Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Brockhausweg

Billstedt (1950): nach der Verlegerfamilie Brockhaus


Siehe auch: Fritz-Schumacher-Allee

Vor 1950 hieß die Verkehrsfläche Auguststraße. In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Karl-Johannsen-Damm umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1950 bei Auguststraße und wurde dann umbenannt in Brockhausweg.

Wahrscheinlich wurde bei der Benennung dieses Weges mehr an Friedrich Arnold Brockhaus (Verlagsgründer) und die folgenden Verleger aus der männlichen Linie der Brockhausfamilie gedacht und weniger an die Verlegerfrauen, so z. B. an Marianne Brockhaus.

Friedrich Arnold Brockhaus (4.5.1772 Dortmund – 20.8.1823 Leipzig), der Gründer des Verlagshauses Brockhaus, war der Sohn von Johann Heinrich Brockhaus (1739-1811), Kaufmann und Ratsherr aus Duisburg, und von Catharina Elisabeth, geb. Davidis (1727-1789), Tochter eines Kaufmanns und Witwe des Kaufmanns Bernhard Westhoff.

1798, im Alter von 26 Jahren und nachdem er nach einer Ausbildung zum Kaufmann 1796 Teilhaber einer Großhandelsfirma für englische Manufakturwaren geworden war, heiratete Friedrich Arnold Brockhaus die damals 21-jährige Sophie, geb. Beurhaus (24.12.1777 Dortmund – 8.12.1809 Amsterdam), Tochter eines Juraprofessors sowie Senators und Vizekämmerers in Dortmund und dessen Ehefrau. 1799 wurde das erste und ein Jahr später das zweite Kind geboren.

„Zerwürfnisse mit seinen Partnern [veranlassten Friedrich Arnold Brockhaus dazu,] 1802 nach Amsterdam überzusiedeln, wo er sich selbständig machte.“ 1) Kind Nummer 3 – Lina Brockhaus - wurde im Februar 1802 bereits in Arnheim geboren.

„Der anfangs günstigen Entwicklung seines Geschäfts setzten die wirtschaftlichen Maßnahmen Napoleons, die ihn von seinem Hauptlieferanten abschnitten, ein Ziel, und er entschloß sich 1805, seiner seit früher Jugend starken Liebe zur Literatur zu folgen und vom Tuchhandel zum Buchhandel überzuwechseln.“2)
In dieser Zeit wurden die Kinder Heinrich (1804), Hermann (1806), Max (1807) und Sophie (1809) geboren. Sophie Brockhaus hielt ihrem erwerbstätigen Ehemann den Rücken frei, so dass er seine ganze Kraft seinem Geschäft widmen konnte. Doch vierzehn Tage nach der Geburt des siebten Kindes starb Sophie Brockhaus im Alter von 32 Jahren an einer Erkältung.

Die politischen und auch finanziellen Verhältnisse sowie der Tod seiner Frau führten zu Friedrich Arnold Brockhaus‘ Entschluss, Amsterdam zu verlassen und nach Leipzig zu ziehen. Er war nun Witwer und Vater von sieben Kindern. Diese brachte er in Dortmund unter und kaufte 1808 in Leipzig ein Unternehmen an, von dem er sich Erfolg versprach: das Konservationslexikon.

„Wieder ging es nicht glatt: Der zünftige Buchhandel sperrte sich gegen den Außenseiter. B. fand Zuflucht in Altenburg, der geistig regsamen Hauptstadt des damals politisch noch selbständigen Herzogtums. Dort stellte er mit bedeutenden Werken der Romantiker und der Urania seinen belletristischen Verlag auf feste Füße und griff, als Gegner Napoleons, politisch-publizistisch ein, (…).“ 3)

In den vier Monaten, in denen Brockhaus in Leipzig gewesen war, hatte er sich eng befreundet mit „Johanna Karoline Wilhelmine Spazier, der Witwe des 1805 verstorbenen Leipziger Hofrats und Herausgebers der Zeitung für die elegante Welt, Karl Spazier, Schwägerin des Dichters Jean Paul [siehe: Jean-Paul-Weg] und Herausgeberin des von Brockhaus verlegten Jahreskalenders Urania (...). Spätestens seit Anfang August trug Brockhaus sich offensichtlich mit konkreten Heiratsplänen. Nach seiner Ankunft in Altenburg im Monat darauf reifte der Plan heran, sein Amsterdamer Unternehmen an seine zukünftige Braut zu verkaufen, um seine Schulden in den Niederlanden bezahlen zu können. Während es ihm nämlich bei einem Teil seiner Gläubiger gelungen war, einen Zahlungsaufschub zu erreichen, verzichteten die Übrigen nur gegen eine Teilzahlung in bar auf den Rest ihrer Forderungen. So war Brockhaus schließlich gezwungen, sein Sortimentsgeschäft in einem fingierten Geschäft zu verkaufen, um es nach einer Aufhebung des Vertrags zehn Tage später unter dem Namen ‚Typographisch-litterarisches Institut in Amsterdam und Leipzig‘ weiterzuführen.

Doch sein Verlöbnis war nur von kurzer Dauer, denn Ende 1810 erkrankte Wilhelmine Spazier schwer. Aus einer zunächst für harmlos erachteten fiebrigen Erkrankung geriet sie in einen Zustand der geistigen Verwirrung, der sich in wiederholten Anfällen äußerte. Als sie Brockhaus im Glauben ihres nahenden Todes alle ihre bisherigen Verhältnisse beichtete, löste dieser die Verlobung auf. In einem Brief an Friedrich Bornträger, zu jener Zeit sein Angestellter und Vertrauter, vom 21. November 1810 schrieb er: ‚Diese Aufschlüsse machen es mir unmöglich – ihr je meine Hand zu geben. O Gott, aus welchem Himmel bin ich gestürzt.‘ und weiter: ‚Diese Aufschlüsse kann ich Ihnen vielleicht – und nur Ihnen – einst mittheilen, wenn, wie ich wünschen muß, Minna sterben sollte!‘ Bis Ende Dezember 1810 hatte sich der Gesundheitszustand der Hofrätin soweit gebessert, dass Brockhaus am 29. an Bornträger schrieb: ‚Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen‘,“ 4) schreibt Annemarie Meiner in der Neuen Deutschen Biographie.

Im selben Jahr, 1810, starb auch eines seiner Kinder (Max) im Alter von drei Jahren.
„Anfang 1811 brachte Brockhaus [Johanna Spazier] schließlich in das Haus ihrer Eltern nach Berlin zurück. Die nach diesem Zeitpunkt zwischen Wilhelmine Spazier und Friedrich Arnold Brockhaus gewechselte Korrespondenz ist nicht überliefert.

Schon bald nach der Trennung von der Hofrätin heiratete Brockhaus 1812 Jeanette von Zschock [7.9.1775 Offenbach/Main – 9.7.1833 Leipzig], mit der er weitere vier Kinder zeugte. Aufgrund von Spannungen zwischen Jeanette und Brockhaus’ Kindern aus erster Ehe gestaltete sich die Beziehung aber von Anfang an schwierig und so wurde die Ehe schon 1821 wieder geschieden.

Nach der Trennung von der Hofrätin Spazier übernahm Brockhaus selber die Herausgabe der Urania, die in seiner Altenburger Zeit einen der drei Schwerpunkte seines Verlagsprogramms bildete (…). Dabei handelte es sich um eines zu jener Zeit äußerst beliebten ‚Taschenbücher für Damen‘, die aus einer Sammlung zeitgenössischer Prosastücke und Gedichte bestanden (…).. Die Urania wurde im Zuge der Märzrevolution von 1848 und damit erst fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod eingestellt.

Neben der Publikation zeitgenössischer deutscher Literatur engagierte Brockhaus sich stark auf politischem Gebiet. Mit den Deutschen Blättern verlegte er zwischen 1813 und 1816 das offizielle Nachrichtenorgan der Alliierten in den Befreiungskriegen. In eigenen Beiträgen fungierte er sowohl als Berichterstatter – (…) wie auch als kritischer Kommentator der politischen Zeitumstände. Mit seinen Äußerungen geriet er jedoch zunehmend in das Blickfeld der Zensur und gab das Unternehmen aufgrund nachlassender Verkaufszahlen schließlich 1816 wieder auf,“ 5) heißt es in Wikipedia.

1817 siedelte Brockhaus mit seiner Familie nach Leipzig um, wo er seinen Verlag aufbaute. „Das Konversationslexikon, an dessen glücklicher Entwicklung er auch als Redakteur entscheidenden Anteil hatte und von dem fünf Auflagen zu seinen Lebzeiten erschienen, war der Mittelpunkt (…).“ 6) Dass dieses Lexikon überhaupt erscheinen konnte, war auch der erheblichen Mitgift zu verdanken, die Brockhaus‘ zweite Ehefrau Johanna von Zschock mit in die Ehe gebracht hatte. 7)

Brockhaus‘ Nachfolger, einer seiner Söhne, brachte 1843 einen der wichtigsten frühen deutschen „Frauenromane“ des 19. Jhds. heraus – das von Fanny Lewald verfasste Buch. „Das Werk ist sowohl für die Frauen- als auch die Judenemanzipation in Europa bedeutend gewesen, da hier zum ersten Mal eine Frau relativ offen soziale und politische Umwälzungen mittels der Literatur forderte. Außerdem verglich Lewald darin direkt die Frauen- mit der Judenemanzipation.

Die Titelheldin des Romans, Jenny Meier, trägt stark autobiographische Züge der Autorin. Sie entstammt einer reichen jüdischen Handelsfamilie in Norddeutschland und argumentiert angesichts Antisemitismus und patriarchaler Gesellschaftsstrukturen für die Notwendigkeit einer Emanzipation von Frauen sowie Jüdinnen und Juden,“ 8) ist in Wikipedia nachzulesen.

Eine bedeutende Vertreterin der Brockhaus Familie war Marianne Brockhaus (22.5.1865 Leipzig – 2.7.1954 Pillnitz/bei Dresden), die Urenkelin von Friedrich Arnold Brockhaus und Sophie, geb. Beurhaus.
Der Hamburger Architekt und Baumeister Fritz Schumacher (siehe: Fritz-Schumacher-Allee) äußerte über Marianne Brockhaus: „Marianne Brockhaus ... gehörte zu den Frauen, die es verstehen, die Kunst der Freundschaft in einer Weise auszubauen, wie es etwa aus den Briefwechseln der Romantikerzeit zu uns herüberklingt.“ (Fritz Schumacher: Stufen des Lebens. Erinnerungen eines Baumeisters. Stuttgart 1949, Seite 288.)

Sabine Kopf hat über Marianne Brockhaus ein wunderbares Portrait verfasst, woraus im Folgenden ausführlich zitiert werden soll: „Marianne Brockhaus war eine künstlerisch vielseitig begabte Frau, die mit bedeutenden Zeitgenossen befreundet war und das Grassi-Museum sowie Projekte, u.a. die Frauen-Bugra 1914, finanziell unterstützte.
Wie andere Mitglieder der Familie reiste sie viel und gern und nahm rege am gesellschaftlichen Leben, wie an den Gewandhausbällen, teil. In der Familienvilla wurde über viele Jahrzehnte von den Frauen des Hauses ein Salon gepflegt, an dem nicht nur Verlags-Autoren als Gäste teilnahmen, sondern auch Solisten und Dirigenten der Gewandhauskonzerte, wie Yehudi Menuhin (1916-1999) und Arturo Toscanini (1867-1957).
Als Bücher- und Kunstsammlerin suchte Marianne Brockhaus Kontakte zu Institutionen und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens. Sie war Gründungsmitglied der sich 1909 konstituierenden Gesellschaft der Freunde des Kunstgewerbemuseums Leipzig und gehörte auch dem seit 1874 bestehenden Leipziger Kunstgewerbeverein an. (…). Daneben war sie Mitglied des Vereins ‚Leipziger Jahresausstellung‘ und der damals in Weimar ansässigen ‚Gesellschaft der Bibliophilen‘.

Aus einer reichen Verlegerfamilie stammend war sie in der Lage, Projekte der bürgerlichen Frauenbewegung, wie das ‚Haus der Frau‘ auf der Bugra 1914 mit großzügigen Spenden zu unterstützen. Es handelte sich um eine vom Verein ‚Die Frau im Buchgewerbe und in der Graphik‘ ausgerichtete internationale Ausstellung, für die eine Berliner Architektin einen eigenen Pavillon entwarf. Diese Schau fand große Beachtung.
Dem archäologischen Institut der Universität Leipzig stiftete sie einige antike Skulpturen und dem Grassimuseum kunsthandwerkliche Objekte. Einige Gemälde alter Meister aus Familienbesitz schenkte sie den Dresdner Sammlungen.

(…) Von materiellen Sorgen unbehelligt, ging Marianne Brockhaus scheinbar träumend durchs Leben, war aber in ihren Urteilen über das Werk ihrer Freunde erstaunlich hellsichtig. (…). Den befreundeten Architekten Fritz Schumacher (1869-1947) versuchte sie nach seiner Zwangspensionierung 1933 mit den wahrhaft prophetischen Worten zu trösten, sein Lebenswerk werde noch Bestand haben, ‚wenn sich alle trübe Fluten wieder verlaufen‘ hätten.

Die Freundschaft mit Fritz Schumacher, der als Architekt, Städtebauer und Fachschriftsteller zu den überragenden Persönlichkeiten seiner Zeit zählte, bot Marianne Brockhaus nach eigenen Worten seelischen Halt und Ersatz für andere Erfüllungsmöglichkeiten im privaten Leben. (…).
Marianne Brockhaus beschäftigte sich auch intensiv mit der kostbaren Sammlung von Dichterhandschriften, die ihr Vater Rudolf Brockhaus zusammengetragen hatte und präsentierte diese ausgewählten Besuchern des Hauses ‚in dem klassisch anmutenden Salon von Max und Daisy Brockhaus‘ (Schumacher, Selbstgespräche, 1949, S. 169). (…)

Marianne war künstlerisch begabt und malte auch selbst. Sie unterhielt Kontakte zur Künstlerkolonie Worpswede, so zu Paula Modersohn-Becker (1876-1907) [siehe: Modersohnstraße].

Trotz allen Reichtums besaß Marianne Brockhaus aufgrund gesellschaftlicher Konventionen als unverheiratete Frau nie eine eigene Wohnung und blieb somit stets abhängig von ihren Verwandten. Im Sommer wohnte sie meist mit ihrer Mutter Louisa Brockhaus geborene Rath in einem von ihrem Vater Rudolf Brockhaus sen. 1881 erworbenen Sommerhaus in Pillnitz bei Dresden auf dem Berg über dem Schloss. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1921 gelangte diese kleine Villa in den Besitz ihres Bruders, des Musikverlegers Max Brockhaus (1867-1957). Nach der Zerstörung der Brockhaus-Villa in Leipzig im Dezember 1943 lebten er, seine Frau Daisy geborene Dufour-Feronce und seine Schwester Marianne ab 1944 dauerhaft in Pillnitz, wo Marianne Brockhaus am 2. Juli 1954 verstarb.“ 9)

Der „Brockhaus“ in der NS-Zeit
Der Historiker Thomas Keiderling ging der Frage nach: wie „objektiv“ Enzyklopädien sind, besonders auch in Zeiten, in denen totalitäre Systeme das Sagen haben. So schreibt er über das Nachschlagewerk „Brockhaus“ in der NS-Zeit: „Die deutschen Lexikonverlage wurden in der NS-Zeit wie der gesamte Verlagsbuchhandel auch engmaschig überwacht. Ihre Handlungsspielräume waren dadurch weitgehend eingeschränkt. Da Lexika in einem hohen Maß das Geschichts- und Gesellschaftsbild ihrer Entstehungszeit spiegeln, setzten die Nationalsozialisten große Bemühungen daran, die meinungsbildenden universalen Nachschlagewerke in ihrem Sinne zu beeinflussen. (…)

Die Inhaber des Brockhaus-Verlags Hans und Fritz Brockhaus waren Sympathisanten des deutschnational-konservativen Spektrums, ohne politisch aktiv gewesen zu sein. Wie so viele Unternehmer verurteilte Hans Brockhaus den Versailler Vertrag auf das Schärfste, 1933 hatte er dann in Hoffnung auf eine wirtschaftliche Stabilisierung die NSDAP gewählt. Allerdings waren weder die Firmeninhaber noch deren neun Prokuristen Mitglieder der NSDAP. Im Frühjahr 1933 erschienen bei Hans Brockhaus und dem Prokuristen Karl Jäger drei Mitarbeiter der Verlagsredaktion: Dr. Walter Becker, Dipl.-Ing. Hans Klaus und Dr. Wagner. Als Parteimitglieder verlangten sie, die Redaktion solle ‚im Interesse der Firma‘ geschlossen in die NSDAP eintreten und die Lexikonarbeit in den Dienst der neuen Ideologie stellen, ansonsten würde man binnen kurzem überrannt werden. Hans Brockhaus wies dieses Ansinnen zurück. Das Ereignis belegt, wie groß der Anpassungsdruck bereits innerhalb des Betriebs war. In der Tat kam es bei den Lexikonausgaben schon bald zu Auseinandersetzungen mit den Zensurbehörden Die Verlagsleitung wollte die NS-Funktionäre durch eine ‚enge Fühlungnahme‘ für sich vereinnahmen. Durch diese Strategie hoffte sie, Verständnis für ihr Unternehmen und kleinere Erfolge bei der Durchsetzung hauseigener Formulierungen im Lexikon zu erzielen. Erhaltene Briefe belegen das mitunter aufgeräumte, fast schon freundschaftliche Verhältnis der Verlagsleitung zu Hederich [Geschäftsführer der Parteiamtlichen Prüfungskommission des NS-Schrifttums, PKK]. Dieser schien sich in der Rolle zu gefallen, der berühmten Verlegerfamilie Brockhaus hin und wieder einmal ‚etwas durchgehen‘ zu lassen. Wiederholt setzte er sich für das Unternehmen ein. (…). Der Dialog mit den NS-Reichsstellen betraf nicht nur inhaltliche Fragen, sondern auch die konzeptionelle Anlage der Nachschlagewerke18. (…) Dieses Feilschen mit der PPK darf zweifelsohne nicht übersehen werden, mit einem offenen oder verdeckten Widerstand im Dritten Reich, wie das später Hans Brockhaus meinte, hatte es wenig zu tun. Denn die Unternehmens- und Redaktionsleitung setzte sich auch bei diesen Streitigkeiten um Formulierungen im Lexikon oder um die konzeptionelle Anlage der Nachschlagewerke keinen persönlichen Gefahren aus. Vielmehr war man in der RSK [Reichsschrifttumskammer] und der PPK von der weltanschaulichen Zuverlässigkeit der Familie wie des Betriebes durchaus überzeugt. Denn die Unternehmensleitung bediente sich einer Begründungsstrategie, um ihr traditionelles Konzept eines überparteilichen und ‚objektiven‘ Lexikons gegenüber den NS-Zensurbehörden zu verteidigen. Zu Recht verwies sie darauf, dass der Aspekt der politischen Aktualität im Konversationslexikon, der noch im frühen 19. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hatte, durch die Entwicklung der Wissenschaften, allen voran der Naturwissenschaft, stark zurückgedrängt worden sei. Zeitgeschichtliche und tagespolitische Begriffe würden in den allgemeinen Lexika nur noch maximal fünf Prozent der gesamten Stichwortzahl ausmachen. Nur ein kleiner Anteil davon betraf Begriffe und Themen der NS-Diktatur. (…)

Auf jeden Fall entsprachen alle im Nationalsozialismus erarbeiteten Lexika dem Zeitgeist. Den Lexikonunternehmern gelang es punktuell, wiederum in enger Tuchfühlung mit den Behörden, die erfolgte Einflussnahme zu verschleiern oder partiell zurückzudrängen. Brockhaus konnte auf diese Weise das mehrheitlich in der Weimarer Republik publizierte Großlexikon 'Der Große Brockhaus' (15. Auflage, 20 Bde., 1928–1935) im Nationalsozialismus lieferbar halten. Ihr Hauptargument war, dass alles andere im Ausland einen falschen Eindruck erwecken und die von der NS-Propaganda vertretene Behauptung, im Dritten Reich gäbe es keine Zensur, widerlegen könnte. (…)

Die 1941/42 veröffentlichten zwei propagandistischen Ausgaben des ‚Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen‘ belegen wiederum, dass auch 'Brockhaus' zur Aufrechterhaltung seiner Produktion im Zweiten Weltkrieg bereit war, gegen die Grundsätze der hauseigenen Lexikografie zu verstoßen. (…)
Dem Herstellungsdatum seines Großlexikons und den Anfeindungen im Rahmen eines drohenden Arisierungsverfahren (1937–1940) [Milly Brockhaus, geb. Weisz und Ehefrau des Brockhausverlegers Eduard Brockhaus (1829-1914) war jüdischer Herkunft. So galten nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 der Sohn Fritz Brockhaus als „Halbjude“ und seine Neffen und Firmenmitinhaber Hans und Wolfgang Brockhaus als „Vierteljuden“] hatte es F. A. Brockhaus schließlich zu verdanken, dass sein Image nach 1945 keinen Schaden nahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang dem Verlag F. A. Brockhaus in Wiesbaden ein rascher Neuanfang.“ 10)

Der „Brockhaus“ und koloniale Sprache
Auch die Enzyklopädien sind „Kinder ihrer Zeit“ und verwenden meist sprachliche Begriffe, die in der Mehrheitsgesellschaft „salonfähig“ sind. So finden sich auch im „Brockhaus“ Begriffserklärungen, die kritisch zu würdigen sind. Susan Arndt schreibt 2004 z. B. dazu: „Die deutsche Afrikaterminologie zeigt exemplarisch, dass sich der koloniale Afrikadiskurs nachhaltig in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Viele der im Kontext der europäischen Expansionsbewegungen nach Afrika geprägten Begriffe sind bis heute gebräuchlich. Oft werden sie sogar mit dem Habitus gebraucht, es sei legitim (weil historisch gewachsen) oder ‚nicht so schlimm‘, diese Wörter zu verwenden. Selbst für die wenigen Wörter, wie etwa ‚Neger‘, für die sich zunehmend das Wissen durchsetzt, dass sie rassistisch konnotiert sind, lässt sich beobachten, dass sie in Komposita (wie etwa ‚Negerkuss‘") hartnäckig weiterleben und auch in Wörterbüchern nur verhalten kommentiert werden. In der Regel heißt es heute unter dem Eintrag ‚Neger‘, wie etwa in der jüngsten Ausgabe des Duden: Deutsche Rechtschreibung: ‚wird häufig als abwertend empfunden‘. Durch diese Formulierung wird suggeriert, dass das Wort nicht per se, sondern nur in der Empfindung einiger weniger diskriminierend sei. (…). Die meisten Begriffe werden aber erst gar nicht als ‚abwertend‘ oder ‚veraltet‘ markiert. So heißt es (…) im Duden wie auch im Deutschen Wörterbuch der aktuellen Brockhaus-Ausgabe [von 1999] unter ‚Hottentotten‘: ‚Angehöriger eines Mischvolkes in Südwestafrika‘ (…).“ 11)