Sudermannstraße
Wilstorf (1950): Hermann Sudermann (30.9.1857 Matzicken (Kreis Heydekrug, Memelland) - 21.11.1928 Berlin), Schriftsteller.
Siehe auch: Slevogtstieg
1927 wurde die Straße Fritz-Reuter-Straße benannt. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen) und 1950 umbenannt in Sudermannstraße..
Hermann Sudermann war der Sohn von Dorothea Sudermann, geb. Raabe (1825-1923) und des Bauern und Bierbrauers Johann Sudermann (1818-1887). Hermann Sudermann hatte noch vier Geschwister und verbrachte seine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen, aber seine Mutter machte das Unmögliche möglich und schaffte es finanziell, dass ihr Sohn Hermann das Realgymnasium besuchen und später studieren konnte. Sie war von den großen Fähigkeiten ihres Sohnes überzeugt, der zu ihr zeit seines Lebens ein inniges Verhältnis pflegte. Z. B. korrespondierte er viel mit ihr und kehrte immer wieder zu ihr nach Heydekrug zurück, wenn es ihm schlecht ging und er sich erholen musste.
Über seinen Werdegang heißt es in der Neuen Deutschen Biographie: „S. wuchs in Matzicken auf. Nach dem Abbruch einer Apothekerlehre trat er 1872 in das Realgymnasium in Tilsit ein und nahm 1875 ein Studium der Geschichte und Philosophie in Königsberg auf. 1877 wechselte er nach Berlin, wo er bis 1880 eher sporadisch studierte und ohne akademischen Abschluß blieb.“ 1)
Über diese Zeit steht in seiner Biografie, die sich auf der Website der Sudermann-Stiftung befindet: „Ab 21.4.1877 Fortsetzung des Studiums mit Unterbrechungen an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Lebt mit einem Freund, Otto Neumann-Hofer, im Nordberliner Armeleutemilieu und entwickelt Interesse für sozialistische Bestrebungen. Im Winter 1877 kehrt S. aus Geldmangel nach Heydekrug zurück. Erste literarische Versuche schlagen fehl. Es folgen häufigere Rückzüge nach Hause.
Ostern 1878 nimmt S. erneut das Studium in Berlin auf. Im Herbst 1878 wird er Hauslehrer bei dem Schriftsteller Hans Hopfen. Von Januar 1879 bis Mai 1880 wirkt S. als Hauslehrer bei dem Bankier Neumann und nimmt im Herbst 1880 sein Studium wieder auf. Vom Frühjahr 1881 bis 1883 arbeitet er als Journalist für das Ressort Politik bei der ‚Liberalen Korrespondenz‘ (Parteiorgan der liberalen Sezession) sowie als freier Mitarbeiter beim ‚Reichsfreund‘, dem ‚Berliner Tageblatt‘ und der ‚Königsberger Allgemeinen‘. 1881 wird S. Chefredakteur des (…) demokratischen ‚Deutschen Reichsblatt‘ (…). Daneben arbeitet er als freier Schriftsteller, studiert weiter, insgesamt sechs Semester ohne Abschluss, (…) veröffentlicht Fortsetzungsromane und -erzählungen im ‚Reichsfreund‘. 1886 erscheint sein erster Erzählband ‚Im Zwielicht‘.“ 2)
Bekannt wurde Sudermann durch seine Romane „Frau Sorge“ (1887) und „Der Katzensteg“ (1890).
„Mit dem Schauspiel ‚Die Ehre‘ (1889), in dem S. die soziale Frage und die Moral der bürgerlichen Gesellschaft problematisierte, avancierte er zu einem der bedeutendsten und meistgespielten Dramatiker des Naturalismus.“ 1) In diesem Stück: „kontrastierte Sudermann den Ehebegriff der Reichen mit dem der Armen und bildete die unterschiedlichen Wohnverhältnisse von Berliner Bürgertum und Proletariat durch den Gegensatz von Vorderhaus und Hinterhaus ab.“ 3) So heißt es im Roman: „Gut, das ist der Tag der Abrechnung. Machen wir also das Konto klar, das Konto zwischen den Vorder- und Hinterhäusern. Wir arbeiten für euch. Wir geben unsern Schweiß und unser Herzblut für euch hin. Wir gehen arglos in die Fremde, um euren Besitz zu mehren. Derweil verführt ihr unsere Schwestern und Töchter und bezahlt uns unsere Schande mit dem Geld, das wir euch verdient haben. Und das nennt ihr Wohltaten erweisen.“
„Auch die Stücke ‚Sodoms Ende‘ (1890) und ‚Heimat‘ (1893) nahmen effektvoll zeitgenössische Themen auf und erörterten u. a. die Rolle der Kunst und die Stellung der Frau in der Gesellschaft.“ 1) In Sudermanns Stück „Heimat“ wird die Geschichte einer jungen Frau erzählt, „die sich den Heiratsplänen ihres Vaters widersetzt und als berühmte Opernsängerin in ihre Heimat zurückkehrt.“ 3)
In dieser Zeit seines literarischen Erfolges heiratete er 1891 im Alter von 34 Jahren die damals 30-jährige Schriftstellerin Clara Lauckner (14.2.1861 Königsberg – 17.10.1924 Berlin), geborene Schulz, die Witwe des Wasserbaudirektors in Königsberg Wilhelm Lauckner, den sie 1885 geheiratet hatte und der 1889 gestorben war. Nach dessen Tod begann Clara Lauckner zu schreiben. In die Ehe mit Hermann Sudermann brachte sie 3 Kinder aus ihrer ersten Ehe mit. Eines von ihnen starb im Kindesalter durch Sturz vom Balkon.
„Clara schrieb im Schatten ihres Mannes weiter. Bei einem Dichterwettbewerb gewann Clara mit ihrer Novelle ‚Mein Stern‘ den ersten Preis. 1896 erschien ihr Roman ‚Die Siegerin‘ (…).“ 4) Auch scheint sie unter einem Pseudonym veröffentlicht zu haben. So wurde 1904: „das Drama ‚Die faule Mare‘ eines E. Linde in München uraufgeführt. Doch die Presse brachte schnell die Nachricht, daß die Verfasserin die Gattin des Hermann Sudermann sei. (…).“ 4)
Hermann Sudermann: „empfand die Ehe als bedrückend, war aber immer wieder froh, zu seinem 'sorgenden Schutzengel' Clara zurückkehren zu können. (…) Beider einziges gemeinsames Kind wurde im Juni 1892 geboren und nach Sudermanns Freundin ‚Hede‘, der ersten Frau des Bildhauers Johannes Hilgers, benannt.“ 4) Auch die Tochter Hede Frentz-Sudermann (1892-1984) wurde Schriftstellerin.
Jutta Noak greift in ihrem Portrait über Hermann Sudermann dessen Eheprobleme auf: „Immer wieder (…) flieht Sudermann aus dem Königsberger, später dem Dresdener und schließlich Berliner Heim - nach Paris, Rom und lebt wochen-, ja monatelang getrennt von seiner Frau. Clara weilt auch oft zur Kur. Die Künstlerehe wird problematisch für den Arbeitsfanatiker, aber Clara Sudermann hat viel Verständnis für den schwierigen Ehemann. Nachdem 1893 während einer Reise der Familie der kleine Sohn Witte in Dresden tödlich verunglückt, bleibt Sudermann lange Zeit bei seiner Frau. (…)
Sein äußeres Leben verläuft glanzvoll. Im Schloß [Schloss Blankensee, was Sudermann gepachtet hatte] empfängt er seine Freunde und Kollegen, liest aus Manuskripten vor und diskutiert. Frau Clara musiziert auf einem herrlichen Flügel und führt das Haus mit der großzügigen Geste einer Dame von Welt und läßt nichts durchscheinen von den großen Spannungen im ehelichen Hintergrund. Obwohl Sudermann sich in ihrer Nähe alltagsunlustig und bedrückt, sogar arbeitsunfähig fühlt, wächst ständig bei jeder zeitlichen und örtlichen Entfernung das starke Empfinden innerlicher Verbundenheit, was die deutlich geschriebenen Briefe an seine Frau zeigen. (…).“ 5)
„Clara Sudermann verstarb infolge eines schweren Herzleidens allein in einem Krankenzimmer der Berliner Charité. Sudermann wollte die Genesende wenige Stunden später besuchen. Auf ihrem Grab befindet sich eine gesockelte Frauenbüste. Eine Darstellung der Göttin Hera, der Beschützerin der Ehe und der Frauen.“ 4)
Drei Jahre nach dem Tod seiner Frau schrieb Hermann Sudermann 1927 den Roman „Die Frau des Steffen Tromholt“, in dem die Hauptperson des Romans – die Ehefrau Brigitte Tromholt – eigentlich Clara Sudermann ist. In diesem Roman beschreibt Sudermann mittels seiner Romanfiguren Brigitte Tromholt und deren Ehemann seine eigene problematische Ehe: „Brigitte Tromholt ist Schriftstellerin, die jedoch ihre, wie sie meint, bescheidene Begabung nicht mehr weiterpflegen will angesichts des Genies ihres Mannes. (…) Sie ist zu jedem Opfer bereit, gibt die Kinder vorzeitig aus dem Hause, zerstört ihre Gesundheit bei einer Engelmacherin, weil der Künstler [ihr Ehemann] weitere Vaterpflichten nicht verkraften konnte, nimmt die erotischen Abenteuer ihres Mannes hin und führt ihm perfekt den Haushalt. Ohne Folgen bleibt jedoch diese Zurücknahme nicht. Ihr Körper rächt sich mit Krankheit, und ihre Nerven treiben sie mehrmals an den Rand des Zusammenbruchs. Ihr Mann, der sie liebt und ohne sie nicht leben kann, lehnt sich andererseits immer wieder gegen die Ehefessel auf, von der er auch sein Genie bedroht sieht. Der Künstler braucht die Ungebundenheit. (…).“ 6)
Als Brigitte Tromholt stirbt und beerdigt werden soll, reagiert der Ehemann wie folgt: „‘Um Gottes willen! Nicht losschluchzen! Nicht in die Kniee brechen! Dort am Eingang, die Blumensträuße bewachend, stand ja der Diener. Richtig, die Blumensträuße! Die gehörten zu ihr! Die gehörten aufs Grab! Und auf ihr Grab gehörte auch er.‘ (…) So betrauert die Titelfigur Steffen Tromholt den Tod der geliebten Frau Brigitte (…): ‚Ach so oft hatte er 'Muse' zu ihr gesagt, aber immer nur spottend, ja höhnisch vielleicht gar!‘“ 4)
Nach dem Tod seiner Frau geriet Sudermann in eine schwere seelische Krise mit Suizidgedanken. Er machte sich heftige Vorwürfe, seine literarische Arbeit zu sehr in den Vordergrund seines Wirkens gestellt und deshalb seine Frau vernachlässigt zu haben.
Wie auch im Roman „Die Frau des Steffen Tromholt“ hatte das Ehepaar Sudermann Claras Kinder aus erster Ehe außer Haus in ein Internat gegeben. Und auch wie die Romanfigur Steffen Tromholt hatte Hermann Sudermann Liebesaffären mit anderen Frauen, so z. b. mit der Berliner Satirikerin Anna Julia Wolff, geb. Levinthal, Mutter von zwei Kindern und verheiratet mit einem Berliner Kaufmann. Dazu schreibt Bettina Müller in der Berliner Zeitung vom 26.5.2021 unter dem Titel: „Vor 100 Jahren starb die Berliner Satirikerin Anna Julia Wolff“ (26.5.1866 - 26.5.1921): „Sie war die erste Humoristin ihrer Zeit, hatte großen Erfolg, veröffentlichte viel und verfolgte den Dramatiker Hermann Sudermann hartnäckig mit ihrer Liebe. (…) Es muss um 1906 gewesen sein, als sich Anna Julia Wolff und der ostpreußische Dramatiker Hermann Sudermann zum ersten Mal begegneten, (…). Zwei Briefe, die sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befinden, belegen, dass sich Anna Julia Wolff in den erfolgreichen Dramatiker Sudermann heftig verliebt hatte und ihn in ihrem Werben hartnäckig verfolgte. Nachgerade eine frühe Stalkerin, konnte sie ein gelegentliches ‚Nein‘ nicht akzeptieren. (…) Die drei Jahre währende Verbindung scheint gleichermaßen von Anziehung und Ablehnung geprägt gewesen zu sein. (…). Er ermutigte Anna Julia Wolff nicht (‚Sie haben betont, meine Liebe zu Ihnen wäre eine Angelegenheit, die ich mit meinen vier Wänden allein abzumachen hätte.‘), empfing sie in der Endphase ihres beharrlichen Werbens jedoch mindestens noch zweimal in Blankensee [seinem Landsitz bei Berlin, R. B.]. Dabei gab er sich ‚eisig‘, wie Anna Julia schreibt, und er fordert, dass sie aus seinem Leben verschwinden solle. Zur gleichen Zeit war er aber auch schon ein sehr kranker Mann, ‚körperlich heruntergekommen und psychisch erschöpft‘, schrieb er seinem Therapeuten Wilhelm Fliess“ 7).
Zurück zu Sudermanns literarischem und politischem Schaffen: In seiner Biografie auf der Website der Hermann Sudermann Stiftung steht: „1896 als Vorsitzender des ‚Vereins Berliner Presse‘ wendet sich S. in Fragen der Pressefreiheit mit einer Petition an den Reichstag. (…) Seit 1900 ist S. Wortführer der außerparlamentarischen Opposition gegen die Lex Heinze, die die Freiheit der Kunst einzuengen drohte; am 15.3.1900 Mitbegründer des ‚Goethe-Bundes‘ zur ‚Abwehr aller Angriffe gegen die freie Entwicklung des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens‘, organisiert zahlreiche Protestversammlungen in ganz Deutschland. 1914 ist S. Initiator des offenen Briefes ‚An die Kulturwelt‘, der sich gegen die alliierte Kriegspropaganda richtet und 93 Unterzeichner aus Kultur und Wissenschaft findet. Im Gegensatz zu fast allen anderen zieht S. seine Unterschrift nach 1918 nicht zurück. 1914 gründet S. den ‚Kulturbund deutscher Gelehrter und Künstler‘, dessen maßgeblicher Organisator er wird. Ende 1916 zieht er sich nach körperlichem und nervlichem Zusammenbruch aus dem politischen Geschehen zurück und sucht Zuflucht im heimatlichen Heydekrug. (…) Zusammen mit Gerhart Hauptmann [siehe: Gerhart-Hauptmann-Platz] plant er die Gründung einer ‚Partei der geistigen Arbeiter‘, wird von diesem jedoch bei der organisatorischen Arbeit im Stich gelassen.“ 2)