Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Dethlefstwiete

Bergedorf/Lohbrügge, seit 1948, benannt nach Sophie Auguste Dethlefs (10.2.1809 Heide – 13.3.1864 Hamburg). Im Sterberegister der Katharinenkirche wird sie „Dethleffs“ geschrieben. 1) Niederdeutsche Dichterin


Siehe auch: Fritz-Reuter-Straße, Bramfeld (1890): Fritz Reuter (1810-1874), Schriftsteller
Siehe auch: Klaus-Groth-Straße, Borgfelde, seit 1899: Klaus Groth (1819 - 1899), niederdeutscher Dichter
Siehe auch: Theodor-Storm bei: Stormsweg, Uhlenhorst (1903): Theodor Storm (1817-1888), Schriftsteller
Siehe auch: Schröderstiftstraße, Rotherbaum (1858): Johann Heinrich Schröder (1784-1883), Gründer des Schröderstiftes. Kaufmann, Bankier, Gründer der Firmen J. Henry Schröder & Co., London und J. H. Schröder & Co. Liverpool

Bereits in der NS-Zeit wurde die Dethlefstwiete als neuer Straßenname (alter Straßenname: Hermannstraße) in der Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt. Die Liste wurde im Hamburger Adressbuch von 1943 veröffentlicht und listet alle in der NS-Zeit umbenannten Straßen auf, auch diejenigen, bei denen die konkrete Umbenennung noch nicht vollzogen wurde. Bereits umbenannte Straßen wurden mit einem Stern gekennzeichnet.

Nach der Einführung des Groß-Hamburg-Gesetzes im Jahre 1937, durch das z. B. Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Rahlstedt, Bramfeld, Lohbrügge und andere Gebiete, die heute Hamburger Stadtteile sind, nach Hamburg eingemeindet wurden, ergaben sich bei den Straßennamen häufig Doppelungen. „Insbesondere Namen aus dem niederdeutschen Raum“ und „Personen der schleswig-holsteinischen Geschichte“ sollten bei der neuen Straßennamensvergabe berücksichtigt werden.

Viele der für eine Umbenennung in Frage kommenden alten Straßennamen wurden in der NS-Zeit aber nicht mehr umbenannt. Eine Umbenennung nach den 1943 aufgelisteten neuen Straßennamen erfolgte für diverse Straßennamen dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. So wurde die Dethlefstwiete 1948 benannt.

„Der Ruhm der ersten plattdeutschen Dichterin von Bedeutung gebührt Sophie Dethlefs“, schrieb Albrecht Janssen am 7. Oktober 1925 in seinem Artikel „Plattdeutsche Dichterinnen“ im „Hamburger Fremdenblatt“, und Klaus Groth (siehe: Klaus-Groth-Straße), der neben Fritz Reuter (siehe: Fritz-Reuter-Straße) und John Brinckmann als Begründer der neuniederdeutschen Lyrik gilt, sah in Sophie Dethlefs seine bedeutendste Wegbereiterin.

Nicht nur, weil die begeisterte Aufnahme ihres Gedichtes „De Fahrt na de Isenbahn“ ihn darin bestärkte, dass die plattdeutsche Sprache doch noch nicht vergessen und die Tradition der plattdeutschen Dichtung wieder zu beleben war, sondern besonders deshalb, weil Sophie Dethlefs einen anderen Ton anschlug als die Kollegen, die sich nur über die Dummheit der Bauern lustig machten: „... dar weer wat Smucks in dat Gedicht, de Welt, de se beschreev, weer doch lebenswert.“ 2) Einen tiefer gehenden Einfluss auf sein eigenes Schaffen weist er jedoch zurück: Als Sophie Dethlefs erster Gedichtband erschien, sei sein zwei Jahre später veröffentlichter „Quickborn“, mit dem er seinen Ruhm als neuniederdeutscher Dichter begründete, schon sehr weit fortgeschritten gewesen, schreibt er in seinem Aufsatz „Sophie Dethlefs un ik“. Was aus der Distanz so sachlich vorgetragen ist, hat zur Zeit des Erscheinens des „Quickborn“ eine ganz andere Heftigkeit. In einem Brief an E. F. Chr. Griebel heißt es: „Schon öfter habe ich den Vergleich mit der Dethlefs ertragen müssen. Ich will aber mein Buch sogleich verbrennen, wenn ich mit ihr auf gleicher Linie stehe. Ihre Sachen sind durchaus Dilettantenarbeit. Sie hat keinen Vers mit Kunstbewußtsein geschrieben. Plattdeutsch versteht sie nicht; einige läppische Worte wie Petzen und Detzen sind noch kein Plattdeutsch. Ihre ‚Fahrt na de Isenbahn’ empört mich. Harms sagt mit Recht davon, daß sie eigentlich etwas auf die Finger haben müßte, weil sie das Volk so erbärmlich ansehe, so erbärmlich zeichne. Denn das ist eben der Grundmangel: Achtung vor dem Volke! Und darum kann sie keine feste Konzeption fassen und harmonisch, ohne Abschweifung, zu Ende führen. Ich verlange natürlich nicht, daß sie gegen die Dethleffs polemisieren sollen. Allein ich könnte es nicht ertragen, wenn meine Arbeit als Dilettantenwerk dargestellt würde.“ 3)

Sophie Dethlefs teilte den Ehrgeiz und das Konkurrenzdenken Klaus Groths in keiner Weise. Nach der Lektüre des „Quickborn“ schickte sie ihm ein rührendes Widmungsgedicht.

Sophie Dethlefs wurde am 10. Februar 1809 in Heide geboren, wo auch der um zehn Jahre jüngere Klaus Groth aufwuchs. Trotz der Gemeinsamkeiten kam es nie zu einer ernsthaften Annäherung zwischen den beiden. Sophie Dethlefs und Klaus Groth sprachen in Heide nur ein einziges Mal miteinander, etwa im Jahre 1845 auf einem Polterabend, auf dem sie plattdeutsche und er hochdeutsche Gedichte vortrug. Dieses Ausbleiben eines näheren Kontaktes war wohl nicht nur im Altersunterschied begründet, sondern vor allem in einem Standesunterschied, denn Sophie Dethlefs gehörte den so genannten besseren Kreisen an. Sophie war die Tochter des Branddirektors Dethlefs. Die Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater engagierte eine Haushälterin und lebte mit seinen drei Töchtern und dem Sohn sehr zurückgezogen in einem schönen Haus mit großem Garten. Nur manchmal gingen die Schwestern auf dem Dorfplatz spazieren. Klaus Groth erinnert sich: „Oewer den groten Plaats voer min Vaderhus in de Heid spazeern mitto gegen Abend, wen’t warm un still Wedder weer, twee öllerhafte Mädens, ‚Mamselln’ war wul seggt, denn se hören nich recht to de Handwarkers, Arbeiders, lütt Hüerslüd un wat dar sunst um den Lüttenheid, as de grot Gemeenplaats het, wahn (...). Wenn de beiden Mamselln achter rutgungn, so blev en lütten oln Mann torügg un mak de Port wedder to.“ 2) Noch deutlicher wird der Abstand, den Klaus Groth empfindet, wenn er lapidar formuliert: „Dat awer Glück un Freden dar ok nich blot regeer, dat keem mi al glik to Ohrn, as man mit Schrecken vertell, Branddirektor Dethlefs weer afsett. Sin Kaß weer in Unordnung, sin lütt Gehalt harr nich reckt voer de Familje. Hus un Garn warn verkofft. Wat war ut de armen Lüd? Se verswunn voer uns Börgerslüd, dat weer allns.“ 2)

Das war im Jahre 1835, Sophie war 26 Jahre alt. Nach der Entlassung ging der Vater zu seinem Sohn, der Kirchspielvogt in Delve war. Sophie musste alleine zurechtkommen. Dazu kam noch das Unglück einer unerfüllten Liebe. Eine höhere Schul- oder gar eine Ausbildung hat sie vermutlich nie genossen. Den Mädchen wurde laut Heider Schulordnung eine „zweckmäßige Ausbildung für das häusliche Leben“ zuteil. Sophie fand eine Stellung im Haus des Justizrats Paulsen. Das Ehepaar Paulsen war kinderlos, und da Frau Paulsen ebenso gerne las wie Sophie Dethlefs, freundeten die beiden sich an. Sie „weer mehr er Fründin as er Herrschaft“. 2) Sophie Dethlefs machte Gelegenheitsgedichte, „oft drullig un nich ahn en beten dristen Humor“. 2) Wenn es in Heide ein Fest gab, holte man sie. Sie trug Widmungsgedichte vor und gestaltete die Auftritte der Gratulanten zu kleinen Theaterrollen, indem sie veranlasste, sich als Zigeuner, Fischersfrau u. ä. zu verkleiden. Manchmal entwarf sie ganze Szenarien. Für einen Polterabend ließ sie in einem Lokal einen ganzen Jahrmarkt aufbauen.

Mit ihrem Gedicht „De Fahrt na de Isenbahn“ wurde sie, für sie selbst offenbar ganz überraschend, mit einem Schlag in ganz Schleswig-Holstein bekannt. Das Gedicht ging von Mund zu Mund und von Hand zu Hand, bevor es in Karl Biernatzkis „Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg“, in dem Theodor Storms (siehe: Theodor-Storm-Straße) „Immensee“ zu finden war, zum ersten Mal gedruckt wurde. Damit war ihr der Schritt von der dilettierenden Verseschmiede in die literarische Öffentlichkeit gelungen. Durch den Zuspruch von Freunden ermuntert, ließ sie im selben Jahr den Band „Gedichte“ drucken. Die erste Auflage war so schnell vergriffen, dass schon 1851 die zweite erschien und 1857 eine dritte. Die vierte erweiterte Auflage (1861) trug den Titel „Gedichte in hochdeutscher und plattdeutscher Mundart“. Die Gedichtbände enthalten neben der „Fahrt na de Isenbahn“ weitere epische Gedichte, die auch von den Menschen ihrer Heimat erzählen, lyrische Klagen über das erfahrene Liebesleid und patriotische Gedichte, die Sophie Dethlefs 1848 während des Krieges zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark verfasst hatte. Die fünfte, mit einem Vorwort und einem Lebensabriss versehene Auflage gab Klaus Groth im Jahre 1878 heraus. Nun, nachdem er seines eigenen Ruhmes längst sicher war, konnte er entspannt mit dem Werk Sophie Dethlefs umgehen. Im Vorwort nannte er „De Fahrt an de Isenbahn“ ihr Hauptwerk, mit dem sie ihren Ruf begründet habe: „Das Idyll erwarb sich allein durch seinen inneren Wert seine zahlreichen Freunde und der Verfasserin einen Namen, der nicht ausgelöscht werden kann, so lange eine plattdeutsche Literatur und Sprache bestehen.“ 3)

Der Herausgeber des 1989 erschienenen Bandes „Sophie Dethleffs Gedichte“, Michael Töteberg, beurteilt ihr Werk folgendermaßen: „Mit Kunstbewußtsein hat Sophie Dethleffs keinen Vers geschrieben. Sie war eine naive Poetin. Doch finden sich in ihrem Gedichtband nicht bloß Juxgedichte für Polterabend, Taufe und Konfirmation. Die ernsten und wehmütigen Töne sind unüberhörbar; häufig wiederkehrende Motive sind soziale Not und unerfüllte Liebe – Weiberthemen nach damaligem Verständnis. Das Stichwort Frauenlyrik ist bereits gefallen, es hat einen abfälligen Beiklang. Mit männlicher Arroganz wurde den in den Gedichten zum Ausdruck kommenden Empfindungen und Gefühlen höherer Wert abgesprochen. Sophie Dethleffs war privates Glück versagt geblieben; in ihren Versen flüchtete sie oft ins Sentiment oder setzte als Schlußmoralität christliches Gottvertrauen.

Gewiß ist manches, was sie zu Papier brachte, lediglich konventionelle Erbauungsliteratur, wirkt weder originell noch sonderlich inspiriert. Sie konnte eine alte Tasse, ein ausgedientes Kleid oder das erste Stiefmütterchen andichten; es gibt unfreiwillig komische Wendungen, so daß man manchmal denkt, hier sei eine plattdeutsche Friederike Kempner am Wirken. Und doch ist es ihr gelungen, in schwermütigen Versen individuelles Schicksal zu artikulieren. Ein unruhiges Herz, einsam und traurig, spricht sich hier aus.“ 3)

Zu dem privaten Elend kam die Bedrängnis durch den Krieg gegen Dänemark. Auch wenn Sophie Dethlefs’ patriotische Gedichte häufig recht plakativ sind, ist ihr politisches Engagement doch bemerkenswert, zumal sich die allgemeine Begeisterung für die Befreiungskriege in Dithmarschen sich in Grenzen hielt.

Nach dem Tode des Justizrats Paulsen im Jahre 1849 wurden Sophie Dethlefs’ Lebensverhältnisse immer drückender. Pastor Rehhoff von der Hamburger Michaeliskirche nahm sich ihrer an und brachte sie 1853 zusammen mit ihrer blinden Schwester Annette Dorothea im neu eröffneten Schröder-Stift in Hamburg unter (siehe: Schröderstiftstraße), das sein Erbauer, der Kaufmann und Freiherr Schröder, ausdrücklich für „Hilfsbedürftige aus besseren Ständen“ bestimmt hatte. Die Wohnung war mietfrei, und jeder Bewohner erhielt 120 Mark im Jahr für den Lebensunterhalt.

Klaus Groth hat Sophie Dethlefs 1857 dort besucht: „Ik söch er in Hamborg int Schröderstift op, wo se ja wenigstens mit er Swester Opnahm un Pfleg funn harr. Dat harrn er Gedichte makt. Awer trurig, möd in sik, eensam, as man seggt, dalknickt, seet se dar mit er blinde Swester. Klag’ weer de Anfang. Klag’ weer allns, wat ik to hörn kreeg. All min Trost weer as Waterdrippens op en hitten Stehn. Wer will er’t oewelnehm? Wo weer de Welt, wo wi na opkeken harrn as na en Märkenwelt, wo se in levt harr? Kaspelvagt, Landvagt, Landschriwer, Pennmeister, – wo weern se?“ 2) In seiner Bitterkeit gegenüber den sogenannten Honorationskreisen übersieht Klaus Groth ganz offenbar, dass die Lebensverhältnisse der Sophie Dethlefs niemals märchenhafte Züge getragen hatten. Es ist geradezu folgerichtig, wenn dieses einsame und dürftige Leben in der anonymen Großstadt unter fremden Menschen endete. „Vor nur wenigen Wochen ist eine Holsteinische Dichterin, Sophie Dethlefs, verschieden, und unsere Tagesblätter sind mit zwei Zeilen flüchtig darüber hingegangen“, schrieben die Itzehoer Nachrichten am 4. April 1864. Sophie Dethlefs wurde auf dem Friedhof St. Katharinen beigesetzt.

Text: Brita Reimers