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nach Personen benannt

Chamissoweg

Nienstedten (1936): Adalbert von Chamisso (30.1.1781 auf Schloss Boncourt bei Chalons-en-Champagne/Frankreich – 21.8.1838 Berlin), Dichter und Naturforscher, Freimaurer


Siehe auch: Amalie-Schoppe-Weg
Siehe auch: Otto-Speckter-Straße
Siehe auch: Schlegelsweg

Der Chamissoweg wurde in der Zeit des Nationalsozialismus benannt.
Chamisso entstammte einer französischen Adelsfamilie. Seine Mutter war Marie Anne, geb. Gargam, sein Vater, ein französischer Offizier, hieß Louis Marie, Ritter v. St. Louis, Herr auf Boncourt. In der Neuen Deutschen Biographie heißt es über Chamissos Werdegang: „Seine Kindheit verbrachte Chamisso auf dem väterlichen Schloß in der Champagne. Die Revolution vertrieb 1790 die Familie. Sie flüchtete nach Belgien und Holland, dann nach Deutschland, wo sie über Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth schließlich nach Berlin kam. Dort nahm die Königin 1796 Chamisso als Pagen an und sorgte für einen geregelten Unterricht. Zur Militärlaufbahn bestimmt, wurde er 1798 Fähnrich beim Regiment von Götze und 1801 Leutnant. Im gleichen Jahr kehrten die Eltern nach Frankreich zurück. Chamisso litt sehr unter seinem im preußischen Heeresdienst ihm besonders fühlbar werdenden Emigrantentum. Die Eintönigkeit und Leere seines Soldatenlebens suchte er im Studium der Philosophie und deutschen Literatur zu vergessen. Außerhalb des militärischen Kreises gewann er bald Verbindung zu dem geistigen Leben Berlins. (…) A. W. Schlegels [siehe: Schlegelsweg] Berliner Vorlesungen im Winter 1803/04 wurden Anlaß zur Gründung des ‚Nordsternbundes‘, der sich auf die Seite der Romantiker stellte. In Chamissos ersten dichterischen Versuchen verbanden sich persönliche Bedrängnisse mit philosophischer Spekulation. (…).. Das allegorische Märchen ‚Adelberts Fabel‘,(…) zielt schon auf die Lösung der Frage nach der menschlichen Willensfreiheit, die Chamissos zentrales Lebensproblem war. Das subjektivistische Wollen wird vor dem Throne der Notwendigkeit zum sich einfügenden Mitwollen. (…). Der schnelle Zusammenbruch Preußens bewahrte Chamisso davor, gegen sein Vaterland kämpfen zu müssen. Er geriet bei der Übergabe Hamelns in Gefangenschaft und erhielt einen Paß nach Frankreich.

Nun folgten seine unglücklichsten und ruhelosesten Jahre: beständig hin- und hergerissen zwischen Deutschtum und Franzosentum, dazu in quälender Unentschiedenheit über seinen Lebensberuf, verbrachte er sie teils in Paris, der Champagne und der Vendée, dann wieder ziellos und unbefriedigt in Berlin. (…). Der brieflichen Aufforderung de La Foyes folgend, begann er Botanik zu treiben und traf nach einer ersten dem Pflanzensammeln dienenden Hochgebirgswanderung im Herbst 1812 mit dem festen Entschluß in Berlin ein, Naturwissenschaften zu studieren. Aber schon im folgenden Frühjahr brachte der Beginn des Befreiungskriegs eine Unterbrechung. Erneut und verstärkt mußte Chamisso sich als ein Ausgesonderter fühlen. In solcher Lage entstand neben botanischen Studien auf dem Itzenplitzschen Landgut in Kunersdorf ‚Peter Schlemihls wundersame Geschichte‘, durch die er als Dichter Weltruhm erlangte. Aus dem anfangs geplanten Kindermärchen wurde während der Ausarbeitung eine freie Selbstdarstellung. (…). Frei wird Schlemihl durch die Einstimmung in sein Schicksal, durch Selbstüberwindung und Tätigkeit. (…).
Für kurze Zeit nahm Chamisso nach dem Krieg seine Universitätsstudien wieder auf. Bald jedoch erhielt er die Stelle eines Naturforschers bei der Romanzoffschen Expedition, mit der er (…) von 1815-18 eine Weltreise unternahm. (…). [Chamisso] wurde 1819 Kustos am Herbarium und Botanischen Garten in Schöneberg. Als überzeugter Empiriker sah er seine Aufgabe in der exakten Beschreibung, Vergleichung und Einordnung der gesammelten Pflanzen. Wissenschaftsgeschichtlich muß er für große Teile Amerikas, der Arktis und der Südsee als einer der bedeutendsten Floristen gelten. (…). Auf Veranlassung des preußischen Unterrichtsministeriums bemühte sich Chamisso um die Anlage von Schulherbarien und schrieb ein Lehrbuch zur volkstümlichen botanischen Bildung.

In einer glücklichen Ehe fand Chamisso die innere Ruhe. (…). Seine Lyrik kam erst nach der Weltreise zur vollen Entfaltung, als die innere Aneignung der deutschen Sprache dem äußeren Erlernen nachgefolgt war. (…). Chamisso wurde ein Dichter des Bürgerhauses und der Schullesebücher. (…). Er behandelte zahlreiche Stoffe der Sage, des Märchens, der exotischen Welt und der politisch-sozialen Wirklichkeit. Fast Wider Willen half er als Zeitdichter dem Jungen Deutschland den Weg bereiten. (…).. Er starb im Vertrauen auf die Zukunft.“ 1)

Chamisso als Ehemann
1819, in dem Jahr, als der 38-jährige Chamisso eine Anstellung als Adjunkt am Botanischen Garten in Schöneberg erhielt und 2. Kustos am Königlichen Herbarium wurde, heiratete er die knapp 20 Jahre jüngere Antonie Piaste (30.10.1800–21.5.1837), „Ziehtochter seines Freundes Hitzig“. 2) Das Paar bekam sieben Kinder, das erste wurde 1820 geboren.

Im September 1821 soll Chamisso ein: „mutmaßliches Verhältnis mit Marianne Hertz, geb. von Halle [gehabt haben], dem als vermutlicher Sohn Chamissos Wilhelm Ludwig Hertz (1822–1901), der spätere Verleger Fontanes, entstammt“.3) Marianne Hertz (1792-1844) war die Tochter des Bankiers Wolff von Halle und Ehefrau des Apothekers Joseph Jacob Hertz, der in Hamburg einen Drogenhandel führte. Chamisso hatte Marianne Hertz kennengelernt, als er bei Joseph Hertz in Hamburg weilte.

1822, 1827, 1829, 1832 und 1835 gebar Antonie Chamisso noch weitere Kinder. In dieser Zeit verfasste Chamisso literarische Werke und arbeitete als Kustus am Königlichen Hebarium.

Seine Ehe inspirierte Chamisso zu Gedichten, „in denen er die eheliche Liebe verherrlicht. Am bekanntesten ist der Liederzyklus 'Frauenliebe und -leben', von Schumann [siehe: Schumannstraße] vertont“. 4)
Dieser Liederzyklus wird heute recht unterschiedlich interpretiert. So schreibt Peter Sühring: „Der heutzutage weit verbreiteten Haltung gegenüber Chamisso/Schumanns Frauenliebe und -leben: die Musik ja, den Text bitte nicht, müsste man ganz anders begegnen, (…).

Sicher war der Dichter Chamisso im realen Leben als Familienvater ein Feind der Frauenemanzipation, aber als sozial aufgeklärter Liberaler hatte er sehr wohl einen Blick auch für das Leid von Frauen, und es gibt auch entsprechend andere weibliche Rollengedichte von ihm. Er könnte demnach die von ihm gedichteten Worte einer einfachen, aber romantisch fühlenden Frau, die das sanfte Joch der Ehe und ihre Demut dem geliebten Mann gegenüber besingt, ihre leibliche Liebeslust und Mutterschaft verherrlicht, nicht nur unkritisch betrachtet und gemeint haben. Als er sich im Jahr 1819 als fast 40-jähriger krisengeschüttelter Dichter, Weltumsegler und Botaniker entschloss, eine 18-Jährige zu heiraten (‚nie hatte man einen seligeren Bräutigam gesehen, mit verklärtem Ausdruck in dem Gesicht‘, schrieb damals sein Freund Hitzig, der Ziehvater seiner Braut), spielten romantische Männerliebe und -leben(splanung) eine gewisse Rolle. Als er nach 10 Jahren Ehe mit seiner Frau Antonie seinen Zyklus über Frauenliebe und -leben schrieb, war die Liebe auch in seiner Ehe durch den Alltag schon etwas abgeschwächt, und er hätte seiner eigenen Frau solche Worte wohl nicht mehr in den Mund zu legen gewagt. Also war sein Gedicht nur Abbild einer zeitbedingten Atmosphäre und war es eine ästhetische Illusion, eine Frau solche (Männer)phantasien aussprechen zu lassen. In dem Gedichtzyklus ist es am Schluss die Frau, deren ganz dem Manne gewidmetes Leben nach dessen Tod leer und sinnlos wird. In Chamissos weiterem realen Leben war es dann übrigens seine immer noch von ihm geliebte Frau, die ihm den ‚ersten Schmerz versetzte, der aber traf‘: sie schlief ‚den Todesschlaf‘ und er war jener, dessen Welt leer war und der ‚nicht mehr lebend‘ war, wie es im 8. Lied des Zyklus heißt. (…)

Was Schumann bewog, im Jahr 1840, unmittelbar nach dem juristischen Sieg über den Vater seiner Braut Clara Wieck, der dem Paar den Weg in die Ehe öffnete, ausgerechnet Chamissos über zehn Jahre alten Gedichtzyklus mit den euphorischen Worten einer liebenden, treuen und dienenden Gattin zu vertonen, ahnte er wahrscheinlich selber nur instinktiv. Vielleicht mochte es sein Wunschdenken gewesen sein, das er in Claras angebliche Haltung ihm gegenüber hinein projizierte, ein objektives Komponieren eines allgemein beliebten Stoffes (…) ohne subjektive Beimischung wird es wohl eher nicht gewesen sein (…).“. 5)

Chamisso heute: eine interkulturelle Biographie und der Chamisso- Preis
Bei der Verleihung des Chamisso-Preises/Hellerau 2018 sagte Prof. Dr. Walter Schmitz in seiner Eröffnungsrede u. a. Folgendes über Chamisso und den Chamisso-Preis: „(…) 1813, isoliert während der ‚deutschen‘ Befreiungskriege gegen Napoleon, schreibt der junge emigré, der in der neuen Heimat noch immer nicht ganz heimisch ist, die Erzählung, die ihn berühmt machen sollte: Peter Schlemihl‘s wundersame Geschichte.
Der Titelheld, der junge Schlemihl, langt einsam und bankrott in einer fremden Hafenstadt an. Dort handelt ihm ein mysteriöser ‚Mann im grauen Rock‘ nicht etwa seine Seele, sondern seinen Schatten ab; im Tausch erhält er Fortunati Glücksseckel, eine unerschöpfliche Geldquelle. Ohne Schatten allerdings erregt Schlemihl Aufsehen und Skandal, verliert seine Geliebte, wird Opfer eines betrügerischen Dieners, kommt aber in den Besitz von Siebenmeilenstiefeln. Menschlicher Gesellschaft fremd, reist er mit diesen durch die Welt und erforscht die Natur; seine verlassene Geliebte und sein anderer, treuer Diener betreiben in Erinnerung an den Verschollenen das mildtätige Asyl Schlemihlianum. (…)

In der literarischen Szene der Bundesrepublik Deutschland ist Chamisso sehr wohl präsent, nicht so sehr mit seinem Werk, wohl aber mit seinem Namen: Er steht für eine ‚interkulturelle Biographie‘ und zugleich für die literarische Figur des Peter Schlemihl, der ‚fremd‘ in der großen Stadt zuletzt in der ganzen Welt ein ‚Fremder‘ und ‚Nomade‘ ist, überall heimatlos; er ist die Symbolfigur der Migration. Daran galt es zu erinnern: Im Jahr 1985 wurde erstmals von der Robert Bosch Stiftung, gemeinsam mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, ein Adelbert-von-Chamisso-Preis verliehen; dieser Preis zollte der Literatur der Migration in Deutschland Anerkennung, rückte sie, die bisher ein herablassend betrachtetes Randphänomen war, ins Zentrum der Aufmerksamkeit, würdigte, wie ‚deutschschreibende AutorInnen nicht deutscher Muttersprache‘ die Literatur in Deutschland bereicherten. Verliehen wurde dieser Adelbert-von Chamisso-Preis bis 2017 – und damit war der Beweis erbracht, dass die Strategien des ‚cultural branding‘ auch in der Literatur zum Erfolg führen können. ‚Chamisso‘ wurde ein Markenname. Geradezu als ‚Chamissos Enkel‘ sollten höchst unterschiedliche Autorinnen und Autoren in einer Gruppe zusammentreten, wenn ihr Leben und Werk nur von einer Erfahrung der Migration geprägt sei – vielleicht durch einen Wechsel von der Herkunftssprache zur Ankunftssprache ‚Deutsch‘ oder zumindest durch einen kulturellen ‚Doppelblick‘, wie er einer Migrationsgeschichte zu verdanken ist. (…)“. 6)

Zurückkommend auf Chamissos Werk erklärte Walter Schmitz: „(…) in dem Namen seines Protagonisten werden ja gleichsam zwei Welten kombiniert – eine deutsche mit dem Vornamen ‚Peter‘ und eine jüdische mit dem Nachnamen; denn ‚Schlemihl‘ bezeichnet im Jiddischen einen ‚ungeschickten Menschen‘, einen ‚Pechvogel‘, einen ‚Narren‘ gar. Chamisso kennt diese Redeweise sicherlich aus den Berliner jüdischen Salons, und er konnte beobachten, wie sich die eben aus dem Ghetto befreiten Juden in einer Gesellschaft zu orientieren hatten, die ihr Deutschtum mit Vehemenz entdeckte. In der Serie von Reformen, die nach der desaströsen Niederlage der ruhmreichen Militärmacht Preußen gegen die Heere Napoleons eine ‚Wiedergeburt‘ des Staates anstrebten, wurde als letztes – im Jahr vor der Entstehung des Peter Schlemihl – das Judenedikt von 1812 erlassen; es gewährte den Juden, wenn auch mit Einschränkungen und Bedingungen, staatsbürgerliche Rechte. Im Finanzwesen hatten einige wenige freilich schon längst eine Stellung erlangt, in der sich Privileg und Diskriminierung eigentümlich mischten; jedenfalls nahm die Berliner jüdische Oberschicht schon seit etlichen Jahrzehnten auch an der deutschsprachigen Kultur und Bildung teil und prägte sie. Schlemihl aber wird – so, wie ihn Chamisso konzipiert – zur Warnfigur für eine bedingungslose Hingabe an das Geld, gleichsam die Figuration eines reich gewordenen Parvenus. Er zahlt den Preis mit dem Verlust seiner ‚Solidität‘, wirft deshalb – wie Chamisso selbst erläutert hat – keinen Schatten. Chamissos Erzählung von diesem Schicksal ist allerdings nicht – wie der sich damals formierende Antisemitismus – feindselig, sondern besorgt, in dem Sinn, den ‚Sorge‘ im christlichen Abendland noch hatte, anteilnehmend und warnend. Denn Chamisso weiß um seine Gemeinsamkeit mit diesem Schlemihl, und so hegt er doppelte Sorge, einmal um die Juden, die in der Welt des Geldes heimat- und wurzellos zu werden drohen, und zum anderen um sich selbst als einem Vaterlandlosen, dem dasselbe Schicksal drohen könnte. Doch – und dies drückt er in einer Widmung der Schlemihl-Erzählung an seinen deutschen poetischen Freundeskreis aus – ihm blieb dieses Schicksal erspart; er hat ‚seinen Schatten nicht verloren‘.“6)