Stengelestraße
Horn (1945): Gustav Stengele (14.2.1861 Berwangen – 5.4.1917 Hamburg), Redakteur des Hamburger Echos, Bürgerschaftsabgeordneter; seit 2022 mitbenannt nach seiner Ehefrau Ida Stengele, geb. Biedermann (1861 - unbekannt), Politikerin, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft.
Siehe auch: Stengeletwiete
Siehe auch: Stoltenstraße
Bereits 1929 war die Straße nach Stengele benannt worden. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Straße 1936 umbenannt in General-Litzmann-Straße (1850-1936), preuß. General, NSDAP-Abgeordneter im Deutschen Reichstag. Aus politischen Gründen umbenannt 1942 in Wilhelm-Gustloff-Straße-Süd. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde die Straße 1945 rückbenannt in Stengelestraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
2022 wurde die Straße mitbenannt nach Gustav Stengeles Ehefrau Ida Stengele, geb. Biedermann. Sie war ebenso wie ihr Ehemann Bürgerschaftsabgeordnete und gehörte zu den ersten Frauen, die in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt wurden. Ein entsprechender Antrag an die Bezirksversammlung Hamburg Mitte wurde am 9.11.2021 gestellt und am 7.12.2021 in der Sitzung des Regionalausschusse Horn/Hamm/Borgfelde beraten und beschlossen die Stengelestraße nach Ida Stengele mitzubenennen.
Siehe auch: Scheffelstraße
Siehe auch: Weddestraße
Im Wikipediaeintrag heißt es zu Gustav Stengele: „Gustav Stengele war Sohn eines Stellmachers. [Seine Mutter hieß Verena, geb. Frei]. Er besuchte die Dorfschule in seinem badischen Geburtsort bis zum zwölften Lebensjahr und danach die Sekundarstufe im Schweizer Ort Wil. Dort lernte er durch den sehr an Literatur interessierten Lehrer die großen Schriftsteller der Zeit kennen. In dieser Zeit lernte er auch seine spätere Ehefrau Ida kennen, sie heirateten aber erst 1894. Sie war eine Mitschülerin, die auf den Tag genau so alt war wie er selbst und später ebenfalls Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft werden sollte.
Mit 15 Jahren kam er nach Konstanz mit dem Vorhaben die ‚Schwarze Kunst‘ zu erlernen. Dort lernte er in der Lehre den Schriftsteller Joseph Victor von Scheffel [siehe: Scheffelstraße] kennen, der ihm neue Inspirationen für sein literarisches Werk gab. Nach der Lehre ging Gustav Stengele auf Wanderschaft; in dieser Zeit musste er den Tod seines Vaters verkraften. Er wanderte weit über die deutschsprachigen Grenzen hinaus und gelangte bis Spitzbergen.
Nach der Wanderschaft ließ er sich in Bad Segeberg nieder, wo er in der Druckerei des Lokalblattes eine Stelle fand. Neben der Arbeit als Buchdrucker wirkte er zudem in der Redaktion der Zeitung mit. Die Arbeitskraft des neuen Mitarbeiters war scheinbar so wertvoll, dass ihm auch die offene Mitgliedschaft in der durch die Sozialistengesetze geächteten sozialdemokratischen Partei keine Probleme machte. In dieser Zeit lernte er Johannes Wedde kennen, [siehe: Weddestraße] der in Hamburg die sozialistische ‚Bürgerzeitung‘ herausgab. Durch diesen Kontakt siedelte er 1887 nach Hamburg über und arbeitete für die Zeitung. Zunächst wieder als Setzer tätig, wechselte er im Oktober desselben Jahres in die Redaktion.
Er schrieb von 1898 bis 1914 für das Hamburger Echo. Für die Sonntagsausgabe brachte er jede Woche einen satirischen Artikel in Versform zu Papier (‚Die Sonntäglichen Plaudereien‘). Eines der ‚Haupt-Feindbilder‘ dieser Plaudereien waren die Monarchie und Wilhelm II. Der Zweck dieser Plaudereien war: ‚(…) die Zeit zu schildern und die Zustände dieser Zeit. Er [Stengele] sprach zu den Frauen und Männern des Arbeitsvolkes, wollte ihre Augen öffnen, damit sie sich sehen in ihren Beziehungen zum Staat und zum Wirtschaftsleben und wollte in ihre Herzen die Sehnsucht säen, eine neue Zeit heraufführen zu helfen, in der die Proletarier nicht nur in ‚gottgewollter Abhängigkeit‘ Objekte von Politik und Wirtschaft wären, sondern freie, allen andern gleichgeachtete Staatsbürger und gleichberechtigte Faktoren im Wirtschaftskörper (…)‘, heißt es in einem 1924 von dem Sozialdemokraten, Schulsenator und Reformpädagogen Emil Krause (1870–1943) herausgegebenen Büchlein über Gustav Stengeles Satiren und andere Zeitgedichte.
Ein Beispiel solch einer Plauderei, die sich auch mit dem Thema Kolonialismus beschäftigte, war folgendes „Patriotenlied“:
„Wir haben gepanzerte Schiffe
Und haben auch Kreuzer zum Spaß,
Wir haben Kanonen in Menge –
Die Mittel erlauben uns das!
Wir haben ein Heer von Soldaten,
Wie nie noch ein Reich es besaß,
Wir haben viel Mausergewehre –
Die Mittel erlauben uns das!
Auch haben wir schon Kolonien,
Da wächst zwar kein Strauch und kein Gras,
Doch gibt es dort Galgen und Peitschen –
Die Mittel erlauben uns das!
Und gibt irgendwo es zu grabsen,
zu kaufen, zu pachten etwas,
Dann werden wir sicherlich eilen –
Die Mittel erlauben uns das!
Und setzt es mal irgendwo Händel,
Gefundenes Fressen ist das!
Dann schicken wir Schiffe, Soldaten –
Die Mittel erlauben uns das!
Den Schnurrbart gesträubt à la Haby,
den tragen wir unter der Nas,
Den Koller der Weltmacht im Hirne –
Die Mittel erlauben uns das!“
(Gustav Stengele: Satiren und andere Zeitgedichte. Hrsg. von Emil Krause. Hamburg 1924.)
Zwischen 1914 und 1917 arbeitete Stengele zwar noch als Redakteur des Hamburger Echos, schrieb aber nicht mehr die sonntägliche Kolumne. Für ihn war der Krieg nicht die Zeit, etwas Lustiges zu schreiben. Dass er mit seinen Satiren traf und er auch konfliktträchtige Themen nicht scheute, zeigt die insgesamt zweijährige Gefängnis-Strafe für ‚Pressevergehen‘.
Für die SPD besuchte er als Delegierter viele internationale Sozialistenkongresse und mehrere Parteitage der SPD. Er vertrat die SPD von 1907 bis 1913 in der Hamburgischen Bürgerschaft. Schon vorher war er in den Jahren 1887 und 1890 Mitglied des Lokal-Wahlkomitees für den Wahlkreis Hamburg 2 und des Zentral-Wahlkomitees. Zudem von 1890 bis 1911 Vorstandsmitglied der Wahlkreisorganisation für den Wahlkreis Hamburg 2 der Sozialdemokratischen Partei.“ 1)
Ida Stengele, geb. Biedermann (14.2.1861 Wyl/Kanton Zürich – ?) hatte nach dem Besuch der Volks- und Sekundärschule in Wyl, die höhere Mädchenschule in Lausanne besucht. Sie wurde Erzieherin in Privatstellen in Österreich, Frankreich und Italien. 1894 heiratete sie Gustav Stengele und war nun als Hausfrau tätig. 1919 wurde sie als SPD-Abgeordnete in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt. Damit gehörte sie zu den ersten Frauen, die in die Bürgerschaft gewählt wurden, nachdem 1919 die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erkämpft hatten. Bei der Wahl 1919 zur ersten verfassungsgebenden Bürgerschaft wurden siebzehn Frauen und 168 Männer gewählt. Neun Frauen gehörten der SPD an, darunter Ida Stengele, vier der liberal-demokratischen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), zwei zählten zur links von der SPD stehenden Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) und jeweils eine zur nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und zur nationalistisch-konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).
Schwerpunkte der Politik der weiblichen Abgeordneten waren die Bereiche Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege, Bevölkerungspolitik und Gesundheitsfürsorge, Jugendpflege und Schulpolitik sowie Ehe- und Familienrecht. 2)
Ida Stengele war von 1919 bis 1927 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. 1924 wurde sie Mitglied des Bürgerausschusses, auch war sie Mitglied der Behörde für öffentliche Jugendfürsorge und des Ernährungsbeirates des Kriegsversorgungsamtes. Ihr Themenschwerpunkt war die Jugend. Sie setzte sich aber auch besonders für bessere Berufsmöglichkeiten von Frauen ein. So unterstützte sie 1920 das Anliegen des Senats, dem Verein zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit mehr Geld zukommen zu lassen. Auch redete sie im Parlament z. B. zur Hunde- und Reitpferdesteuer. Ihre Rede zur Reitpferdesteuer verdeutlicht ihren politischen Standpunk, sich in erster Linie für verbesserte Lebensbedingungen des Proletariats einzusetzen. So sagte sie: „Ich habe hier vor ganz kurzer Zeit eintreten müssen für ein Eintrittsgeld in den Flußbadeanstalten, da der Staat nicht die Mittel aufbringen kann, den Betrieb der Flußbadeanstalten weiterhin aufrecht zu erhalten, wenn keine Eintrittsgebühr genommen wird. Nun frage ich Sie: Wenn Leute sich heutzutage noch ein Reitpferd halten können, einen Stall dafür haben müssen, die Unterhaltungskosten des Pferdes tragen können, ist es dann eine Ungerechtigkeit, wenn diese Pferde mit 500 Mark Steuer belastet werden? Die übrige Bevölkerung kann den Staub schlucken; das haben diese Herren nicht nötig, denn ich bin überzeugt, daß sie im Sommer zur Erholung aus der Großstadt herausgehen. Die anderen müssen in der Stadt bleiben, müssen ihr Geschäft besorgen, für Handel und Wandel aufkommen, und wenn sie sich dann mal den Schweiß vom Körper herunterbaden wollen, dann müssen sie noch ein Eintrittsgeld in den Badeanstalten bezahlen! Wir sind dafür eingetreten, weil die Staatsfinanzen es erfordern, weil uns die Mittel fehlen; und jetzt kommen Sie von der rechten Seite und sind gegen diese Steuer! Wenn wir hier auf den Satz von 150 Mark zurückgegangen sind für die Pferde, die zur gewerbsmäßigen Vermietung gehalten werden, so in Anbetracht dessen, weil uns doch Bedenken gekommen sind, daß durch das Zurückgehen dieses Gewerbes auch wieder Leute erwerbslos würden (…). Ich möchte Sie aber bitten, bei dem Satz von 150 Mark zu verbleiben, denn dieser Satz für ein Pferd verteilt sich auf so und so viele Menschen, die es im Jahr nutzen, und da kann der Betrag für den einzelnen keine große Summe ausmachen.“ 3)
Obwohl die Frauen seit 1919 das aktive und passive Wahlrecht besaßen, blieben sie im Parlament in der Minderheit. Frauen waren als Politikerinnen nicht gefragt. „Angesichts dieser Entwicklung wichen die anfänglichen Hoffnungen schnell kritischem Realismus. In den Reihen der Frauenbewegung machte sich allgemeine Enttäuschung breit. Die parteipolitisch organisierten Frauen (…) beklagten (…) ihren geringen Einfluss. (…) Frauen waren in keiner Partei der Weimarer Republik gleichberechtigt.“ 4)