Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Theodor-Storm-Straße

Rahlstedt (vor 1949): Theodor Storm (14.9.1817 Husum - 4.7.1888 Hanerau-Hademarschen), Dichter, Schriftsteller.


Siehe auch: Stormsweg
Siehe auch: Liseistieg
Siehe auch: Dethlefstwiete
Siehe auch: Immenseeweg
Siehe auch: Hauke-Haien-Weg
Siehe auch: Poppenspälerweg
Siehe auch: Schimmelreiterweg
Siehe auch: Jensenknick

In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Köterholtwisch umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert wurde und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bei Theodor- Storm-Straße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)

Storms Familienleben und seine Ehefrauen
Theodor Storm war der Sohn von Lucie Storm, geb. Woldsen und des Rechtsanwaltes und Ständeabgeordneten Casimir Storm. So wie sein Vater wurde auch Theodor Storm nach dem Jurastudium Rechtsanwalt. Als solcher arbeitete und lebte er überwiegend in Husum und heiratete 1846 im Alter von 29 Jahren seine damals 21-jährige Cousine H. C. W. Constanze Esmarch (5.5.1825 Segeberg – 20.5.1865 Husum), Tochter des Bürgermeisters aus Segeberg und dessen Ehefrau. Das Paar bekam sieben Kinder (geboren: 1848, 1851; 1853; 1855; 1860; 1863; 1865). Nach der Geburt der jüngsten Tochter starb Constanze Esmarch. Gertrud, das jüngste Kind (1865-1936), blieb ledig und wurde die Biografin des Schriftstellers Theodor Storm.

In der Zeit als die Kinder geboren wurden, war Theodor Storm von 1843 bis 1852 als Rechtsanwalt in Husum tätig. „Nach Aufhebung der Bestallung durch die dänische Regierung (Storm hatte seine Landsleute gegen die Übergriffe der neuen dänischen Beamten verteidigt) Übersiedlung nach Potsdam, von 1853 bis1856 Assessor im preußischen Justizdienst am Kreisgericht in Potsdam, von1856 bis 1864 Kreisrichter in Heiligenstadt (ca. 20 km von Göttingen), 1864 Rückkehr in die Heimat, (…).“ 1)

Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratete der 48-jährige Witwer und Vater von sieben Kindern im Alter von 18; 15; 13; 11; 6; 3 und einem Jahr 1866 die damals 37-jährige Dorothea Ch. Jensen aus Husum (30.11.1828-4.2.1903). Das Paar bekam zwei Jahre später eine Tochter.

Dorothea (Doris) Jensen war die Tochter eines Holzhändlers und dessen Ehefrau. Sie war als Mädchen in den 1840er-Jahren in Storms Chor eingetreten, in der auch Storms Ehefrau Constanze sang. Seit dieser Zeit kannten und liebten sich Storm und Dorothea Jensen.

„Ein Jahr nach dem Tod Constanzes im Mai 1865 schrieb Theodor an seine Freunde Hartmuth und Laura Brinkmann: ‚In mein Leben, wie in meine Poesie theilen sich zwei Frauen; die eine die Mutter meiner Kinder, Constanze, die so lange der Stern meines Lebens war, ist nicht mehr; die andre lebt, nachdem sie fern von mir allein und oft in drückender Abhängigkeit verblüht ist. Beide habe ich geliebt, ja beide liebe ich noch jetzt; welche am meisten, weiß ich nicht; die erschütterndste Leidenschaft hat mir einst die noch Lebende eingeflößt; die leidenschaftlichen Lieder, die Ihr ja oft gelesen, sind der Kranz, den sie noch jetzt in ihrem Haar trägt. Beide sind sie, obwohl sonst mannigfach verschieden, die süßesten mildesten Frauenseelen, die ich im Leben gefunden und von grenzenloser Hingebung an den geliebten Mann. Das wäre noch alles schön u. gut; aber die Leidenschaft für die Lebende brach über mich herein, als die Verstorbene schon mein Weib war. — So kam es.

Während meines Brautstandes kam meine Schwester Cäcilie mit einem etwa 13jährigen Mädchen, einer feinen zarten Blondine, auf mein Zimmer. Sie hatten sich verkleidet und hielten sich eine Zeit lang bei mir auf. Als sie gegangen sagte ich mir betroffen, daß dieses Kind mich liebe, und erinnere mich dessen noch wohl, daß sie schon damals einen eigenthümlichen Reiz für mich hatte.

Ich heirathete und jenes Mädchen, damals eben aufgeblüht kam oft in unser Haus. In meiner jungen Ehe fehlte Eins, die Leidenschaft; meine und Constanzens Hände waren mehr aus stillem Gefühl der Sympathie in einander liegen geblieben. Die leidenschaftliche Anbetung des Weibes, die ich zuletzt für sie gehabt, gehört ihrer Entstehung nach einer späteren Zeit an. Aber bei jenem Kinde, die wie ich glaube mit der Leidenschaft für mich geboren ist, da war jene berauschende Athmosphäre, der ich nicht widerstehen konnte. Vielleicht mag ich auf sie eine gleiche Wirkung gehabt haben. Gewiß ist, daß ein Verhältniß der erschütterndsten Leidenschaft zwischen uns entstand, das mit seiner Hingebung, seinem Kampf und seinen Rückfällen jahrelang dauerte und viel Leid um sich verbreitete, Constanze und uns.‘“ 2)

Carsten Otte schreibt dazu in einer Rezension des Buches „Sturm und Stille“ des Autors Jochen Missfeldt: „Schon kurz nach Theodors Verlobung mit Constanze, nämlich im Jahre 1846, beginnt [Doris] trotzdem eine Affäre mit, wie sie selbstbewusst und liebevoll zugleich formuliert, ‚meinem Storm‘. Sie gibt ihre verbotene Beziehung auch nach der Hochzeit nicht auf. Als der Skandal schließlich nicht mehr zu verheimlichen ist, muss gemäß der damaligen Gesellschaftsnorm die Ehebrecherin den Ort des Geschehens verlassen. Sie muss, so gesteht Storm in einem Gedicht, ‚die ganze Schuld entrichten‘.

Doch Doris Jensen scheint sich keineswegs nur als Opfer der Verhältnisse gesehen zu haben. Sie schlägt sich in den Wirren der deutsch-dänischen Kriege mal als Hausmädchen und mal als Kellnerin durch. (…)

Dann aber geschieht ein Unglück. Kurz nach der Geburt des siebten Kindes stirbt Constanze, und schon bald holt Storm seine Doris wieder zurück nach Husum. Was unfassbar erscheint, fast wie das Happy-End eines Groschenromans, ist aber wiederum historisch verbrieft (…): Die beiden werden auch offiziell ein Paar. Der jahrzehntelange Ehebruch wird legalisiert. Was für ein Glück die beiden dann erlebt haben müssen, kann man tatsächlich anhand von Storms Liebesgedichten ermessen, die er Doris geschrieben hat und über die es wiederum in einem Brief Constanzes heißt: ‚Deine abscheulichen Gedichte. Manche kenne ich zu meiner Freude, manche zu meiner Qual, wenn ich sie lese.‘“3)

Gerd Eversberg beschreibt die zweite Ehe Storms nicht sehr rosig: „Aber es lag zunächst ein Schatten über dieser Ehe, denn Theodor kultiviert die Erinnerung an Constanze in leidenschaftlicher und rücksichtsloser Weise, indem er Dorothea untersagte, sich von seinen sieben Kindern aus erster Ehe ‚Mutter‘ nennen zu lassen. Erst die Geburt der Tochter Friederike beendete die Dissonanzen und es entwickelte sich eine Beziehung zwischen den beiden, die durchaus der zwischen Constanze und Theodor ebenbürtig wurde. (…)

Die Liebe der beiden überdauerte die Schwierigkeiten in der Anfangszeit der Ehe; Storm hat diese Erfahrungen in seiner Novelle ‚Viola tricolor‘ beschrieben. Auch in späteren Jahren verband die beiden eine tiefe Zuneigung; die Ehe dauerte mehr als 22 Jahre.“ 4)

Theodor Storm und Pädophilie
Tilman Krause schreibt in seinem Artikel „Der sexuelle Trieb war Theodor Storm Antrieb“: Theodor Storm war „tief fasziniert von Mädchen im Übergang zur Pubertät (…). Da er einer Liebe huldigte, die – mit Oscar Wilde zu sprechen – ihren Namen nicht zu nennen wagt, schaffte der Autor sich Chiffren und immer wiederkehrende Konstellationen, um von seiner ihn bedrängenden, aber eben auch beglückenden Neigung sprechen zu können. Da wären zunächst die beständig wiederkehrenden Kinderlieben. Dann stößt man auch oft auf Protagonisten, die als halbe Kinder zum ersten Mal mit der Macht der Sinnlichkeit konfrontiert werden. Und oft gibt es eben auch die Ansprechbarkeit der männlichen Hauptfiguren auf Mädchen zwischen zehn und 13 Jahren.“5)

Bereits vor Dorothea Jensen begehrte Storm kleine Mädchen. „Da gab es Bertha von Buchan [1826-1903] vor ihr, tatsächlich noch ein Kind, das Storm mehr als nur faszinierte. Als er ihr 1837 das erste Gedicht widmete und darin vom ‚Liebchen‘ und der ‚wundersüßen Braut‘ sprach, war sie gerade mal neun Jahre alt und er ein angehender Student. Er wollte sie heiraten nach der Konfirmation, das war der Plan. Er beschenkte sie mit Gedichten und Märchen, er schrieb ihr, besuchte sie, das alles mehr als fünf Jahre lang. Aber sie wies ihn ab, und Storm war tief gekränkt. (…)“, 6) äußert Peter Intelmann in seinem Artikel „Verbotene Liebe“.

„Die Beziehung zu Betha“, schreibt Gerd Eversberg: „zielt zunächst nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sondern gründete in Storms eigenen frühkindlichen Begehren nach körperlicher und seelischer Nähe, das in der Husumer Kindheit keine angemessene Entwicklung entfalten konnte. Das änderte sich aber bald, denn was S. mit dem ‚Blümchen‘ [in seinem Brief an Bertha R.B.] eigentlich meinte, lässt sich aus seiner Ballade ‚Lockenköpchen‘ erklären, die er nach der Rückkehr von seinem Weihnachtsurlaub am 7. Januar 1837 in Lübeck schrieb. Darin singt ein Sänger einem jungen Mädchen von der Nixe, die den Knaben in die kalten Fluten hinabzieht. Das Mädchen in der Ballade merkt während seines Vortrags, dass es selber mit ‚Nixe‘ gemeint ist und dass der Sänger ihre gemeinsame Beziehung anspricht. Nur ein Jahr später – Bertha war noch nicht ganz dreizehn, veröffentlichte Storm diese Ballade und ergänzte sie um folgende Schlussstrophen:

„Und ich küß die Purpurlippen, drück an’s Herz sie leise, leise, Greife tändelnd in die Saiten. Und beginn die frohe Weise! Lockenköppchen ist die Nixe, Hält mich, eben fest umschlungen, Augenbläue ist die Tiefe, Darin ich ihr nachgesprungen. Busenwelle ist die Welle, Die mich willenlos beweget, Rosenlippe ist die Klippe, Die korallenreich sich hebet.“7)

Einen Vers ähnlichen Inhalts schickte Storm seiner Braut Constanze und offenbarte damit seine sexuelle Vorliebe für Mädchen im Kindesalter:

„So lange das Knösplein ich
Mit heißen Lippen gehalten.
Bis sich die Blättlein duftiglich
Zur Blume aufgespalten
- So lang hab ich das Kind geküßt,
Bis Du ein Weib geworden bist – süße Dange.“

Gerd Eversberg analysiert treffend: „Im patriarchalischen 19. Jahrhundert beherrschte die Männerphantasie die Literatur: Nicht der Eintritt der Menstruation macht das Mädchen zur Frau, sondern dem Mann wird die Funktion zugeordnet, diese Initiation beim ersten Geschlechtsakt zu vollziehen. (…) Es sind in der Tat Kindfrauen, die uns auch auf der biographischen Ebene als Objekt von Storms Begehren begegnen (…).“ 8)

Im Gegensatz zu vielen Rezensenten von Theodor Storms Gedichten und Novellen, die zwar von der pädophilen Neigung Storms berichten und sie in den Gedichten wiederfinden, aber nie über das Leid des missbrauchten Kindes reflektieren, nimmt Heinrich Detering das kleine Mädchen in den Blick und benennt klar, was dieses Mädchen durch die pädophile Neigung eines Mannes geworden ist: nämlich Opfer von Männergewalt.

Storm richtete als 19-Jähriger erotische Gedichte an ein zehn- bis zwölfjähriges Mädchen. „Du bist so jung – sie nennen dich ein Kind – ob du nicht liebst, du weißt es selber kaum?“ (Gedicht „Rechenstunde“). „Die Liebes-Unsicherheit [ist] nicht der Scheu eines noch unerfahrenen Begehrens geschuldet (…), sondern der Tatsache, dass sie noch gar nicht die Geschlechtsreife erlangt hat. Die diesem Kind gleichwohl zugemutete Liebesforderung muss denn auch bereits zwei Druckseiten später (unter der Überschrift ‚Liebeslaunen‘) gebieterisch, ja gewaltsam auftreten, unter einem zusehends dünneren Firnis liebhaft verspielter Verse: ‚Der Mutter sag‘ ichs! Ruft das tolle Kind. Was für ein Traum! – Da hasch ich sie geschwind, Und zwing‘ mit tausend Küssen sie zu eigen, Bis sie auf’s neu mir Liebe schwört und schweigen.‘

In [diese] drastische Variante protokollieren sich mit bemerkenswerter Präzision die Gewalt, die dem Kind, das noch ‚kaum weiß‘ was die Liebe sein soll, angetan wird – und dessen vergebliche Versuche, dieser Gewalt zu entkommen. Denn seine ‚Tollheit‘ besteht ja in nichts anderem als dem Versuch, vor dem bedrohlichen Begehren des Erwachsenen zu flüchten, in die vertraute familiale Bindung, vom Vergewaltiger zurück zur Mutter. Der physischen Flucht entspricht die psychische: In die Scheinwelt des bloßen Traums versucht ‚das tolle Kind‘ zu verdrängen, was als Wirklichkeit unerträglich ist – ‚was für ein Traum!‘ Die Wirklichkeit freilich ist bestimmt vom erneuten Besitzergreifen und Zwang (‚hasch ich sie geschwind / Und zwing mit tausend Küssen sie zu eigen) von Gewalt und Schweige-Gebot. Das Scheitern der Flucht und der erneute Einbruch der sexuellen Gewalt werden markiert durch den (schon hier charakteristisch Stormsche) Gedankenstrich, (…)“ 9)

Storms letzte Lebensjahre
In Husum arbeitete Storm bis 1880 „zunächst als Landvogt, später als Amtsrichter, Oberamtsrichter und Amtsgerichtsrat im preußischen Justizdienst“ 1) und wurde 1880 im Alter von 63 Jahren pensioniert. Da war sein jüngstes Kind 12 Jahre und weitere Kinder 15 und 17 Jahre alt. Theodor Storm zog mit seiner Familie nach Hademarschen, wo er seinen Ruhesitz nahm.

Literarisch wurde „charakteristisch für das Spätwerk (von 1871 bis 1888) (..) die sog. tragische Schicksalsnovelle. Tragisch erscheint St. das Schicksal eines Menschen vor allem dann, wenn dieser ‚trotz ehrlichen Kampfes dennoch mit der Weltordnung in Konflikt‘ gerät (…), wenn er den Mächten der Vererbung (…) oder der ‚Gesellschaft‘ unterliegt (…). St. bevorzugte drei Problemkreise. Oft ist die Liebe das übergeordnete Thema. Der Dichter zählte sie zu den höchsten Lebenswerten: sie kann Not und Tod überwinden. Besonders den entsagenden Liebenden gehörte das Herz des Dichters. (…). Aber auch Eheprobleme (…) und tragische Familienschicksale weiß er zu schildern (…). Eine bedeutende Rolle spielt das Übernatürliche und Unheimliche in St.s Novellen. Einerseits sind sie der Romantik verhaftet (…); andererseits steht ihre Handlung ganz auf dem Boden der Wirklichkeit, ihre Menschen aber vermögen sich den Wirkungen der übersinnlichen Welt nicht zu entziehen (…). Fast alle Novellen werden in irgendeiner Weise von Vergänglichkeitsgedanken bestimmt. (…)“ 10), schreibt K. E. Laage in seinem biographischen Beitrag über Theodor Storm im Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck.

Theodor Storm starb an Magenkrebs, „kurz nach der Vollendung seines großen Werks [der Schimmelreiter], und während seine Gedichte und Erzählungen sich unter den besten der deutschen Literatur behaupten, sinkt seine Familie, sinken Frau, Kinder und Kindeskinder, ins gesellschaftliche Mittelmaß hinab. Die Storms landen in Bedeutungslosigkeit und Entbehrung, in Verruf und Unglück“, 11) schreibt Tilman Krause 2013 in seinem Artikel „Der sexuelle Trieb war Theodor Storms Antrieb“.