Malerin, nach der in Hamburg eine Verkehrsfläche benannt wurde. Bereits vierzig Jahre zuvor erhielt eine Straße einen Namen nach einem Maler: Arnold Böcklin (1910, siehe: Böcklinstraße).

Warum so spät und warum verhältnismäßig wenige Straßen nach Malerinnen benannt wurden, hat seine Gründe: Bis zum Ersten Weltkrieg gehörten Zeichnen und Malen ebenso wie Klavierunterricht und Lektüre zwar zur Erziehung höherer Töchter. Doch diese künstlerischen Tätigkeiten dienten nur dazu, die Zeit bis zur Ehe zu überbrücken, und waren darüber hinaus auch eine Art Vorbereitung auf die Ehe. Denn schließlich hatte die Ehefrau des gehobenen Bürgertums das häusliche Umfeld geschmackvoll und kultiviert zu gestalten und zu dekorieren, damit es einen Gegenpol zur nüchternen, rationalen Arbeitswelt des Ehemannes bot, so dass der Hausherr in diesem geschmackvollen Umfeld entspannen, aber auch repräsentieren konnte, wenn er z. B. Geschäftsfreunde in sein Heim einlud. An eine Umsetzung der künstlerischen Begabungen der Frauen in einem Beruf war nicht gedacht; sie sollten Dilettantinnen bleiben.

Das größte Problem, das sich Frauen in den Weg stellte, war die fehlende Möglichkeit einer umfassenden künstlerischen Ausbildung. 1865 wurde zwar die erste offizielle Ausbildungsstätte für Frauen, der „Lette-Verein“ in Berlin, gegründet, aber er richtete sich mit seinem Unterrichtsprogramm an Gouvernanten und Kunstgewerblerinnen, weniger an Künstlerinnen. Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts öffneten sich, abgesehen von Kassel und Frankfurt, die staatlichen Akademien in Deutschland nach und nach auch für Frauen. Bis dahin waren sie auf Privatschulen und Privatunterricht angewiesen gewesen. Dieser fand zumeist bei Malern statt, die nicht genügend bekannt und oft wohl auch nicht sehr begabt waren. Guter Privatunterricht war die Ausnahme. Er hing im Allgemeinen von der Förderung der angehenden Malerin durch einzelne Personen aus der Verwandtschaft ab, die eine teure Ausbildung bei einem hervorragenden Maler und Auslandsaufenthalte ermöglichte. Rühmliche Ausnahmen im Ausbildungsbereich für Malschülerinnen waren drei von Künstlerlinnen gegründete Damenakademien: die Zeichen- und Malschule des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen in Berlin (1867), die Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins und die Malerinnenschule in Karlsruhe, später dann die Schule von Valesca Röver in Hamburg, an der avantgardistische Maler wie Paul Kayser, Arthur Illies (siehe: Illiesbrücke, Illiesweg) und Ernst Eitner (siehe: Eitnerweg) unterrichteten.

Aber selbst wenn Frauen eine gute Ausbildung genossen hatten und begabt waren, konnten sie nur in seltenen Fällen von ihrer Kunst leben. Auch das hatte zum Teil so genannte frauenspezifische Gründe. Das Vorurteil, dass Frauen keine produktiven Kräfte besäßen, war groß, so dass Bilder von Frauen von vornherein wenig Beachtung fanden. Tatsächlich mangelte es den Frauen an Ausstellungsmöglichkeiten, ein Missstand, dem die 1908 gegründete GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnen) abzuhelfen versuchte. Als Mitte des 19. Jahrhunderts das elementare Zeichnen in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen wurde, wählten viele Künstlerinnen zu ihrer finanziellen Absicherung oft den Weg der Zeichenlehrerin, der aber häufig ihre besten Kräfte verschlang. Ähnlich unvereinbar erwies sich das Künstlerinnentum auch oft genug mit der Ehe, besonders, wenn auch der Ehemann Künstler war.

Das Gesamtwerk von Paula Modersohn-Becker umfasst rund 750 Gemälde, mehr als 1000 Handzeichnungen und 13 Radierungen. Doch zu ihren Lebzeiten konnte sie nur ein einziges Bild verkaufen.

Paula Becker entstammte bürgerlichen, aber nicht wohlhabenden Verhältnissen. Ihr Vater Carl Woldemar Becker war Ingenieur, ihre Mutter Mathilde kam aus der thüringischen Adelsfamilie von Bültzingslöwen. Das Ehepaar Becker hatte sieben Kinder; Paula war das dritte.

Weil ihr Onkel Oskar Becker, der Bruder ihres Vaters, 1861 ein Attentat auf den damaligen König Wilhelm von Preußen verübt hatte, verlor Paulas Vater seine Beamtenstelle. Die Familie zog daraufhin 1888 nach Bremen, wo Carl Woldemar Becker eine Anstellung als Baurat erhielt. Die Familie wohnte in einem Haus an der heutigen Schwachhauser Heerstraße (damals Hausnummer 23). Dort hatte Paula auch ihr erstes Atelier.

Über Paulas Mutter bestanden freundschaftliche Kontakte zu Künstlerkreisen. Paula beschloss im Alter von sechzehn Jahren, nachdem sie 1892 in Bremen Zeichenunterricht genommen und 1892/93 während eines Aufenthaltes bei ihrer Tante in London die School of Arts besucht hatte, ein eigenständiges Leben als Künstlerin zu führen. Doch besonders ihr Vater wollte, dass sie zuerst einmal in Bremen das Lehrerinnenseminar absolvierte, damit sie sich selbst ernähren könne. Nach Abschluss des Lehrerinnenexamens im Jahre 1895 studierte Paula von 1896 bis 1897 in Berlin an der Zeichen- und Malschule des Berliner Künstlerinnenvereins, da an staatlichen Akademien keine Frauen zugelassen waren.

1897, als sich die finanzielle Situation des Vaters verschlechtert hatte, bat er seine Tochter, eine Gouvernantenstelle anzunehmen. Doch Paula Becker hatte Glück: sie brauchte solch eine Stelle nicht anzutreten, denn sie erhielt eine kleine Erbschaft und von einem Onkel einen finanziellen Zuschuss für drei Jahre. Damit waren die nächsten Jahre finanziell gesichert. So nahm Paula Becker 1898 in Worpswede Unterricht bei Fritz Mackensen. Die Werke der Worpsweder Maler hatte sie bereits drei Jahre zuvor kennengelernt, als diese in der Bremer Kunsthalle ausgestellt worden waren.

Paula Becker war fasziniert von der Worpsweder Landschaft mit seinen Birken, dem Moor, den Weiden, und angetan von der ärmlichen bäuerlichen Bevölkerung, so dass sie im Herbst 1898 ganz nach Worpswede zog. Dort gab es bereits einige Frauen, die der Malkunst nachgingen. Verächtlich wurden sie „Malweiber“ genannt. „Die männlichen Künstler schätzen die Einnahmen durch Schülerinnen und wissen das Angebot an Heiratskandidatinnen zu nutzen. An das Talent der Frauen glauben nur wenige. Auf Anraten Heinrich Vogelers [siehe: Vogelerstraße], jedoch ohne Erfolg, beteiligt Paula sich an Wettbewerben und fertigt Werbegrafiken im Jugendstil an. Zuspruch erhält sie auch durch Otto Modersohn, dessen junge Frau an Tuberkulose erkrankt ist, und durch den Museumsdirektor Gustav Pauli, der im Dezember 1899 drei ‚Schülerinnen‘ aus Worpswede, Marie Bock, Clara Westhoff und Paula Becker, in der Bremer Kunsthalle präsentiert, “ 1) heißt es in einem sehr lesenswerten Comic über Paula Beckers weiteren künstlerischen Werdegang.

Die Kunstwerke, die die drei Frauen in Bremen ausstellten, erhielten durch den Maler und Kunstkritiker Arthur Fitger (siehe: Fitgerstraße) eine vernichtende Kritik. Wenige Stunden nach dem Erscheinen der Kritik in der Weser-Zeitung, hängte Paula ihre Bilder in der Kunsthalle ab und nahm sie mit nach Hause.

Doch Paula Becker gab nicht auf. Sie reiste nach Paris, um sich künstlerisch weiterzubilden. Dort wartete schon Clara Westhoff (1878-1954), mit der Paula Becker befreundet war, auf sie, und dort lernte sie auch den Bauernsohn Emil Hansen kennen, den späteren „Nolde“ (siehe: Noldeweg). Er „nimmt Paula und Clara nur als ‚zwei seltsame Mädchen wahr‘ “. 2)

Nach der Rückkehr aus Paris, traf Paula Otto Modersohn als Witwer vor, der schon bald nach dem Tod seiner Frau wieder auf Brautschau ging. „Otto Modersohn feilt eifrig an seiner Strichliste möglicher Ehekandidatinnen. Aber auch der auf Besuch in Worpswede weilende Dichter Rainer Maria Rilke [siehe: Rilkeweg] schwärmt plötzlich nicht ganz realitätsnah von ‚den beiden Schwestern‘, von ‚der blonden (Paula) und der dunklen Malerin‘ (Clara (…)“ 3), heißt es weiter in dem oben bereits vorgestellten Comic.

Paula, deren Erbe aufgebraucht war, heiratete im Mai 1901 den gut verdienenden Maler Otto Modersohn. Nun hatte sie die Pflichten einer Hausfrau und Mutter für Modersohns Tochter zu übernehmen. Gleichzeitig behielt sie ihr Atelier bei Brünjes in Ostendorf bei Worpswede und arbeitete dort täglich bis zu acht Stunden. „(…) denn daß ich mich verheirate, soll kein Grund sein, dass ich nichts werde“, war ihr fester Wille und Entschluss.

Ihre Eltern rieten ihr, einen Kochkurs in Berlin zu besuchen, was Paula auch tat. Dort traf sie sich mit Rilke (siehe: Rilkeweg), der nach der Verlobung von Paula mit Otto Modersohn im Jahre 1900 überstürzt Worpswede verlassen hatte und zu einer Freundin nach Berlin gezogen war. Auch die Bildhauerin Clara Westhoff besuchte Paula und traf auf Rilke. Das Ergebnis: Clara Westhoff und Rilke heirateten und bekamen eine gemeinsame Tochter. Später trennte sich das Paar, und Clara Westhoff zog nach Fischerhude in die Straße In der Bredenau 81, wo sie auch ihr Atelier hatte. Heute befindet sich in ihrem Haus ein Café, benannt nach Rilke, der dort allerdings nie gelebt hat.

Über die Ehe zwischen Paula Becker-Modersohn und Otto Modersohn schreibt Willi Blöß in seinem bezaubernden Comic „Paula Modersohn-Becker und von Worpswede sei die Rede“: „Es ist eine seltsame Ehe. (…) Da eine Schwangerschaft ihre Arbeit gefährden würde, bittet sie Otto über Jahre um Keuschheit. Ablenkung bieten Reisen. (…) Über Jahre zieht sich das zermürbende Wechselspiel aus Necken und Hinhalten hin. Paula berichtet freimütig von ihren Flirts mit bulgarischen Kunststudenten in Paris. Auch beim Nacktturnen lässt sie sich von Otto zeichnen. Als Ottos Nerven nach fünf Jahren endgültig zerrüttet sind, beklagt Paula sich über ihr nicht vorhandenes Liebesleben bei Clara Westhoff (…).“ 4)

In der ersten Ehezeit hatte Otto Modersohn die künstlerische Arbeit seiner Frau noch bewundert: „ ‚Mich interessiert tatsächlich nicht einer hier in Worpswede auch nur annähernd so wie Paula. (…) sie hat einen prächtigen Farbensinn und Formensinn. (…) Wundervoll ist dies wechselseitige Geben und Nehmen; ich fühle, wie ich lerne an ihr und mit ihr‘, notiert er im Juni 1902 in sein Tagebuch. Jedoch schon weit weniger begeistert schreibt er im September 1903: ‚Geistige Interessen hat Paula mehr als irgendeine. Sie malt, liest, spielt etc. Der Haushalt geht auch ganz gut – nur das Familiengefühl und Verhältnis zum Hause ist zu gering. Ich hoffe, daß das noch besser wird. Paula haßt das Konventionelle und fällt nun in den Fehler, alles lieber eckig, hässlich, bizarr und hölzern zu machen. Die Farbe ist famos – aber die Form? Der Ausdruck?‘“ 5)

Da auch Paulas Mann ihre künstlerischen Leistungen nicht genügend anerkannte, wurde es ihr in Worpswede zu eng. 1903 ging sie erneut für einige Monate nach Paris und lernte dort die Malerei Cezannes, van Goghs und Gauguins kennen. Durch Rilke wurde sie mit Rodin bekannt.

Dass sie eine außergewöhnliche Künstlerin war, die sich aus der Masse anderer Künstlerinnen hervorhob, machen die folgenden Zeilen deutlich, die Paula Modersohn-Becker am 23. Februar 1905, als sie wieder einmal für einige Zeit in Paris weilte, an ihren Mann Otto Modersohn schrieb: „Im Atelier [der Académie Julian] ist es komisch, lauter Französinnen, die sehr amüsant sind (…). Sie malen aber wie vor hundert Jahren, als ob sie die Malerei von Courbet an nicht miterlebt hätten. (…) Meine Malerei sehen sie sehr misstrauisch an, und in der Pause, wenn ich den Platz vor meiner Staffelei verlassen habe, stehen sie mit sechsen davor und debattieren darüber. Eine Russin fragte mich, ob ich denn das auch wirklich so sähe, wie ich das mache, und wer mir das beigebracht hätte. Da log ich und sagte stolz: ‚Mon mari‘. Darauf ging ihr ein Talglicht auf und sie sagte erleuchtet: ‚Ach so, Sie malen wie Ihr Mann malt.‘ Daß man so malt wie man selber, vermuten sie nicht.“ 6)

1906 malte sie in Paris „den wohl ersten Selbstakt einer Frau in der Kunstgeschichte. (…) Dass sie dem Akt einen hohen Stellenwert beimisst, muss sicherlich in dem Zusammenhang gesehen werden, dass sie zur ersten Künstlerinnengeneration gehört, die überhaupt die Möglichkeit erhält, an dem ursprünglich männlichen Privileg teilzunehmen. (…).“ 7)

In dieser Zeit entschloss sich Paula Becker-Modersohn, sich von ihrem Mann zu trennen, und teilte ihm dies auch mit. Sie wollte sich ausschließlich ihrer Kunst widmen. Otto Modersohn reiste ihr - gegen ihren Willen – nach, um sich mit ihr auszusprechen und blieb den Winter 1906/07 in Paris. Da er ihr ein eigenes, großes Atelier versprach und sie darüber hinaus feststellen musste, dass sie von ihren Bildern allein finanziell nicht leben konnte, kehrte sie mit ihm im März 1907 nach Worpswede zurück; da war sie bereits seit kurzem schwanger. Am 2. November kam ihre Tochter auf die Welt. Achtzehn Tage nach der Geburt starb die 31-jährige Paula Modersohn-Becker an einer Embolie.