Rappoltweg
Bergedorf/Lohbrügge (1965): Franz Rappolt (3.7.1870 Hamburg - 25.11.1943 KZ Theresienstadt), Kaufmann, Opfer des Nationalsozialismus.
Stolperstein: Leinpfad 58 für das Ehepaar Rappolt und ihren Sohn Fritz. Zusätzlich erinnert vor dem ehemaligen Firmensitz in der Mönckebergstraße 11 ein Stolperstein an Franz Rappolt. An Dr. Ernst M. Rappolt (Rissener Landstraße 24) und Otto Rappolt (Grottenstraße 25) erinnern Stolpersteine in Hamburg-Altona.
Der jüdische Kaufmann Isaac Rappolt (1807-1873) wohnte zeitlebens in einem kleinen Ort in der Nähe des hessischen Friedberg. Hier wurden auch seine Söhne Jofey (Joseph) und Luj (Louis) geboren. Ende 1861 verließ sein nunmehr 26-jähriger Sohn, der Kaufmann Joseph Rappolt, mit einem Kapital von 5.000 Gulden Friedberg und zog nach Hamburg.
Im Jahr darauf erwarb er das Hamburger Bürgerrecht und gründete zusammen mit Julius Oppenheim die Firma Oppenheim & Rappolt. Das Unternehmen produzierte gummierte Mäntel und Herrenbekleidung in der Hansestadt. Wiederum ein Jahr später heiratete er die gebürtige Breslauerin Louise Hertz (1839-1911). Aus dieser Ehe stammte als vierter von fünf Söhnen der 1870 geborene Franz Rappolt. Wie sein sechs Jahre älterer Bruder Arthur Rappolt (1864-1918) dürfte auch Franz Rappolt von einem Privatlehrer unterrichtet worden sein, ehe er das Gymnasium besuchte und später seinen Einjährig-Freiwilligen Militärdienst ableistete. Ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt ist wahrscheinlich. Nach einer kaufmännischen Lehre trat er in die Firma Oppenheim & Rappolt ein, in der sein Bruder Arthur Rappolt bereits seit 1885 (u. a. 1890 als Prokurist) tätig war. Eine Atelieraufnahme aus der Zeit um 1877 zeigt Joseph Rappolt mit Kaiser-Wilhelm-Backenbart, umringt von seinen fünf Söhnen. Mit Bürger- und Kaufmannsstolz scheint er den Beginn eines erfolgreichen Familienunternehmens ins Bild setzen zu wollen – Ehefrau und Tochter tauchen in dieser Inszenierung nicht auf. Später wurde auch eine Büste von ihm im 3. Stock des Firmensitzes aufgestellt.
Als der Mitinhaber Julius Oppenheim Ende 1896 aus dem Unternehmen ausschied, rückten die älteren Söhne Paul und Arthur Rappolt in die Geschäftsleitung der Firma auf, die ab Januar 1897 den Namen Rappolt & Söhne führte. In dieser Zeit leitete Franz Rappolt (noch bis 1903) die Berliner Filiale von Rappolt & Söhne in der dortigen Kurstraße 38. Er lebte in der Charlottenstraße 22 in Berlin-Mitte und anschließend in der Keithstraße 3, Berlin-Tiergarten. 1899 heiratete er Charlotte Ehrlich (14.1.1878, gest. am 6.3.1941 durch Suizid in ihrem Geburtsort Breslau). Aus Breslau kam auch Franz Rappolts Mutter.
Charlotte Ehrlich stammte aus einer Kaufmannsfamilie (Eltern: Eugen Ehrlich und Wanda, geb. Cohn). Der Vater war Mitinhaber der 1846 gegründeten Fabrik und Exportfirma für Metall-, Eisen- und Stahlwaren Herz & Ehrlich (Breslau). Das erste Kind von Franz und Charlotte Rappolt, der Sohn Fritz (geb. 22.8.1900), wurde noch in Berlin geboren. Im Herbst 1903 wechselte Franz Rappolt an den Hamburger Hauptsitz der Firma, während sein jüngerer Bruder Otto nun die Leitung der Berliner Filiale von Rappolt & Söhne übernahm.
In Hamburg bezogen Franz und Charlotte Rappolt für vier Jahre eine Wohnung in der Johnsallee 69 (Rotherbaum). Hier wurden die Söhne Heinz (geb. 1.11.1903) und Ernst (geb. 25.10.1905) geboren. Die drei Söhne wurden gemeinsam am 12. Juli 1906 in der Hauptkirche St. Katharinen getauft. Die Familie Rappolt gehörte nun der evangelisch-lutherischen Kirche an. Nur zwei Tage vor der Taufe hatte der Vater von Franz Rappolt, Joseph Rappolt, eine große Grabstelle auf dem evangelischen Ohlsdorfer Friedhof erworben, auf der 1907 ein repräsentatives Grabmal für ihn und weitere dreizehn Familienmitglieder errichtet wurde.
1908 zog die nunmehr fünfköpfige Familie von Franz Rappolt in eine Parterrewohnung in der nahe gelegenen Rothenbaumchaussee 34, wo sie bis 1915 lebte. Waren dies schon „gute" Hamburger Adressen, so konnte die Familie sich noch verbessern: 1914 hatte Franz Rappolt das Grundstück am Leinpfad 58 von Th. Ritter, Mitinhaber der Woermann-Linie, erworben, der es erst im März 1913 von der „Alster Dampfschiffahrt-Gesellschaft m.b.H." gekauft hatte, um dort einen Bootshafen zu errichten.
Franz Rappolt beauftragte nun den Hamburger Architekten Carl Gustav Bensel [siehe: Benselweg] mit dem Bau einer repräsentativen Stadtvilla, die 1914/15 entstand. Die Hamburger Feuerkasse schätzte den Wert des Gebäudes im September 1915 auf 137.000 Mark. Das 14-Zimmer-Haus hatte fünf Schlafzimmer und war mit Kunstgegenständen geschmackvoll eingerichtet (u. a. Teppiche, Ölgemälde, Barockschrank, samtenes Ecksofa, Biedermeier-Schreibtisch). Im Esszimmer stand ein großer ausziehbarer Tisch mit zwölf lederbezogenen Stühlen. Für Hausmusik gab es einen Steinway-Flügel, und Charlotte Rappolt besaß eine historisch wertvolle Geige. Auch die Söhne verstanden es, mit Geige, Cello oder Klavier zu musizieren. Für Kammermusik wurden Freunde wie Carl Rocamora eingeladen, der mit Charlotte Rappolt vierhändig Klavier spielte. Im Arbeitszimmer des Hausherrn hing ein Bild von Goethe an der Wand. Von seinen Reisen (u. a. 1929 für drei Monate in den USA) brachte der Hausherr häufig Andenken mit, die nicht immer dem Kunstgeschmack seiner Ehefrau entsprachen – in solchen Fällen wurden sie in einem separaten Schrank verwahrt. Zwei Hausmädchen und eine Köchin besorgten den Haushalt, ein Fahrer, der schon Kutscher beim Vater Joseph Rappolt gewesen war, chauffierte Franz Rappolt im Mercedes zum Firmensitz in die Mönckebergstraße. Der jüngste Sohn Ernst besuchte von 1914 bis 1923 die nahegelegene „Gelehrtenschule des Johanneums" in Winterhude, wo er im September 1923 das Abitur ablegte.
Die älteren Rappolts kehrten in den 1920er-Jahren zur Jüdischen Gemeinde zurück: Franz Rappolt wurde ab 1925 als Mitglied der Deutsch Israelitischen Gemeinde Hamburgs geführt, sein Bruder Otto trat zwei Jahre später in die Gemeinde ein, 1929 folgte auch der Bruder Paul.
Die Firma Oppenheim & Rappolt hatte 1891 Kontor- und Fabrikationsräume im neu erbauten Geschäftshaus in der Admiralitätstraße 71/72 („Admiralitätshof") bezogen. Doch für das expandierende Unternehmen wurden diese bald zu eng. 1911 schrieb die Firma Rappolt & Söhne den Bau eines repräsentativen Firmensitzes in der neu gestalteten Hamburger Innenstadt aus, und im Juli 1912 konnte sie in das nach Plänen des Architekten Fritz Höger [siehe zu ihm unter: Recha-Lübke-Damm] erbaute Backstein-Kontorhaus Mönckebergstraße 11 („Rappolt-Haus") umziehen. Dort nahmen die Firmenräume noch 1939 den 4. bis 6. Stock ein (rund 3.500 qm). Die Firma stellte hochwertige Herrenmäntel im englischen Stil und Gummimäntel her und betrieb einen Großhandel mit Herren-Modeartikeln. Stoffe wurden u. a. in England bei Hirschland & Co. (London) eingekauft. Franz Rappolt rückte bald zum Mitinhaber der Firma auf und übernahm den Bereich Finanzen. Enge Finanzkontakte bestanden zum Bankhaus M. M. Warburg & Co. (Hamburg) [siehe: Warburgstraße] sowie zur Privatbank Simon Hirschland (Essen und Hamburg).
Das hanseatisch-gediegen gestaltete Büro von Franz Rappolt befand sich in einer der oberen Etagen des neuen Firmensitzes, darüber lagen nur noch die Fabrikationsräume mit den Zuschneidetischen. Die Angestellten der Firma sprachen ihn mit „Herr Franz" an. Zeitgenossen beschrieben ihn als große und stattliche Unternehmerpersönlichkeit. Einer politischen Organisation gehörte er nie an. Sein wirtschaftlicher Erfolg und sein Auftreten fanden Anerkennung in der Stadt, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kam, dass er ab Ende 1926 dem Plenum der Handelskammer Hamburg angehörte und hier in die „Zulassungsstelle für Wertpapiere zum Börsenhandel" berufen wurde. Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme konnte der über 60-jährige Franz Rappolt stolz auf eine große Familie, eine florierende Firma, auf persönlichen Wohlstand und Ansehen blicken.
Mit dem nationalsozialistischen Machtantritt 1933 zerbrach sein Lebenswerk Stück für Stück: Im Juni 1933 schloss die Handelskammer Hamburg ihr Plenumsmitglied Franz Rappolt aus. Nicht von ungefähr war es der nun auf den Posten eines Stellvertretenden Vorsitzenden abgeschobene Präses Carl Ludwig Nottebohm, der Franz Rappolt schriftlich sein Bedauern über dessen Ausscheiden aussprach. Das Schreiben dürfte in dieser oder ähnlicher Form auch den übrigen 16 „nicht arischen" Plenumsmitgliedern zugegangen sein, die zwangsweise aus diesem Gremium ausscheiden mussten. Die Firma selbst geriet von verschiedenen Seiten her unter Druck. Die antisemitische Propaganda in Deutschland und Boykottaufrufe des Auslands gegen deutsche Firmen führten auch bei der Firma Rappolt & Söhne zu Umsatzrückgängen.
Franz Rappolts Neffen Hans (geb. 1899) und Walter Rappolt (geb. 1898), beides Söhne von Arthur Rappolt und Mitinhaber der Firma, emigrierten 1935 und 1936 nach Großbritannien. Rappolt & Söhne besaßen dort eine Beteiligung an der Firma Rasco Ltd. (Nottingham), die auf die Gummierung von Mänteln spezialisiert war. Auch die beiden jüngsten Söhne von Franz Rappolt verließen Deutschland: Dr. jur. Ernst Rappolt, Jurist und Syndikus bei Rappolt & Söhne, dem am 26. April 1933 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen worden war, reiste im Mai 1938 in die USA aus. Der zweite Sohn, der Kaufmann Heinz Rappolt, der sich bis 1930 im Auftrag von Rappolt & Söhne für längere Zeit in Südamerika aufgehalten hatte, emigrierte im Oktober 1938 nach England. Ermöglicht wurde die Einreiserlaubnis nach Großbritannien (Permit) durch das schriftliche Engagement eines englischen Firmenbesitzers, bei dem er als Reisevertreter für Hüte arbeiten sollte.
Im Rahmen einer angeordneten Buchprüfung durch die Devisenstelle äußerte sich Franz Rappolt im Mai 1938 gegenüber dem Prüfer Behrens zu seiner Zukunft in NS-Deutschland, was der Prüfer beflissen in der Akte vermerkte: „Er selber – Franz Rappolt – sei 68 Jahre alt und wolle seinen Lebensabend in Deutschland beschließen. Wenn auch im Moment keine bestimmten Auswanderungsabsichten bestünden, so seien jedoch die jüngeren Mitglieder der Familie Rappolt alle gewillt, Deutschland über kurz oder lang zu verlassen, sobald sich eben im Auslande Existenzmöglichkeiten für sie böten."
Der älteste Sohn Fritz Rappolt war aufgrund seiner psychischen Verfassung nicht in der Lage, Deutschland zu verlassen. Im Januar 1939 emigrierte ein weiterer Gesellschafter der Firma nach Großbritannien, Erich Rappolt (geb. 1902), der Sohn von Paul Rappolt.
Der Seniorchef Franz Rappolt (geb. 1870) und der am 31. Dezember 1936 aus der Firma ausgeschiedene Paul Rappolt (geb. 1863) blieben – wie viele Juden der älteren Generation – in Hamburg. 1938 zwang der NS-Staat sie zum Verkauf ihrer Firma (zu Details des Verkaufs siehe Aufsatz „Franz Rappolt – vom vermögenden Juden zum Bettler").
Auch von den anderen Maßnahmen gegen Juden blieben sie nicht verschont: Ab 1. Januar 1939 musste Franz Rappolt den Zwangsvornamen „Israel" tragen und bei jeder Unterschrift verwenden. Ab 19. Juli 1940 durfte Franz Rappolt – ebenso wie andere Juden – keinen Telefonanschluss mehr besitzen. Die Kontakte zu Freunden, die ihn zum Skat, Bridge, Schach oder „Kaffeersatzklatsch" besuchten, wurden dadurch schwieriger. Bereits seit September 1939 existierte ein Ausgehverbot ab 20 Uhr für Juden. Nachdem ihm auch der Besuch von Konzerten und Opernaufführungen untersagt war, spielte das Grammophon im Hause Rappolt eine immer größere Rolle, wie er in einem Brief bemerkte. Der Freundeskreis blieb größtenteils intakt, allerdings waren nur noch Treffen in den Privatwohnungen möglich. Ab September 1941 war auch Franz Rappolt verpflichtet, deutlich sichtbar einen „Judenstern" zu tragen. Eine Freundin der Familie berichtete fünf Jahre später in einem Brief davon: „Ich erinnere mich noch des Tages, als er zuerst den gelben Judenstern tragen musste, (ich) zitterte innerlich, wie er diese neue Herausforderung tragen würde. Während andere sich tage- oder wochenlang nicht auf der Straße sehen lassen mochten, fuhr er gleich am ersten Morgen mit der Elektrischen in die Stadt, machte hocherhobenen Hauptes seine Besorgungen und lachte nur über meine Ängste. ‚Ich brauche mich doch nicht zu schämen, die Anderen müssen sich schämen!’" Aber die Kontakte auf der Straße kamen durch den „Judenstern" fast ganz zum Erliegen. Wenn Franz Rappolt in der Stadt nun seinen ehemaligen Lehrling traf und ein paar Worte mit ihm wechselte, so klemmte er sich seine Aktentasche vor die Brust, damit der „Stern" nicht zu sehen war. Denn selbst das harmloseste Gespräch war für beide Seiten gefährlich: Juden durften den „Stern" nicht verbergen, „Arier" sich nicht als „Judenfreunde" zeigen. Eine langjährige Angestellte erinnert sich, dass sich Franz Rappolt auf dem Jungfernstieg für ihren Gruß mit den Worten bedankte: „Sie haben Mut, mein liebes Kind – Gott schütze Sie."
Franz Rappolt zögerte lange, einen Ausreiseantrag zu stellen, war er doch als optimistische und geduldige Persönlichkeit derjenige, der sich um die zurückgebliebenen Familienmitglieder kümmerte. Seine Ehefrau, sein Sohn Fritz sowie die Brüder Paul, Ernst und Otto waren psychisch oder körperlich auf Hilfe angewiesen. Nach einem gescheiterten Ausreiseantrag nach England bemühte sich der Sohn Ernst Rappolt 1940 von den USA aus, für seinen Vater die Ausreise nach Nordamerika zu erwirken. Aufgrund von Länderquoten für Einwanderer, umfangreichen bürokratischen und finanziellen Vorgaben sowie mehrfach verschobenen Schiffspassagen wurde eine Emigration in die USA immer unwahrscheinlicher.
Ab August 1941 tauchte im Briefwechsel von Vater und Sohn immer häufiger Kuba als alternatives Auswanderungsland auf. Über Kuba, wo nach seinen Informationen noch Visa innerhalb von vier bis sechs Wochen erhältlich sein sollten, wollte Franz Rappolt dann ein Jahr später zu seinem Sohn in die USA weiterreisen. Franz Rappolt erwähnte in einem Brief 2.800 Dollar als nachzuweisende Summe für ein Jahr Aufenthalt in Kuba, was dem eigentlich wohlhabenden Mann in seiner finanziellen Notsituation aber nicht möglich war. Ende August 1941 erhielt Franz Rappolt die Nachricht, dass das kubanische Konsulat zum 5. September 1941 schließen würde. Eine kubanische Visumserteilung war nunmehr frühestens für Januar 1942 zu erwarten.
Eine neue Hoffnung schien ab Ende August 1941 die Auswanderung nach Uruguay zu sein, wo geringere finanzielle Garantien verlangt wurden, die Antragsteller aber vier bis fünf Monate auf ein Visum warten mussten. Einstweilen versuchten Ernst Rappolt von den USA und Franz Rappolt von Hamburg aus, parallel sowohl für Kuba als auch für Uruguay Visa zu erlangen, da bei beiden Ländern eine Visa-Erteilung ungewiss blieb. Die Hausbank M. M. Warburg bestätigte am 26. August 1941, für Franz Rappolt rund 150.000 RM „zum Sperrmarkkurs über die Deutsche Golddiskontbank, Berlin, zu transferieren. Der Devisenerlös wird zur Erlangung des uruguayischen Einreisevisums und für Anwaltskosten im Zusammenhang mit der Beschaffung des Visums benötigt (…)."
Trotz der lähmenden Ungewissheit und der zermürbenden Warterei bemühte sich Franz Rappolt um Zuversicht. Über den nunmehr als „Konsulenten" tätigen Rechtsanwalt Dr. jur. Morris Samson (1878-1959) regelte Franz Rappolt ab 10. September 1941 die umfangreichen Ausreiseformalitäten mit der Hamburger Devisenstelle. Fritz Scharlach von Firma Scharlach & Co. kümmerte sich um die „Hand-, Reisegepäck- und Frachtgutliste" von Franz Rappolt und beantragte eine offizielle Packgenehmigung. Nach Prüfung durch den Gerichtsvollzieher Fuhrmann von der Hamburger Devisenstelle F 4 wurde die Genehmigung zum Packen und zur Ausfuhr nach Uruguay am 31. Oktober 1941 erteilt. Im November 1941 erwartete er täglich, dass die kubanische Gesandtschaft in Berlin ihm das beantragte Visum zustellen würde. In den USA bemühte sich der Sohn, in Deutschland telefonierte Franz Rappolt jeden Tag mit dem Vertreter von Fritz Scharlach in Berlin. Der letzte Brief von Ernst Rappolt aus den USA von Ende November 1941 macht einen Teil der mannigfaltigen Probleme deutlich, die mittlerweile einer Auswanderung von Franz Rappolt entgegenstanden: „Ich habe inzwischen alle Hebel in Bewegung gesetzt und nur soviel feststellen koennen, dass die telegrafische Ueberweisung von hier nach Cuba 10 Tage gedauert hat (warum, weiss kein Mensch) und dass die kubanischen Behoerden ueberlastet sind. Trotz verschiedener Telegramme und Telefongespraeche haben wir nichts zur Beschleunigung tun koennen. (…) Ich bin ganz verzweifelt ueber diese Verzoegerung, wo schon alles so weit zu sein schien. Um so mehr bewundere ich Deine Ruhe und Zuversicht (…)." Kurz darauf erklärte NS-Deutschland den USA den Krieg (11.12.1941) und unterband in den darauffolgenden Wochen den Telegramm-, Fernsprech- und Postverkehr mit den USA, Kuba und anderen mittelamerikanischen Staaten. Auch die Versuche, über das Internationale Rote Kreuz den Kontakt aufzunehmen, blieben erfolglos. Die Möglichkeit zur Flucht aus Deutschland war endgültig versperrt. Am 8. November 1941 hatte Franz Rappolts ältester Sohn Fritz den Zug ins Getto Minsk besteigen müssen.
Franz Rappolt konnte den rasanten sozialen Abstieg, gekoppelt mit zunehmender Isolierung, nur schwer verkraften. Am 4. Dezember 1940 verstarb sein Bruder Paul. Nur wenige Monate später, am 6. März 1941, nahm sich seine Ehefrau Charlotte, die bereits seit einigen Jahren psychisch labil war und dem wachsenden antisemitischen Druck nicht standhalten konnte, das Leben. Sie wurde bewusstlos mit einer Veronal-Tablettenvergiftung aufgefunden und vom herbeigerufenen Arzt Dr. Berthold Hannes ins Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee 68 eingeliefert, wo sie verstarb. Am 25. Oktober 1941 nahm sich der jüngere Bruder Otto Rappolt (Grottenstraße 25, Groß Flottbek) das Leben – an diesem Tag begann die Deportation der Hamburger Juden, und der erste große Transport mit 1.034 Personen verließ Hamburg. Franz’ promovierter Bruder Ernst M. Rappolt, ein praktischer Arzt (geb. 12.5.1868) nahm sich am 9. April 1942 mit injizierten Schlafmitteln das Leben, als er in ein „Judenhaus" umziehen sollte. Er wurde bewusstlos aufgefunden und mit einem Krankenwagen in das Israelitische Krankenhaus (Johnsallee 68) gebracht, wo er verstarb. Franz Rappolt wurde nach Gründen für den Suizid befragt und erläuterte, sein Bruder habe die Aufforderung, in ein Altersheim zu ziehen, als „überaus schmerzlich" empfunden. Dieser Befehl betraf auch ihn selbst: „Die gleiche Aufforderung habe auch ich von der Staatspolizei Hamburg erhalten. Uns wurde freigestellt, gemeinsam ein Zimmer in dem Altersheim Hamburg Benekestr. 6 zu beziehen. (…) Am Sonntag dem 5.4.42 sind wir hier zuletzt zusammengewesen und haben auch über die Einzelheiten des Umzuges gesprochen."
Ernst M. Rappolt hatte seinen Bruder Franz als Erben eingesetzt. Juden über 65 Jahre wurden – wie Franz Rappolt, der inzwischen 71 Jahre alt war – von den Deportationen zurückgestellt, bis das Getto Theresienstadt sie ab Sommer 1942 aufnehmen konnte. Zur Vorbereitung auf die anstehende Deportation wurde Franz Rappolt am 15. April 1942 in das Altersheim umquartiert. Seine Möbel aus der Haynstraße 10, wo er zuletzt nur noch ein Zimmer als Untermieter bewohnte, sowie Kleidungsstücke (u. a. ein Golfanzug und ein Pelzmantel) und Ölbilder der Familienangehörigen waren bereits am 21. November 1941 für die Ausreise nach Südamerika verpackt und eingelagert worden, darunter wohl auch der Steinway-Flügel. Was aus dem „Umzugsgut", das üblicherweise im Freihafen in „Liftvans" lagerte, wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht verbrannte es nach einem Luftangriff. Eine Versteigerung des Hausrates konnte in den entsprechenden Gestapo-Listen nicht festgestellt werden.
Am 15. Juli 1942 wurde Franz Rappolt, zusammen mit seiner Schwägerin Johanna Rappolt, geb. Oppenheim, mit „Transport VI/1" nach Theresienstadt deportiert. Dort verstarb er am 25. November 1943.
(…) Vermutlich in den 1980er-Jahren wurde am erneuerten Gitterportal des Rappolt-Hauses in der Mönckebergstraße 11 ein Schriftzug „Rappolt-Haus 1" in historisierender Frakturschrift angebracht.
Text: Björn Eggert, Text entnommen www.stolpersteine-hamburg.de