Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Stresemannallee

Lokstedt (1945): Gustav Stresemann (10.5.1878 Berlin -3.10.1929 Berlin), Politiker (DVP), Reichsaußenminister des Auswärtigen, Reichskanzler in der Weimarer Republik. Freimaurer. Friedensnobelpreisträger.


Siehe auch: Stresemannstraße

Früher hieß die Straße Neulokstedter Straße. 1929 wurde sie umbenannt in Stresemannallee. „Politiker, Mitbegründer des Verbandes sächsischer Industrieller 1903, der Nationalliberalen Partei, und später der Gründer der Deutschen Volkspartei, Mitglied der Nationalversammlung 1919, Reichskanzler und Außenminister 1923, Außenminister 1923-1929. Die Straße wurde in der NS-Zeit 1933 umbenannt in Horst-Wessel-Allee und nach der Befreiung vom Nationalsozialismus rückbenannt in Stresemannallee.“ (Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).

Stresemann verhandelte gemeinsam mit dem französischen Außenminister Aristide Briand die „Verträge von Locarno“. Dafür bekamen beide 1926 den Friedensnobelpreis. Stresemann: „ bewertete […] alle Stationen seiner Außenpolitik der Jahre 1923–29 (Dawes-Plan 1924, Locarno-Verträge 1925, Berliner Vertrag mit der Sowjetunion 1926, Eintritt in den Völkerbund 1926, Kellogg-Pakt 1928, Young-Plan 1929) als Etappen auf dem Weg zur Wiedergewinnung der dt. Machtstellung. Bei seiner Revisionspolitik vorsichtig agierend, vermied er Konflikte und setzte auf internationale Kooperation. S. erreichte in seinen sechs Amtsjahren die Räumung des Ruhrgebiets und die vorzeitige Beendigung der Rheinlandbesetzung, eine erträgliche Regelung der Reparationsfrage in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Stabilisierung in Deutschland, Aufhebung der alliierten Militärkontrolle und Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Nicht weniger zählt auch die Tatsache, daß es S. gelang, das seit der Jahrhundertwende gestörte Verhältnis Deutschlands zu seinen Nachbarstaaten weitgehend zu normalisieren und Vertrauen diesseits und jenseits des Atlantiks aufzubauen“16) heißt es in der Neuen Deutschen Biographie.

Stresemann war ein Verfechter deutscher Kolonialpolitik. Obwohl Deutschland mit der 1919 erfolgten Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags auf sein überseeisches Kolonialreich verzichtet hatte, denn durch den Friedensvertrag wurde die Abtretung der Kolonien völkerrechtsgültig festgeschrieben, war der deutsche Kolonialismus damit noch längst nicht beendet. Die Historikerin Caroline Authaler äußert dazu: „Das Ende des deutschen Kolonialreichs bedeutete zunächst kein Ende der Fremdherrschaft auf den Gebieten der ehemaligen deutschen Kolonien. Zwar hatte der damalige US-Präsident, Woodrow Wilson [siehe: Wilsonstraße], in einer vielbeachteten Rede im Januar 1918 das ‚Selbstbestimmungsrecht der Völker‘ als Voraussetzung für eine dauerhafte Weltfriedensordnung gesetzt und damit das Recht, Gebiete zu kolonisieren, grundsätzlich infrage gestellt. Künftig bezogen sich politische Vertreter*innen auf der ganzen Welt auf dieses Selbstbestimmungsrecht. Die Imperialstaaten hingegen wollten die alten Machtstrukturen beibehalten und suchten nach neuen Legitimationsmustern für Kolonialismus. Die Delegierten der Pariser Friedenskonferenzen folgten nicht den liberalen Prinzipien Wilsons, sondern votierten für einen Kompromiss: das Mandatsystem. Sie unterstellten den Gesellschaften der ehemaligen deutschen Kolonien, noch nicht zur Selbstverwaltung fähig zu sein, und verschoben deren Selbstbestimmungsrecht auf unbestimmte Zeit in die Zukunft. Zeitweilig sollten sie als Mandatsgebiete dem Völkerbund unterstellt werden. Die Verwaltung übertrug der Völkerbund als Mandat anderen Imperialstaaten in Europa, Asien und Ozeanien, die in jährlichen Berichten nachweisen mussten, dass sie die geächteten kolonialen Praktiken wie Zwangsarbeit abgeschafft hätten und das ‚Wohl der Bevölkerung‘ sowie den ‚sozialen Fortschritt‘ förderten. Somit wurde versucht, die nicht gewährte Selbstverwaltung durch sozialpolitische Reformen zu kompensieren. Dies war weiterhin ein paternalistisches und kulturmissionarisches Unterfangen, denn was das Wohl der Bevölkerung sei, definierten europäische ‚Expert*innen‘. Dennoch war Kolonialismus anfechtbarer geworden, und Mandatsverwaltungen konnten anhand von international vereinbarten Prinzipien kritisiert werden. Dies nutzten Unabhängigkeitsbewegungen später, um Forderungen zu stellen. (…).“2)

In der Weimarer Republik stand die Rückgewinnung der Kolonien auf der Tagesordnung der offiziellen Regierungspolitik. „So veranlasste der von 1923 bis 1929 amtierende Außenminister Gustav Stresemann im April 1924 die Einrichtung einer Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt und bestätigte die neu erarbeiteten Richtlinien der Kolonialpolitik, behandelte die Kolonialfrage auf internationalem Parkett allerdings eher zurückhaltend,“ 3) schreibt die Historikerin Susanne Heyn. Und Caroline Authaler äußert dazu: „Die kolonialpolitische Abteilung unterhielt enge Beziehungen zu den kolonialen Vereinigungen und Unternehmen und förderte deren kolonialrevisionistische Propaganda, insbesondere unter Gustav Stresemann als Außenminister.

Im Unterschied zu radikalen Revisionist*innen zielte Stresemann außenpolitisch nicht auf die Rückgabe der ehemaligen Kolonien, sondern auf eine Beteiligung am Mandatsystem. Sein übergeordnetes Ziel war die internationale Rehabilitierung Deutschlands in der westlichen Staatengemeinschaft. Der Wiedereintritt in den Kreis der Imperialmächte war dabei ein Baustein. Etappenziele dieser Strategie waren Deutschlands Eintritt in den Völkerbund 1926 und die Entsendung eines deutschen Vertreters in die Mandatskommission des Völkerbunds 1927 – in jene Kommission, die die Mandatsverwaltungen beaufsichtigen sollte. Über den Verhandlungsweg erreichte Stresemann Mitte der 1920er Jahre weitere Schritte auf dem Weg zu mehr Einfluss n den ehemaligen Kolonien: Anlege- und Niederlassungsrechte für deutsche Unternehmen und Staatsbürger*innen ermöglichten etwa, dass deutsche Unternehmen und Siedler*innen in alle Mandatsgebiete zurückkehren konnten.“ 4)

Verheiratet war Stresemann seit 1903 mit Käte Kleefeld (15.7.1883 Berlin –Lankwitz – 23.7.1970 Berlin), die aus einer assimilierten wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie stammte. Gustav Stresemann hingegen entstammte dem Kleinbürgertum. Seine Eltern hatten einen Flaschenbierhandel mit Gaststube. Gustav Stresemann konnte Abitur machen und studieren (Nationalökonomie). Nach der Promotion im Jahr 1901 wurde er in Dresden als Assistent beim Verband der Schokoladenfabrikanten angestellt. „Unter seiner Führung entwickelte sich der 1902 gegründete ‚Verband sächsischer Industrieller‘ (Syndikus bis 1919) zu einem der größten regionalen Wirtschaftsverbände. Parallel zum beruflichen Aufstieg vollzog sich die politische Karriere. In seiner Studentenzeit war S. ein aktives Mitglied in der Reformburschenschaft ‚Neo Germania‘ und schloß sich auch Friedrich Naumanns [siehe: Friedrich-Naumann-Straße] ‚Nationalsozialem Verein‘ an. Als sich dieser nach dem Debakel bei der Reichstagswahl 1903 auflöste, ging S. allerdings nicht mit Naumann und den meisten seiner Anhänger zur Freisinnigen Vereinigung, sondern trat der Nationalliberalen Partei bei. 1906 wurde er zum Dresdner Stadtverordneten gewählt, 1907 eroberte er bei der Reichstagswahl den Erzgebirgswahlkreis Annaberg“, 5) ist in der Neuen Deutschen Biografie nachzulesen.

In dieser, für Stresemann beruflich wie politisch so aktiven und erfolgreichen Zeit wurde das Ehepaar Stresemann Eltern von zwei Söhnen, geboren: 1904, 1908.

Politisch ging es 1912 allerdings bergab für Stresemann. Er verlor bei der Reichstagswahl sein Mandat. Aber bereits im Dezember 1914 wurde er wieder in den Reichstag gewählt und bekam auch schnell eine Führungsposition in der nationalliberalen Fraktion. 1917 wurde er Fraktionsvorsitzender und stellvertretender Parteivorsitzender.

Die jüdische Herkunft seiner Ehefrau Käte brachte Stresemann „politisch verschiedentlich in Erklärungsnöte. Seine Partei, die nationalliberale DVP, wurde unter anderem von der rechtsnationalen DNVP mit dem antisemitischen Vorwurf attackiert, ihr Vorsitzender Stresemann sei ‚‘jüdisch versippt‘. Stresemann versuchte sich solcher auch schon in der Kaiserzeit gegen ihn erhobener Vorwürfe zu erwehren und bewies dabei auch ein gewisses Anpassungsgeschick: So unterstrich er bei Kontakten mit dem jüdischen Central-Verein Kätes jüdische Familiengeschichte, hob dagegen gegenüber dem DNVP-Vorsitzenden Oskar Hergt 1919 die Tatsache hervor, dass seine Frau keine Jüdin war. Die Bindung an Käte war für Gustav Stresemann ein Argument unter vielen, ein engeres Bündnis mit der DNVP stets abzulehnen. (…),“6) heißt es im Wikipedia Eintrag zu Käte Stresemann.

Nach dem Ersten Weltkrieg lehnte Stresemanns DVP-Fraktion die Unterzeichnung des Friedensvertrages und die Verfassung ab. Dazu schreibt Eberhard Kolb in der Neuen deutschen Biographie: „Im Gegensatz zu Exponenten des rechten Parteiflügels suchte S. nach 1919 einen Kurs der Mitte zu steuern mit der Bereitschaft, auch eine Koalition mit der SPD einzugehen. Bei der Reichstagswahl 1920 überflügelte die ‚Stresemann-Partei‘ die linksliberale DDP deutlich. Von nun an war sie an fast allen Reichskabinetten beteiligt. Am 12. 8. 1923, in der kritischsten Phase der Weimarer Republik, wurde S. von Reichspräsident Ebert [siehe: Ebertallee] in das seit langem angestrebte Amt des Reichkanzlers berufen. Die von ihm gebildete ‚Große Koalition‘ (SPD, Zentrum, DDP, DVP) sah sich einer Fülle gravierender Probleme gegenüber: Abbruch des Ruhrkampfes, Sanierung der Währung, separatistische Bestrebungen im Rheinland, Aufstands- und Putschversuche rechts- und linksextremistischer Kreise. In den nur 100 Tagen seiner Kanzlerschaft gelang es, die dramatische Krisensituation im wesentlichen zu bewältigen. Nachdem der Reichstag am 22. 11. 1923 das von S. verlangte Vertrauensvotum abgelehnt hatte, demissionierte das Kabinett, doch behielt S. in der neuen Reichsregierung und in allen weiteren Kabinetten das Amt des Außenministers.“ 7)

Ein Außenminister bedurfte damals auch einer Außenministergattin, die repräsentieren konnte. Das war bei Käte Stresemann der Fall. Sie war auch eine vollendete Gastgeberin.

1928 erlitt Stresemann einen Zusammenbruch. Politisch folgten ihm nicht mehr alle in seiner Fraktion und Partei. Er sah sich in seiner Funktion als Parteivorsitzenden in Frage gestellt. Im Oktober 1929 erlitt er einen Schlaganfall, an dem er verstarb. ER wurde 51 Jahre alt. Käte Stresemann war damals 46 Jahre alt. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte sie mit einem ihrer Söhne im Herbst 1939 in die USA, wohin der andere Sohn bereits 1937gegangen war.