Roseggerstraße
Wilstorf (1947): Peter Rosegger (31.7.1843 Alpl /Steiermark – 26.6.1918 Krieglach), Volksschriftsteller.
Siehe auch: Roseggerweg
1889 wurde die Straße in Buschstraße benannt, Peter Christoph Dietrich Busch (22.5.1823 Wilstorf – 28.8.1906 Harburg), Grundbesitzer und Kleinköthner. Im Oktober 1927 erfolgte die Umbenennung in Fritz-Reuter-Straße, einen Monat später, im November 1927 wieder eine Umbenennung, diesmal in Paul-Bäumer-Straße. Paul Bäumer (11.5.1896 Duisburg – Flugzeugabsturz am 15.7.1927 bei Kopenhagen), Kunstflieger und Flugzeugkonstrukteur, 1927 durch Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Motivgruppe: Namen aus dem Ersten Weltkrieg: Luft. Siehe Paul-Bäumer-Brücke.
Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Roseggerstraße (Motivgruppe: Großdeutschland Länder, Orte, Flüsse und Berge in Österreich, Helden und Opfer der Bewegung und des volksdeutschen Gedankens in Österreich; Sudeten- und Karpatendeutschtum, Industrielle und Industrie. Sächsische Herrschergeschlechter. Harburger Persönlichkeiten, Flurnamen) umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1947 bei Paul-Bäumer-Straße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Peter Rosegger, ältester von sieben Kindern der Maria Rosegger (1818 - 16.1.1872) und des Waldbauern Lorenz Rosegger (1814–96), war körperlich schwächlich. Seine Mutter förderte seine Schulbildung durch einen pensionierten Schullehrer, der den Jungen unterrichtete. Es war auch die Mutter, die großes Verständnis dafür hatte, dass ihr Sohn wegen seiner körperlichen Schwäche nicht Bauer werden konnte. Schon in jungen Jahren entwickelte sich bei ihm einen Leidenschaft für Bücher und Zeitschriften, und er begann selbst zu schreiben.
1872, im selben Jahr als seine Mutter starb, lernte er im Sommer in Krieglach Anna Pichler kennen, die Tochter eines Grazer Hutfabrikanten. Sie war extra aus Graz angereist, um das Geburtshaus ihres Lieblingsdichters zu sehen. „Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn bereits wenige Monate später hielt Rosegger um ihre Hand an. Am 13. Mai 1873 fand in der Kirche Mariagrün bei Graz die Hochzeit statt und am 20. Februar 1874 wurde Rosegger erstmals Vater: Sepp Rosegger (…). 1875 fand das kurze gemeinsame Glück ein jähes Ende: Bald nach der Geburt der Tochter Anna [geb. 4.3.1875] starb Roseggers Gattin völlig überraschend am 16. März 1875.“ 1) Sie wurde auf dem Grazer Stadtfriedhof begraben. Auf ihrem Grabstein steht: „Hier ruht Frau Anna Rosegger geb. Pichler.
Sie war geboren zu Hartberg den 16.October 1851, und ist gestorben zu Graz den 16.März 1875.
Das Leben mit Dir war mein irdisches Glück. Das Gedenken an Dich ist mein heiligstes Weh. Dich wiedersehen meine Seligkeit.
Der trauernde Gatte.“
Peter Rosegger reagierte auf den Tod seiner Frau mit Depressionen und tiefer Traurigkeit. Um zu vergessen, stürzte er sich in die Arbeit.
Über seine Tochter Anna, die später viele große Reisen unternahm, schrieb er einige Jahre nach dem Tod seiner Frau: „Naturgemäß ist es der ersehnte Erstgeborene, der den schwersten Stein im Brett hat, weil er Hirn und Herz der Eltern noch unbesetzt fand und sich darin das beste Plätzchen wählen und sichern konnte. Aber siehe, das Letztgeborene, es mag oft noch so unwillkommen gewesen sein, klopft nicht minder süß an das Vaterherz. Und ein Kind, dessen Leben mit dem der Mutter bezahlt werden mußte, wie rührend steht es da in seiner kleinen hilflosen Gestalt, still und bescheiden, eine lebendige Bitte um Verzeihung, daß sein Dasein das Teuerste gekostet hat. Mütter sagen, dasjenige Kind liebten sie am heißesten, für das sie am meisten gelitten hätten; so meinen vielleicht die Väter, jenes Kind sei ihnen am teuersten, welches am meisten gekostet hat.“
„Roseggers älteste Tochter Anna unternahm 1906 eine Schiffsreise nach Spitzbergen. Anna brachte von ihren Reisen immer Andenken und andere Kleinigkeiten für die zu Hause gebliebenen Angehörigen mit. Ihren Bruder Sepp, damals schon Student der Medizin, überraschte sie einmal mit einem vollständigen menschlichen Skelett in einem Sack. Von ihrer Reise nach Spitzbergen stammt ein Souvenir, das heute im Rosegger-Museum in Krieglach zu sehen ist. Anna reiste am 14. Juli 1906 nach Leipzig, um sich dort gemeinsam mit einer Freundin auf der ‚Prinzessin Victoria Luise‘, dem ersten als Kreuzschiff gebauten Passagierdampfer der HAPAG (Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft), einzuschiffen. Rosegger kommentierte die Reiselust seiner Tochter in Heimgärtners Tagebuch wie folgt: ‚Ich bin aus Mitteleuropa nicht hinausgekommen. Straßburg, Amsterdam, Rügen, Breslau, Budapest, Ragusa, Neapel und Mont Cenis stehen an den Grenzen der Welt, die ich gesehen habe. Der alte Bodenständler, der außerhalb seiner steirischen Berge und Wälder nicht drei Wochen lang leben kann – in seinen Kindern wächst er weit in den Raum, wie er durch sie in die Zeit, die Zukunft wächst. So soll ich nun durch die blauen Augen meiner heiteren Tochter das nördliche Eismeer, die Eisbären von Spitzbergen, den Rotschein der Mitternachtssonne schauen!‘ Zwei Wochen später berichtete er: ‚Heute sitzt sie in dem nebeligen Kessel der Adventbai, mitten unter Gletschern, deren blasse Wände von den abenteuerlich geformten Spitzen und Zinnen senkrecht niederfallen in das eisgesulzte Meer. Stellenweise starrt das schwarze Gestein hervor – baumlos und graslos, nur ein wenig bemoost, an den fruchtbarsten Stellen mager bestrüppt. Bewohnerschaft: Seehunde, Eisbären, Polarfüchse und Rentiere. Und Seemöven in den frostigen grauen Lüften. … Morgen wird das Mädel umkehren und so lange fahren und fahren nach dem sonnigen Süden, bis sie angelangt sein wird in dem grünen, lieblichen Garten der Steiermark. Und dann sind wir um dreißig Breitengrade größer geworden.‘ Nach ihrer Rückkehr bat Rosegger seine Tochter, ihre Erlebnisse im Heimgarten zu veröffentlichen. Mit den Leserinnen und Lesern wollte Anna ihre Erfahrungen zwar nicht teilen, hielt diese jedoch für ihren Vater in einem Reisetagebuch fest. (…)“ 2)
Vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau fand Rosegger ein neues Glück in der damals 19-jährigen Anna Knauer (1869–1932). Diese hatte er in Krieglach kennengelernt, wo er sich nach dem Tod seiner ersten Frau ein Haus als Sommersitz bauen ließ und sich mit dem Wiener Bauunternehmer Wenzel Knauer befreundete, dessen Tochter Anna er 1879 heiratete. Das Paar bekam drei Kinder, den späteren Schriftsteller Hans Ludwig Rosegger (1880–1929) sowie die Töchter Margarete (1883–1948) und Martha (1890–1948).
In den 1890er-Jahren gehörte Rosegger dem „Verein der Friedensfreunde“ von Bertha von Suttner an (siehe: Suttnerstraße). Als sie ihr Buch „Die Waffen nieder“ veröffentlichte, schrieb Peter Rosegger dazu: „Dieses Buch ist eine Tat! Es war ein Ereignis in meinem Leben.“ (Brief vom 9. Oktober 1891)
„1913 galt Peter Rosegger als der aussichtsreichste Anwärter auf den Literaturnobelpreis. International wurde aber seine Nähe zur deutschnationalen Agitation nicht sehr geschätzt. Er hatte nämlich deutsche Schulen in den gemischtsprachigen Gebieten von Böhmen und Mähren gefördert. Verärgerte Tschechen vereitelten erfolgreich die Ehrung des 70-jährigen Volksdichters – der immer stärker werdende Nationalismus auf allen Seiten spitzte sich schon Richtung Erster Weltkrieg zu. Der Preis ging an den bengalischen Dichter Rabindranath Tagore.“ 3)
Der Beirat zur Überprüfung Düsseldorfer Straßen- und Platzbenennungen schreibt in seinem Abschlussbericht über die Düsseldorfer Roseggerstraße: „Wie viele seiner literarischen Zeitgenossen ist auch Peter Rosegger von den politisch-ideologischen Strömungen des 20. Jahrhunderts fortwährend instrumentalisiert worden. Während seine konservativ-nationalen Ansichten und Äußerungen insbesondere im Dritten Reich eine völkisch-nationalistische Vereinnahmung ermöglichten, wurden diese nach 1945 allmählich ausgeblendet; nach wie vor existiert das verklärte Bild des einfachen Heimatdichters, der aufgrund seiner antimodernistischen Denkmuster zum ‚Propheten heutiger Zivilisationskritik‘ (Hölzl 2013, S. 24) stilisiert wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit Roseggers Wirkungsgeschichte begann erst in den 1980er Jahren, ist in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings größtenteils zum Erliegen gekommen. Die politische Entwicklung Peter Roseggers vom Liberalen zum Konservativen ist eng mit den Umbrüchen seiner Zeit verbunden und wissenschaftlich gut dokumentiert. Ursprünglich Anhänger der Friedensbewegung und Vertreter eines freiheitlichen Kosmopolitismus, empfand der Schriftsteller den wachsenden Nationalitätenkonflikt innerhalb des habsburgischen Vielvölkerstaats am Ende des 19. Jahrhunderts als Bedrohung und wechselte in das Lager der österreichischen Deutschnationalen, die für den Schutz des deutschen Volkstums eintraten. In dieser Umgebung übernahm der Schriftsteller die teils radikale Weltanschauung der Bewegung und trat öffentlich für diese ein, kritisierte allerdings die rassistische Hetze des führenden Politikers Georg von Schönerer. Mit den gesellschaftspolitischen Umwälzungen der Jahrhundertwende änderte sich auch Peter Roseggers pazifistische Einstellung. 1891 hatte dieser noch vor einem europäischen Konflikt gewarnt: ‚Ich halte die Liebe zum eigenen Volke für eine große Tugend, allein der Nationalismus in seiner heutigen, fast tierischen Gestalt führt zu nichts Gutem. Er führt zu dem furchtbarsten Kriege, den die Welt je gesehen.‘ Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs stimmte der Schriftsteller allerdings in die allgemeine Kriegsbegeisterung ein und warb für die Zeichnung von Kriegsanleihen. Darüber hinaus betätigte er sich publizistisch und glorifizierte in zahlreichen nationalistischen Gedichten und Texten die militärische Gewalt. Zusammen mit dem Dichter Ottokar Kernstock veröffentlichte er 1916 den Gedichtband ‚Steirischer Waffensegen‘: ‚Und nun stand, vom wilden Pochen eines ungeheuren Feindes geweckt, die deutsche Seele plötzlich auf, ging hin wie ein junger Gott und legte ihren Leib jauchzend auf den Opfertisch des Vaterlandes.‘ Die Euphorie des Literaten wich jedoch im Verlauf des Konflikts der Resignation, sodass er sich auf seinen Pazifismus zurückbesann: ‚Das Richtigste, was man sagen kann: daß [sic] dieser Krieg ein Unding ist, auch wenn wir siegen.‘ Als widersprüchlich muss auch Peter Roseggers Verhältnis zum Judentum gelten. Für den Schriftsteller, der als Herausgeber einer Monatszeitschrift auch jüdische Mitarbeiter beschäftigte, repräsentierte der ‚vernünftigen Antisemitismus‘ eine ‚vermeintliche Lösung der Sinnkrise der Gegenwart‘“ (Wagner, S. 260), die er mit der Industrialisierung und dem wachsenden Materialismus verband; seine Ablehnung von Moderne und Fortschritt verknüpfte sich mit dem Stereotyp des kapitalistischen Judentums. Dementsprechend verteidigte er einen Antisemitismus wirtschaftlichen Ursprungs, kritisierte jedoch den Fanatismus der antisemitischen Bewegung und wurde deshalb wiederholt angegriffen: ‚Ihr habt uns Vorwürfe darüber gemacht, daß [sic] wir das Judentum protegieren. Wir wollen zu eurem Troste öffentlich sagen, daß [sic] auch wir Antisemiten sind – nur auf unsere Weise, die den Menschen schont, aber seine Laster verfolgt.‘ Allerdings sind auch deutlich abwertende Äußerungen überliefert: ‚Ich habe wahrlich zu den Juden keine Meinung, ihre durchschnittliche Artung ist gerade der meinen empfindlich scharf entgegengesetzt und ihre nationalen und oder Rassentugenden sind nicht die unseren.‘ Darüber hinaus lehnte der Schriftsteller eine Ehrenmitgliedschaft im ‚Verein zur Abwehr des Antisemitismus‘ ab. Es gilt als unbestritten, dass Peter Rosegger mit seinen politischen Äußerungen und Texten selbst zu seiner Vereinnahmung im Dritten Reich beigetragen hat. Allerdings wurden diese von den Nationalsozialisten bewusst aus dem Kontext gerissen, um eine Verbindung des Schriftstellers zur NS-Ideologie herzustellen. Ferner darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Instrumentalisierung Roseggers maßgeblich durch dessen Sohn Hans Ludwig gefördert wurde; als Anhänger der nationalsozialistischen Weltanschauung stilisierte dieser seinen Vater nach dessen Ableben zum rassistischen Vorbild. Dementsprechend müssen Roseggers Eintreten für ein starkes Deutschtum und seine ambivalente Haltung dem Judentum gegenüber im historischen Kontext seiner Zeit beurteilt werden. 4)
Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „Rosegger teilte antisemitische Ressentiments, teilweise wurde er selber von völkischen Kreisen antisemitisch angegangen. Er positionierte sich gegen brachialen Antisemitismus.“ Sassmannshausen gibt als Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „weitere Recherche, Kontextualisierung.“5)