Ernst-Henning-Straße
Bergedorf (1949): Ernst Henning (12.10.1892 Magdeburg – 14.3.1931 Hamburg), kommunistischer Bürgervertreter, NS-Opfer, Gegner der NSDAP, von SA-Leuten erschossen
Siehe auch: Marie-Henning-Weg
Siehe auch: Walter-Flex-Straße
Stolperstein vor: Hassestraße 11
Vor 1949 hieß die Straße Walter-Flex-Straße. Die Umbenennung in Ernst-Henning-Straße erfolgte wegen Doppelbenennung. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
Zu Walter Flex siehe unter: Walter-Flex-Straße
Ernst Henning wurde in ein politisch engagiertes Elternhaus hineingeboren: Sein Vater Otto war SPD-Mitglied und hatte deshalb in der Kaiserzeit Repressalien zu erleiden. Die Familie musste oft umziehen und ließ sich schließlich in Bergedorf nieder. Dort gründete Otto Henning 1910 eine Eisengießerei. Ernst Henning konnte trotz der zahlreichen Ortswechsel das Abitur ablegen, blieb danach aber dem Gewerbe seines Vaters treu und erlernte den Beruf des Formers. Als überzeugter Kriegsgegner wollte Otto Henning im Ersten Weltkrieg keine Rüstungsgüter liefern und erhielt deshalb keine Materiallieferungen mehr. So musste er seinen Betrieb wieder aufgeben und verzog nach Ostpreußen.
Sein Sohn Ernst blieb in Bergedorf und gründete dort eine Familie. Mit seiner Frau Marie [siehe: Marie-Henning-Weg] hatte er drei Kinder: Emmi (geb. 1913), Mariechen (geb. 1915) und Otto (geb. 1920). Die Familie lebte in der Hassestraße 11. Ernst Henning war zunächst wie sein Vater SPD-Mitglied, wechselte aber 1917 zur USPD, weil diese Partei den Krieg des Deutschen Kaiserreichs ablehnte. Zudem engagierte er sich als Gewerkschafter im Deutschen Metallarbeiter-Verband. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wirkte er bei der Gründung des Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrates mit, der in der ersten Zeit nach der November-Revolution lokale administrative Gewalt ausübte.
1919 wurde Ernst Henning Mitglied der gerade gegründeten KPD. Er arbeitete in der Hamburger Motorenfabrik Carl Jastram, einem mittelständischen Bergedorfer Betrieb, der Mitte der 1920er Jahre etwa 250 Menschen zum Bau von Motoren für Maschinen und Schiffe, aber auch auf einer kleinen Werft beschäftigte. Dort war Henning Betriebsratsvorsitzender. 1923 beteiligte er sich an der Vorbereitung und Durchführung des „Hamburger Aufstands“, der sich im Bergedorfer Bereich auf Schiffbek beschränkte. Nach dessen Niederschlagung floh Ernst Henning aus Bergedorf, um seiner Verhaftung zu entgehen. Nach einem Jahr stellte er sich und wurde zu vier Jahren Festungshaft verurteilt, die er in Gollnow in Pommern antrat. 1925 führte eine allgemeine Amnestie zu seiner Entlassung.
Bald darauf wurde er Leiter des KPD-Unterbezirks Lauenburg. 1927 wurde er ins Bergedorfer Stadtparlament gewählt und übernahm den Vorsitz in der dortigen KPD und im Roten Frontkämpferbund (RFB). Außerdem war er seit 1928 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. In deren „Landausschuss“ engagierte er sich für die Belange der Landbevölkerung in den Vier- und Marschlanden und erlangte dort auf diese Weise eine gewisse Popularität. So setzte er sich für eine Verbesserung des Schulwesens ein und kämpfte 1930, nach einem Deichbruch in Nettelnburg, für schnelle Hilfen an die betroffene Bevölkerung. Dank Hennings Einsatz konnte die KPD Ende der 1920- er Jahre zahlreiche Ortsgruppen in den Vier- und Marschlanden gründen. Damit trat sie in unmittelbare Konkurrenz zur NSDAP, die gerade in ländlichen Bereichen, bei Bauern und Handwerkern, punkten konnte.
Gegen Ende der 1920er-Jahre nahmen die politischen Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD auch in Bergedorf an Schärfe zu. Man bezichtigte sich gegenseitig, insgeheim mit der NSDAP zu paktieren: Die SPD fasste Kommunisten und Nazis kurz und bündig zu „Kozis“ zusammen, die KPD sprach in ihren Flugblättern und Zeitungen von Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“. In Bergedorf stellten die Sozialdemokraten mit Wilhelm Wiesner von 1919 bis 1931 den Bürgermeister. Bei den zahlreichen Wahlen um 1930 erhielt die SPD in Bergedorf zwischen 4200 und 4600 Stimmen, die Kommunisten kamen auf etwa 1000 Stimmen. Bis 1930 hatte die NSDAP in Bergedorf kaum Mitglieder und Wählerstimmen, bei der Reichstagswahl im September 1930 konnte sie dort jedoch ihren Stimmanteil verzehnfachen: 2377 Menschen wählten die NSDAP (Reichstagswahl 1928: 220 Stimmen).
Ernst Henning stand in einer über Gerichtsverfahren und polemische Flugblätter ausgetragenen Auseinandersetzung mit dem sozialdemokratischen Bergedorfer Polizeichef und Reichsbannerführer Haase. Im März 1931 warf er Haase in einem Flugblatt unter anderem vor, er habe 1929 Kinder des Jung-Spartakus-Bundes verhaften und misshandeln lassen, 1930 die Mai-Demonstration der KPD verboten und bezichtigte ihn, NS-Leute bei ihrer Veranstaltung in Geesthacht am 26. Januar 1931 bewaffnet zu haben. Die Kommunisten waren dort mit einem Trupp erschienen, um die Versammlung zu verhindern. Es kam zu einer Schießerei, bei der zwei Tote und sechs Verletzte zu beklagen waren.
Am 14. März 1931 nahm Ernst Henning gemeinsam mit seinem Altonaer Genossen Louis Cahnbley an einer öffentlichen Parteiveranstaltung im Clubraum der Gaststätte Albers in Zollenspieker teil. Sie war unter dem Titel angekündigt: „Nazis, Sozis und die übrigen bürgerlichen Lakaien plündern die Werktätigen in Stadt und Land! Wer kämpft gegen die Plünderer?“ Vorn in der Gaststätte saßen bei Hennings Ankunft drei Bergedorfer SA-Männer in Zivil. Die Veranstaltung endete gegen 23 Uhr und kurz nach Mitternacht bestiegen Henning und Cahnbley den Nachtautobus nach Hamburg. Wenige Stationen später stiegen die drei SA-Männer aus der Gaststätte sowie ein SA-Mann in Uniform mit Begleiter zu. Offenbar verwechselten die Nationalsozialisten Cahnbley mit dem bei ihnen besonders verhassten Hamburger KPD-Führer Etkar André, denn einer von ihnen sprach ihn mit diesem Namen an und drohte ihm mit Erschießung. Als sich Ernst Henning einmischte und erklärte, es handele sich nicht um André, sondern um Cahnbley, wurde auch er bedroht. Die SA-Männer schossen dann nicht nur auf die beiden Kommunisten, sondern auch auf andere Fahrgäste und verletzten einige von ihnen schwer. Während Ernst Henning sofort tot war, überlebte Louis Cahnbley schwer verletzt.
Dieser offensichtlich geplante Mordanschlag schlug in der Öffentlichkeit hohe Wellen und rückte die NSDAP selbst bei ihren Anhängern in ein schlechtes Licht, zumal mehrere Unbeteiligte zu Schaden gekommen waren. Wohl deshalb distanzierte sich die Partei zunächst von den drei identifizierten Mördern. Sie wurden aus der Partei ausgeschlossen und genötigt, sich der Polizei zu stellen. Gleichzeitig kam jedoch Adolf Hitler persönlich für ihre Verteidigung auf und schickte den Staranwalt der Bewegung, Hans Frank, ins Feld. (Dieser wurde nach 1933 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, im Zweiten Weltkrieg Generalgouverneur von Polen und als „Schlächter von Polen“ bekannt. 1946 wurde er im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.)
Die Täter, Albert Jansen, Otto Bammel und Hans Höckmair, wurden zu milden sechs und sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Im März 1933 wurden sie entlassen und mit gut dotierten Posten versorgt.
Der Hamburger Senat reagierte auf den Mord mit einem Versammlungsverbot für KPD und NSDAP. Der sozialdemokratische Bürgermeister Roß hielt vor der Bürgerschaft eine Rede, in der er den Mord verurteilte und KPD und NSDAP als zügellose „Feinde des Staates“ gleichermaßen für die zunehmende politische Gewalt verantwortlich machte. Diese Gleichsetzung mit den Mördern löste bei der KPD wütende Proteste aus, es kam zu Tumulten und Protestkundgebungen in der Bürgerschaft und auf der Straße, zehn KPD-Abgeordnete wurden für einen Monat von den Sitzungen ausgeschlossen.
Ernst Henning wurde zunächst in Winterhude in der Leichenhalle an der Jarrestraße aufgebahrt und von dort nach Ohlsdorf zur Einäscherung überführt. Der Trauerzug soll 35.000 Menschen umfasst haben, Fahnen und Transparente gaben ihm den Charakter einer Demonstration. Ernst Thälmann, der aus Hamburg stammende Vorsitzende der KPD, hielt die Grabrede. Nach der Trauerfeier und in der Nacht darauf kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. Wieder wurde geschossen, ein Unbeteiligter kam zu Tode, ein Polizist wurde verletzt. Am 24. März 1931 wurde Hennings Urne nach Bergedorf gebracht und auf dem dortigen Friedhof beigesetzt. Auch hier kam es zu einem großen Demonstrationszug. Die Bergedorfer Grabrede wurde von Carl Boldt gehalten.
Der Schock über den Mord an Ernst Henning führte unter der Anhängerschaft der KPD zu einem beachtlichen Mobilisierungseffekt. Jedoch bewirkte er nicht, dass sich SPD und KPD aufeinander zu bewegten oder die bürgerlichen Parteien die Republik offensiver gegen die Bedrohung durch die NSDAP verteidigten. Eher scheint er die Spirale aus Protest, Erbitterung, gegenseitiger Schuldzuweisung und Gewaltbereitschaft weiter angeheizt zu haben, die das Ende der Weimarer Republik auch in Hamburg bestimmte.
Text: Ulrike Sparr