Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Erwin-Seeler-Park

Rothenburgsort, seit 2018, nach Erwin Seeler (29.4.1910 Hamburg – 10.7.1997 Norderstedt), Rothenburgsorter Fußballspieler, spielte bei Rothenburgsort 96 und danach beim SC Lorbeer 06, einem Arbeitersportverein; 1929 und 1931 wurde er mit dem Verein ATSB-Bundesmeister, mit der ATSB-Bundesauswahl nahm er 1931 an der Arbeiterolympiade teil, erreichte das Viertelfinale und wurde Torschützenkönig; später war er als Spieler des HSV erfolgreich


Siehe auch: Uwe-Seeler-Allee

Erwin Seeler, so heißt es in der Straßennamenvorschlagliste für die Straßen am neuen Huckepackbahnhof: „begann seine Karriere bei Rothenburgsort 96 und spielte danach bei SC Lorbeer 06, einem Arbeitersportverein, für den er mit 16 Jahren erstmals in der ersten Mannschaft kickte (1926). 1929 wurde er mit Lorbeer ATSB-Bundesmeister, ein Erfolg, den die Mannschaft 1931 wiederholte. Der Torjäger trug in dieser Zeit auch wiederholt das Trikot der ATSB-Bundesauswahl; beim Viertelfinalspiel der Arbeiterolympiade 1931 erzielte Seeler sieben Tore zum deutschen 9:0 über Ungarn und wurde sogar Torschützenkönig.

Entsprechend umwarben den Vater von Uwe und Dieter Seeler mehrere im konkurrierenden DFB organisierte bürgerliche Sportvereine; und da man in der Arbeitersportbewegung kein Geld verdienen konnte und nicht einmal individuellen Ruhm ernten durfte ‚gab Seeler den Verlockungen nach‘ (H. Grüne) und wechselte gemeinsam mit Alwin Springer, einem anderen Lorbeer-Spieler, 1932 zu Victoria Hamburg, angeblich für die Bereitstellung einer Wohnung im noblen Eppendorf und die Zusage von (offiziell verbotenen) Geldzahlungen. Dieser Wechsel vom hafennahen Arbeiterstadtteil Rothenburgsort an die Hoheluft wurde im sozialdemokratischen Hamburger Echo mit Schlagzeilen wie ‚Verirrte Proletarier!‘ kommentiert und im Jahr 2000 von Walter Jens (in jungen Jahren Mitglied des Eimsbütteler TV) in seiner kritischen Rede zum 100. Geburtstag des DFB erneut aufgegriffen.“ 1)

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Erwin Seeler Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1933 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband „mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen‘ konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat. soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken. “2) Die DAF war die finanzkräftigste Massenorganisation des NS-Regimes und stützte somit allein schon durch ihre Mitgliedsbeiträge das NS-Unrechtssystem.

„1938 wechselte ‚Old Erwin‘ Seeler dann zum Hamburger SV, mit dem er noch mehrmals Nordmark- bzw. Hamburg-Gaumeister (1939, 1941, 1945) und zweimal Meister der britischen Zone (1947, 1948) wurde und bis 1949 rund 200 Pflichtspiele absolvierte.

Dass er im Jahre 1944 in der aus Kriegsgründen ‚zusammengewürfelten‘ Mannschaft des Luftwaffen-Sportvereins Hamburg gestanden und mit dieser das Endspiel um die deutsche Meisterschaft in Berlin gegen den Dresdner SC (0:4) verloren habe, ist eine Falschinformation. Richtig ist, dass Seeler nach dem Abschied vom HSV noch als Spielertrainer zu seinem früheren Verein Victoria Hamburg zurückkehrte und danach in derselben Funktion auch beim VfL Oldesloe wirkte. Dort lief er am 29. April 1951 – seinem 41. Geburtstag –letztmals selbst in einem Punktspiel auf. Einige Monate später ging er als Trainer zum Heider SV.

Einen nationalen Titel hat er also mit keinem der ‚bürgerlichen‘ Vereine mehr gewonnen. Erwin Seeler wurde beigesetzt im Familiengrab auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg.“ 1)

Seine Ehefrau hatte Erwin Seeler beim Arbeitersport in Hamburg-Rothenburgsort kennengelernt. Anny Seeler (11.1.1913-22.1.1994) und Erwin Seeler bekamen drei Kinder: zwei Söhne, eine Tochter.

Im „ballesterer“ dem „Magazin zur offensiven Erweiterung des Fußballhorizonts“ schreibt Jan Mohnhaupt über den Arbeitersportler Erwin Seeler: „Der 1910 geborene Erwin Seeler hatte (..) das Pech, Held eines Milieus zu sein, das eigentlich keine Helden duldete. Zu Beginn der 1930er Jahre war er einer der prägenden Spieler des deutschen Arbeiterfußballs – klein, stämmig, hart im Nehmen, gnadenlos vor dem Tor. Unter der Woche schuftete er als Vorarbeiter und Schiffer im Hamburger Hafen, am Wochenende stürmte er für den SC Lorbeer 06 im Hafenstadtteil Rothenburgsort. (…).

Heldenkult wurde genauso wenig geduldet wie der Mammon. Den Arbeitersportlern war es verboten, Geld anzunehmen. Selbst die Fahrt zum Meisterschaftsfinale 1931 mussten die Lorbeer-Spieler aus eigener Tasche bezahlen. (…). Die strengen Vorgaben gingen ihm zunehmend auf die Nerven. Nicht nur die finanziellen, sondern auch die ideologischen. Seit Anfang der 1920er Jahre zeichnete sich ein Riss in der Arbeitersportbewegung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten ab. 1928 wurden 33.000 KPD-Mitglieder aus dem ATSB ausgeschlossen, in der Folge bildete sich die Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit – ‚Rotsport‘ genannt.“ 3)
„1981 sagte Erwin Seeler zu den Gründen seines Vereinswechsels: ‚Damals fing das an mit Rotsport und so ’n Mist bei uns im Verein.‘ (Erwin Seeler im Interview mit Werner Skrentny, 1981).“ 4)

Jan Mohnhaupt weiter über Erwin Seeler: „Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Arbeitersport zerschlagen, den Spielern der Sportbetrieb untersagt, der SC Lorbeer wie viele weitere Klubs noch 1933 verboten. Erwin Seeler war davon nicht mehr betroffen. Der Stürmer, der schon seit Längerem von mehreren DFB-Klubs umgarnt wurde, war 1932 zum bürgerlichen SC Victoria Hamburg gewechselt. Das Hamburger Echo unterstellte dem ‚verirrten Proletarier‘ einen ‚Hochmutsfimmel‘ und schrieb: ‚Es muss doch ein peinliches Gefühl sein, im Arbeiterviertel zu wohnen, täglich seinen ehemaligen Genossen begegnen zu müssen und dann verachtet zu werden.‘

Auch im DFB-Fußball waren Gehälter verboten, doch es gab andere Wege der Entlohnung. Bald nach seinem Wechsel zog Seeler mit seiner Frau und den beiden Kindern Dieter und Gertrud nach Eppendorf in den Schnelsener Weg, Ecke Frickestraße, damals eine Schnittstelle zweier Welten. Im Süden des Stadtteils wohnten Ärzte und Juristen, im Norden Industriearbeiter. Es passte zum Aufsteiger Seeler, der die Wohnung vom SC Victoria bekommen haben soll. 1936 wurde hier Sohn Uwe geboren.

Zwei Jahre später wechselte Seeler zum Hamburger Sport-Verein, was der SC Victoria nicht unkommentiert ließ: ‚Ihm, dem wirtschaftlich Schwachen, der dem ehrbaren Beruf eines Ewerführers nachgeht‘, hieß es in den Vereinsnachrichten, ‚sind die Lebensbedingungen in jeder Weise erleichtert worden‘. Trotz des gesellschaftlichen Aufstiegs blieb Seeler seinem Beruf im Hafen ebenso treu wie seiner Einstellung. Seinen Söhnen sagte er einmal: ‚Damit ihr Bescheid wisst, Weicheier will ich hier zu Hause nicht haben. Wenn ihr mal eine Verletzung habt, dann packt einen nassen Lappen drauf, und dann geht’s weiter.‘ Uwe Seeler wird später über seinen Vater sagen: ‚Von ihm habe ich Robustheit, den Willen und das Durchsetzungsvermögen geerbt.‘

Für den HSV bestritt Erwin Seeler bis 1949 200 Spiele. Doch an seine früheren Erfolge im Arbeiterfußball konnte er nicht mehr anschließen. Später wurde er Spielertrainer bei Victoria und beim VfL Oldesloe, für den er als 41-Jähriger noch einmal auflief. Nach der Pensionierung als Hafenarbeiter 1973 half er gelegentlich noch als Schiedsrichter bei seinem einstigen Verein Lorbeer 06 aus, der nach Kriegsende neu gegründet worden war. ‚Mein Vater ist immer wieder gerne zu seinen Wurzeln in Rothenburgsort zurückgekommen‘, sagte Uwe Seeler 2007 in einem Interview für ein Jubiläumsheft des Vereins.‘

Nach einem Sturz auf der Straße und dem Tod seiner Frau kam Erwin Seeler nicht mehr richtig auf die Beine. Er starb 1997 im Alter von 87 Jahren. ‚Immer wenn er in den vergangenen Jahren im Volksparkstadion war, um sich seine Nachfolger im Trikot des Hamburger Sport-Vereins anzusehen, genügte hinterher ein knapper Kommentar. ‚So’n Schiet‘‘, schrieb der Spiegel in seinem Nachruf. ‚Denn moderne Fußballprofis waren für einen wie ihn Weichlinge, von den Millionen verdorben.‘3)