Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Richard-Dehmel-Straße

Blankenese (1928): Richard Fedor Leopold Dehmel (18.11.1863 Wendisch-Hermsdorf (Spreewald) – 8.2.1920 Blankenese/Hamburg), Schriftsteller.


Siehe auch: Anita-Ree-Straße
Siehe auch: Baedekerbogen

Nach seiner ebenso bedeutenden Frau Ida Dehmel ist leider keine Verkehrsfläche benannt.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sollte die 1928 nach Richard Dehmel benannte Straße umbenannt werden, da Richard Dehmels Witwe jüdischer Herkunft war. Der damalige Direktor des Hamburger Staatsarchives, Heinrich Reincke, der in der NS-Zeit Menschen jüdischer Herkunft denunziert hatte und nach dem und seinem Vater 1975 der Reinckeweg benannt wurde (siehe: Reinckeweg), wollte eine Umbenennung der Richard-Dehmel-Straße verhindern. In seinem Vermerk zum Thema „Straßenbezeichnungen, hinsichtlich deren eine besondere Entscheidung des Herrn Reichstatthalters erbeten wird, ob eine Namensänderung erfolgen soll“ argumentierte er folgendermaßen: „Namengeber: Richard Dehmel, der bekannte deutsche Lyriker (1863-1920), der in Blankenese in der Richard-Dehmel-Straße wohnte. Arier, freiwilliger Frontkämpfer im Alter von mehr als 50 Jahre. Jüdisch verheiratet, projüdisch eingestellt. Vorschlag: Keine Änderung. (…).“ (Staatsarchiv Hamburg, 133-1 II, 38.)

„Der literaturhistorisch zwischen Naturalismus und Expressionismus stehende Dehmel [wurde] zu Beginn des 20. Jahrhunderts (…) [als] einer der wichtigsten Repräsentanten der Lyrik deutscher Sprache gefeiert (…). Neben seinem lyrischen Hauptwerk, das in strikter Abkehr von der klassisch-romantischen Tradition entstand, schuf Dehmel Dramen, Prosa sowie gemeinsam mit seiner ersten Frau Paula Kindergedichte und Kindergeschichten. Eine vitalistische Grundeinstellung kennzeichnete sein Werk, in dessen Mittelpunkt die rauschhafte Begegnung mit dem Leben und die durch Ästhetisierung zu erreichende Steigerung des individuellen Lebensgefühls stehen“ 1), schreibt der Historiker Dirk Brietzke in seinem Porträt über Richard Dehmel.

Richard Dehmel war der Sohn von Louise Dehmel, geborene Fließschmidt und des Revier- und Stadtförsters Fedor Dehmel. Nach dem Abitur studierte Dehmel Volkswirtschaft, Philosophie und Naturwissenschaften, promovierte 1887 mit einer Arbeit über das Feuerversicherungswesen und wurde Sekretär beim Verband deutscher Feuerversicherungsgesellschaften.

Während seiner Promotionszeit lernte er 1886 über Franz Oppenheimer dessen Schwester Paula kennen. Drei Jahre später heiratete das Paar. Die Märchendichterin Paula Oppenheimer (31.12.1862 Berlin – 8.7.1918 Steglitz/Berlin) war die Tochter von Antonia Oppenheimer, geb. Davidsohn und des Predigers und Lehrers am Tempel der Berliner jüdischen Reformgemeinde Julius Oppenheimer.

Richard und Paula Dehmel bekamen drei Kinder: das erste Kind 1890, das zweite Kind ein Jahr später (1891). Im selben Jahr als das zweite Kind geboren wurde, brachte Richard Dehmel seinen ersten Lyrikband („Erlösungen“) heraus. Ein Jahr später verliebte sich Dehmel in die Dichterin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (29.8.1865 Stolp – 21.2.1918 Krumbach), die Freundin seiner Frau. Richard Dehmel hätte gern mit beiden Frauen zusammengelebt; Hedwig Lachmann lehnte eine „Dreierbeziehung“ ab. In dieser Zeit erschien Richard Dehmels Sammlung „Aber die Liebe. Ein Ehemanns- und Menschenbuch“ (1893).

Paula und Richard Dehmel verfassten gemeinsam Gedichte. Dazu heißt es in Wikipedia: „Die ersten Gedichte von Paula und Richard Dehmel entstanden im alltäglichen Umgang und in der Beschäftigung mit ihren kleinen Kindern Vera und Heinz Peter. Diese Gedichte widerspiegelten in einfachen Worten und kurzen Reimen die Entdeckung des eigenen Ichs aus der Sicht eines Kindes und seine unmittelbare Erlebnis- und Fantasiewelt während des Tages im Haus oder im Garten. Zugleich gab es in der Zeit um 1900 reformpädagogische Bestrebungen zur Erneuerung der Kinder- und Jugendliteratur mit der Forderung nach einer ‚Dichtung von Kinde aus‘, was insbesondere Richard Dehmel veranlasste, bereits um 1895 für die im familiären Kreis entstandenen Gedichte und kürzere Geschichten nach Veröffentlichungsmöglichkeiten zu suchen. Abdrucke einzelner Gedichte und Geschichten erfolgten 1894 in der Zeitschrift Die Gesellschaft, 1897 in der Zeitschrift Jugend, 1898 in Ver Sacrum und 1899 in PAN.“2)

1895 verliebte sich Richard Dehmel in Ida Auerbach, geb. Coblenz, gesch. Auerbach (14.1.1870 Bingen am Rhein – 29.9.1942 Hamburg). Ida Conze und ihre vier Geschwister waren nach dem frühen Tod der Mutter von ihrem Vater, einem reichen Kommerzienrat, nach strengen konservativen Prinzipien erzogen worden. Ida kam in ein belgisches Mädchenpensionat, in dem sie wegen ihres jüdischen Glaubens diskriminiert wurde. Im Alter von zwanzig Jahren begegnete sie Stefan George, der ebenfalls in Bingen aufgewachsen war, und wurde dessen Muse. 1895, als 25-Jährige, heiratete Ida auf Wunsch ihres Vaters den jüdischen Berliner Tuchhändler Leopold Auerbach. Im selben Jahr kam ihr Sohn Heinz-Lux auf die Welt, und Ida begann in ihrem luxuriösen Haus am Berliner Tiergarten ein Leben als Salondame. Hier traf sich die Berliner Bohème, hier lernte sie, die unglücklich Verheiratete und an Depressionen Leidende, den ebenfalls verheirateten Literaten Richard Dehmel kennen. Er gab ihr Selbstvertrauen und schaffte es sogar, dass die Schwangere sich auf die Geburt ihres Kindes freuen konnte. Ida und Richard verliebten sich, und nun begann eine Zeit der Zerrissenheit der Gefühle. Als drei Jahre später Idas Mann wegen eines betrügerischen Bankrotts inhaftiert wurde, nahm sie dies zum Anlass, ihre Ehe aufzulösen, was unter diesen Umständen selbstverständlich von der Berliner Gesellschaft akzeptiert wurde. Durch den Bankrott ihres Mannes hatte Ida Auerbach aber ihr Vermögen verloren und war nicht mehr in der Lage, als Mäzenin aufzutreten, doch sie blieb der Kulturszene verbunden.

Um in der Nähe ihres Geliebten zu sein, mietete sie sich in der Nachbarschaft des Ehepaares Dehmel in Pankow eine Wohnung.
Im selben Jahr, als sich Ida und Richard ineinander verliebten, hatte Richard Dehmel seine Tätigkeit als Angestellter bei der Feuerversicherung aufgegeben und wirkte fortan als freier Schriftsteller. Ein Jahr später erschien eine von Richard Dehmel verfasste Sammlung von Liebesgedichten unter dem Titel „Weib und Welt“. Wieder ein Jahr später, 1897 bekamen Paula und Richard Dehmel ihr drittes Kind und wieder ein Jahr später begann eine „Ehe zu dritt“ (Paula, Richard und Ida), die bis 1899 dauerte, denn dann trennte sich Paula von Richard und nahm die gemeinsamen Kinder mit sich.

„1899, also erst nach der Trennung Paulas von Richard Dehmel, ergab sich die Möglichkeit, das zuvor gemeinsam geplante Kinderbuch Fitzebutze in das Verlagsprogramm des Insel-Verlags aufnehmen zu lassen. Richard Dehmel schrieb als Anmerkung zum an Paula übersandten Verlagsvertrag: ‚Durch § I bleibt übrigens Dir wie mir das Recht vorbehalten, die 25 Gedichte später einmal zwischen uns zu teilen. … Wir müssen dann eben miteinander ausmachen, welche von den gemeinsam verfassten Einzelgedichten vor der sogenannten Nachwelt unter Deinem Namen, und welche unter dem meinen gehen sollen. Nun, wie gesagt, dies Tauschgeschäft können wir ‚später einmal‘ wol mündlich erledigen.‘

Im September des darauffolgenden Jahres wies Paula Dehmel in einem Brief Richard Dehmel energisch darauf hin, dass ihr Name in der Ankündigung des Kinderbuchs Fitzebutze vom Insel-Verlag nicht erwähnt worden war und so bei Erscheinen des Buches vermutet werden könnte ‚ich hätte mich in den Rockfalten meines berühmten Gatten in die Literatur hineinstehlen wollen.‘ Richard Dehmel hatte diese Unkorrektheit zuvor bereits beim Insel-Verlag reklamiert, entgegnete Paula jedoch auch: ‚An den ‚Rockschößen Deines berühmten Gatten‘ wirst Du freilich wol trotzdem hängen bleiben, zumal Du selber Dich beharrlich daran festhältst.‘ Unmittelbar danach willigte Paula Dehmel in die Scheidung ein und veranlasste die rechtlich erforderlichen Schritte.“ 3)

1901 wurde die Ehe geschieden. Auch danach: „blieb [Paula] in stetem Briefwechsel [mit Richard Dehmel], in dem insbesondere der Gedankenaustausch zur schriftstellerischen Arbeit, aber auch das Leben ihrer Kinder im Mittelpunkt standen“. 4)

Im Jahr der Ehescheidung zogen Richard Dehmel und Ida Auerbach nach Blankenese in eine Mietwohnung in der Parkstraße und in die Nähe von Richard Dehmels Freund, dem Schriftsteller Detlev von Liliencron (siehe: Liliencronstraße) und heirateten.

Im selben Jahr schickte Paula Dehmel ihrem geschiedenen Mann das Manuskript ihres Kinderbuches Rumpumpel. „Richard Dehmels umfangreiche Anmerkungen und Korrekturvorschläge nahm sie zwar dankend entgegen, folgte aber nur einigen seiner Vorschläge, ‚weil ich mich von nun an nach meinem innern Urteil richte.‘ und achtete auch in der Folgezeit zunehmend auf die Anerkennung ihrer eigenständigen Arbeit als Dichterin.

Im Dezember 1901 erbat Richard Dehmel die Mitarbeit Paula Dehmels für ein neues Sammelbuch für Kinder. Auch andere Verlage hatten bei ihr bereits Anfragen nach neuen Gedichten und Märchen gestellt. Sie teilte Richard Dehmel mit: ‚… soviel Märchen und Kindergedichte giebts ja gar nicht, wie man jetzt von mir haben will.‘ Gleichzeitig verteidigte sie ihre Arbeiten: ‚Aber wenn Du auch R. D. bist – mein Feuermännchen laß ich mir nicht ‚sentimental‘ schimpfen! Zum Teufel!‘“ 5)
Richard Dehmel, nun in Blankenese zu Hause, partizipierte kaum am öffentlichen Leben der Hansestadt“ und galt, so Dirk Brietzke: „dem Hamburger Bürgertum jedoch wegen seiner unbürgerlichen Lebensführung und der panerotischen Freizügigkeit seiner Lyrik als suspekt (…)“ 6)
1903, als Paula Dehmels „Rumpumpel“ als erstes eigenständiges Werk von ihr erschien, brachte Richard Dehmel sein Werk „Zwei Menschen. Roman in Romanzen“ heraus. Beide hatten mit ihren Büchern großen Erfolg.

„1904 folgte die von Richard Dehmel herausgegebene Sammlung Der Buntscheck, an der mehrere Autoren beteiligt waren, darunter auch Paula Dehmel als namentlich genannte Autorin. Sowohl Fitzebutze als auch Der Buntscheck hatten nicht den von Richard Dehmel erhofften Markterfolg. 1905 stellte er in einem kurzen Brief an Paul Scheerbart fest: ‚Bei mir hat’s wirklich ausgekindert. Ich fühl’s mit dem berühmten Leithammel-Instinkt, daß das Feld abgegrast ist.‘ (…) Paula Dehmel schrieb weiterhin Kinderlyrik, Geschichten und Märchen“, 7) hatte damit Erfolg, bekam gute Kritiken und wurde zudem ab 1912 Herausgeberin des Meidinger Kinderkalender.
Und was machte Ida Dehmel? Über sie schreibt Matthias Wegner in seiner Ida-Dehmel-Biographie „Aber die Liebe. Der Lebenstraum der Ida Dehmel, München 2001“: „Der Traum ihres Lebens war jede Form von Teilhabe an der Erstehung von Kunst – auch sie selbst würde dadurch vielleicht zu einem Kunstwerk erhöht werden.“8)
Als Richard und Ida Dehmel 1913 in das von dem Architekten Walther Baedeker (siehe: Baedekerbogen) konzipierte und erbaute Haus in der heutigen Richard-Dehmel-Straße 1 – damals Westerstraße – einzogen, machte Ida Dehmel das Haus zum kulturellen Mittelpunkt. Sie organisierte Feste und Veranstaltungen und unterstützte junge Talente.

Für das Haus hatte Richard Dehmel, der auch Kleider für seine Frau Ida entwarf, Mobiliar entworfen. „Die schwarz gebeizten Eichenschränke der beiden Arbeitszimmer enthielten Dehmels Korrespondenz. Mit vielen Schriftstellern und Künstlern stand er in Briefkontakt, besonders junge Dichter konnten sich mit Fragen an ihn wenden. In der Blankeneser Zeit schrieb Dehmel selbst kaum nichts anderes als Briefe.“ 9)

Ida Dehmels besondere Interesse und Engagement galt den Künstlerinnen und den Frauenklubs. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen ein und entwickelte ein Programm für Künstlerinnen, um ihnen größere gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen.

Als der Erste Weltkrieg begann, meldete sich Dehmel 1914 freiwillig zum Militäreinsatz und war bis 1916 als Soldat eingesetzt. „Kurz vor Kriegsende 1918 forderte er die Deutschen in einem Aufruf noch zum Durchhalten auf.“ 10) Dazu schreibt Dirk Brietzke: „Zweifelhafte öffentliche Aufmerksamkeit erregte der Schriftsteller, als er sich 1914 im fortgeschrittenen Alter von 51 Jahren als Kriegsfreiwilliger meldete und martialische Verse folgen ließ.“ 11)

1915 gründete Ida Dehmel den Bund Niederdeutscher Künstlerinnen, der auch Kunstgewerblerinnen miteinschloss. Im Gründungsjahr fand die erste große Verkaufsausstellung in der Galerie Commeter mit 500 Bildern statt.

In den Kriegsjahren war die Freundschaft zwischen Paula und Richard Dehmel „herzlicher“ geworden. „Die Freundschaft schloss – seit der im April 1899 erfolgten Trennung – erstmals wieder Richard Dehmels zweite Frau Ida ein, die nun auch von Paula stets Frau Isi genannt wurde. Überdies erbat Paula von Richard Dehmel Rat zu anstehenden Honorarverträgen. Auch seine Änderungsvorschläge zu ihrem Singine-Manuskript nahm sie dankbar auf.“ 12)
Für Ida Dehmel brachte der Erste Weltkrieg viel Leid. Ihr Sohn Heinz-Lux wurde als Soldat getötet. Begraben wurde er im Garten des Dehmelhauses.
Paula Dehmel starb 1918 im Alter von 55 Jahren. „Richard Dehmel gab nach ihrem Tod die Gedichtsammlung Das liebe Nest (1919) und auch Singinens Geschichten (1921) als eigenständige Werke Paula Dehmels heraus.“ 13)

Richard Dehmel starb zwei Jahre später. Er hatte sich im Krieg eine Venenentzündung zugezogen in deren Folge 1919 eine Thrombose entstand, die am 8.2.1920 zu Richard Dehmels Tod führte.

Ida Dehmel geriet nun in finanzielle Schwierigkeiten. Durch Gründung verschiedener Stiftungen wie der Dehmelstiftung und der Dehmelgesellschaft sowie durch den Ausbau ihres schon gegen Kriegsende errichteten kunstgewerblichen Kleinbetriebes, in dem Perlarbeiten hergestellt wurden, versuchte sie ihre desolate finanzielle Situation zu verbessern.

1926 gründete sie im Hamburger Hof am Jungfernstieg die GEDOK und wurde deren Vorsitzende. Eine dort angebrachte Tafel erinnert daran: „Im Hamburger Hof gründete im Jahr 1926 Ida Dehmel eine Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, die GEDOK, der in Deutschland mehrere tausend Mitglieder angehörten. Ida Dehmel, geboren am 14. Januar 1870, Förderin Stefan Georges und Frau des Dichters Richard Dehmel, setzte sich u. a. für die Rechte der Frauen ein. Von den Nationalsozialisten als Jüdin bedroht, nahm sie sich am 29. September 1942 das Leben.“

Im Hamburger Hof befanden sich das Stadtsekretariat der GEDOK und ein Ausstellungsraum, in dem Kunst und Kunstgewerbeausstellungen, Lesungen und Vorträge stattfanden. Die GEDOK rekrutierte sich aus dem von Ida Dehmel 1915 gegründeten Bund Niederdeutscher Künstlerinnen.

1933 wurde die GEDOK aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie 400 Mitglieder und einen bedeutenden Platz in Hamburgs Kulturszene. Künstlerinnen wie die Malerinnen Anita Rée,(siehe: Anita-Rée-Straße) Gretchen Wohlwill (siehe: Gretchen-Wohlwill-Platz), Alexandra Povorina, Elfriede Lohse-Wächtler (siehe: Elfriede-Lohse-Wächtler-Weg), die Kunsthistorikerin Rosa Schapire (siehe: Rosa-Schapire-Weg), die Sängerin Sabine Kalter oder die Schriftstellerin Hertha Borchert waren GEDOK-Mitglieder. Doch am 20. April 1933 war alles vorbei. Zehn SA-Männer „stürmten (..) in die monatliche Vorstandssitzung, bedrohten Ida Dehmel und forderten sie ultimativ auf, ihre Ämter niederzulegen, weil sie Jüdin war. Darauf wurden die zehn anwesenden Frauen mit Gummiknüppeln die Treppe hinuntergejagt. Sie flüchteten in Taxis. Drei Wochen später teilten Ida Dehmel und Schatzmeisterin Anna Maria Darboven dem Vereinsregister ihren Rücktritt von der Spitze der Reichs-GEDOK mit“ 14), berichtet die Kunsthistorikerin Maike Bruhns. Über die Auflösung schrieb damals eine Hamburger Tageszeitung: „Die GEDOK in Hamburg hat sich aufgelöst. (...) Vor der nationalen Umwälzung stand die ‚GEDOK‘ in Hamburg unter nicht arischer Leitung, und dieser Einfluß machte sich auf jede Weise und jedem Gebiet bemerkbar. Nach erfolgter Gleichschaltung übernahm Gertrud Kappesser die Führung und versuchte in Gemeinschaft mit wenigen Nationalsozialistinnen auch innerlich die ‚GEDOK‘ umzustellen. Aber die spitzfindig-ästhetisierenden Ideen, das mehr gesellschaftliche Wollen der ‚GEDOK‘ Hamburg konnten trotz größter Aufopferung und Mühe der Leiterin nicht zu der wahren Gemeinschaft hingeführt werden, die not tut. Aus dieser Erkenntnis heraus und im Einverständnis mit der Reichsführerin der ‚GEDOK‘, Frau Elsa Brinkmann, München, sowie nach eingehenden Verhandlungen mit der NS-Frauenschaft, Gau Hamburg, und der Frauenwirtschaftskammer löste sich die Ortsgruppe Hamburg der ‚GEDOK‘ auf.“ Im Organ der Reichs-GEDOK war „die Hamburger Ortsgruppe nach 1933 nicht mehr aufgeführt. Erst 1948 fand eine Neugründung durch Ida Dehmels Nichte, Marianne Gärtner, statt“. 15)

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte sich Ida Dehmel nicht entschließen können zu emigrieren. 1938 schrieb sie in einem Brief: „(...) ich würde nie auswandern (...) im Moment, in dem ich das Dehmelhaus verlassen muß, mache ich Schluß“. 16)

Trotz der Unterstützung durch Freunde lebte Ida Dehmel isoliert in ihrem Haus. Sie durfte die Rechte am Werk ihres Mannes nicht mehr wahrnehmen und musste hierfür einen nichtjüdischen Verwalter einsetzen. Ihre Verzweiflung wuchs. 1941 schrieb sie in einem Brief an ihre Freundin Marie Stern in Blankenese: „Du hast mir einen schönen Brief geschrieben, nicht ahnend, daß ich inzwischen nicht nur dem Tod, sondern auch der Hölle nahe war. Seit Mittwoch war nicht nur mein Leben, sondern das von Tausenden eine bodenlose Qual. Seit einer Stunde erst scheine ich gerettet zu sein. Als Einzelne. Mittwoch erhielten 2.000 Hamburger Juden (es können auch nur 1.500 gewesen sein) den Evakuierungsbefehl. Diese vorläufig. Man weiß, daß alle drankommen sollen. Grausamste Bedingungen. Mitgenommen muß werden: Läusesalbe, Insektenpulver, Staubkamm. Nach Litzmannstadt. Hier u. da eine ganze Familie, aber auch Vater und Mutter, oder Tochter oder Sohn herausgegriffen. Die Haushilfe meiner j(üdischen) Mieter ist auch dabei, daher habe ich alles aus nächster Nähe miterlebt (...).“ 17)

Weil die Nationalsozialisten Richard Dehmel verehrten, wurde Ida Dehmel nicht deportiert. Doch das Schicksal ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger belastete zutiefst ihre Seele. Als sie auch noch erfahren musste, dass sie unheilbar krank und künftig auf Hilfe angewiesen sein würde, nahm sie sich am 29.9.1942 mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. Ihre Urne und die ihres Mannes stehen vereint in einer Doppel-Schmuckurne im Regal des Arbeitszimmers im Dehmelhaus.
Vor dem Haus liegt für Ida Dehmel ein Stolperstein.