Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Mennonitenstraße

Altona-Nord (1935): benannt nach der sich dort befindenden Mennonitenkirche


Die Straße wurde in der NS-Zeit benannt und zwar dort, wo die Mennonitenkirche steht. Zur Stellung der Mennoniten in der NS-Zeit, siehe weiter unten.

Daniel Kaiser schreibt über die Mennoniten in Hamburg u. a.: „Die Mennoniten in Hamburg sind eine kleine Kirche mit einer großen, aufregenden Geschichte. Sie nennen sich nach dem Reformator Menno Simons. Vor 400 Jahren kamen die Mennoniten auf der Flucht vor Verfolgung nach Norddeutschland. (…). Vor genau 100 Jahren, im Herbst 1915, eröffnete die Hamburger Gemeinde ihre neue Kirche in Altona-Nord, die zu einem neuen Selbstbewusstsein der Mennoniten in der Stadt führte. (…)
Die Mennoniten waren nicht gerade arme Leute. Sie gründeten in Altona Reedereien und brachten es mit einer der größten Walfang-Flotten der Region zu einem gewissen Wohlstand. (…).“ 1)

In Hamburg wird mit einigen Straßennamen an bedeutende Mennoniten erinnert, so zum Beispiel die Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli, die Roosenbrücke in der Hamburger Neustadt, der Roosens Park, der Roosens Weg in Othmarschen, die Van-der-Smissen-Straße in Altona-Altstadt.

In der Selbstdarstellung der Mennonitengemeinde heißt es u. a.: Bei den Mennoniten handelt es sich um eine: „evangelische Freikirche. Hervorgegangen aus der Täuferbewegung der Reformation im 16. Jahrhundert sind sie heute bekannt als einer der ‚historischen Friedenskirchen‘. Mennoniten begreifen den Glauben als ein Geschenk der Gnade Gottes. Aufgrund dieser liebenden Zuwendung Gottes ist ihnen die gewaltfreie Nachfolge Jesu entscheidendes Merkmal christlichen Bekennens und Handelns. (…)

Mennonitische Gemeinden haben ihre Ursprünge in der ‚Radikalen Reformation‘ des 16. Jahrhunderts. Mit anderen evangelischen Kirchen teilen wir die Überzeugungen (…), dass wir allein aufgrund der Gnade Gottes der versöhnenden Liebe Gottes gewiss sein können. Diese Gewissheit ist uns in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus offenbart, wie in den Zeugnissen der Bibel berichtet. Diesen Glauben begreifen wir als ein Geschenk des Heiligen Geistes. (…)

Mennonitische Gemeinden haben ihre Ursprünge in der Täuferbewegung, die im 16. Jahrhundert an verschiedenen Orten in unterschiedlichen Formen Gestalt annahm. Diese plurale Bewegung einte die Ablehnung der Säuglingstaufe, in der sie das äußere Zeichen einer Kirche sah, die als Institution die Heilsvermittlung durch das Spenden der Sakramente und den Ablasshandel beanspruchte. Diese mittelalterliche Kirche wurde als deckungsgleich mit der Gesamtgesellschaft kritisiert, ohne sichtbare Lebensorientierung an der ‚guten Nachricht‘ des Evangeliums. Durch die freie Entscheidung eines mündigen Menschen zum Christsein sollte es zur bewussten Taufe und selbstgewählten Kirchenmitgliedschaft kommen. Die Hoffnung war – und ist es bis heute, dass so erst eine Kirche von bekennenden Christinnen und Christen wächst, eine ‚Gemeinschaft der Glaubenden‘ in der Nachfolge Jesu Christi. In Mennonitischen Gemeinden werden Menschen getauft, die sich aus freien Stücken zu Jesus Christus bekennen.

Anders als andere Reformatoren lehnten die Täufer*innen die enge Verquickung von Staat und Kirche ab. Nachdem sie die Erfahrung gemacht hatten, dass auch jene staatlichen Autoritäten, die die Reformation unterstützten, eher dem eigenen Machtkalkül folgten und nicht wirklich an einer Veränderung auch der ökonomischen Verhältnisse interessiert waren, strebten die Täufer*innen danach, eine Kirche zu verwirklichen, die frei von staatlicher Einflussnahme (Gewalt, Ökonomie) wäre. Diese Kirche sollte sich frei entfalten und unabhängig ihre Stimme erheben können – wenn nötig auch gegen die eigene Regierung. Daher lehnten sie unter anderem den Eid gegenüber der Obrigkeit ab, da diese Loyalitätsverpflichtung in Konkurrenz treten könnte zur Bindung an das Wort Gottes, und sie traten früh für die Religionsfreiheit ein.

Die Bibel sollte die einzige Autorität sein, der sich alle anderen Autoritäten unterzuordnen und an ihr auszurichten haben. Die fortwährende gemeinsame Auslegung der Schrift durch die versammelte Gemeinde als einer „hermeneutischen Gemeinschaft“ verhindert – im Idealfall – eine biblizistische wie auch legalistische Interpretation. Der Idee eines „Priestertum aller Gläubigen“ folgend, sollte es innerhalb der Gemeinde von gleichberechtigten Schwestern und Brüdern keine Ämterhierarchie mehr geben.
Diese Forderung nach Freiheit und Eigenständigkeit wollten politische und kirchliche Obrigkeiten lange Zeit nicht hinnehmen, weshalb die gesamte Täuferbewegung Verfolgung und Folter erleben musste. Heute sind Mennonitische Gemeinden ‚Freikirchen‘, eigenständig in allen Fragen des Glaubens (…). Auch ihre finanziellen Belange organisieren sie selbständig, allein durch freiwillige Beiträge. (…)
Seit Beginn der neuzeitlichen ökumenischen Bewegung (Anfang des 20. Jahrhunderts) werden mennonitische Gemeinden als ‚historische Friedenskirchen‘ bezeichnet. Sie lehnen bis heute in weiten Teilen den Kriegsdienst ab (…).

Gerade unter den Mennoniten in Deutschland war allerdings gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Verweigerung des Kriegsdienstes weitgehend aufgegeben worden. Zu Beginn des Dritten Reiches hatte sich die ‚Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden‘ in ihrer Verfassung vom ‚Prinzip der Wehrlosigkeit‘ gelöst.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann – unter dem Einfluss nordamerikanischer Mennoniten (vor allem Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistender) – ein Bewusstsein zu wachsen, sich wieder verstärkt und nun aktiv gewaltfrei für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung mitten in der Gesellschaft einzusetzen. (…).“ 2)

Mennoniten in der Zeit des Nationalsozialismus
Benjamin W. Goossen schreibt in seiner wissenschaftlichen Abhandlung über die Rolle des Mennonitentums in der nationalsozialistischen Propaganda u.a.: „Einige Historiker haben behauptet, dass die Mennoniten für den Aufstieg und Verlauf des Dritten Reiches von geringer Bedeutung waren. Gemäß dieser Sicht wären die Mennoniten letzten Endes eine unbedeutende Minderheit gewesen, die während der nationalen Erhebung 1933 nur mitgerissen worden war. Im Gegensatz dazu waren die Nationalsozialisten an den Mennoniten zutiefst interessiert, weil sie in ihnen vollkommene Volksdeutsche sahen. (…). Im Gebiet des Dritten Reiches lebten verhältnismäßig wenig Mennoniten, in Deutschland 1933 weniger als 20 000. Weltweit waren es jedoch fast eine halbe Million. Viele dieser Diaspora-Mennoniten hatten sich in geschlossenen, deutsch sprechenden Gruppierungen angesiedelt. Für die Nazis repräsentierten diese Siedlungen Außenposten oder ‚Inseln‘ des Deutschtums, in denen die Mennoniten die Werte und das Blut ihrer Vorfahren bewahrten, umringt von größeren nicht deutsch sprechenden ‚Wirtsvölkern‘. Diese Mennonitenkolonien, ob in den Vereinigten Staaten, in Kanada, Brasilien, Paraguay, Mexiko oder in der Sowjetunion, hätten angeblich für Deutschland den ersten Spatenstich getan. Aus der Sicht der Nazipropagandisten hatten diese Siedlungen die Expansion des Dritten Reiches sowohl angekündigt als auch gerechtfertigt. (…).“ 3)

Benjamin Goossen betont, dass Mennoniten der Nazipropaganda „als Symbol für völkisches Deutschtum dienten. (…) Wenn Deutsche über die Geschichte und körperliche Charakteristik von Volksdeutschen nachdachten, über ihre weltweite Migration oder ihre altertümliche Bauerntracht – waren es oft Bilder von Mennoniten, die sie dabei heraufbeschworen. Diese beiden Kategorien waren unauflöslich miteinander verknüpft.“ 4)

Benjamin Goossen stellt auch die Frage, wie es kam, dass Mennoniten als Volksdeutsche betrachtet wurden, denn sie galten in Deutschland: „lange Zeit als Bürger zweiter Klasse (…). Aufgrund ihrer täuferischen Tradition, der Erwachsenentaufe und Eidverweigerung, der Laienpredigt und Wehrlosigkeit wurden sie im günstigsten Falle von ihren evangelischen und katholischen Nachbarn als halbchristliche Sektierer betrachtet. Im schlimmsten Fall galten sie als antideutsche Ketzer. Insbesondere die Weigerung der Mennoniten in Preußen und anderswo, am Militärdienst teilzunehmen, erschwerte ihre Ansprüche auf die deutsche Staatsangehörigkeit, die im neunzehnten Jahrhundert eng an die Ableistung des Wehrdienstes gebunden war. (…).“ 5) Dennoch gab es „deutsch-nationale Mennoniten (…) [die] unermüdlich daran [arbeiteten], ihre Konfession als eine deutsche Kirche darzustellen. Für sie konstituierte sich das Mennonitentum als globales Netzwerk von Christen nicht nur durch seine täuferischen Glaubensgrundsätze, sondern auch durch seine biologischen Bande. (…) Während der 1920er und 1930er Jahre half ein neues Interesse an der Ahnenforschung, solche Ideen in die mennonitischen Gemeinden in ganz Deutschland hineinzutragen. Vor allem nach der Verabschiedung der NS-Rassengesetze strebten Mennoniten danach, mittels ihrer Familiengeschichte den Nachweis arischen Blutes zu erbringen sowie zu zeigen, dass ihre Glaubensgemeinschaft als Ganzes grundlegend deutsch war. Führende deutsche Mennoniten versuchten, alle Mennoniten weltweit von diesen Thesen zu überzeugen. (…).“ 6)

Hinzu kam, dass der bis dato gelebte Pazifismus der Mennoniten von der Nazipropaganda genutzt wurde. Dazu Benjamin Goossen: „Ironischerweise erwies sich der historische mennonitische Pazifismus sogar als Aktivposten im Dritten Reich. (…) ihre überwundene Wehrlosigkeit ließ ihren Kampf gegen den Bolschewismus erst recht heroisch erscheinen. (…).“ 7)

Siehe zum Thema: Mennoniten und Nationalsozialismus auch unter: www.mennlex.de/doku.php?id=top:drittes_reich

Und in Wikipedia steht zu dem Thema: „Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 zeigten viele mennonitische Gemeinden und Einzelmitglieder Zustimmung und Sympathiebekundungen, da sie in die Nationalsozialisten ihre Hoffnung auf eine Deliberalisierung und Solidarisierung der Gesellschaft gegen den ‚Sittenverfall‘ setzten. Auch die Agrarpolitik der neuen Machthaber fand bei vielen ländlich verwurzelten Mennoniten Anklang. In den Jahren danach wich die Zustimmung oft dem Rückzug ins unpolitische Gemeindeleben. Die Mennoniten lehnten die Deutschen Christen und das Führerprinzip ab und hielten ihre Gemeindeordnung aufrecht, distanzierten sich aber nicht deutlich vom Nationalsozialismus. Es ist kein Fall bekannt, dass ein Mennonit nach Einführung der Wehrpflicht den Wehrdienst verweigerte. Die Vertreibung aus dem Osten des Deutschen Reiches am Ende des Zweiten Weltkrieges traf die Mennoniten hart: Viele Mitglieder kamen auf der Flucht um oder mussten sich eine neue Heimat suchen, beispielsweise in der Bundesrepublik oder in Südamerika. 1995 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden ein Schuldbekenntnis gegenüber den Kriegsopfern und Juden.“ 8)